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Das Versprechen, das Gelon ihm abgerungen hatte, lag Stephaton wie ein Mühlstein im Magen. Wenn er die Einladung der edlen Fausta Decila ausschlug, würde er sich den Unmut der Theatertruppe zuziehen. Fausta erwartete ihn zur sechsten Stunde. Als er sich auf den Weg zu ihr machte, waren seine Gedanken bei Sara, die er später ebenfalls noch treffen würde.

Näherte man sich der Villa, die direkt am Hang lag, waren im Tal das Blau des Sees und in der Ferne die im Sonnenlicht gleißenden Berge sehen. Ein alter, hinkender Pfortensklave ließ Stephaton eintreten und führte ihn durch ein von marmornen Säulen umschlossenes Atrium in ein geräumiges Wohnzimmer. Hier lag Fausta auf einer Kline und lächelte ihrem Gast entgegen. Ihre Hände umklammerten einen Trinkpokal. Der Sklave stotterte die übliche Formel, mit der er Besucher zu melden pflegte, aber Fausta verscheuchte ihn mit einer ungeduldigen Geste.

„Was für eine Freude, dich hier zu sehen“, begrüßte sie Stephaton in seidigem Ton, als wäre er aus eigenem Antrieb gekommen. „Willst du mir ein wenig Gesellschaft leisten? Es wäre mir eine Ehre.“ Sie deutete auf die Kline zu ihrer Rechten.

Es wäre angebracht gewesen, ein paar höfliche Worte an sie zu richten, aber Stephaton nickte nur knapp und ließ sich nieder. Seine Schweigsamkeit schien Fausta ihm nicht übel zu nehmen, denn ihr Lächeln blieb. Sie trug eine weiße ärmellose Tunika aus hauchdünnem Stoff, auf eine Stola verzichtete sie, auf eine Fascia offensichtlich auch, sodass von ihren weiblichen Reizen wenig verborgen blieb. Zahllose Spangen türmten ihr blondes Haar in die Höhe, vermutlich war es gefärbt, bei den Römerinnen wechselten die Moden wie die Jahreszeiten. Am Körper trug sie so viel goldenen Schmuck – Ringe, Armreife, Ohrringe –, dass man an ihrem Reichtum nicht eine Sekunde lang zweifeln musste. Sie war die betörendste Frau, der sich Stephaton jemals gegenübergesehen hatte – und doch verspürte er kein Begehren.

„Meine Freundinnen werden mich beneiden, wenn sie erfahren, dass der beste Mime Galiläas, der zudem der attraktivste ist, mir einen Besuch abstattete.“ Ihr Blick musterte ihn ohne jede Scheu, gierig beinahe, aber Scham oder Bescheidenheit waren ohnehin keine Attribute, die man ihr nachsagte.

„Dein Leibdiener Brennus überbrachte mir deine freundliche Einladung, edle Fausta.“

„Oh! Dann bist du nicht freiwillig hier?“ Ihre vollen Lippen formten sich zu einem Schmollmund.

„Auch du würdest eine hervorragende Schauspielerin abgeben.“ Er schmunzelte. „Allerdings musst du noch lernen, deine Augen schmollen zu lassen. Gelon könnte dir hierzu manch wertvollen Ratschlag geben.“

Lachend warf Fausta den Kopf in den Nacken. „Wozu Gelon fragen? Du bist doch hier. Also sag mir: Wie lasse ich meine Augen schmollen?“

„Indem du dir vorstellst, du hättest einen wahrhaftigen Grund dafür.“

„Bestimmt würde ich auf der Bühne jämmerlich versagen. Meine Bühne ist das Leben, Stephaton.“

O ja, daran zweifelte er nicht.

Sie langte über den Tisch, nahm einen Trinkpokal, der schon gefüllt bereitstand, und reichte ihn Stephaton.

„Auf dich, mein tragischer Laureolus! Auf dass dein hübscher Körper bei der nächsten Kreuzigung nicht allzu viel Schaden nimmt. Es wäre eine Schande!“

Der Wein war unverdünnt. Er musste auf der Hut sein, denn wenn man Gelon und den anderen Glauben schenken wollte, hatte sie es darauf angelegt, ihn zu verführen. Er sah sich um und bemühte sich, nicht allzu hilflos zu klingen.

„Hast du deine Sklaven fortgeschickt?“

„Wir haben alles, was wir brauchen.“

„Und dein Gatte? Wo ist er?“

Fausta Decila beugte sich vor, ihre fein geschwungenen Brauen hoben sich. Aus ihrer lüsternen Absicht machte sie nicht länger einen Hehl. „Mein Gatte? Um ihn musst du dich nicht sorgen. Warum solltest du nicht wissen, was jeder weiß?“

„Und was wäre das wohl?“

„Quintus ist alt, die Freuden des Fleisches sind ihm schon lange fremd – falls er sie jemals verspürte, denn seinen früheren Ehen sind auch keine Kinder entwachsen. Seine Frauen waren heilfroh, ihn loszuwerden. Wir haben geheiratet, weil es unseren Familien dienlich war.“ Säuerlich fügte sie hinzu: „Wobei man sagen sollte, dass es vor allem Quintus dienlich war, denn ich bin schließlich von patrizischem Blut.“

Das alles war Stephaton nicht neu. Jedes Kind in Tiberias wusste, was es mit der Ehe zwischen Quintus Caepio und Fausta auf sich hatte. Caepio, von plebejischer Herkunft, hatte es in Rom immerhin bis zum Prätor gebracht, bevor ihn militärische Aufgaben nach Palästina führten. Hier blieb er nach seinem Ruhestand, weil in Rom manch hartnäckiger Gläubiger auf ihn wartete. Einer seiner früheren Vorgesetzten, Annius Rufus, gewesener Präfekt von Judäa und verwandt mit dem göttlichen Augustus, glaubte ihm etwas schuldig zu sein, denn Caepio hatte ihm in einem Scharmützel gegen wild gewordene Zeloten einmal das Leben gerettet. Also verfrachtete Rufus später seine blutjunge und atemberaubend hübsche Nichte Fausta in ein Schiff, um sie mitsamt einer beträchtlichen Mitgift nach Palästina zu schicken, wo sie mit Caepio vermählt wurde. Zehn Jahre waren seither vergangen, und Fausta, eine Lebenskünstlerin, machte das Beste für sich daraus. Gewiss, Tiberias war nicht Rom, aber es ließ sich hier gut aushalten, wenn man sich erst einmal an dieses merkwürdige Land gewöhnt hatte.

„Mein Gemahl“, fuhr sie fort, „ließ sich nach dem Frühstück zu den Thermalquellen vor der Stadt tragen. Abgesehen davon nimmt er keine Notiz von meinen Liebhabern.“

Stephaton räusperte sich. „Du willst, dass ich dein Liebhaber werde?“

„Warum nicht? Zumindest für einen Tag. Vielleicht auch für länger, das wissen allein die Götter, und wozu sollten wir das heute entscheiden?“ Aus ihrem Mund klang das verführerisch und vulgär zugleich. Sie nippte an ihrem Pokal und leckte sich dann die Lippen.

„Am Ende könnte dein Ruf leiden, wenn du dich mit einem Mimen abgibst.“

Diese Worte brachten sie erneut zum Lachen. „Selten hat jemand seinen Zynismus so kunstvoll getarnt. Aber natürlich wundert mich das nicht, denn du bist der beste aller Mimen. Mein Ruf? Glaubst du, ich wüsste nicht, wie es darum bestellt ist? Meinethalben darf es ganz Tiberias erfahren, wenn du in meinem Bett liegst, es würde meinen Ruf eher verbessern, denn dich lieben die Leute. Sag mir, wann hast du zum letzten Mal mit einer Verehrerin geschlafen?“

Er errötete verlegen.

„Noch nie? Wer soll dir das glauben?“

„Du kannst glauben, was immer du willst, edle Fausta.“

Sie holte vernehmlich Luft, als müsste sie Nachsicht mit einem begriffsstutzigen Kind aufbringen. „Nun gut, mein schöner Apollon, ich gebe mich auch mit Jungfrauen zufrieden. Was hältst du von einem Bad? Ich habe Anweisung gegeben, das Wasser zu erwärmen. Danach werden wir speisen, und dann … Mein Schlafzimmer wird dir gefallen.“

Zweifellos hatte ihr nie jemand ein solches Angebot ausgeschlagen, und offenbar war sie überzeugt, dass dies auch heute nicht geschehen würde. Wie zufällig lagen inzwischen ihre Schultern entblößt.

Stephaton beabsichtigte nicht, diese Posse bis ins Unendliche zu treiben. „Ich will dich nicht kränken, edle Fausta, aber ich möchte weder baden, noch speisen, noch mit dir das Lager teilen. Du musst wissen, ich habe noch Pläne heute.“

Sie hob das Kinn und schien darüber nachzudenken, ob er sie zum Besten hielt. „Ist das so?“

Er nickte und breitete die Hände aus, denn wenn er nicht wenigstens Bedauern zeigte, würde sie ihm noch ihren Trinkpokal an den Kopf werfen, galt sie doch als launisch und unberechenbar. Als ihr dämmerte, dass es ihm ernst war mit seiner Weigerung, gefror ihre Miene zusehends.

„Ich nehme an, du triffst dich mit einem Mädchen?“, fragte sie lauernd.

Vermutlich würde sie die Wahrheit als Brüskierung empfinden, also log er, um sie zu besänftigen. „Nein, das habe ich nicht vor.“

„Liebst du Knaben?“

„Auch das nicht. Es ist nur so, dass ich jetzt wirklich gehen muss. Für den vorzüglichen Wein und deine Gastfreundschaft möchte ich dir danken. Ebenso für die Geschenke, die du mir regelmäßig zukommen lässt.“ Er stand auf und verneigte sich. „Den Weg hinaus finde ich allein. Mögen die Götter mit dir sein!“

Mit mahlenden Kiefern starrte sie ihm nach. Nein, das hatte noch niemand gewagt, sie so zu behandeln. Glaubte er vielleicht, sie sei eine gewöhnliche Hure?

„Brennus!“, rief sie, nachdem sie ihre Gedanken sortiert hatte. Sogleich betrat ihr hünenhafter Leibdiener das Cubiculum, er konnte nicht weit gewesen sein.

„Herrin?“

„Geh ihm nach – heimlich! Ich will wissen, mit wem er sich trifft. Sobald du es weißt, komm zurück. Ich warte auf dich in meinem Schlafzimmer.“ Wegen eines hochmütigen, störrischen Komödianten würde sie keineswegs darauf verzichten, ihre Lüste zu befriedigen. Dieser Stephaton würde sich noch wundern. Für wen hielt er sich wohl?

Brennus machte sich auf den Weg.

Wie erlöst fühlte sich Stephaton, nachdem er die Villa des Quintus Caepio verlassen hatte. Eugenia hatte recht behalten, es war der Fausta Decila, die normalerweise bekam, wonach ihr der Sinn stand, allein darum gegangen, ihn zu verführen. Aber er hatte ihr mühelos widerstanden. Jetzt zog es ihn zu Sara. Als er die Stadt hinter sich ließ, hätte er am liebsten gesungen vor Glück.

An ihrem Treffpunkt fielen sie sich in die Arme. Die Zeiten scheuer Zurückhaltung waren vorüber. Ihre Zukunft war ungewiss, doch daran mochten sie nicht denken. Es war ein herrlicher Tag, wie geschaffen für zwei Liebende, die einen Ausflug am Ufer des im Sonnenlicht glitzernden Sees machen wollten. Überall blühten Akazien, Oleander und Myrtensträucher.

Als sie loszogen, vergnügt wie Kinder, machte sich auch der verborgene Brennus wieder auf den Weg zu seiner Herrin. Er hatte genug gesehen.

Die neunte Stunde

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