Читать книгу Maud und Aud - Gunstein Bakke - Страница 16

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EIN ZUFÄLLIGER ZEUGE DES GANZEN, hätte gesagt, das Auto sei in normaler Geschwindigkeit in den Tunnel gefahren. Anders gesagt: etwa die Geschwindigkeit, in der die meisten Autos in den Tunnel fahren. Und sollte die Geschwindigkeit einen Hauch zu hoch sein, sinkt sie meist, sobald das Auto sich im Tunnel befindet, da die biologischen Sensoren sich an eine neue Optik, ein dunkleres, quasi gefaltetes Licht gewöhnen müssen und an etwas anderes, schwieriger zu Benennendes, das einem anderen Bereich angehört; etwas, das sich zusammenzieht.

Feuchte.

Steinumschließung.

Wie man es nun nennen mag, es durchdringt binnen Zehntelsekunden das Metall und die Polsterung. Fleisch altert, oxidiert. Die Stimmung wechselt die Farbe. Und dann beginnt die Beschleunigung. Das Auto bewegt sich in diesem Augenblick mit 125 Stundenkilometern in stetigem Tempo, doch das Tempo ist nicht stetig. Der Brennstoffverbrauch ist bei einer Beschleunigung auf die Höchstgeschwindigkeit maximal hoch. Da sich die Straße neigt, beschleunigt das Auto auch noch, als das Gaspedal, das mittels einer Klappe im Vergaser die Benzinzufuhr zu den Zylindern erhöht, sich nicht mehr weiter gegen die Unterlage drücken lässt.

Das Auto ist jetzt eine Kugel auf ihrem Weg durch den Lauf. Rund um die Karosserie knallt und scheppert es. Über einer gewissen Grenze gleicht Geschwindigkeit Gewalt. Diese Grenze wird überschritten. Die Luft selbst ist jetzt ein Massiv, durch das sich das Auto hindurchpresst. Der Meeresgrund ist irgendwo weit oben. Die Nadel zittert an einem Markierungsstrich. Unruhige Bewegungen in einem geschlossenen Auge. Ein Traum auf der Jagd nach einem Träumer.

Hier kann ein Auto entgegenkommen, ein Auto, das mit alldem nichts zu tun hat, nichts außer diesem Tunnel. Es ist lange einer Landschaft gefolgt, in der das Terrain planiert und aufgefüllt und mit Blick auf gute Lösungen und Übergänge angepasst wurde, mit guter Sicht und Arealnutzung, mit Rücksicht darauf, wie ein Fahrer Proportionen und Harmonie erlebt. Der Horizont ist wie das Längenprofil eine straßentechnische Frage, eine gewählte Lösung; so sprechen die Verkehrsplaner durch die Straße zu den Fahrern.

Auch dieser Tunnel hat einen Vorbau, der die Lichtintensität reduziert oder erhöht. Nichts soll zu jäh auftauchen. Ein Autokörper soll die erste Zeit, die er vor sich hat, kennen. Die Straße deutet das Land für dich. Einem Autokörper wird der Weg gezeigt. Verlangt wird nur, dass du tust, was die Straße sagt. Dass sich alle einfügen, dass keiner vorprescht.

Dass wir alle, im Verkehr, vor einander gleich sind.

Denn ein Auto kann sich nicht gegen ein anderes Auto entscheiden. Darauf basiert der Verkehr. Zusammenarbeit, Koexistenz. Ein ruhiges Auto, ein normales, angesehenes Auto, das daran gewöhnt ist, auf weit vorausschauenden Straßen zu fahren und sich jetzt im steilsten Tunnelabschnitt befindet, fast am tiefsten Punkt, wird daher nicht erwarten, einem Kugelblitz ausgesetzt zu werden, einem verzerrten Brüllen, einem Biss in die Seite, wenn die Luft zuschnappt.

Genau das kommt entgegen, jetzt, und ist schon wieder vorbei.

Endlich aus dem Tunnel draußen stoppt das nüchterne, nichtschuldige Auto und eine Fahrerin steigt aus. Es fühlt sich an, als würde in ihrem Körper gerade ummöbliert. Der Atem geht keuchend, sie versucht, ihn in den Bauch zu bekommen, stattdessen klettert er in den Hals. Unter dem Meeresgrund zwingt sie sich immer, nicht darüber zu grübeln, was sie über sich hat, jetzt hingegen versucht sie, den Blick zu heben und an zivile Rechte zu denken, daran, welche Instanzen es gibt. Das Gehirn schaltet dadurch einen größeren Körper ein, einen anderen, Last abnehmenden Körper, der nicht der privaten Angst, sondern einer übergeordneten gesellschaftlichen Verantwortung angehört. Sie weiß, das hier muss man aufgreifen können, man muss diesen Vorfall vom Normalen trennen, den Finger darauf richten können; so wie das war, soll es nicht bleiben dürfen. Dieser andere Körper sollte die Polizei anrufen, ohne dass das etwas nützen würde. Was kann sie schon über Modell oder Kennnummer sagen, über Fahrer und Farbe. Schwarz, kann sie sagen, vielleicht war es ein schwarzes Auto, jedenfalls dunkel, aber hat sie es wirklich gesehen, erinnert sie sich, erinnert sie sich nicht nur an das Brüllen und den eigenen, das Lenkrad umklammernden Körper?

Sie kann nur über ihren Körper erzählen, über das Maßlose, dem er ausgesetzt war, auf das er so empfindlich reagierte. Also ruft sie lieber die Lokalzeitung an, die tags darauf einen Bericht über neue, wahnsinnige Temposünden bringt, so unheimlich kurze Zeit nach dem Unfall, der fünf Menschen in den Tod riss. In eben diesem Tunnel. Bei eben dieser Geschwindigkeit. Fast als hätte jemand die jüngste Tragödie schänden wollen. Dazu ein Bild von ihr vor der Tunnelöffnung. Der andere Körper. Eine Zeugin, die nichts gesehen hat.

Die Überlebende: die nicht verstehen kann.

Maud und Aud

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