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Gelon hatte genug von den alten Dramen und Tragödien. Er war fest davon überzeugt, dass sich die Menschen in Tiberias ebenfalls daran sattgesehen hätten und etwas anderes verdienten. Gewiss, das Theater war gewöhnlich bis auf den letzten Platz besetzt, doch Gelon spürte: Es war Zeit für etwas Neues. Aischylos und Sophokles hatten ausgedient. Selbst die Komödien des Menander brachten keine Abwechslung mehr, wenn man erst einmal zwei oder drei gesehen hatte.

In Sepphoris, wo Gelon neulich Verwandte besucht hatte, war es ihm wie Schuppen von den Augen gefallen. Wie rückständig sie doch hier in Tiberias waren! Im Theater von Sepphoris hatte er Dinge gesehen, die er seiner eigenen Schauspielertruppe bis dahin nicht zugemutet hätte. Die Römer mochten nicht so kultiviert sein wie die Griechen, aber sie wussten die Leute gut zu unterhalten. Sie scherten sich nicht um Ästhetik oder Anspruch, sie liebten es, wenn Unerwartetes geschah, wenn auf der Bühne improvisiert wurde. Die Mimen achteten dabei nicht auf Sittsamkeit oder vornehme Sprache. Ohnehin klang auf Lateinisch alles vulgär, fand Gelon. Für die griechischsprachige Version würde er sich einiges einfallen lassen, auf Masken würde er weitgehend verzichten.

Zunächst hatten ihn, wenn er auch alles andere als prüde war, die gesehenen Darbietungen in Sepphoris ein wenig befremdet, doch als er aufmerksam die Reaktionen der Zuschauer studierte, die sich lachend auf die Schenkel klopften und Tränen aus den Augen wischten, da hatte er beschlossen, der Rückständigkeit auf Tiberias’ Theaterbühne ein Ende zu bereiten. Die Zeit war reif dafür, gefragt war vergnügliche Unterhaltung, nicht Kümmernis und bitterer Ernst. Er musste es nur noch seinen vier Mimen begreiflich machen. Sie würden neue große Erfolge feiern.

Nach Tiberias zurückgekehrt, beraumte Gelon unverzüglich ein Treffen mit seinen Schauspielern an. Die vier setzten sich in die leeren Ränge des Theaters, dort, wo die Abendsonne bereits Schatten warf. Großtuerisch baute sich Gelon vor ihnen auf.

„Von nun an werden wir spielen wie die Römer!“, verkündete er. Das klang wie ein Befehl, denn Gelon hatte nicht vor, die Angelegenheit mit ihnen zu diskutieren. Nicht umsonst war er das Haupt der Truppe. Er bestimmte, was gemacht wurde, schließlich trug er die Verantwortung für seine Mimen. Begeistert erzählte er von den Stücken, die er im römischen Theater von Sepphoris gesehen hatte.

„Also Zoten und Klamauk“, stellte Selenos nüchtern fest. Er war der Älteste in der Truppe, um die vierzig, und damit noch ein paar Jahre älter als ihr Führer.

„Tiberias lechzt nach frischen Komödien“, behauptete Gelon.

„Und was ist mit Chares?“ Selenos fand, dass der Besitzer des Theaters ein Wörtchen mitzureden hätte.

„Mit ihm habe ich gesprochen. Er ist mit allem einverstanden, wenn es ihm nur ordentlich die Kassen füllt. – Stephaton, was denkst du?“

Wenn Gelon auch nicht bereit war, seine Entscheidung infrage stellen zu lassen, so war er doch neugierig auf die Meinung seines besten Schauspielers. Stephaton, Sohn eines Baumeisters, Liebling des Publikums, mit reichlich Talent und männlicher Schönheit ausgestattet, war in Tiberias eine Berühmtheit. Er konnte sich in den Gassen kaum bewegen, ohne dass man ihn ansprach. Eine Erklärung für seine Beliebtheit hatte Stephaton nicht, aber Gelon und die anderen versicherten ihm immer wieder neidlos, es liege an seinem ausdrucksstarken, glaubwürdigen Spiel, dass die Zuschauer ihm zu Füßen lagen, allen voran die Frauenwelt, die ihn zudem wegen des dunklen Kraushaares und aufgrund seines ansehnlichen Körperbaus anschmachtete.

„Wenn du nicht Mime wärst“, sagte Eugenia manchmal im Spaß zu ihm, „dann könntest du den Bildhauern Modell stehen als Herakles, Achilles oder sonst einer dieser Prahlköpfe!“ Kaum zwanzig Jahre zählte er, aber für Gelon war er unentbehrlich.

Stephaton dachte eine Weile über Gelons Worte nach. „Ich weiß nicht“, sagte er vorsichtig, denn er hatte nicht vor, den streitbaren Gelon wütend zu machen. „In Tiberias sind die Römer in der Minderheit, und ich bin mir nicht sicher, ob es den Griechen gefällt, wenn wir plötzlich völlig andere Stücke spielen.“

„Unsinn“, widersprach Gelon leidenschaftlich. „Sie werden entzückt sein. Die Zeit ist reif für etwas Neues. Die verfluchten Perserkriege kommen doch allen aus den Ohren heraus.“

„Ich bezweifle, dass ich komische Rollen spielen kann“, warf nun Schapur ein. Der bullige Syrer, einziger Nichtgrieche im Ensemble, pflegte die grimmigen Bösewichte zu spielen, aber auch außerhalb der Vorstellungen sah man ihn selten lächeln.

Gelon verdrehte die Augen. „Auch ich bezweifle das, Schapur. Doch auch alberne Possen brauchen einen Spielverderber wie dich, damit die anderen Darsteller glänzen können.“

Schapur sah das offenbar nicht als Beleidigung, denn er hob unbeeindruckt die Schultern.

Gelon sah sie alle der Reihe nach an. „Was ist mit euch? Traut ihr euch etwa nicht? Was für Schauspieler seid ihr, dass ihr neue Herausforderungen scheut?“

Bei Eugenia, die seine Gefährtin war, blieb sein Blick hängen. Sie war von herber Schönheit, eine zu lange, etwas höckerige Nase sorgte dafür, dass ihr Anblick nicht gleich jedem Mann den Atem raubte. Ihr pechschwarzes Haar trug sie hochgetürmt zu einer kunstvollen Frisur. „Na los, mach schon deinen hübschen Mund auf, meine Nymphe. Du bist es doch auch satt, immer nur zänkische Göttinnen und wehklagende Witwen zu spielen.“

Eugenia schürzte die Lippen. „Du hast es sowieso schon entschieden. Wozu fragst du mich?“

„Ich will wissen, ob du damit einverstanden bist.“

„Oh, das ist tatsächlich etwas Neues. Wie ich vermute, werde ich mich bei den neuen Stücken noch öfter entblößen müssen. Wir wissen ja, wie es in den römischen Theatern zugeht.“

„Als ob dir das etwas ausmachte.“

„Und Schapur darf mich womöglich noch nach Herzenslust betatschen, wie?“

„Auf der Bühne muss man eben manchmal Dinge tun, die keinen großen Spaß machen“, sagte Schapur ungerührt und sorgte für Gelächter, selbst der nüchterne Selenos grinste.

„Man sage über unseren Syrer, was man wolle, aber er ist ein großer Mime. Was mich angeht, so soll es mir gleich sein, ob ich mit Menander oder einem Stück dieser römischen Possenschreiber künftig mein Brot verdiene.“

„Na also!“ Gelon klopfte Selenos wohlwollend auf die Schulter. „Ich wusste es, auf dich ist Verlass. Komm schon, Junge“, wandte er sich flehend wieder an Stephaton, „es wird dir Spaß machen. Die Leute werden dich noch mehr verehren.“

„Allen voran die edle Fausta Decila“, bemerkte Eugenia süffisant.

„Die Römerin ist mir völlig gleichgültig“, beteuerte Stephaton.

„Stimmt, du hast es ja eher auf diese kleine Jüdin abgesehen. Wie heißt sie doch gleich? Maria?“

„Nein, Maria heißt sie nicht“, wusste Selenos.

„Heißen diese Jüdinnen nicht alle Maria?“

„Hör auf damit, Eugenia“, mahnte Gelon. „Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte man denken, du bist eifersüchtig.“

„Und ob ich eifersüchtig bin, mein Lieber. Denn wenn dich einmal der Schlag trifft – und das geschieht hoffentlich bald –, dann halte ich mich selbstverständlich an Stephaton.“

„Wenn mich der Schlag trifft, bist du alt und grau, meine Nymphe. Warum sollte Stephaton dann ausgerechnet dich erwählen? Er könnte jedes Weib haben, nach dem ihm der Sinn steht.“

Eugenia warf Stephaton eine Kusshand zu. „Dafür ist er viel zu schüchtern. Zumindest, wenn er nicht gerade auf der Bühne steht.“

„Sei still, meine Nymphe. Unser Stephaton will mir nämlich gerade etwas sagen. Nun, mein Junge? Du wirst doch nicht aus der Reihe tanzen, oder?“

Stephaton breitete die Hände aus. „Und wenn es den Leuten nicht gefällt?“

„Es wird den Leuten gefallen! Anderenfalls spielen wir wieder die alten Stücke, versprochen!“

Sie brauchten Stephaton. Seinetwegen strömten die Leute ins Theater. In Wahrheit hatte Stephatons Skepsis nur einen Grund: Er befürchtete, die neuen Vorstellungen könnten Sara nicht gefallen. Aber das behielt er für sich, sonst würde Eugenia ihn wieder necken. Und ein Spielverderber wollte er nicht sein. Außerdem konnte er mit dazu beitragen, dass das Stück nicht allzu frivol wurde.

„Von mir aus“, antwortete er gepresst.

Gelon ballte freudig eine Faust. „Guter Junge! Glaub mir, Menander, Euripides und all diese Leichen haben keine Zukunft mehr.“

„Und an welches Stück hast du genau gedacht?“, wollte Selenos von ihm wissen.

Gelons Augen glänzten, er hob einen Finger. „An das vom Räuber Laureolus!“ In knappen Sätzen erzählte er ihnen von der Aufführung, die er sich in Sepphoris angesehen hatte.

„Das soll lustig sein?“, fragte Stephaton zweifelnd.

Gelon deutete mit dem Zeigefinger auf jeden einzelnen von ihnen. „Ihr werdet dafür sorgen, dass es lustig wird. Was die römischen Mimen können, das können wir schon lange.“

„Und ich soll dann wohl den Räuber spielen“, vermutete Schapur.

„Das könnte dir so passen. Den Laureolus spielt selbstverständlich Stephaton, er ist die wichtigste Figur in diesem Stück.“

„Die Leute werden unserem strahlenden Jüngling wohl kaum einen gemeinen Räuber abnehmen“, gab Eugenia zu bedenken.

„Wer sagt denn, dass Laureolus der Bösewicht ist? Ich werde die Rollen ein wenig verändern. Niemand soll behaupten, wir hätten die Römer nachgeahmt.“

„Damit wäre das ja auch geklärt“, sagte Selenos. „Wann beginnen wir mit den Proben?“

„Auf der Stelle!“ Gelon klatschte in die Hände. „Los, bewegt eure Hintern! Uns bleiben nur drei Tage bis zur Vorstellung und zum Ruhm!“

Die neunte Stunde

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