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Die Gäste erschienen schon früh in Gefährten aller Art: in Kutschen, Einspännern, zweirädrigen Karren und Kremsern mit Ledervorhängen; und die jungen Leute aus den Nachbardörfern trafen, in Reihen nebeneinander stehend und sich an den Seitenstangen anklammernd, um bei den derben Stößen nicht umzufallen, auf Leiterwagen ein. Manche kamen zehn Meilen weit her, aus Goderville, Normanville und Cany. Sämtliche Verwandten der beiden Familien hatte man eingeladen. Mit Freunden, mit denen man auseinandergekommen war, hatte man sich wieder versöhnt und an Bekannte geschrieben, die man seit langem aus den Augen verloren hatte.

Immer wieder ertönte Peitschengeknall hinter der Hecke; immer wieder tat sich das Gatter auf und ließ ein neues Fuhrwerk ein. Alle galoppierten bis an die erste Stufe der Freitreppe, hielten mit einem Ruck, und die Insassen quollen zu beiden Seiten heraus, rieben sich die Knie, reckten die Arme. Die Damen, in Hauben, trugen Kleider nach städtischer Mode, goldene Uhrketten und Umhänge, deren Zipfel über Kreuz in den Gürtel gesteckt waren, oder kleine farbige Schultertücher, die, im Rücken mit einer Nadel befestigt, den Hals freiließen. Die Knaben waren genauso angezogen wie ihre Väter, und man merkte ihnen an, daß sie sich in ihrem Staat sehr unbehaglich fühlten, und viele von ihnen weihten an diesem Tag ihr erstes Paar Stiefel ein. Neben dem einen oder anderen stand wohl auch stumm und steif ein hochaufgeschossenes vierzehn- oder sechzehnjähriges Mädchen, eine Kusine oder ältere Schwester, mit hochgeröteten Wangen, das Haar von Rosenpomade starrend, im weißen, für diese Gelegenheit verlängerten Kommunionskleid, und war ängstlich darauf bedacht, sich nicht die neuen Handschuhe zu beschmutzen. Da nicht genug Stallknechte zum Ausspannen da waren, krempelten sich die Herren die Ärmel hoch und griffen selber zu. Je nach ihrem Stand waren sie in Leibfräcken, Bratenröcken, Jacken oder Joppen erschienen – hochfeinen Leibfräcken, die von der ganzen Familie mit Ehrfurcht gehegt und nur zu Festzeiten aus dem Schrank geholt wurden; langschößigen Bratenröcken, die im Winde flatterten, mit hohen zylinderförmigen Kragen und mit Taschen, groß wie Säcke; Jacken aus derbem Tuch, zu denen meist Mützen mit kupferbeschlagenen Schirmen gehörten; Joppen mit zwei Knöpfen im Rücken, die dicht beisammenstanden wie ein Paar Augen, und mit ganz kurzen Schößen, die aussahen, wie vom Zimmermann mit der Axt aus einem Stück zurechtgehauen. Einige – und das waren natürlich die, welche dann bei Tisch ganz unten sitzen mußten – trugen nur ihre Sonntagskittel, bei denen der Kragen einfach umgeschlagen, der Rücken in Falten gebügelt war und die Taille durch einen aufgenähten, sehr tief sitzenden Gürtel zusammengehalten wurde.

Wie Kürasse wölbten sich die gestärkten Hemden über den Brüsten! Alles hatte sich die Haare schneiden lassen, so daß die Ohren noch mehr von den Köpfen abstanden, und alle waren sorgfältig rasiert. Nur einige, die schon vor Morgengrauen aufgestanden waren, hatten offenbar nicht genug Licht dazu gehabt, denn sie wiesen große Schmisse unter der Nase oder talergroße Hautabschürfungen am Kinn auf, die sich unterwegs in der frischen Luft noch mehr gerötet hatten, so daß die feisten, vergnügten Gesichter ganz scheckig aussahen.

Da das Gemeindeamt nur eine halbe Stunde vom Höf entfernt lag, begab man sich zu Fuß dorthin und kehrte, als die Feierlichkeit in der Kirche vorüber war, auch zu Fuß wieder zurück. Der Hochzeitszug, der sich zuerst wie ein buntes Band den schmalen Pfad entlang durch die grünen Saatfelder geschlängelt hatte, lockerte sich bald und zerfiel in verschiedene Gruppen, die des öfteren stehenblieben und plauderten. Allen voran schritt der Spielmann mit seiner buntbebänderten Fiedel. Dann kamen das junge Paar, die Eltern und Verwandten und schließlich die anderen Gäste, wie es sich gerade traf. Die Kinder blieben weit hinten und belustigten sich damit, die Glöckchen von den Haferähren abzureißen oder sonst allerlei Unfug zu treiben, froh, daß sich niemand um sie kümmerte. Emmas Kleid, das zu lang geraten war, schleppte ein wenig nach. Von Zeit zu Zeit blieb sie stehen, um es aufzuraffen und behutsam mit ihren behandschuhten Händen die Rauhgräser und Distelhäkchen abzuzupfen, und Charles stand mit leeren Händen dabei und wartete, bis sie fertig war. Vater Rouault im neuen Zylinder und Frack, dessen Ärmelaufschläge ihm bis an die Fingernägel reichten, führte die alte Frau Bovary. Herr Bovary senior, der im Grunde seines Herzens die ganze Gesellschaft verachtete und nur in einem einreihigen Überrock von militärischem Schnitt erschienen war, schäkerte anzüglich mit einer jungen blonden Bäuerin, die ihm artig zuhörte, errötete und nicht wußte, wie sie ihm antworten sollte. Die übrigen Gäste sprachen von ihren Geschäften oder ulkten einander an, um sich schon im voraus in Stimmung zu bringen. Zu alledem vernahm man, wenn man hinhörte, immer das Gefiedel des Spielmanns, der auch hier im Freien unaufhörlich spielte. Wenn er merkte, daß die Gesellschaft hinter ihm zurückblieb, blieb er stehen, verschnaufte, rieb umständlich seinen Bogen mit Kolophonium ein, damit die Saiten besser quietschten, und marschierte dann wieder weiter, hob und senkte den Hals seiner Fiedel, um sich selbst den Takt anzugeben. Vor dem Lärm, den er erzeugte, flohen die kleinen Singvögel schon von ferne.

Unter dem Schutzdach des Wagenschuppens war die Tafel gedeckt. Vier Lendenbraten prangten darauf, sechs Schüsseln mit Hühnerfrikassee, eine Platte mit Kalbfleisch, drei Hammelkeulen und in der Mitte, umgeben von vier in Sauerampfer gekochten Leberwürsten, ein allerliebstes, knusprig gebratenes Spanferkel. An den Tischecken, standen Karaffen mit Branntwein und Flaschen mit süßem Apfelwein, der seinen dicken Schaum schon an den Korken heraustrieb, und auf der Tafel waren sämtliche Gläser im voraus bis an den Rand mit Wein vollgeschenkt. Große Schalen mit gelber Süßspeise, die bei der geringsten Erschütterung des Tisches erbebte, zeigten in verschnörkeltem Zuckerguß die Anfangsbuchstaben der Neuvermählten. Für die Torten und Kuchen hatte man eigens einen Konditor aus Yvetot kommen lassen. Der war erst jüngst in die Gegend gezogen und hatte sich daher besondere Mühe gegeben. Beim Nachtisch trug er eigenhändig ein Prunkstück seiner Kunst auf, das allgemein Bewunderungsrufe erweckte. Der Unterbau aus blauer Pappe stellte einen Tempel dar, mit einem Säulengang und kleinen, mit Goldpapiersternen geschmückten Nischen, in denen zierliche Statuetten aus Tragant thronten. Darüber erhob sich ein Wartturm aus Biskuit, umbaut von winzigen Brustwehren aus Bonbons, Mandeln, Rosinen und Apfelsinenscheiben; und die oberste Plattform endlich, die eine grüne Wiese darstellte, mit Felsen und Teichen aus Zuckerguß und Schiffchen aus Haselnußschalen, war gekrönt von einem kleinen Amor auf einer Schokoladenschaukel, deren Pfosten oben als Knaufe zwei natürliche Rosenknospen trugen.

Man tafelte bis zum Abend. Wer des Sitzens müde geworden war, ging im Hof spazieren oder spielte in der Scheune eine Partie Bouchon und setzte sich schließlich wieder an den Tisch. Gegen Ende der Mahlzeit schliefen manche ein und begannen zu schnarchen. Aber beim Kaffee wurde alles wieder munter. Nun wurden Lieder gesungen und allerlei Kraftproben veranstaltet; man stemmte Gewichte, schoß Purzelbaum, versuchte einen Wagen mit den Schultern zu heben, riß derbe Witze und küßte die Damen. Beim Aufbruch hatte man Mühe, die Pferde anzuschirren, die sich bis an die Nüstern voll Hafer gefressen hatten. Sie bockten und schlugen aus; das Geschirr fiel herunter, und die Besitzer fluchten oder lachten. Die ganze Nacht hindurch rasten im Mondschein Fuhrwerke im Galopp die Landstraße entlang, holperten über Abzugsgräben und Meilensteine, verhedderten sich an den Hecken, und die Frauen beugten sich ängstlich zu den Wagentüren hinaus, um nach den Zügeln zu greifen. Wer in Bertaux blieb, zechte die Nacht über in der Küche weiter, während die Kinder unter den Bänken lagen und schliefen.

Die junge Frau hatte ihren Vater inständig gebeten, sie vor den landesüblichen Brautriachtspäßen zu bewahren. Trotzdem versuchte einer der Vettern, ein Seefischhändler, der als Hochzeitsgeschenk ein Paar Seezungen gestiftet hatte, einen Mund voll Wasser durchs Schlüsselloch zu pusten, und Vater Rouault kam gerade noch rechtzeitig dazu, um ihn daran zu hindern und ihm begreiflich zu machen, daß sich derartige Scherze mit der Würde seines Schwiegersohnes nicht vertrügen. Nur widerwillig ließ der Vetter von seinem Vorhaben ab. Im stillen schalt er den alten Rouault einen Dünkelhans und setzte sich in einer Ecke mit ein paar anderen Unzufriedenen zusammen, die zufällig bei Tisch nicht gerade die besten Fleischstücke erwischt hatten und nun über die schlechte Bewirtung tuschelten und dem Gastgeber heimlich den Bankerott an den Hals wünschten.

Die alte Frau Bovary hatte den ganzen Tag über mit verkniffenem Mund dagesessen und keinen Ton geredet. Man hatte sie weder bei der Besorgung der Aussteuer ihrer Schwiegertochter noch bei den Vorbereitungen zur Hochzeitsfeier um Rat gefragt. Sie zog sich bald zurück. Ihr Gatte ließ sich Zigarren holen, anstatt mit ihr zu gehen, qualmte bis zum Morgengrauen und trank dazu unausgesetzt Grog mit Kirschwasser, eine Mischung, die der übrigen Gesellschaft unbekannt war, was sein Überlegenheitsgefühl noch steigerte.

Charles war keineswegs ein guter Gesellschafter und hatte während der ganzen Hochzeit keine glänzende Rolle gespielt. Gegen all die Späße, Zweideutigkeiten und Anulkungen, mit denen er der Sitte gemäß schon von der Suppe an bombardiert worden war, hatte er sich wenig schlagfertig gezeigt.

Am anderen Morgen jedoch war er wie ausgewechselt. Fast hätte man glauben können, er sei es, der über Nacht die Jungfernschaft verloren habe, während der jungen Frau nicht die geringste Veränderung anzumerken war. Selbst die kecksten Witzbolde fanden nichts an ihr, was zu irgendeiner Hänselei Anlaß geboten hätte, obwohl sie sie wie mit Argusaugen beobachteten, sooft sie in ihre Nähe kam. Charles trug sein verändertes Wesen ganz unverhohlen zur Schau. Er nannte sie „mein Frauchen“, duzte sie, fragte jeden nach ihr, lief ihr überallhin nach und zog sie des öfteren abseits auf den Hof hinaus, wo man ihn dann von weitem unter den Bäumen mit ihr auf und ab gehen sah, den Arm um ihre Hüften gelegt, halb über sie gebeugt und von Zeit zu Zeit den Kopf an ihre Brust pressend, so daß er ihr das Busentuch ganz zerknüllte.

Zwei Tage nach der Hochzeit fuhren die Neuvermählten ab. Charles konnte seiner Patienten wegen nicht länger bleiben. Vater Rouault ließ sie in seinem Jagdwägelchen heimbringen und gab ihnen bis Vassonville selber das Geleit. Dort umarmte er seine Tochter noch einmal, stieg dann ab und machte sich zu Fuß auf den Rückweg. Als er etwa hundert Schritt gegangen war, blieb er stehen, schaute sich noch einmal nach dem Wagen um, der die staubige Straße dahinrollte, und seufzte tief auf. Er dachte an seine eigene, Hochzeit, sein Leben damals und die erste Schwangerschaft seiner Frau. Auch er war überglücklich gewesen an dem Tage, da er sie aus ihrem Vaterhaus in das seine geführt hatte; sie hatte hinter ihm im Sattel gesessen, als er so über den Schnee ritt, denn es war um Weihnachten, und das ganze Land war weiß. Mit dem einen Arm hielt sie sich an ihm fest, am anderen hing ihr Korb. Der Wind spielte mit den langen Spitzen ihres normannischen Kopfputzes und wehte sie ihr manchmal vor den Mund, und wenn er den Kopf wandte, sah er ganz nah über seine Schulter hinweg ihr rosiges Gesichtchen, das unter der Goldborte ihrer Haube still vor sich hin lächelte. Wenn sie an den Fingern fror, steckte sie ihre Hände für eine Weile vorn in seine Jacke, ganz nahe an seine Brust. Wie lange war das nun schon alles her! Ihr Sohn wäre jetzt schon dreißig Jahre!

Als er sich abermals umblickte, war nichts mehr auf der Straße zu sehen. Er kam sich so traurig vor wie ein verödetes Haus. Die wehmütigen Erinnerungen mischten sich mit den düsteren Gedanken seines vom vielen Essen und Trinken noch dumpfen Hirns, und für einen Augenblick verspürte er nicht übel Lust, einen Umweg über den Kirchhof zu machen; aber dann fürchtete er wieder, daß ihn das noch trauriger stimmen könne, und ging geradenwegs heim.

Charles und Emma trafen gegen sechs Uhr in Tostes ein. Die Nachbarn stürzten an die Fenster, um die neue Frau Doktor zu sehen.

Die alte Magd empfing die Herrschaften, brachte ihren Glückwunsch dar, entschuldigte sich, daß das Essen noch nicht ganz fertig sei, und bat die gnädige Frau, unterdessen ihr neues Heim in Augenschein zu nehmen.

Madame Bovary

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