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ОглавлениеManchmal dachte sie darüber nach, daß dies doch eigentlich die schönsten Tage ihres Lebens seien, der Honigmond, wie man es ja nannte. Aber um seine Süßigkeit so recht aus-, zukosten, hätte man gewiß in eines jener Länder klangvollen Namens reisen müssen, wo die Tage nach den Liebesnächten nur von wonnigem Nichtstun erfüllt sind, wo man in einer Postkutsche mit blauseidenen Vorhängen auf steilen Straßen hinanfährt, dem Liede des Postillions lauschend, das vereint mit dem Herdengeläut der weidenden Ziegen und dem tiefen Rauschen der Wasserfälle von den Bergwänden widerhallt, wo man bei Sonnenuntergang an blauen Meeresbuchten den Duft der Zitronenbäume atmet und abends dann auf stiller Terrasse, ganz allein und die Hände ineinander verschlungen, zu den Sternen aufschaut und Zukunftspläne schmiedet . . . Ach, das Glück wuchs vielleicht nur in gewissen Gegenden der Erde, gleich einer Pflanze, die nur auf einem bestimmten Böden gedeiht und anderswo verkümmert. Warum war es ihr nicht vergönnt, angesichts herrlicher Berge auf dem Balkon eines Schweizerhäuschens zu lehnen oder ihre Traurigkeit in einem schottischen Landhaus vor der Welt zu verschließen, an der Seite eines Gatten in schwarzem Samtrock mit langen Schößen und Manschetten, in feinen weichen Stiefeln, mit spitzem Hut!
Manchmal hätte sie wohl von alledem mit irgend jemandem reden mögen. Aber wie dieses wesenlose Mißbehagen in Worte fassen, das sich alle Augenblicke veränderte wie die Wolken und wechselte wie der Wind? Die Worte fehlten ihr, die Gelegenheit, der Mut.
Ja, wenn Charles gewollt hätte, wenn er nur die geringste Ahnung davon gehabt hätte, wenn sein Blick ein einziges Mal ihren Gedanken begegnet wäre! Dann, meinte sie, hätte sich das alles mit einemmal von ihrem Herzen gelöst, wie eine reife Frucht vom Spalier fällt, wenn man sie nur anrührt. So aber fühlte sie, wie sich die innere Kluft, die sie von ihm trennte, immer mehr erweiterte, je fester das Eheleben sie äußerlich aneinanderschloß.
Charles’ Unterhaltung war platt wie ein Bürgersteig, und Allerweltsgedanken in Alltagskleidern bewegten sich darauf herum, die weder zu einer Entgegnung noch zu einem Lachen oder zum Nachdenken anregten. Er selbst erzählte ihr, daß er während seines ganzen Aufenthalts in Rouen niemals das Bedürfnis verspürt habe, ins Theater zu gehen und sich die Schauspieler aus Paris anzusehen. Er konnte weder schwimmen noch fechten, noch Pistolenschießen, und als ihn Emma eines Tages bat, ihr einen Ausdruck aus der Reitersprache zu erklären, auf den sie in einem Roman gestoßen war, konnte er auch das nicht einmal.
Mußte aber nicht ein Mann alles kennen, sich auf allen Gebieten hervortun? Mußte er nicht imstande sein, einen in die Tiefen der Leidenschaft, in alle Feinheiten und Geheimnisse des Lebens einzuweihen? Aber der da, der lehrte sie nichts, wußte nichts, erstrebte nichts. Er glaubte, sie sei glücklich, und sie grollte ihm ob dieser satten Gemütsruhe, dieses stillvergnügten Behagens, ja ob des Glückes selbst, das sie ihm gab!
Manchmal zeichnete sie, und dann war es für Charles ein besonderes Vergnügen, dabeizustehen und ihr zuzuschauen, wie sie, über das Blatt gebeugt, die Augen zukniff, um ihr Werk besser betrachten zu können, oder mit den Fingerspitzen kleine Brotkügelchen zurechtknetete. Wenn sie Klavier spielte, bewunderte er sie um so mehr, je schneller ihre Finger über die Tasten liefen, denn Emma pflegte mit großem Schwung zu spielen und fegte ohne Anhalten von oben bis unten über die Klaviatur, daß die Saiten zu reißen drohten, der ganze alte Kasten schütterte und man ihr Spiel, wenn das Fenster offenstand, bis ans Dorfende hören konnte, und oft geschah es, daß der Schreiber des Gerichtsvollziehers, wenn er mit bloßem Kopf und in Pantoffeln auf der Landstraße vorbeikam, mit seinem Aktenblatt in der Hand stehenblieb und lauschte.
Aber Emma verstand es andererseits auch, ihren Haushalt zu führen. Den Patienten ließ sie die Aufstellung der Arztkosten in so geschickt abgefaßten Briefen zugehen, daß es gar nicht mehr nach einer Rechnung aussah, und wenn sie sonntags jemand zu Tisch hatten, wußte sie immer ein ansprechendes Gericht anzubieten. Sie hatte ein eigenes Geschick, Pyramiden von Reineclauden auf Weinblättern aufzubauen, brachte die Süßspeise in Form kleiner Bomben auf einzelne Teller gestürzt auf den Tisch und sprach sogar davon, daß sie Spülschalen für den Nachtisch anschaffen wolle.
All das kam dem Ansehen Charles’ sehr zugute, und sein eigenes Selbstgefühl wuchs in dem Bewußtsein, eine solche Frau zu besitzen. Voll Stolz zeigte er im Wohnzimmer zwei kleine Bleistiftzeichnungen Emmas, die er in unmäßig breite Rahmen hatte fassen lassen und die an langen grünen Schnüren an der Wand hingen. Wenn man aus der Messe kam, konnte man ihn in schön gestickten Pantoffeln vor seiner Tür stehen sehen.
Abends kam er meist spät heim, um zehn Uhr, manchmal erst um Mitternacht. Dann mußte er sein Abendbrot haben, und da das Dienstmädchen schon schlafen gegangen war, bediente ihn Emma selbst. Dabei pflegte er seinen Rock auszuziehen, um sich behaglicher zu fühlen, und dann fing er an zu erzählen, wen er alles getroffen hatte, in welchen Dörfern er gewesen war, was er den verschiedenen Leuten verschrieben hatte, verspeiste selbstzufrieden sein Zwiebelgulasch, schabte sich den Käse sauber, schmauste einen Apfel, leerte die Weinkaraffe, ging dann zu Bett, legte sich auf den Rücken und schnarchte.
Das Kopftuch, das er jetzt statt der lang gewohnten Nachtmütze trug, rutschte ihm im Schlaf immer von den Ohren, was zur Folge hatte, daß ihm morgens die Haare wirr ins Gesicht hingen, weiß befiedert mit den Daunen seines Kopfkissens, dessen Schnüre sich in der Nacht lösten. Er trug stets derbe hohe Stiefel, die überm Spann zwei dicke, schief zu den Knöcheln verlaufende Falten hatten, während die Schäfte so steif und gerade an den Waden saßen wie an einem Holzbein. „Fürs Land gut genug“, meinte er.
Seine Mutter unterstützte ihn in dieser Sparsamkeit, denn sie besuchte ihn wie früher, wenn es bei ihr daheim einen Sturm gegeben hatte. Für ihre Schwiegertochter jedoch schien sie nicht sehr eingenommen zu sein. Sie fand sie viel zu großartig für ihre Verhältnisse. Holz, Zucker, Kerzen, das ging alles drauf wie in einem großen Hause, und die Kohlen, die täglich in der Küche verfeuert wurden, hätten für fünfundzwanzig Gerichte gereicht! Sie brachte Ordnung in die Wäscheschränke und hielt Emma Vorträge darüber, wie sie den Metzger kontrollieren müsse, wenn er das Fleisch brachte. Sie predigte, Emma hörte zu, und den ganzen Tag über ging es hin und her mit „liebe Tochter“ und „liebe Mutter“, aber die Lippen juckten dabei, und die sanften Stimmen, mit denen sie redeten, bebten vor verhaltenem Zorn.
Zu Lebzeiten der Witwe Dubuc hatte sich die alte Frau immer noch als die Bevorzugte gefühlt; jetzt aber erschien ihr die Liebe Charles’ zu Emma wie Fahnenflucht von seiner Sohnesliebe, wie ein Raub an etwas, das ihr gehörte, und sie beobachtete sein Glück mit stummer Verbitterung, so wie jemand, der plötzlich verarmt ist, durch die Fenster des einst ihm gehörenden Hauses zusieht, wie sich andere darin zu Tisch setzen. Sooft wie möglich brachte sie die Rede auf die alten Zeiten, um ihm zu Gemüte zu führen, wieviel Mühe sie mit ihm gehabt, wie viele Opfer sie ihm gebracht hatte, wie sehr es Emma im Vergleich dazu an Fürsorge fehlen lasse und wie ungerechtfertigt es deshalb sei, so ausschließlich sie zu vergöttern.
Charles wußte nicht, was er darauf erwidern sollte. Er achtete seine Mutter hoch und liebte seine Frau über alles. Er hielt das Urteil der Mutter für unfehlbar, fand aber zugleich Emma untadelhaft. War dann Frau Bovary wieder abgereist, so versuchte er wohl schüchtern, die eine oder andere ihrer harmloseren Bemerkungen wörtlich anzubringen, aber Emma bewies ihm jedesmal mit zwei Worten, daß er im Irrtum sei, und schickte ihn wieder zu seinen Kranken.
Einige Male machte sie nach den Theorien, die ihr gut schienen, den Versuch, Liebes Stimmung zu schaffen, indem sie abends im Garten bei Mondenschein alles hersagte, was sie an schwärmerischen Versen auswendig wußte, oder ihm schmachtend melancholische Weisen vorsang; aber sie fühlte sich danach immer genauso ruhig wie zuvor, und auch an Charles war keinerlei größere Zärtlichkeit oder Rührung zu verspüren. Wenn sie so an seinem Herzen Feuer geschlagen hatte, ohne ihm einen Funken zu entlocken, zog sie in ihrer Unfähigkeit, etwas zu verstehen, was sie nicht selbst empfand, oder an etwas zu glauben, was nicht auf herkömmliche Weise zutage trat, ohne weiteres den Schluß, daß seine Gefühle für sie nicht mehr sonderlich stark seien. Seine Zärtlichkeiten hatten eine gewisse Regelmäßigkeit angenommen. Die ehelichen Umarmungen erfolgten nur noch zu genau festgesetzten Zeiten und waren eine Gewohnheit wie alles andere auch, gleichsam der auf der Speisekarte vorgesehene Nachtisch.
Ein Jagdhüter, den Charles von einer Lungenentzündung geheilt hatte, schenkte der Frau Doktor eine kleines venezianisches Windspiel. Das nahm sie nun immer mit auf ihren Spaziergängen, denn sie ging jetzt manchmal aus, um wenigstens einen Augenblick allein zu sein und nicht ewig nur den Garten und die staubige Landstraße vor Augen zu haben.
Gewöhnlich wanderte sie zum Buchenwald von Banneville, bis zu dem verlassenen Lusthäuschen, das an der Ecke der Parkmauer steht, wo die Felder anfangen und wo im Mauergraben zwischen allerlei Unkraut hohes Schilf mit schneidend scharfen Blättern wächst.
Das erste war, daß sie ringsumher schaute, um zu sehen, ob sich seit dem vorigen Mal nichts verändert habe. Aber es stand alles noch an seinem Platz: die Fingerhutstauden und der Goldlack, die Brennesselbüsche um die großen Feldsteine und die Moospolster unter den drei Fenstern, deren stets geschlossene Holzläden hinter den verrosteten Eisengittern vor Alter bereits zu zerfallen drohten. Ihre Gedanken schweiften zuerst ziellos umher wie ihr Windspiel, das in weiten Kreisen durch die Felder fegte, nach den gelben Schmetterlingen schnappte, auf Feldmäuse Jagd machte oder die Mohnblumen am Rande des Kornfeldes anknabberte. Allmählich jedoch sammelte sich ihr Denken auf einen Punkt, und während sie im Grase saß und mit der Spitze ihres Sonnenschirms darin herumstocherte, fragte sie sich nur immer wieder: Mein Gott, warum habe ich eigentlich geheiratet?
Sie sann darüber nach, ob sie nicht durch eine andere Verkettung von Umständen einen anderen Mann hätte finden können, und versuchte sich vorzustellen, welcher Art diese nicht eingetroffenen Umstände hätten sein können, wie dieses andere Leben wohl geworden wäre und wie dieser unbekannte Gatte wohl ausgesehen hätte. Alles wäre natürlich ganz anders als das, was jetzt ihr Leben ausmachte. Vielleicht wäre er schön und geistreich gewesen, vornehm und verführerisch, wie wohl sicher alle die, die ihre ehemaligen Mitschülerinnen vom Kloster geheiratet hatten. Was die jetzt wohl machten? In der Stadt, im Straßengetümmel, im Theatertrubel, im strahlenden Licht der Ballsäle führten sie gewiß ein Leben, bei dem einem das Herz, aufging und alle Sinne erblühten. Ihr Leben jedoch war kalt wie eine nach Norden gelegene Dachkammer, und die Langeweile spann lautlos wie eine Spinne ihre Netze in allen Winkeln ihres verdüsterten Herzens. Die Tage der Preisverteilung in der Klosterschule fielen ihr wieder ein, und sie sah sich wieder auf das Podium steigen, um ihre kleinen Auszeichnungen in Empfang zu nehmen. Sie schaute so allerliebst aus mit ihren geflochtenen Zöpfen, in dem weißen Kleid und den Atlashalbschuhen, und die Herren beugten sich vor, als sie an ihren Platz zurückging, und machten ihr Komplimente. Der Hof war voll Kutschen, man verabschiedete sich am Wagenschlag, und als der Musiklehrer mit seinem Geigenkasten unterm Arm vorbeikam, zog er den Hut vor ihr. Wie weit lag das nun schon alles zurück – wie weit!
Sie rief Djali, nahm ihn auf den Schoß, streichelte seinen schmalen, feinen Kopf und sagte: „Komm, gib Frauchen einen Kuß. Du hast ja keinen Kummer!“ Als sie dann aber in die melancholischen Augen des schlanken Tierchens sah, das hingebungsvoll gähnte, wurde sie von zärtlicher Rührung ergriffen. Es war ihr, als fühle sie etwas von ihrer eigenen Seele in ihm, und sie redete ihm tröstend zu wie einem betrübten Menschenkinde.
Manchmal kamen Windstöße vom Meere her, fegten plötzlich über die ganze Hochebene von Caux hin und trugen eine salzige Frische weit über die Felder. Pfeifend legte sich das Schilf zu Boden, und die Blätter der Buchen raschelten in jähem Schauer, während sich die Wipfel rauschend wiegten. Emma zog fröstelnd ihr Tuch um die Schultern und stand auf.
In der Allee fiel durch das Laubwerk grünlich gedämpftes Licht auf das Moospolster des Bodens, das unter Emmas Füßen leise knirschte. Die Sonne sank. Zwischen den Zweigen leuchtete rot der Himmel, und die gleichmäßigen Stämme der in gerader Linie gepflanzten Bäume standen wie eine braune Säulenreihe gegen goldenen Grund. Eine Bangigkeit befiel sie, sie rief nach Djali und eilte auf die Landstraße und nach Tostes zurück, wo sie sich in einen Sessel warf und den ganzen Abend kein Wort mehr sprach.
Aber gegen Ende September ereignete sich etwas Außergewöhnliches in ihrem Leben: Sie erhielt eine Einladung nach Schloß Vaubyessard zum Marquis d’Andervilliers.
Der Marquis, der unter der Restauration Staatssekretär gewesen war, wollte wieder ins politische Leben zurückkehren und betrieb von langer Hand seine Kandidatur für die Deputiertenkammer. Im Winter ließ er große Mengen Reisig verteilen, und im Bezirksausschuß trat er immer wieder mit Eifer für den Bau neuer Straßen in seinem Arrondissement ein. Letzten Sommer hatte er einen Abszeß im Mund gehabt, von dem ihn Charles mit einem rechtzeitigen Einstich wie durch ein Wunder befreit hätte. Der Geschäftsführer des Marquis, der nach Tostes geschickt worden war, um das Honorar zu bezahlen, hatte abends nach seiner Rückkehr erzählt, daß er in dem kleinen Garten des Doktors herrliche Kirschen gesehen habe. Da nun die Kirschbäume in Vaubyessard schlecht trugen, erbat sich der Marquis einige Ableger von Bovary, hielt es daraufhin für seine Pflicht, sich persönlich zu bedanken, lernte bei der Gelegenheit Emma kennen, fand, daß sie eine reizende Figur habe und gar nicht bäurisch sei, und war so von ihr angetan, daß man auf dem Schloß zu der Ansicht kam, es werde die Grenzen der Herablassung nicht überschreiten und in keiner Weise unschicklich sein, wenn man das junge Ehepaar einmal zu Gast bäte.
Eines Mittwochs um drei Uhr brachen Herr und Frau Bovary in ihrem Wägelchen nach Vaubyessard auf. Hinten war ein großer Koffer aufgeschnallt, und vorn auf dem Spritzleder lag eine Hutschachtel. Außerdem hielt Charles noch eine Pappschachtel zwischen den Beinen.
Bei Einbruch der Nacht, gerade als man im Park die Lampen anzündete, die den Wagen leuchten sollten, trafen sie ein.