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ОглавлениеEines Nachts gegen elf Uhr wurden sie durch das Getrappel eines Pferdes geweckt, das gerade vor ihrer Haustür anhielt. Das Dienstmädchen öffnete die Bodenluke und verhandelte eine Zeitlang mit einem Mann, der auf der Straße stand. Er komme den Doktor holen und habe einen Brief mit. Nastasie stieg fröstelnd die Treppe hinab und öffnete umständlich die Schlösser und die Riegel. Der Mann ließ das Pferd stehen und folgte der Magd auf dem Fuße bis ins Schlafzimmer der Herrschaft. Hier zog er aus seiner grauen Troddelmütze einen in einen Lappen gewickelten Brief und überreichte ihn ehrerbietig dem Hausherrn, der sich mit dem Ellbogen auf sein Kopfkissen stützte, um ihn zu lesen. Nastasie stand am Bett und hielt das Licht; Frau Bovary blieb schamhaft der Wand zugekehrt liegen und ließ nur ihren Rücken sehen.
In dem Brief, der mit einem kleinen blauen Siegel verschlossen gewesen war, wurde Herr Bovary gebeten, sich sofort nach dem Hof Bertaux zu begeben, um ein gebrochenes Bein zu kurieren. Von Tostes bis Bertaux sind es über Longueville und Saint-Victor gut sieben Meilen. Die Nacht war dunkel. Frau Bovary fürchtete, daß ihrem Mann etwas zustoßen könne. Es wurde also beschlossen, daß der Stallknecht vorausreiten sollte. Charles wollte drei Stunden später bei Mondaufgang nachkommen. Man solle ihm einen Jungen entgegenschicken, der ihm den Weg zum Hof zeigen und das Tor öffnen könne.
Gegen vier Uhr morgens machte sich Charles, warm in seinen Mantel gewickelt, auf den Weg nach Bertaux. Noch schlaftrunken von der Bettwärme, ließ er sich durch den friedlichen Trott seines Pferdes wieder einwiegen. Als das Tier vor einer mit Dorngestrüpp bedeckten Grube, wie man sie an Ackerrainen findet, von selber stehenblieb, fuhr Charles aus dem Halbschlummer auf. Sogleich fiel ihm das gebrochene Bein wieder ein, und er suchte sich sämtliche Knochenbrüche, die er gelernt hatte, ins Gedächtnis zurückzurufen. Es regnete nicht mehr. Der Tag graute, und auf den Zweigen der kahlen Apfelbäume hockten unbeweglich die Vögel und plusterten ihre Federchen im kalten Morgenwind. Endlos dehnte sich das flache Land. Die Baumgruppen um die in großen Abständen verstreuten Höfe bildeten blau schwarze Flecken auf dieser weiten grauen Fläche, die sich am Horizont in der düsteren Tönung des Himmels verlor. Obwohl Charles ab und zu die Augen gewaltsam aufriß, versank er bald wieder in eine Art Dämmerzustand, in dem die jüngsten Eindrücke mit Erinnerungen verschmolzen, so daß er sich gleichsam doppelt empfand: er sah sich als Ehemann im Bett liegen und gleichzeitig wie einst als Student durch den Operationssaal schreiten. Der warme Dunst der Umschläge mischte sich in seinem Kopf mit dem herben Geruch des Morgentaus; er hörte das Klirren der Eisenringe an den Vorhangstangen der Krankenbetten und zugleich das Schnarchen seiner Frau . . .
Als er durch Vassonville kam, sah er am Grabenrand einen Jungen im Grase sitzen.
„Sind Sie der Doktor?“ fragte der ihn.
Als Charles bejahte, nahm der Kleine seine Holzpantoffeln in die Hand und lief vor ihm her.
Unterwegs erfuhr Charles aus den Reden seines kleinen Führers, daß Herr Rouault einer der wohlhabendsten Landwirte der Gegend war. Er hatte sich gestern abend das Bein gebrochen, als er von einem Nachbarn heimkehrte, bei dem er das Dreikönigsfest gefeiert hatte. Seine Frau war schon seit zwei Jahren tot, und er hatte nur das „Fräulein“ bei sich, das ihm den Haushalt führte.
Die Radspuren wurden tiefer. Man näherte sich Bertaux. Der Kleine zwängte sich durch ein Loch in der Hecke, verschwand und tauchte schließlich in einiger Entfernung am Hoftor wieder auf, um es zu öffnen.
Das Pferd trabte weich über das taufeuchte Gras, und Charles mußte sich bücken, um an den tiefhängenden Zweigen vorbeizukommen. Die Hofhunde vor ihren Hütten bellten und rissen an den Ketten. Als Charles auf Bertaux einritt, scheute sein Pferd und machte einen großen Satz.
Bertaux war ein ansehnlicher Hof. In den Stallungen, deren Türen offenstanden, sah man kräftige Ackerpferde gemächlich aus blanken Raufen fressen. An den Gebäuden entlang zog sich ein großer dampfender Misthaufen; außer den Hühnern und Truthähnen pickten auch fünf oder sechs Pfaue darauf herum, der besondere Stolz jedes Geflügelhofes in Caux. Der Schafstall war groß, die Scheune hoch, mit Wänden so glatt wie eine Hand. Im Schuppen standen zwei große Leiterwagen und vier Pflüge samt Peitschen, Kumten und allem Geschirr. Die blauen Wolldecken, die darauf lagen, waren mit dem feinen Staub bedeckt, der von den Schüttböden herunterfiel. Der Hof stieg nach dem Wohnhaus zu ein wenig an und war in regelmäßigen Abständen mit Bäumen bepflanzt. Vom Tümpel her erscholl das fröhliche Geschnatter einer Herde Gänse.
Auf der Schwelle des Hauses erschien jetzt ein junges Mädchen in einem mit drei Volants besetzten blauen Merinowollkleid, um Herrn Bovary zu empfangen. Sie nötigte ihn in die Küche, wo ein großes Feuer loderte. Rings um das Feuer herum schmorte in großen und kleinen Töpfen das Frühstück für das Gesinde. Im Kamin hingen feuchte Kleidungsstücke zum Trocknen. Kohlenschaufel, Feuerzange und Blasebalg, alles von riesiger Größe, funkelten wie blanker Stahl. An den Wänden hing ringsum reiches Küchengerät, darin sich zuckend die Herdflammen spiegelten, vereint mit den ersten Sonnenstrahlen, die durch die Fensterscheiben fielen.
Charles stieg in das erste Stockwerk hinauf zu dem Kranken. Der lag im Bett, schwitzte unter seinen Decken und hatte seine Nachtmütze weit zurückgeschoben. Es war ein kleiner beleibter Mann von fünfzig Jahren, mit weißer Haut, blauen Augen, kahler Stirn und mit Ringen in den Ohren. Neben sich hatte er auf einem Stuhl eine große Flasche Branntwein, aus der er sich von Zeit zu Zeit einschenkte, um „Mumm in die Knochen zu kriegen“. Als er den Arzt sah, wurde er sogleich ganz zahm, und statt weiter zu fluchen, wie er es seit zwölf Stunden getan hatte, fing er nun schwach und kläglich an zu stöhnen.
Der Bruch war einfach und ohne irgendwelche Komplikation. Charles hätte sich keinen leichteren Fall wünschen können. Er dachte daran, wie sich seine Lehrmeister an den Krankenbetten verhalten hatten, und redete dem Patienten zunächst mit allerlei tröstlichen Worten gut zu und zeigte dabei die wohlwollende Milde des Chirurgen, die dem Öl gleicht, mit dem man die Seziermesser einfettet. Dann ließ er sich aus dem Holzschuppen ein paar Latten holen, um das Bein zu schienen, wählte eine aus und glättete sie mit einer Glasscherbe. Derweil riß das Dienstmädchen ein Stück Leinwand in Streifen, und Fräulein Emma übernahm es, kleine Verbandpolster zu nähen. Als sie ihren Nähkasten nicht gleich finden konnte, fing ihr Vater an zu poltern. Sie erwiderte nichts, stach sich jedoch beim Nähen in die Finger, die sie darauf an die Lippen führte, um das Blut aufzusaugen.
Charles war überrascht, wie gepflegt ihre Nägel waren. Sie waren mandelförmig geschnitten, mit feinen Spitzen, und glänzender poliert als die Elfenbeinwaren aus Dieppe. Die Hand selbst war weniger schön; vielleicht nicht weiß genug und an den Fingergliedern ein wenig zu mager, auch zu lang und in den Linien nicht weich genug. Schön waren ihre Augen; eigentlich braun, wirkten sie durch die langen Wimpern fast schwarz, und ihr offener Blick strahlte einen mit freimütiger Keckheit an.
Als der Verband angelegt worden war, lud Herr Rouault höchstselbst den Arzt ein, vor der Abfahrt noch einen kleinen Imbiß zu nehmen. Charles stieg in das Eßzimmer hinunter, das im Erdgeschoß lag. Hier war am Fuße eines großen Himmelbettes mit Kattunvorhängen, auf denen allerlei türkische Gestalten zu sehen waren, ein kleiner Tisch für zwei Personen gedeckt. Silberne Becher glänzten neben den Tellern. Dem Fenster gegenüber stand ein großer Eichenschrank, dem ein Duft von Veilchenwurzel und feuchtem Leinen entströmte. In den Ecken des Zimmers lehnten ein paar Getreidesäcke, die in der nebenan gelegenen Kornkammer, zu der drei Stufen hinaufführten, keinen Platz mehr gefunden hatten. Als Zimmerschmuck hing mitten an der Wand, deren grüner Anstrich hier und da schon von Salpeter zerstört war und abblätterte, eine Kreidezeichnung in goldenem Rahmen, einen Minervakopf darstellend, unter dem in gotischen Lettern geschrieben stand: „Meinem lieben Papa.“
Sie sprachen zunächst über den Kranken, dann über das Wetter, die große Kälte und die Wölfe, die nachts die Gegend unsicher machten. Fräulein Rouault gefiel es gar nicht auf dem Lande, zumal jetzt, da sie fast ganz allein für den Hof zu sorgen hatte. Es war so kalt im Zimmer, daß ihr bei der Mahlzeit die Zähne klapperten. Dabei entblößten sich ihre vollen Lippen, an denen sie, wenn sie schwieg, immer herumnagte.
Ihr Hals erhob sich aus einem weißen Umlegekragen. Ihr schwarzes Haar lag so glatt an, daß es aus einem Stück zu bestehen schien, getrennt nur durch den feingeschwungenen Scheitel in der Mitte, und nach hinten zu hatte sie es, gerade noch die Ohrläppchen freilassend, zu einem üppigen Knoten geflochten; nur an den Schläfen war es leicht gewellt, eine Frisur, die der Landarzt zum erstenmal in seinem Leben sah. Ihre Wangen waren rosig. Zwischen zwei Knöpfen ihrer Bluse steckte wie bei einem Mann ein Lorgnon aus Schildpatt.
Als Charles, nachdem er sich oben bei Vater Rouault verabschiedet hatte, vor der Abfahrt noch einmal ins Zimmer trat, sah er Emma am Fenster stehen und, die Stirn an die Scheiben gelehnt, in den Garten hinausschauen, wo der Wind die Bohnenstangen umgeworfen hatte. Sie wandte sich um.
„Suchen Sie noch etwas?“ fragte sie.
„Verzeihung, meine Reitpeitsche“, sagte er und fing an, auf dem Bett, hinter den Türen und unter den Stühlen herumzusuchen.
Die Peitsche war zwischen den Säcken und der Mauer zu Boden gefallen. Emma entdeckte sie und beugte sich über die Säcke. Charles stürzte galant hinzu, und sich gleichfalls nach der Peitsche bückend, fühlte er, wie seine Brust den Rücken des jungen Mädchens streifte. Als sie sich wieder aufrichtete, war sie ganz rot und reichte ihm mit einem Blick über die Schulter seinen Ochsenziemer.
Statt nach drei Tagen, wie er es versprochen hatte, kam er bereits am nächsten Tag wieder und von da an regelmäßig zweimal in der Woche, die Besuche nicht mitgezählt, die er so zwischendurch, so gleichsam im Vorbeikommen machte.
Im übrigen ging alles gut; die Heilung verlief glatt, und als man Vater Rouault nach sechs Wochen wieder auf eigenen Füßen, wenn auch noch behutsam, in seiner „Bude“ herumstiefeln sah, begann man, Herrn Bovary als große Kapazität zu betrachten. Vater Rouault erklärte, auch die bedeutendsten Ärzte aus Yvetot oder Rouen hätten ihn nicht besser kurieren können.
Was Charles betrifft, so dachte er gar nicht daran, sich zu fragen, warum er so gern nach Bertaux kam. Hätte er es getan, so würde er sich wahrscheinlich vorgeredet haben, es sei ihm nur um den interessanten Fall und um das schöne Honorar zu tun, das ihm hier winkte. War es aber wirklich nur dies, was die Besuche auf dem Gut zu einer so reizvollen Abwechslung in dem Einerlei seines gewohnten Lebens machte? Er stand an diesen Tagen immer schon früher als sonst auf und ritt, sein Pferd anspornend, im Galopp davon. Kurz vor der Ankunft stieg er jedesmal ab, säuberte seine Schuhe im Gras und zog seine schwarzen Handschuhe an; und wenn er dann auf dem Hof ankam und das Gatter mit der Schulter aufschob, wenn der Hahn auf der Mauer krähte und die Dorfjungen ihm entgegenliefen, war ihm richtig wohl ums Herz. Er liebte die Scheune und die Pferdeställe, er liebte den alten Rouault, der ihm auf die Schulter klopfte und ihn seinen Retter nannte; er liebte die kleinen Holzüberschuhe, in denen Fräulein Emma auf den blank gescheuerten Fliesen der Küche hin und her trappelte. Ihre hohen Absätze machten sie ein wenig größer, und wenn sie vor ihm herging, schlugen die rasch bewegten Holzsohlen mit einem spröden kleinen Klappen gegen das Leder der Schuhe.
Wenn er aufbrach, begleitete sie ihn immer bis an die erste Stufe der Vortreppe und blieb bei ihm stehen, bis sein Pferd vorgeführt war. Verabschiedet hatte man sich schon, gesprochen wurde nichts mehr; die freie Luft wehte um sie her, zauste die widerspenstigen Härchen in ihrem Nacken oder spielte mit den Schürzenbändern an ihrer Hüfte, daß sie wie Wimpel flatterten. Einmal, es war Tauwetter, und von den Ästen der Bäume und den Dächern der Gebäude tropfte der geschmolzene Schnee, kehrte sie auf der Türschwelle wieder um, holte ihren Schirm und öffnete ihn. Durch die in Taubenhalsfarben schillernde Seide warf die Sonne spielende Reflexe auf ihr weißes Gesicht. Sie lächelte in der lauen Wärme unter ihrem Schirm, und man hörte, wie Tropfen um Tropfen auf die gespannte Seide fiel.
In der ersten Zeit, seit Charles nach Bertaux ritt, versäumte Frau Bovary nicht, nach dem Befinden des Kranken zu fragen. Sie hatte in ihrer doppelten Buchführung sogar eine schöne neue Seite eigens für Herrn Rouault eingerichtet. Als sie jedoch hörte, daß er eine Tochter habe, zog sie nähere Erkundigungen ein und erfuhr, daß Fräulein Rouault im Kloster bei den Ursulinerinnen aufgewachsen sei und dort eine sogenannte gute Erziehung genossen habe und daß sie infolgedessen im Tanzen, in der Geographie, im Zeichnen, im Sticken und im Klavierspielen bewandert sei. Das war die Höhe!
Also deshalb, sagte sie sich, strahlt er immer so, wenn er zu ihr fährt! Deshalb zieht er immer die neue Weste an, auch auf die Gefahr hin, daß der Regen sie ihm ruiniert! Ah, diese Person! Diese Person!
Und sie haßte sie instinktiv. Anfangs machte sie sich durch Anspielungen Luft, die Charles nicht verstand, dann durch allerlei streitsüchtige Betrachtungen, auf die er sich nicht einließ, um nicht ein Gewitter heraufzubeschwören, und schließlich durch ganz unverblümte Vorwürfe, auf die er nicht zu antworten wußte.
Woher kam es denn, daß er immer noch nach Bertaux fuhr, obgleich Herr Rouault längst geheilt war und diese Leute immer noch nicht bezahlt hatten? Doch wohl nur daher, weil dort jemand war, eine Person, die hübsch zu schwatzen verstand und sich gebildet aufspielte, eine Schöngeistige! Das war ja wohl so nach seinem Geschmack, das brauchte er ja wohl: ein Stadtdämchen! „Hach!“ höhnte sie geringschätzig. „Die Tochter des alten Rouault! Die, und eine feine Dame! Ihr Großvater war Schäfer, und ein Vetter von ihr ist beinah mal vors Schwurgericht gekommen, weil er bei einem Krakeel das Messer gezogen hat! Die hat es gerade nötig, so viel Trara zu machen und sonntags in der Kirche im seidenen Kleid daherzukommen wie eine Gräfin! Der gute Rouault! Als ob nicht jeder wüßte, daß er ohne die gute Rapsernte im vorigen Jahr nicht ein und aus gewußt hätte vor Schulden!“
Um des lieben Friedens willen stellte Charles schließlich seine Besuche in Bertaux ein. In einem großen Liebesausbruch hatte ihn Héloïse unter vielen Tränen und Küssen auf das Meßbuch schwören lassen, daß er nie mehr dort hingehen werde. Er gehorchte auch, aber sein Herz empörte sich gegen seine eigene Fügsamkeit, und in einer Art Bauernschläue legte er es sich so aus, daß dieses Verbot, Fräulein Rouault wiederzusehen, ihm nunmehr ein Recht gebe, sie zu lieben. Und seine Witwe war so mager und hatte so lange Zähne. Sie trug Sommer wie Winter ein kleines schwarzes Halstuch, dessen Enden ihr beständig hinten zwischen den Schulterblättern herumbaumelten. Ihre knochige Gestalt war immer in zu enge, futteralartige Kleider gezwängt, die so kurz waren, daß darunter ihre Knöchel mit den auf den grauen Strümpfen gekreuzten Bändern der großen Schuhe hervorschauten.
Von Zeit zu Zeit kam Charles’ Mutter zu Besuch, aber der Schwiegertochter gelang es immer schon nach wenigen Tagen, sie auf ihre Seite zu bringen, und dann hackten sie beide mit ihren Vorwürfen und Ermahnungen wie zwei Messer auf ihm herum: Wie kann man nur so viel essen! Warum immer gleich jedem ersten besten, der kommt, etwas zu trinken anbieten! Was für ein Eigensinn, kein wollenes Unterzeug zu tragen!
Da geschah es zu Beginn des Frühlings, daß sich der Notar in Ingouville, der das Vermögen der Witwe Dubuc verwaltete, eines schönen Tages bei günstiger Gelegenheit auf und davon machte und unter Mitnahme sämtlicher ihm anvertrauten Gelder über den Ozean entschwand. Nun besaß Héloïse zwar außer einem auf sechstausend Francs geschätzten Schiffsanteil noch ihr Haus in der Rue Saint-François, aber von dieser Herrlichkeit, von der sie einst so viel Aufhebens gemacht hatte, war bis jetzt außer ein paar Möbelstücken und Nippsachen nichts zum Vorschein gekommen. Da mußte Klarheit geschafft werden. Es stellte sich heraus, daß das Haus in Dieppe bis in die Balken von Hypotheken zerfressen war wie von Holzwürmern. Wieviel sie beim Notar hinterlegt hatte, wußte Gott allein, und der Schiffsanteil betrug nicht mehr als tausend Taler. Sie hatte gelogen, die gute Dame!
In seiner Wut zerschlug Vater Bovary einen Stuhl auf den Fliesen und beschuldigte seine Frau, ihren Sohn ins Unglück gestürzt zu haben, indem sie ihn mit so einer Schindmähre verkuppelte, die nicht mal mehr das Futter wert sei. Sie fuhren nach Tostes. Es gab eine Auseinandersetzung und große Szenen. Héloïse warf sich schluchzend in die Arme ihres Gatten und beschwor ihn, sie gegen seine Eltern zu verteidigen. Charles wollte vermitteln, aber da wurden die Alten böse und fuhren ab.
Héloïse konnte den Schlag jedoch nicht überwinden. Acht Tage später, als sie im Hof beim Wäscheaufhängen war, bekam sie einen Blutsturz, und am nächsten Morgen, während Charles ihr gerade den Rücken zuwandte, weil er den Fenstervorhang vorzog, sagte sie: „Ach, mein Gott“, stieß einen Seufzer aus und verlor das Bewußtsein. Sie war tot. Wie sonderbar!
Als auf dem Friedhof alles vorbei war, ging Charles in sein Haus zurück. Unten im Erdgeschoß war niemand. Er stieg in den ersten Stock hinauf und trat ins Zimmer, wo er ihr Kleid noch im Alkoven hängen sah. Dann setzte er sich an den Schreibtisch und blieb, den Kopf in die Hand gestützt, bis in den Abend hinein in schmerzliche Betrachtungen versunken. Sie hatte ihn immerhin geliebt.