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II.Das Störungsverbot als primär dem Schutz der Versammlung dienendes Verbot 1.Das Verbot von Verhinderungsstörungen

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392a) Grundlagen und Ziel des Verbots. In § 2 Abs. 2 VersG, Art. 8 Abs. 1 und Abs. 2 BayVersG, § 4 NVersG, § 2 Abs. 2 SächsVersG, § 8 VersFG BE, § 7 VersFG SH und § 2 Abs. 2 VersammlG LSA normiert ist das Verbot von Störungen, die bezwecken, die ordnungsgemäße Durchführung von Versammlungen zu be- bzw. zu verhindern.887 Die Norm macht deutlich, dass es sich nicht um ein Versammlungsverhinderungs-, sondern um ein Versammlungsschutzgesetz handelt.888 Diesen Schutz verdienen und benötigen Versammlungen unter freiem Himmel ebenso wie Versammlungen in geschlossenen Räumen und öffentliche Versammlungen genauso wie nichtöffentliche Versammlungen, weshalb Art. 8 Abs. 1 und Abs. 2 BayVersG, § 4 NVersG, § 8 VersFG BE und § 7 VersFG SH alle diese Kategorien erfassen; darin unterscheiden sie sich von den nur auf öffentliche Versammlungen bezogenen § 2 Abs. 2 VersG, § 2 Abs. 2 SächsVersG und § 2 Abs. 2 VersammlG LSA. Das Störungsverbot entspricht den Intentionen von Art. 8 GG. Der Gesetzgeber trägt mit der Vorschrift zur Erfüllung der aus dem Grundrecht folgenden grundrechtlichen Schutzpflicht889 bei. Das Ziel ist nicht, diskussionsfreudige Versammlungsteilnehmer mundtot zu machen. Die abwehrrechtliche Gewährleistung von Art. 8 GG endet nach der Rechtsprechung des BVerfG indes dort, wo es nicht um die – wenn auch kritische – Teilnahme an der Versammlung, sondern um deren Verhinderung geht. Das Recht, sich friedlich und waffenlos zu versammeln, wird vom Grundgesetz im Interesse einer gemeinschaftlichen Meinungsbildung und Meinungskundgabe gewährleistet. Es soll die vom Staat unbehinderte, geplante oder spontane Kommunikation unter Anwesenden sowie die demonstrative Mitteilung der Kommunikationsergebnisse ermöglichen. Das Grundrecht schützt jeden Deutschen, der sich daran beteiligen will. Beteiligung setzt zwar keine Unterstützung des Versammlungsziels voraus, sondern erlaubt auch Widerspruch und Protest. Wohl aber verlangt sie die Bereitschaft, die Versammlung in ihrem Bestand hinzunehmen und abweichende Ziele allein mit kommunikativen Mitteln zu verfolgen. Wer dagegen eine Versammlung in der Absicht aufsucht, sie durch seine Einwirkung zu verhindern, kann sich nicht auf das Grundrecht aus Art. 8 GG berufen.890 Das gilt auch, wenn er dabei seinerseits im Verein mit anderen auftritt. Der Umstand, daß mehrere Personen zusammenwirken, bringt diese nicht in den Genuss der Versammlungsfreiheit, wenn der Zweck ihres Zusammenwirkens nur in der Unterbindung einer Versammlung besteht. Ein staatlicher Akt, durch den jemandem der Zutritt zu einer Versammlung verweigert wird, weil er nicht an ihr teilnehmen, sondern sie sprengen will, greift daher nicht in den Schutzbereich des Art. 8 GG ein. Aus diesem Grund lassen sich dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit zugunsten des Störers auch keine Maßstäbe für staatliche Handlungen entnehmen, mit denen das gesetzlich normierte Verbot, Versammlungen in Verhinderungsabsicht zu stören, durchgesetzt werden soll. Insoweit verbleibt es vielmehr bei dem Schutz, den die sonstigen Freiheitsrechte und das grundrechtliche Willkürverbot auch dem Störer vermitteln.891

393b) Adressaten des Verbots. Die Vorschrift richtet sich an jedermann.892 Adressaten sind also nicht nur Versammlungsteilnehmer, sondern vor allem Nicht-Teilnehmer, z. B. der Vermieter des Versammlungslokals, das Bedienpersonal, Passanten und Zuschauer, Gegendemonstranten und Polizeibeamte.893 Auch an Vertreter der Versammlungsbehörden richtet sich das Verbot894, ebenso an Kommunalparlamente und Oberbürgermeister.895

394c) Inhalt des Verbots. Schutzgut des Störungsverbots ist die Ordnung der Versammlung, nicht die öffentliche Sicherheit (oder Ordnung) schlechthin.896 Für die ordnungsgemäße Durchführung ist ein funktionsbezogener Ordnungsbegriff zugrundezulegen.897 Die Ordnung dient einerseits dem Schutz der Rechtsgüter Dritter und der Allgemeinheit; andererseits gehört zu dieser Ordnung auch, dass das Versammlungsrecht als ein kommunikatives Grundrecht in einem bestimmten Ordnungsrahmen ausgeübt werden muss.898 Die Ordnung der Versammlung ist der Zustand, in dem die Versammlung ihren kommunikativen Zweck optimal erreichen kann. Zur Ordnung gehört auch, dass der in der Einladung umschriebene Versammlungszweck erreicht werden kann. Wie dieser Zustand beschaffen ist, hängt einerseits von den Vorstellungen des Veranstalters und des Leiters der Versammlung und andererseits von den verfassungsrechtlichen Vorgaben – insbesondere aus § 8 GG – ab. Der Veranstalter entscheidet darüber, ob die Versammlung der Erörterung oder der Kundgebung dient. Im Rahmen einer der Erörterung dienenden Versammlung muss grundsätzlich die Austragung unterschiedlicher, auch kontroverser Auffassungen zulässig sein.899 Für eine meinungskundgebende Versammlung gilt dies nicht. Es kommt letztlich auf den Charakter der Versammlung im Einzelfall an; Zwischenrufe etwa können in einer Diskussionsveranstaltung als positiv belebend empfunden, bei einer Kundgebung hingegen als grobe Störung angesehen werden.900 So oder so gehört zur Ordnung der Versammlung das vom Veranstalter festgelegte Versammlungsthema. Den Versammlungsablauf und damit die Einzelheiten der Ordnung der Versammlung bestimmt (nach § 18 bzw. § 8 VersG, Art. 4 Abs. 1 BayVersG, § 7 Abs. 1 Satz 2 NVersG, § 18 bzw. § 7 SächsVersG, § 6 Abs. 1 VersFG BE, § 6 Abs. 1 VersFG SH901, § 16 Abs. 1 bzw. § 7 VersammlG LSA) der Versammlungsleiter. Die Ordnung der Versammlung darf nicht mit der „öffentlichen Ordnung“ im Sinne von § 15 Abs. 1 VersG, Art. 15 Abs. 1 BayVersG, § 8 Abs. 1 NVersG und § 15 Abs. 1 SächsVersG verwechselt werden.

395Störung der Ordnung der Versammlung ist eine Verletzung der Ordnung.902 Sie liegt vor, wenn die Versammlung nicht mehr so ablaufen kann, wie Veranstalter und Leiter dies vorgeben.903 Insofern kommt es für die Frage, ob eine Störung vorliegt, sehr stark auf den Charakter der Versammlung an. Meinungsäußerungen, die inhaltlich von der Auffassung der Mehrheit der Versammlungsteilnehmer abweichen, sind im Rahmen einer der Erörterung dienenden Versammlung keine Störung. Bei einer reinen Informationsveranstaltung kann hingegen das Verlangen nach Diskussion eine Störung darstellen.904 Hat der Veranstalter zu einem Schweigemarsch eingeladen, so müssen sich die Teilnehmer an diese Vorgabe halten; ansonsten ist eine Störung gegeben.905 Wird eine Versammlung unfriedlich, liegt immer eine Störung vor.906 Zur Ordnung der Versammlung gehört auch die Einhaltung versammlungsbehördlich verfügter Beschränkungen.907

396§ 2 Abs. 2 VersG, Art. 8 BayVersG, § 4 NVersG, § 2 Abs. 2 SächsVersG, § 7 VersFG SH und § 2 Abs. 2 VersammlG LSA erfasst nur Störungen in Verhinderungsabsicht.908 Dementsprechend ist zwischen (verbotenen) Verhinderungsstörungen und (nicht gegen das Störungsverbot verstoßenden) Durchführungsstörungen zu unterscheiden. „Einfache“ Störungen, die nicht gegen das gesetzliche Störungsverbot verstoßen, sind allerdings nicht etwa erlaubt.909

397Die Verhinderungsstörung stellt eine Einwirkung in der Weise dar, dass die Durchführung der Versammlung tatsächlich unmöglich gemacht werden soll.910 Entscheidend ist die subjektive Einstellung des Störers zu der Versammlung. Das Recht verpflichtet jeden, eine (nicht verbotene) Versammlung in ihrem Bestand hinzunehmen. Wer dazu nicht bereit ist und aus dieser Motivation heraus stört, begeht eine Verhinderungsstörung. Er ist kein Versammlungsteilnehmer. Der Bemessungsmaßstab bei der Bewertung einer Verhinderungsstörung ist im Zweifelsfall zu Gunsten der Versammlung auszulegen.911 Es kommt nicht darauf an, ob die Versammlung im Ergebnis wirklich verhindert wird.912 Insofern spielt es auch keine Rolle, zu welchen Mitteln der Störer greift; freilich wird beim Einsatz von Gewalt in aller Regel von einer Verhinderungsstörung auszugehen sein, wogegen bei Störungen mit anderen Methoden eine differenziertere Einzelfallprüfung anzustellen ist. Dass das entsprechende Verhalten „friedlich“ im Sinne von Art. 8 Abs. 1 GG ist, hindert nicht generell die Anwendbarkeit des Störungsverbots913. Eine Verhinderungsstörung setzt auch nicht die Erheblichkeit der Störung914 voraus.915 Missverständnisse können insoweit dadurch entstehen, dass die korrespondierende Strafnorm (§ 21 VersG; Art. 20 Abs. 1 Nr. 2 BayVersG, § 20 Abs. 1 Nr. 2 NVersG, § 22 SächsVersG, § 20 VersammlG LSA) das Tatbestandsmerkmal einer „groben“ bzw. „erheblichen“ Störung enthält. Dieses Tatbestandsmerkmal findet sich im Störungsverbot selbst nicht. Der Anwendungsbereich der Verbotsnorm ist also weiter als derjenige der entsprechenden versammlungsstrafrechtlichen Vorschrift. Straflosigkeit des Verhaltens indiziert mithin nicht einen fehlenden Verstoß gegen das Störungsverbot. Zeitlich greift das Störungsverbot nicht etwa nur während der Versammlung, sondern auch schon in deren Vorfeld.916

398Als Verhinderungsstörung einzustufen ist z. B. das Bewerfen von Versammlungsteilnehmern mit Gegenständen.917 Das Abbrennen von Pyrotechnik wird i. d. R. ebenfalls eine verbotene Störung darstellen918, selbst wenn es nicht zu Würfen kommt. Gleiches gilt für lautes Abspielen von Musik, um die Redebeiträge der Versammlung zu übertönen.919 Selbst das Singen von Liedern kommt in Betracht.920 Ob auch das gegen die Versammlung gerichtete Zeigen von Transparenten mit beleidigendem Inhalt gegen das Störungsverbot verstößt921, erscheint hingegen zweifelhaft, da die Versammlungsteilnehmer hierdurch ja nicht daran gehindert werden können, ihre Versammlung wie vorgesehen fortzusetzen. Aufrufe zur Verhinderung einer Versammlung oder zu deren Blockade müssen als Verstoß gegen das Störungsverbot bewertet werden.922 Eine Verhinderungsstörung kann schließlich darin liegen, dass gezielt für dieselbe Zeit und denselben Ort eine Gegenveranstaltung angemeldet wird923; Versuche, die Anreise von Versammlungsteilnehmern zu verhindern, verstoßen gleichfalls gegen das Störungsverbot.924

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