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1. Überblick

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Unternehmenskrisen werden selten durch ein einziges Ereignis verursacht, sondern durch das Zusammenspiel von vielen, möglicherweise einander verstärkenden negativen Ereignissen. Dabei sind Krisenursachen und Krisenauslöser zu unterscheiden. Krisenursachen sind interne oder externe Ereignisse, z.B. Naturereignisse, aber auch politische Entscheidungen oder Entscheidungen der Unternehmensleitung, die zum Entstehen einer Krise führen (können). Einzelne Ursachen können einen sehr geringen bis wesentlichen Einfluss auf das Ausbrechen einer Krise haben. Eine wesentliche Ursache, durch die eine bisher nicht bestandsgefährdende Situation bedrohlich für das Unternehmen wird, wird als Krisenauslöser bezeichnet. Dabei kann ein Ereignis, das für das eine Unternehmen einen Krisenauslöser darstellt, für das andere unbedeutend sein (vgl. das folgende Bsp.). Krisen können aber auch durch viele kleine Ursachen verursacht werden.

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Beispiel:

Unternehmen A und Unternehmen B stellen beide ein sehr ähnliches Produkt (P) her.

Die Unternehmensleitung des Unternehmens A habe mehrere Entscheidungen bzgl. des vom Unternehmen A angebotenen Produktes PA getroffen, die Kosteneinsparungen und Effizienzverbesserungen erbringen sollen. Nun stellt sich heraus, dass während der Nutzung des Produktes P durch die Kunden klima- oder gesundheitsgefährdende Gase emittiert werden. Der Gesetzgeber beschränkt diese Emission umgehend auf einen strengen Grenzwert, den das Produkt PA derzeit nicht erfüllt, während das Produkt PB von Unternehmen B die neu festgelegten Grenzwerte erfüllt.

Das Unternehmen A gerät infolgedessen in eine bestandsgefährdende Krise, da es die Produktion nicht kurzfristig umstellen und demzufolge seine Produkte nicht mehr absetzen kann und sich daraufhin seine wirtschaftliche Lage dramatisch verschlechtert. Zum Zeitpunkt der Kosteneinsparungs- und Effizienzsteigerungsmaßnahmen zeichnete sich die Krise nicht ab. Die Unternehmensleitung schien die richtigen Entscheidungen zu treffen, das Unternehmen steigerte den Gewinn, war also erfolgreich. Retrospektiv kann indes festgestellt werden, dass die Unternehmensleitung das Risiko, dass der Gesetzgeber eine strenge Emissionsobergrenze festlegen könnte/würde, nicht erkannt hat bzw. die Eintrittswahrscheinlichkeit des Risikos als zu niedrig und somit falsch eingeschätzt hat. Diese Fehleinschätzung und die daraus folgenden Managemententscheidungen stellen rückblickend die Krisenursachen dar. Der Fortbestand des Unternehmens war zum Zeitpunkt der Entscheidungen des Managements allerdings (noch) nicht gefährdet! Erst durch die Festlegung von strengen Emissionsschwellenwerten durch den Gesetzgeber war das Unternehmen A nicht mehr wettbewerbsfähig und geriet in eine bestandsgefährdende Krise. Die Herabsetzung der Emissionsgrenzwerte stellt also den Krisenauslöser dar.

Die Leitung des Unternehmens B hat das Risiko einer Emissionsbegrenzung indes frühzeitig erkannt. Sie hat die Eintrittswahrscheinlichkeit dieses Risikos als „hoch“ eingeschätzt und ihr Produkt PB bzgl. der Emissionen bereits frühzeitig verbessert. Die Festlegung von Schwellenwerten stellt daher für Unternehmen B – anders als für Unternehmen A – keinen Krisenauslöser dar. Vielmehr ergibt sich für Unternehmen B ein Wettbewerbsvorteil gegenüber Unternehmen A, denn es kann nun entweder seinen Marktanteil oder seine Marge erhöhen.

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Die Identifikation der Ursachen von Unternehmenskrisen ist nicht trivial. Es ist zwischen der prospektiven und der retrospektiven Identifikation von Krisenursachen zu unterscheiden.

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Die prospektive Identifikation von Krisenursachen hat das Ziel, ein potenziell bestandsgefährdendes Risiko frühzeitig zu erkennen, dessen Eintrittswahrscheinlichkeiten und die damit verbundene Schadenshöhe zu bewerten und dieses Risiko derart zu steuern, dass keine Krise eintritt oder diese abgewendet werden kann. Die prospektive Identifikation von Krisenursachen ist Gegenstand des Risikomanagementsystems und wird in den Rn. 82–231 behandelt. In dem in Rn. 49 angeführten Bsp. hat Unternehmen B die potenzielle Krisenursache „Festlegung einer Emissionsobergrenze für das Produkt P“ frühzeitig erkannt und aufgrund der als „hoch“ eingeschätzten Eintrittswahrscheinlichkeit dieses Risikos durch technische Veränderungen des Produktes P gegengesteuert. Eine potenzielle Krise konnte so von vorneherein abgewehrt bzw. ausgeschlossen werden.

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Gegenstand der retrospektiven Identifikation von Krisenursachen und somit der empirischen Erforschung von Krisenursachen ist die Analyse von positiv oder negativ beendeten Unternehmenskrisen. Indem Ereignisse und/oder Entscheidungen identifiziert werden, die die spätere Krise (wesentlich) beeinflusst haben, sollen gesunde Unternehmen darin unterstützt werden, potenziellen Krisen so früh wie möglich gegenzusteuern bzw. die Auswirkungen der Krise soweit wie möglich abzumildern. Aus der retrospektiven Erforschung von Krisenursachen und deren Auswirkungen, z.B. der Veränderung der Ausfallwahrscheinlichkeiten, sollen somit Hinweise erarbeitet werden, wie potenzielle Krisenursachen, welche für das Unternehmen Risiken darstellen, vom Unternehmen zukünftig prospektiv gemanagt werden können.

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Allerdings wirken Krisenursachen – wie gezeigt – auf jedes Unternehmen in spezifischer Weise. Wird das unter Rn. 49 angeführte Bsp. dahingehend abgewandelt, dass der Gesetzgeber keine Emissionsobergrenze für das Produkt P festlegt, und hätte Unternehmen A die Wahrscheinlichkeit für den Eintritt des Risikos „Festlegung einer Emissionsobergrenze für das Produkt P“ als „niedrig“, das Unternehmen B als „hoch“ eingeschätzt und deshalb hohe Beträge für die Absenkung der Emissionswerte in Forschung & Entwicklung investiert, dann hätte sich diese Investition in diesem Fall nicht rentiert, weil den hohen Aufwendungen keine höheren Erträge gegenüberstehen. Die wirtschaftliche Lage des Unternehmens B hätte sich verschlechtert, woraufhin dieses in eine Krise hätte geraten können. Das ursprüngliche Bsp. in Rn. 49 und die hier angenommene Variante verdeutlichen, dass jede Entscheidung, die unter unsicheren Erwartungen getroffen wird, eine potenzielle Krisenursache darstellt. Ob eine bestimmte Entscheidung eine Krise (mit-)verursacht hat, ist aber nur retrospektiv zu beurteilen, nicht prospektiv.

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Die Ursachen für eine Krise können zeitlich weit vor dem Erkennen der potenziellen Krise bzw. vor dem Ausbruch der Krise liegen (s. Rn. 25 ff.). Vorfälle bzw. Entscheidungen, die einzeln betrachtet keine Bestandsgefährdung für das Unternehmen auslösen, können im Zusammenspiel miteinander durchaus eine Krise auslösen. Viele tatsächliche Krisenursachen werden zunächst nicht mit einer später ausbrechenden Krise in Verbindung gebracht. Denn in manchen Fällen ist weder retrospektiv noch prospektiv eindeutig erkennbar, ob ein Ereignis eine (potenzielle) Krisenursache ist oder nicht. Außerdem ist nicht immer erkennbar, ob ein bestimmtes Ereignis Auslöser oder die eigentliche Ursache der Krise ist. Ursachen lassen sich nur schwierig identifizieren, weil zumeist mehrstufige Ursache-Wirkungs-Beziehungen zur Unternehmenskrise führen. D.h. die Wirkung einer Ursache löst häufig die nächste Ursache aus. Hilfreich für die Ursachenidentifikation ist, dass im Verlauf der Krise sog. Krisensymptome in Erscheinung treten, die das Vorliegen von Krisenursachen anzeigen. Die Symptome müssen indes nicht die Krisenursachen sein. Beispielsweise ist eine geringe Eigenkapitalquote zwar ein Krisenindikator und ein Faktor, der eine Unternehmenskrise weiter verschärft. Sie ist aber in der Regel nicht die Ursache für die Krise, sondern nach verlustreichen Jahren das Ergebnis der krisenhaften Entwicklung.[31]

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In der Krisenursachenforschung kann zwischen der quantitativen und der qualitativen Krisenursachenforschung unterschieden werden. Mit der quantitativen Forschung werden statistische Zusammenhänge zwischen leicht erfassbaren Daten (z.B. Unternehmensgröße, Unternehmensalter) und dem Auftreten von Unternehmenskrisen ermittelt. Mit der qualitativen Forschung werden dagegen durch die Auswertung von Umfragen und individuellen Krisenverläufen Rückschlüsse auf mögliche Krisenursachen gezogen, d.h. es werden entsprechende Hypothesen gebildet und geprüft. Die Krisenursachenforschung verwendet dabei vor allem Informationen aus der Zeit vor der Insolvenz von insolvent gewordenen Unternehmen. Hierdurch werden nur solche Krisenursachen berücksichtigt, die in der Zeit vor der Insolvenz zu beobachten waren bzw. nachträglich ermittelt werden konnten bzw. die dokumentiert waren. Dieses Vorgehen kann keine Krisenursachen oder -symptome berücksichtigen, die zwar während eines Krisenprozesses aufgetreten aber positiv bewältigt worden sind, bevor ein Insolvenzverfahren über das Unternehmen eröffnet werden muss.[32]

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In der Literatur werden Insolvenzursachen häufig nach internen und externen Insolvenzursachen unterschieden. Dabei werden Ursachen, die durch das Unternehmen bzw. das Management beeinflussbar sind, als interne Krisenursachen bezeichnet (z.B. veraltetes Produktangebot, mangelhafter Kundenservice). Externe Krisenursachen liegen dagegen außerhalb des Einflussbereichs des Unternehmens (z.B. technologischer oder Werte-Wandel).[33] Die Schwäche dieser Kategorisierung ist die statische Betrachtung von Krisenursachen. So gibt es zwar Ereignisse, die keinesfalls vom Unternehmen beeinflusst werden können und eindeutig externe Krisenursachen sind, wie Naturkatastrophen. Interne Krisenursachen, wie ein mangelhafter Kundenservice, wirken sich indes auf die Unternehmensumwelt aus und rufen Reaktionen hervor, beispielsweise von den Wettbewerbern oder den Kunden des Unternehmens. So ist die interne Krisenursache „veraltetes Produktangebot“ strenggenommen gar nicht (allein) intern verursacht. Das Produktangebot eines Unternehmens kann nur dann veraltet sein, wenn Wettbewerber des Unternehmens technisch verbesserte Produkte am Markt anbieten. Die eigentliche Krisenursache ist in diesem Fall keine interne, sondern die externe Krisenursache „technologischer Wandel“.

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Unternehmenskrisen sind zumeist multikausal, d.h. sie werden in der Regel nicht durch eine einzige, sondern durch mehrere Ursachen hervorgerufen. Diese Ursachen wirken im Krisenprozess zusammen und verstärken einander. Aus diversen Ursachen entsteht also letztendlich ein gefährlicher Mix, der die Existenz des Unternehmens bedroht.[34]

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Im zweiten Kapitel wurde der Verlauf von Unternehmenskrisen erläutert. Dort wurden Unternehmenskrisen als ein Prozess geschildert, in dessen Verlauf die der Unternehmensleitung zur Verfügung stehende Zeitspanne und die Zahl der Bekämpfungsmöglichkeiten stetig abnehmen. Zudem wurde verdeutlicht, dass Unternehmenskrisen in der Regel mehrere Krisenursachen haben. Diese Krisenursachen sind Sachverhalte, die, wenn sie nicht gemeinsam mit anderen für das Unternehmen negativen Sachverhalten auftreten würden, den Fortbestand des Unternehmens nicht gefährden würden. Im folgenden Abschnitt werden Krisenursachen vorgestellt.

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