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Agriope war noch auf den Beinen, als Stephaton das Haus betrat. „Wie man hört, war eure Vorstellung ein großer Erfolg“, begrüßte sie den Heimkehrer lächelnd.

Ach, die alberne Vorstellung! Daran mochte Stephaton gar nicht mehr denken. Aber Agriope war auf dem Laufenden. Überhaupt wusste sie immer, was in der Stadt und in der Gegend vor sich ging.

„Wenn ich in deine Augen sehe“, fuhr Agriope scharfsinnig fort, „dann beschäftigt dich momentan anderes. Hast du dich noch mit Sara treffen können?“

„O ja. Und weißt du was, Agriope? Sie wird von Mal zu Mal bezaubernder.“

„Ach, wäre ich doch noch einmal einen Tag so alt wie ihr.“

Sie war eine Frau jenseits der vierzig. Wenn sie auch dann und wann mit gespielter Schwermut über ihr Alter klagte, so war sie doch sehr hübsch anzusehen mit ihrer immer noch rabenschwarzen Haarmähne und den lebhaften Augen. Vermutlich hatte sie in ihrer Jugend den Burschen ihrer thrakischen Heimat gehörig den Kopf verdreht – bis eines Tages römische Legionen erschienen und das Land mit Krieg überzogen. Agriope wurde zur Sklavin, mehr als zwanzig Jahre waren seitdem vergangen.

Nach dem Tod seiner Frau – unmittelbar nach Stephatons Geburt war sie im Kindbett gestorben – hatte Demetrios, einer der leitenden Architekten des Tetrarchen Herodes Antipas im frisch gegründeten Tiberias, nach einer Sklavin Ausschau halten müssen, die ihm den Haushalt führte und sich um den Säugling kümmerte. Im Lauf der Zeit wurde sie Demetrios zur Gefährtin und Stephaton zur liebenden Mutter. Vor einigen Jahren hatte Demetrios ihr die Freiheit geschenkt, ein förmlicher Akt, denn eine Familie waren sie längst gewesen.

Stephaton küsste sie auf die Stirn. „Für mich bist du noch so jung wie damals, als ich in die Windeln machte, Agriope.“

„Genau das wollte ich von dir hören.“

„Ich weiß.“

„Bevor du dich schlafen legst, solltest du bei deinem Vater vorbeischauen.“

Er unterdrückte ein Seufzen. „Ist es dringend?“

„Er hatte einen harten Arbeitstag. Das Herz macht ihm wieder zu schaffen.“ Sie klopfte ihm tröstend auf die Schulter, wusste sie doch genau, welches Bedürfnis Demetrios bewog, so spät noch eine Unterhaltung mit seinem Sohn zu führen.

„Als hätte ich nicht schon hundert Mal mit ihm darüber gesprochen.“

„Tu mir den Gefallen. Du musst ihm ja nicht nach dem Mund reden, was dir ohnehin nicht in den Sinn käme, aber du könntest ihm wenigstens einen Funken Hoffnung lassen, mein Junge.“

Also ging Stephaton ins Gemach des Vaters. Demetrios setzte sich auf, als der Sohn zu ihm ans Bett trat. Ein Öllicht sorgte für etwas Helligkeit.

„Wie ich hörte, geht es dir heute schlecht, Vater.“

„Mein Herz ist schlaff wie ein leerer Mehlsack, daran ändern auch die Heilkräuter unserer geliebten Agriope leider nichts mehr.“

Eine Weile herrschte lastendes Schweigen zwischen ihnen. Anders als seine treue Gefährtin Agriope war Demetrios vor der Zeit gealtert. Tiefe Furchen durchzogen seine Stirn, und die wenigen verbliebenen Haare waren schlohweiß. Ein gestutzter greiser Bart sorgte dafür, dass sein Gesicht nicht allzu knochig aussah. Obwohl er müde wirkte, schienen seine Augen hellwach zu sein. „Ich nehme an, es gab nach der Vorstellung heftigen Applaus“, sagte er endlich.

„Ja, Vater. Den Leuten hat es wohl gefallen.“ Von Sara einmal abgesehen.

„Nun, dann will auch ich dir gratulieren.“ Das war wahrscheinlich ironisch gemeint, auch wenn der Vater diesmal auf einen entsprechend säuerlichen Tonfall verzichtete.

„Bitte, komm zur Sache, Vater. Wozu hast du mich gerufen?“ Eigentlich hatte Stephaton sich vorgenommen, das Gespräch nicht wieder im Streit enden zu lassen. Schon jetzt drohte dieses Vorhaben zu scheitern.

Demetrios begann zu sprechen, sprach sich alles von der Seele, was Stephaton längst schon wusste. Jedes Opfer würde er den Göttern bringen, wenn der Sohn sich endlich entschlösse, in seine Fußstapfen zu treten. Sein schwaches Herz würde vermutlich nicht mehr lange schlagen, es sei eine Schande, dass es dann keinen Baumeister mehr in der Familie gäbe. Er, Stephaton, sei doch keineswegs unbegabt, oft genug habe er sein Talent unter Beweis gestellt, schon als Knabe habe er die kühnsten Dinge modelliert. Und doch ziehe er die Schauspielerei einem ehrbaren Beruf vor.

„Es ist mein Leben, Vater. Nicht deines.“

„Es ist wahr, die Leute lieben dich, aber ist das denn ein Leben? Wie willst du eine Frau ernähren? Von den paar Denaren, die dieser zwielichtige Gelon dir zahlt? Sollen deine Kinder etwa sagen: Mein Vater ist ein Mime? Was ist, wenn die Leute eure Possen satt haben? Wirst du dann unter die Bettler gehen?“

Gewöhnlich pflegte Stephaton diese Argumente zu widerlegen. Zumindest bemühte er sich, sie zu entkräften, doch an diesem Abend schwieg er dazu. Denn inzwischen hatte sich alles verändert.

Wie willst du eine Frau ernähren?

Jedes Widerwort blieb Stephaton im Hals stecken. Sara bedeutete ihm alles. Spätestens seit vorhin, als sie sich geküsst hatten, wusste er genau, dass er keine andere Frau mehr lieben würde. Sie waren füreinander geboren, ja, genau so musste es sein. Wenn nötig, würde er sich ihretwegen beschneiden lassen. Sollten sie doch einen Juden aus ihm machen, wenn er sie nur heiraten durfte. Sein Vater, dieser sture, besserwisserische und hartnäckige Hund, er hatte vollkommen recht: Sara verdiente einen besseren Mann als einen, der sich zur Unterhaltung eines vergnügungssüchtigen Publikums auf der Bühne kreuzigen ließ.

Gleichwohl würde er dem Vater nicht den Gefallen erweisen, ihm beizupflichten. Nicht hier und nicht jetzt. Ja, Stephaton würde ernsthaft in Erwägung ziehen, in des Vaters Fußstapfen zu treten, denn es stimmte, er hatte ein Gespür für Maße, Zahlen und Dimensionen. Ein Schauspieler war kein Mann für Sara, kein Vater für die Kinder, die sie gemeinsam zeugen würden. Für eine Zukunft an Saras Seite musste er sein Leben ändern, das hatte er nun begriffen.

„Warum schläfst du nicht, Vater? Du siehst müde aus.“

Demetrios schüttelte nur noch den Kopf über die vorgebliche Ignoranz des Sohnes und glitt in seine Kissen zurück. „Du bist ein hoffnungsloser Fall, Stephaton!“ Er schloss die Augen und schenkte ihm einfach keine Beachtung mehr.

Wortlos machte Stephaton kehrt. Vor dem Gemach wartete Agriope und sah ihn fragend an. Er hob seufzend die Schultern. „Er ist und bleibt ein Baumeister. Er will, dass wir unser Leben auf Fels bauen, nicht auf Sand. Das ist sein Wesen.“

Agriope legte den Kopf schief. „Du redest wie dieser Rabbi.“

„Welcher Rabbi?“

„Er heißt Jesus. Predigend zieht er durch Galiläa und heilt Kranke und Krüppel.“

„Ah, ich hörte von ihm. Er soll sogar über den See gegangen sein.“

Sie lachten beide, und Agriope streichelte ihm über die Wange. „Dein Vater ist dir sehr fremd, nicht wahr?“, sagte sie ernst.

Er nahm ihre Hand und küsste sie. „Weniger fremd, als du glaubst, Agriope“, erwiderte er.

Die neunte Stunde

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