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Die Jungen machten sich Sorgen, und die meisten machte sich Heino. Die Erwachsenen saßen so oft zusammen und unterhielten sich mit ernsten Gesichtern. Sobald Kinder in die Nähe kamen, senkten sie die Stimmen. Viele Bekannte kamen zu Besuch, aber die lauten Männer, die Mama nicht mochte, kamen nicht mehr.

»Geht nach draußen und spielt, Kinder«, hieß es dann mitten am Tag. Am Abend kam die unerbittliche Aufforderung: »Geht ins Bett, Kinder. Es ist höchste Zeit für euch.«

Heino lauschte, sooft es ging. Jaan schien das Ganze gleichgültig zu sein. »Die haben doch immer irgendwas«, sagte er und meinte alle Erwachsenen. »Man kommt ja nie richtig dahinter.«

Ungewöhnliches geschah. Zum Beispiel brachte Mama fast jeden Tag frisches Brot mit, und alle mußten helfen, es aufzuschneiden und zu trocknen. Die ewig gleiche Antwort auf die ewig gleiche Frage lautete: »Wer weiß, ob man es nicht noch mal braucht.«

Jaan war ein gutes Jahr älter als Heino und wußte, daß es sinnlos war, gewisse Fragen zu stellen. Aber Heino fragte immer wieder: »Mama, es gibt doch keinen Krieg?«

»Unsinn. Wieso glaubst du das?«

»Die Leute sagen, daß es Krieg gibt.«

»Du mußt nicht auf alles hören, was die Leute so reden.«

Papa machte manchmal Späße, so daß man nicht genau wußte, was man denn nun glauben sollte. Aber Mama sagte immer die Wahrheit. Das hatte sie ihren Jungen versprochen. »Daß ihr es nur wißt«, hatte sie einmal gesagt, »eure Mutter sagt immer die Wahrheit!« Es hatte feierlich geklungen, als sie »Mutter« sagte.

»Und doch kannst du lügen, bestimmt!« hatte Heino gesagt. Es war so schwer, die Erwachsenen zu verstehen. Niemals hätte er gedacht, daß Mama mitten in dem ernsthaften Gespräch in Lachen ausbrechen würde. Aber genau das tat sie.

Wie immer, wenn er sie unerwartet zum Lachen brachte, nahm sie ihn in die Arme. »Du hast recht, Heino. Manchmal ist es einfach nicht möglich, ganz und gar wahrhaftig zu sein. Aber ich versuche jedenfalls, nicht zu lügen. Und ich möchte, daß du das auch tust.«

Es war schwer, Mamas Erklärungen zu folgen. Er fragte noch einmal, und Mama antwortete geduldig. Allmählich verstand er das Wichtigste: Mama hielt ihre Söhne noch für zu klein, um die ganze grausame Wahrheit zu verstehen. Deshalb erzählte sie ihnen nicht alles. Und Mama und Papa wollten beide das Beste für ihre Kinder.

»Ich weiß«, sagte Heino rasch und glitt aus Mamas Armen. Das mit dem »Besten für die Kinder« hatte er schon oft gehört. Jetzt wollte er in Ruhe über einen neuen Ausdruck nachdenken, den Mama benutzt hatte.

Die grausame Wahrheit, hatte sie gesagt. Das klang furchtbar! Er wollte mehr darüber wissen, aber Mama sagte, es sei jetzt für eine Weile genug.

Mama und Papa hatten eine geheimnisvolle Art, sich zu verständigen, ohne daß die Kinder es merkten. Als sie sich etwas später zum Essen an den Tisch setzten, wußte Papa offenbar schon alles.

Papa fürchtete sich nicht vor dem schrecklichen Wort. »Krieg?« Ruhig schälte er eine Kartoffel. »Es gibt keinen Krieg. Woher habt ihr das?«

»Toomas sagt, daß sein Vater ...« fing Jaan an, wurde aber sofort unterbrochen.

»Toomas’ Vater ist ein Spitzbube«, sagte Papa und sah finster aus. »Der läuft wahrscheinlich zuviel in der Gegend herum. Er hat so rote Backen gekriegt.«

Mama hatte plötzlich Farbe im Gesicht. Sie war nicht gerade rot, aber rosa. »Juhan«, sagte sie warnend.

Heino war sofort wach. Hatte Papa wieder getrunken? Nein, es mußte etwas anderes sein.

»Ich weiß, Hilja«, zischte Papa. Das klang wie immer, wenn Mama so etwas Warnendes in der Stimme hatte. »Vergeßt es«, fuhr er fort. »Vergeßt alles, außer daß eure liebe Mama heute ein besonders leckeres Mittagessen gemacht hat. Salzhering mit gebratenen Zwiebeln.«

»Erzählt euren Freunden nicht, worüber wir zu Hause sprechen«, sagte Mama. »Was man in der Familie redet, muß nicht jeder wissen.«

»Wie ist es denn so in der Schule?« Damit beendete Papa das heikle Gesprächsthema. »Wahrscheinlich ist es doch nicht schlecht, groß zu sein und in die Schule zu gehen?«

Heino wollte antworten, aber Jaan kam ihm zuvor. »Die Lehrerin hat ihn gelobt«, sagte er.

Heino freute sich, daß ausgerechnet Jaan das sagte.

»Schade, daß man nicht mehr Schwedisch in der Schule lernt«, sagte Mama. »Ich hätte es gern gesehen, daß die Jungen Schwedisch lernen.«

»Du kannst es ihnen ja beibringen«, sagte Papa. »Aber Estnisch reicht auch. Das ist eine gute Sprache.«

»Sicher«, sagte Mama, »sicher ist das eine gute Sprache. Aber in meiner Familie ist man immer stolz darauf gewesen, daß man auch Schwedisch konnte. Es ist gar nicht so verkehrt, zwei Sprachen zu beherrschen.«

»Du hast recht, Hilja. Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich auch Schwedisch lernen. Wir müssen mal hinfahren. Vielleicht krieg ich dann ja ein paar schwedische Wörter in meinen Schädel«, sagte Papa.

Eine Weile später klopfte es an der Tür. Es war Olev. Er war offenbar gerannt, denn er war so außer Atem, daß es eine Weile dauerte, ehe er etwas sagen konnte. »Ich soll vom Oberlehrer grüßen, ich meine, von Lembit«, brachte er schließlich heraus. »Und ich soll euch sagen, daß wir morgen unsere Pfadfindersachen anziehen sollen. Wir gehen zum Präsidenten.«

Die Ragulka-Bande

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