Читать книгу Maud und Aud - Gunstein Bakke - Страница 9

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RUTH MERETE BORE IST TOT, steht da.

Sollte es wirklich Anzeige heißen, Todesanzeige. Ist dieses Wort nicht etwas abgenutzt, denkt einer.

Ruth Bore, Ruth Bore. Die schüchterne Brünette aus der Kantinenschlange, denkt ein anderer und sieht dabei einen dünnen, grauen Wollpulli, Brille; einen leicht über den Wasserhahn gebeugten Rücken, vorsichtig mit dem Strahl. Ganz im Gegenteil, Korrektur: Hart schlägt das Wasser ins Glas. Winzig kleine Tropfen hängen wie Tau in den Wollfäden.

Das ist der Unfall, von dem ich gehört habe, denkt eine mit einem Anflug von Heiterkeit, den sie nicht unterdrücken kann, der daher rührt, etwas zu wissen, das erst jetzt an andere verbreitet wird.

Jemand erinnert eine Nacht mit zwei Körpern, die nebeneinander lagen, zwei nackten Körpern, die die Wärme des anderen spürten, ohne sich wirklich nahezukommen, und jetzt, wo er das Kreuz über Ruths Namen sieht, spürt er wieder das ungebrochene Siegel und die Gewissheit jener Nacht:

Das ist nicht das Leben, das ich leben will.

Ach, das ist doch die, die jeden Samstag eine Tüte Twist kauft, welchen Tag haben wir heute?

Seinen Namen hat sie nicht angenommen. Immer hat sie etwas zurückbehalten.

Sie, die gemessen hat, um wie viel der Meeresboden unter den Plattformen absank.

Fünfter Stock, Nordflügel, dritte Tür links. Blaue Landkarte. Grüner Spannteppich. Zentimeter pro Jahr.

Ausgerechnet sie, die nach Dänemark unterwegs waren, ein schrecklicher Gedanke, als wäre das das Schlimmste, die geplatzte Ferienreise. Aber die Mädchen hatten sich so gefreut. Die ersten Familienautoferien, sagte Jon.

Mit ihr habe ich gespielt, Ruth, so hieß sie doch, zwei oder drei Sommer lang, die Sommersprossen und die Zöpfe, das einbrechende morsche Holz, die Stille während des Falls, und dann, da musste ich gerade wieder erwacht sein, die Kälte am Rücken, fauliger Geruch und Feuchtigkeit, ihre verängstigte, in ihr eigenes Echo verfangene Stimme, dort, weit oben … Ruth … oder hieß sie Kristine?

Das ist doch die bei Phillips Petroleum, die zurückhaltende Geologin, aber was für ein Temperament sie hatte, damals, wie war das nochmal, diese Sitzung, jedenfalls stand sie auf, knallrot im Gesicht, es ging um einen Bericht, den man bei der Entscheidung nicht berücksichtigt hatte, sie fühlte sich übergangen, irgendetwas war da.

Ich holte deinen Körper aus dem Wrack, ich kannte dich nicht, aber ich legte dich auf den Boden und sammelte dich ein. Ich half, deine Töchter freizubekommen, und ich hoffe, sie erleben eines Tages etwas, das so gut ist, wie das hier schlecht. So richtig, wie das hier falsch.

An ihr blieb kein Spitzname hängen, sie konnte nur Ruth sein. War für weichere Namen quasi zu steif.

Der Mann und die Töchter liegen im Spital, hängen an dünnen Lebensfäden, an dünnen Todesfäden. Manche reißen und manche werden gezwirbelt. Alle Fäden sind schwarz.

Ist das nicht der Mann, den ich letztes Jahr in der Zeitung gesehen habe, der gerade fertiggestellte Straßenabschnitt. Jon, doch, doch.

Sie war ganz sicher noch nicht durch. Niemand kennt die Stunde, das stimmt. Aber ihre Zeit war noch nicht gekommen.

So jung, 1981 minus 1949, aber ich muss aufhören, solche Sachen zu lesen, aufhören, diese Seiten aufzuschlagen und aufhören, wegen Menschen, die ich nie gekannt habe, feuchte Augen zu bekommen. Das ist unwürdig.

Er hat es offenbar geschafft, vorläufig jedenfalls, wer sagte nochmal, das sei unwahrscheinlich? Fuhr direkt von der Straße ab, direkt in den Fels. Und die Töchter, die Zwillinge, was für ein Leben erwartet die jetzt?

Bore. Kannte ich nicht mal einen, der so hieß? Der eine Importfirma in Lillestrøm hatte? Dem ein Drittel des Trabers Slogum Tor gehörte? Etwas nervöser Typ. Große Hände. Seltsam, wie gut man sich an manche erinnert. Habe ihn einmal getroffen. Hätte ihn immer wiedererkannt, überall.

Entrissen, so etwas können die gut schreiben, doch Abschied braucht Zeit. Man muss sich an die Gedanken gewöhnen, die keine Antwort bekommen, warten, bis der Mangel sie zersetzt.

Die vom Volleyballtraining, so nah am Netz und nie darin. Der Blick von der anderen Seite, der mich nie zu sehen schien. Als wäre das Netz wirklich eine Grenze. Gut im Blocken.

Ich schäle mich.

Ich schäle mich frei von den Wagen

Werfe Schale um Schale von mir,

Wagen um Wagen.

Merke, indem ich mich schäle,

werfe ich von mir auch Fleisch und Blut.

Werfe viel Menschliches von mir.

Der Mensch und seine Wagen folgen einander.

Oft stirbt er in seiner Rüstung.

Oft erinnert man ihn

nur, wie er in seiner Rüstung war

mit dem Wagen rundum.

HARRY MARTINSON | Der Wagen

Maud und Aud

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