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a) Der „europäische Steuerbegriff“ und die konkrete Verwendung von Steuer- und Abgabenbegriffen im Unionsrecht

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Aus Finalität und Konstruktion des primären Unionsrechts sowie aus Grundprinzipien der juristischen Begriffsbildung folgt, dass ein etwaiger „europäischer Steuer-“ oder „Abgabenbegriff“ nicht mit den deutschen (verfassungsrechtlichen) Begriffen oder mit denjenigen eines anderen Mitgliedstaats[1140] übereinstimmen kann, ja dass es letztlich „den“ europäischen Steuer- oder Abgabenbegriff nicht geben kann[1141]. Steuern und Abgaben sind an den unterschiedlichsten Stellen im Primärrecht angesprochen, der Begriff der „Steuer“ oder unter Verwendung des Steuerbegriffs zusammengesetzte Begriffe treten in völlig unterschiedlichen Funktionszusammenhängen im europäischen Vertragswerk auf[1142]. In Art. 110 AEUV geht es bei den „inländischen Abgaben gleich welcher Art“ um warenbezogene Abgaben, welche keine diskriminierenden Wirkungen haben dürfen. Art. 113 AEUV betrifft die Harmonisierung der indirekten Steuern, insbesondere der Umsatzsteuer und sonstiger Verbrauchsteuern[1143]. Der in Art. 112 AEUV verwendete Steuerbegriff stellt dazu den Gegenbegriff auf, muss demgemäß gerade die direkten Steuern betreffen. Von den Abgaben nach Art. 110 AEUV sind wiederum die Zölle (Art. 28 ff. AEUV) abzugrenzen, wobei der unionsrechtliche Zollbegriff gerade wegen des Zusammenspiels mit Art. 110 AEUV enger zu verstehen ist, als etwa die in Deutschland übliche Begriffsbestimmung[1144].

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An anderen Stellen ist ganz allgemein von „Steuern“ oder „steuerlichen Vorschriften“ die Rede: In Art. 114 Abs. 2 AEUV wird die Steuerharmonisierung vom Mitentscheidungsverfahren ausgenommen[1145]; in Art. 65 Abs. 1 AEUV können „steuerliche Vorschriften“ Ausnahmen von der Kapitalverkehrsfreiheit rechtfertigen[1146]; im Rahmen der Umweltpolitik wird auf die Rechtsetzung bezüglich „Vorschriften überwiegend steuerlicher Art“ verwiesen, Art. 192 Abs. 2 lit. a AEUV[1147]; Art. 293 Spiegelstrich 2 EGV forderte intergouvernementale Maßnahmen zur „Beseitigung der Doppelbesteuerung“[1148] usw. Diese letztlich punktuellen und damit eingeschränkten Kompetenzen der Union auf steuerlichem Gebiet führen dazu, dass unionsrechtliche steuerliche Regelungen regelmäßig der Verwirklichung von Sach-Politiken zu dienen bestimmt sind: Sie dienen der Verwirklichung des Binnenmarkts, etwa des freien Warenverkehrs, sie besitzen wettbewerbspolitische Bedeutung usf. Eine einheitliche Begriffsbildung scheidet damit von vornherein aus[1149]. Selbst im „steuerlichen Kapitel“, d.h. mit den Art. 110 bis 113 AEUV, werden durchaus unterschiedliche Ziele verfolgt. Entsprechendes gilt regelmäßig für Sekundärrechtsakte mit steuerlichem Inhalt oder Bezug[1150].

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Das Bedürfnis nach verlässlicher Abgrenzung und damit trennscharfer Begrifflichkeit kommt im europäischen Steuerrecht allerdings dann zum Tragen, sofern es – ausnahmsweise – um echte Zuständigkeiten, wie etwa bei den Harmonisierungskompetenzen[1151], geht. In der Literatur wird hier von positiven – in Abgrenzung zu negativen – Kompetenznormen des Unionsrechts gesprochen[1152]. Die in den positiven Kompetenznormen verwendeten Begriffe seien eher eng, die in den negativen Kompetenznormen verwendeten Steuerbegriffe zur Verwirklichung der dadurch geschützten Gemeinschaftspolitiken und Schutzzwecke eher weit auszulegen[1153]. Gleichwohl wird man auch innerhalb dieser Gruppen von steuerlichen Normen des Unionsrechts nicht zu einheitlichen Begriffsbildungen gelangen, wie wir sie aus dem deutschen Recht gewohnt sind. Immerhin liegt hier – wie sogleich noch näher auszuführen sein wird – ein wichtiger Unterschied zur Erwähnung oder Inbezugnahme der Sozialabgaben im Gemeinschaftsrecht, denn dort fehlen jedwede Harmonisierungskompetenzen.

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