Читать книгу Organisation gestalten – Stabile und dynamische Unternehmensstrukturen - Götz Schmidt - Страница 14
Оглавление2.2.7 Kunden und Markt
In Kapitel 2.2.2.3 weiter oben wurde bereits auf wichtige Ziele eingegangen, die ein Kunde verfolgt. Viele dieser Ziele lassen sich nur durch eine entsprechende Aufbau- und Prozessorganisation erreichen.
Kundenstruktur, Märkte
Die Struktur der Kunden, ihre Bedeutung – etwa gemessen am prozentualen Anteil am Umsatz bei bestimmten Produkten – oder ihre regionale Verteilung usw. sind häufig maßgeblich für die Wahl der „richtigen“ Aufbauorganisation. So spiegelt sich beispielsweise die Belieferung sehr unterschiedlicher Kundengruppen oder regionaler Märkte in aller Regel auch in der Vertriebsorganisation wider, die oft nach Kundengruppen und/oder Regionen gegliedert wird.
Eine Privatbank, die fast nur mit großen und mittleren Unternehmen als Kunden zu tun hat, wird sich anders strukturieren als eine Bank, die eine eng begrenzte Region bearbeitet und vorwiegend Massenkundschaft bedient. Analog gilt beispielsweise, dass sich eine Personalabteilung in ihrer Struktur an ihrer „Kundschaft“, nämlich den verschiedenen Gruppen von Beschäftigten orientiert, wenn diese „Kundschaft“ sehr unterschiedliche Anforderungen stellt und eine individuelle Bearbeitung erfordert.
Die Kunden und der Markt sowie diejenigen, die noch nicht Kunden sind, können also eine wichtige Rolle für die Organisation eines Unternehmens spielen. Schon bei der Formulierung der Unternehmensstrategie steht immer auch die Frage im Vordergrund, welche Leistungen zu welchen Bedingungen von den Kunden gewünscht werden oder welche Leistungen oder Produkte die Kunden benötigen könnten. Das wird auch als der „Market-based View“ in der Strategieformulierung bezeichnet. Im Grundsatz gilt, dass alle Produkte und Leistungen und die damit verbundenen Prozesse sich am Bedarf des Kunden orientieren. So sollten in der Prozessorganisation alle Kernprozesse auch als End-to-end-Prozesse, d. h. als Prozesse gestaltet werden, die vom Kunden zum Kunden laufen. Der Aufbau solcher Prozessstrukturen hat selbstverständlich weitreichende Auswirkungen auch auf die Aufbauorganisation der Unternehmen, wie unten in Kapitel 4 „Hierarchische Modelle“ noch ausführlich erörtert wird. Er stimmt also wirklich, der viel zitierte Satz „Der Kunde steht im Mittelpunkt“ – auch im Mittelpunkt aller organisatorischen Bemühungen.
Im Folgenden sollen einige Beispiele verdeutlichen, dass Kunden direkte oder indirekte Einflüsse auf die Aufbauorganisation ausüben können.
Ein Unternehmen plant den Aufbau eines Customer Relationship Management (CRM), das der Dokumentation und Verwaltung von Kundenbeziehungen dient, um mit seiner Hilfe bestehende Kunden zu binden und neue Kunden zu gewinnen. Ein solches CRM setzt voraus, dass intern die Zuständigkeiten für die Datenermittlung und die Pflege sowie für die zu ergreifenden Maßnahmen geregelt sind. Außerdem werden entsprechende IT-Systeme benötigt.
Eine Bank hat bei der Marktanalyse festgestellt, dass sie es im Kern mit vier verschiedenen Kundengruppen zu tun hat – Privatkunden, vermögende Privatkunden, kleine und mittelständische Unternehmen sowie Großunternehmen. Diese verschiedenen Kundengruppen haben zum Teil sehr unterschiedliche Erwartungen und richten sehr unterschiedliche Anforderungen an die Bank, sind in sich aber relativ homogen. In diesem Fall entscheidet sich die Bank für eine Strukturierung ihres Vertriebs nach diesen vier Kundengruppen.
Ein Unternehmen hat sich vom Anbieter von Einzelteilen für ein großes Maschinenbauunternehmen zu einem Anbieter von ganzen Komponenten weiterentwickelt. Nach intensiven Gesprächen wird mit dem Kunden vereinbart, eine Partnerschaft bei der Neuentwicklung von Komponenten einzugehen. Jede Seite soll bestimmte Teile geplanter Komponenten entwickeln. Es muss aber sichergestellt werden, dass das dabei gewonnene Knowhow nicht Dritten zugänglich gemacht wird. Das Unternehmen strukturiert seine Entwicklungsabteilung in der Form um, dass für diese Entwicklungsleistungen eine eigene Abteilung eingerichtet wird, die von den übrigen Entwicklungsabteilungen abgeschottet wird.
Ein Unternehmen bietet die Übernahme von Human-Resources-Funktionen an – Lohn und Gehaltsabrechnung, Abführung von Sozialabgaben, Gewinnung und Vorauswahl von Mitarbeitern etc. Diese Leistungen wurden bisher von den Kunden (Unternehmen) selbst erbracht, bedeuten aus deren Sicht also ein Outsourcing. Das hat nicht nur Konsequenzen für die Aufbauorganisation des abgebenden Unternehmens, sondern auch für die Organisationsstruktur des Dienstleisters, da er u. U. gezwungen wird, den größeren Teil des beim Kunden freigesetzten Personals zu übernehmen und bei sich zu integrieren.
Das sind nur einige wenige Beispiele für mögliche aufbauorganisatorische Konsequenzen, die sich aus einer Beziehung zu Kunden ergeben können. Grundsätzlich ist bei jeder aufbauorganisatorischen Planung immer wieder zu prüfen, welche Forderungen vom Markt gestellt werden oder welche aufbauorganisatorischen Lösungen das Unternehmen in die Lage versetzen, noch erfolgreicher am Markt zu operieren.
2.3 Gestaltungsprinzipien der Aufbauorganisation
Organisatorische Lösungen können hinsichtlich bestimmter Gestaltungsprinzipien unterschieden werden.
Gestaltungsprinzipien sind betriebliche, meist ungeschriebene, aber dennoch befolgte Grundsätze, die bei aufbauorganisatorischen Lösungen zu beachten sind.
Beispiele für solche Gestaltungsprinzipien sind
Umfang der Autonomie von Einheiten: Inwieweit werden Einheiten geschaffen, die sich weitgehend selbst steuern? Dieses Gestaltungsprinzip hat in jüngerer Zeit an Bedeutung gewonnen, da Unternehmen oder Bereiche immer stärker gefordert sind, flexibel auf Anforderungen zu reagieren, was die klassische Hierarchie kaum bewältigen kann. Agile Organisationen schaffen häufig Bereiche, die sich im Rahmen eines Purpose (Zweck) oder einer vorgegebenen Strategie selbst steuern.
Umfang der Delegation: In welchem Umfang werden Entscheidungsbefugnisse auf untere hierarchische Ebenen verlagert? Hier bleiben die Hierarchien im Prinzip unverändert, durch Delegation erfolgt lediglich eine Lockerung einer strengen Entscheidungszentralisation.
Art der Willensbildung: Sind Einzelne für Entscheidungsvorbereitung und Entscheidung zuständig oder werden Gruppen eingesetzt? Inwieweit werden die Betroffenen beteiligt (Partizipation) usw.?
Bindung an konkrete Personen: Dominieren bei der organisatorischen Gestaltung die vorhandenen Personen (gebundene Organisation) oder stehen generische Rollen (abstrakte Rollenbilder) und typische Vorstellungen über das Leistungspotenzial von Menschen im Vordergrund?
Umfang der Spezialisierung: Soll weitgehende Arbeitsteilung praktiziert werden oder soll – beispielsweise zur Förderung der Motivation – die Spezialisierung zugunsten komplexerer Aufgaben zurücktreten?
Organisationsgrad: In welchem Umfang sollen überhaupt organisatorische Lösungen erarbeitet werden? Soll den Mitarbeitern die Freiheit zugebilligt werden, innerhalb eines vorgegebenen Rahmens im Einzelfall zu entscheiden? Inwieweit sollen Stabilität und Eindeutigkeit gewährleistet sein? Inwieweit müssen Prozesse und Entscheidungen nachvollziehbar sein?
Formalisierungsgrad: In welchem Umfang sollen organisatorische Lösungen festgeschrieben und in Form von Anweisungen, Stellenbeschreibungen etc. dokumentiert werden? Sowohl hinsichtlich des Organisationsgrades als auch des Formalisierungsgrades sind in den letzten Jahren deutliche Veränderungen der „herrschenden Meinung“ festzustellen, in Richtung auf möglichst wenige Regelungen und möglichst geringe Formalisierung. Ausgenommen sind die Finanzdienstleister (z. B. Banken und Versicherungen), die in immer größerem Umfang durch Dokumentationen nachweisen müssen, dass sie den Anforderungen der Compliance gerecht werden.
Umfang der Information: Inwieweit werden den Mitarbeitern auch Informationen zugänglich gemacht, die ihnen Hintergrundwissen verschaffen und die ihre Motivation fördern?
Dominanz der Strukturierung: Gibt die Aufbauorganisation den Rahmen der Prozessorganisation vor oder dominieren wichtige – bei Kunden beginnende und endende – Prozesse die Aufbauorganisation?
Umfang, Verfahren, Intensität und Träger der Kontrollen: Wer kontrolliert wie, in welcher Frequenz und mit welchem Detaillierungsgrad – Ergebniskontrollen oder Verfahrenskontrollen?
Wenn bestimmte Ausprägungen derartiger Gestaltungsprinzipien – z. B. wir setzen uns vor einer wichtigen Entscheidung zusammen – in der Kultur eines Unternehmens oder einer Verwaltung fest verankert sind, können sie die gewählten organisatorischen Lösungen beeinflussen.