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Teil I – Der Aufstand Ein Händler aus dem Gau von Senongano

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Im Winter des siebten Regierungsjahres1 des Frankenkönigs Chlothar II bewegte sich eine kleine Karawane von etwa 40 Männern auf ein Gehöft zu, das im Gau von Senonago lag.

Viele Jahre später sollte diese Stadt einmal den wohlklingenden Namen „Sens“ tragen, aber das wusste zu diesem Zeitpunkt noch niemand.

Der Anführer der Karawane wurde von allen Leuten nur Samo gerufen und war ein kräftiger junger Mann von 25 Jahren. Seit etwa zwei Jahren war er mit Adelgunde verheiratet, die 20 Winter zählte und mit der er einen knapp einjährigen Sohn, namens Ingvar hatte.

Zuletzt hatte er die beiden im Frühling gesehen, als er sich auf den Weg nach Byzanz machte, um dort feinste Tuche zu erwerben. Denn mit dem Handel bester Weine und Tuche verdiente er seinen Lebensunterhalt. Der eigentliche Name Samos war Samson, aber nur seine Frau nannte ihn bei diesem Namen.

Da er dem Bischof von Paris die Steuern schuldete, hatte die Karawane einen Umweg dorthin gemacht und der ehrwürdige Bischof hatte ihm huldvollerweise bestätigt, dass Samo seine Steuern für die nächsten vier Jahre abgegolten hatte. Für fünf Ballen feinsten Leinens und einem Ballen feinster Seide hatte man das auch erwarten können. Zusätzlich hatten die Männer noch fünf Wegelagerer bei dem ehrwürdigen Herrn vorgeführt, die es mit ihrer Bande von etwa 50 Dieben gewagt hatten die Karawane des Samo anzugreifen.

Der Angriff konnte dank der hervorragenden Bewaffnung von Samos Leuten abgewehrt und die meisten Angreifer erschlagen werden, während nur zwei von Samos Männern kleinere Wunden davon getragen hatten. Die Wertsachen der Wegelagerer wurden ihnen abgenommen und ihre Leichen am Wegesrand liegen gelassen – als Warnung für diejenigen, die ähnliches vorhatten.

Samo sehnte sich danach seine Familie wiederzusehen, er war eigentlich viel zu selten zu Hause und hätte gern wesentlich mehr Zeit mit seiner Frau und dem kleinen Ingvar verbracht.

Den meisten seiner etwa 40 Begleiter, die mit ihrer vortrefflichen Bewaffnung und den kräftigen Pferden – bei schönem Wetter – ein wunderbares Bild abgaben, mochte es ähnlich ergehen. Sie alle stammten aus dem Senonganer Gau.

Kurz vor den ersten Schneefällen hatten sie die Alpen überquert, das Land Burgund erreicht und konnten sich nun nach Orleans wenden. Zum Fest des heiligen Lazarus hatten sie diese Stadt erreicht.

Jetzt – es waren noch zwei Tage zur Wintersonnenwende, also dem Fest der Heiligen Lucia – fiel der Schnee in solchen Mengen, dass sie nur noch beschwerlich vorwärts kamen und sich in ihre dicken Mäntel hüllen mussten.

Alles in allem sah dieser Zug – bei diesem Wetter – nicht danach aus, dass mit ihm die erlesensten Stoffe transportiert wurden, die Neustrien und Burgund in der nächsten Zeit zu sehen bekommen würden. Was aber kein Problem darstellte, denn die Reisenden wollten in erster Linie gesund zu Hause ankommen.

Samo hing seinen Gedanken nach, bald würde er seine schöne Frau wieder in den Armen halten können, sie würden sich lieben und eine Menge zu erzählen haben, als ihn Benno – der als Kundschafter voraus geritten war – unwirsch aus seinen Gedanken riss:

„Alarm – ein Überfall – der Hof von Samo steht in Flammen!“

Samo war sofort hellwach. „Zwanzig Mann mir nach, der Rest bleibt bei den Wagen!“

Dann rammte er seinem Pferd die Fersen in die Flanken.

Samo und die vorderen zwanzig Mann folgten Benno in vollem Galopp zu dem Handelshof und sahen das schreckliche Unglück, das die Flammen dort bereits angerichtet hatten. Einige Bauern aus den umliegenden Gehöften waren dabei das Feuer zu löschen und Samos Männer machten sich sofort daran ihnen zu helfen.

Von den Angreifern fehlte jede Spur.

Samo selbst rannte ins Innere des Hofes, aber ein alter Mann – den er zunächst gar nicht erkannte – hielt ihn davon ab.

„Nein Samo, schau dir nicht an, was diese Goten angerichtet haben.“

„Welche Goten? – Hier? – Weshalb?“

„Adelgunde ist erschlagen und Ingvar – er war doch noch ein Kind…“

Jetzt erst erkannte Samo, seinen Schwiegervater Sigubert der vor ihm zusammengebrochen war.

Jedoch wollte er sich selbst ansehen, was dem Vater seiner Liebsten nicht über die Lippen kommen wollte.

Als Samo im Inneren des Hofes angekommen war, sah er, dass das Fenster des Gemaches, das er sich mit Adelgunde teilte, offen war. Das war ungewöhnlich, da normalerweise die Läden der Fenster während der gesamten kalten Jahreszeit fest verschlossen waren.

Er ging also auf dieses Fenster zu und strauchelte, nur durch einen schnellen Schritt zur Seite konnte er einen Sturz verhindern. Als Samo sah worüber er fast gefallen war, stockte ihm der Atem.

Zu seinen Füßen sah er den geschundenen Körper seines kleinen Sohnes liegen. Das Gesicht Ingvars lag im Dreck, neben seinem Gesicht war der Schnee mit Blut bedeckt, sein linker Arm lugte unter dem Kopf hervor, während der rechte Arm nach hinten verdreht war. Die Beine Ingvars lagen ebenfalls unnatürlich auf dem Boden.

Erst nach einem kurzen Moment, war es Samo möglich sich zu Ingvar zu beugen und dessen, weit aufgerissenen Augen, zu schließen. Ein lauter Schrei drang aus seinem Mund, als er den kleinen Körper berührte.

„Was ist geschehen? Wo ist meine Frau?“ drang es ihm durch den Kopf.

Samo bettete den toten Körper seines Sohnes in eine würdigere Position und betrat – auf das Schlimmste gefasst – das Haus, in dem völlige Dunkelheit herrschte.

Zu seinem Glück kannte er sich hier blind aus, so dass er ohne weitere Zwischenfälle in das Gemach gelangte, dessen Fensterläden weit offen standen.

Durch das hereinfallende, düstere Licht sah er seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt:

Adelgunde lag mit zerrissenem Gewand auf dem Bett, das er vor drei Jahren mit eigenen Händen gebaut hatte. Ihre sonst so lebendigen, wunderschönen braunen Augen, die er immer als den Spiegel ihrer Seele bezeichnet hatte, starrten nun leblos die Decke an. Adelgundes schlanke, aber kraftvolle Beine, die Samo so gern an seinem Körper gespürt hatte, lagen gespreizt und leblos auf dem Bett.

Aus ihrem Hals, den Samo so gern mit seinen Küssen bedeckt hatte, lief in einem kleinen Rinnsal Blut heraus, nachdem ihr die Kehle durchtrennt worden war. Ringsum hatte sich eine große Blutlache ergossen.

Samo brüllte seine Wut und seinen Hass auf denjenigen hinaus, der dieses Verbrechen begangen hatte und sein Brüllen ließ die Wände seines Hauses erzittern.

Als nach einiger Zeit seine Wut nachließ und er wieder klarer bei Verstand war, legte er die Beine seiner schönen Frau parallel zueinander, faltete ihre Hände vor der Brust in christlicher Weise und ordnete ihr Gewand so, dass keine Blöße ihres geschundenen Körpers zu sehen war. Dann wickelte er seine Frau in ihren Mantel ein, damit sie nicht frieren würde und bedeckte ihr Gesicht mit einem Leinentuch, das er der Wiege Ingvars entnahm, nachdem er sie auf die Stirn geküsst und eine Locke ihres Haares abgeschnitten hatte.

Anschließend ging er nach draußen und bettete den kleinen Ingvar neben seine Mutter, nachdem er auch dessen toten Körper anständig bekleidet und auch ihm eine Locke abgeschnitten hatte.

Dann bedeckte er das gesamte Bett mit einem Laken aus groben Stoff.

Die abgeschnittenen Haare füllte er in ein kleines Säckchen, das er immer bei sich tragen würde, als Erinnerung an seine ermordete Familie.

Keine Träne rann über Samos Wangen, als er sein Haus verließ – weinen konnte er nicht mehr und von nun an bestimmte nur noch Hass auf den Mörder sein Handeln.

+++

Der Brand des Warenlagers war schnell gelöscht worden, so dass das Feuer nicht allzu großen Schaden hatte anrichten können. Die meisten Waren und Vorräte blieben erhalten, die teureren Weine und Stoffe jedoch fehlten und waren auch nicht dem Feuer zum Opfer gefallen.

Die Kämpfer Samos, die bei den Wagen zurückgeblieben waren, kamen nun mit diesen im Dorf an und sahen eine Menschentraube, die sich um Sigubert – Samos Schwiegervater – gebildet hatte.

Alle wollten wissen was geschehen war. Was Sigubert aber zu berichten hatte, brachte ihr Blut zum Kochen.

Um die Mittagszeit war ein Trupp Goten gekommen, die behaupteten der Bischof von Paris, Céraune habe sie geschickt, die ausstehenden Steuern einzutreiben.

Adelgunde verwies darauf, dass sie Nachricht von ihrem Mann habe, dass er mit mehreren Wagenladungen wertvollsten Tuches in Paris sei, um die Steuern zu bezahlen und dass er voraussichtlich heute ankommen müsste.

Alberich, den Anführer der Goten interessierte das jedoch nicht. Er wies seine Männer an die wertvolleren Gegenstände aus dem Warenhaus zu räumen und es dann anzuzünden, packte Adelgunde an ihren Haaren und zerrte sie ins Haus.

Da die Goten schwer bewaffnet waren und alle Zugänge zu Haus und Hof abriegelten, konnten die Dorfbewohner nur ahnen was nun geschah.

Kurz darauf hörten sie, wie der kleine Ingvar anfing zu schreien, Alberich fluchte und nach einem Geräusch, das an krachendes Holz erinnerte, hörte man kein Kind mehr schreien. Nur noch Adelgunde...

Samo unterbrach mit dumpfer und hasserfüllter Stimme seinen Schwiegervater: „Ingvar lag mit zerbrochenen Gliedern vor dem Fenster. Adelgunde habe ich drinnen gefunden.“

Er wandte sich ab und holte tief Luft, bevor er Sigubert mit ruhigerer Stimme fragte:

„Der Bischof habe sie geschickt, sagten sie?“

Samos Stimme war anzuhören, dass ihr Besitzer mit sich selbst kämpfte.

Siguberts leises, ersticktes „Ja.“ war kaum zu hören.

Samos Züge erstarrten zu Stein, bevor er sich abwandte und sich daran machte vor seinem Haus ein Grab auszuheben.

Benno und Sigubert wollten ihm helfen, aber er lehnte ihre Hilfe ab.

Da der Boden gefroren war, brauchte er für diese Tätigkeit die ganze Nacht und als der Morgen graute, sah man ihn, wie er seine Familie würdig in das frische Grab legte und es wieder mit Erde bedeckte. Ein einfaches Kreuz aus zwei Latten wurde an das Kopfende gesetzt, zum Gedenken an diejenigen, die hier zu finden waren.

Samo dachte in einem kurzen Moment der Ruhe daran, wie er seinen Sohn zuletzt getragen und seine Frau zuletzt geliebt hatte. Er machte sich Vorwürfe, dass er für seine Reise so lange gebraucht hatte und seine Familie nicht hatte beschützen können.

Aber statt in eine hilflose Starre zu verfallen, warf er sich den dicken, dunklen Mantel über die Schultern, bestieg sein Pferd und verließ das Dorf, ohne sich nochmals umzudrehen.

Derjenige, der dieses Verbrechen zu verantworten hatte, würde sich wünschen, nie geboren worden zu sein.

+++

Céraune, der Erzbischof von Paris, hatte am Morgen nach der längsten Nacht des Jahres, die er betend und fastend in der Kirche verbracht hatte, die Messe gelesen und spazierte in seine Audienzhalle, da es jedem guten Christen der Frankenreiche Neustrien und Burgund an diesem Tage gestattet war, seine Anliegen dem erlauchten Erzbischof direkt vorzutragen, damit dieser sich beim König für die jeweiligen Anliegen einsetzen konnte. Wahrscheinlich ging es – wie meistens – um irgendwelche Nachbarschaftsstreitigkeiten, denen der König wenig Aufmerksamkeit zumessen wollte. Hatte er mit seinen Nachbarn und seinem Adel doch genügend Probleme.

Aber dem Bischof waren die kleinen Sorgen der Leute ein Anliegen und ab und zu hatte er sich auch für die einfacheren Leute einsetzen können.

So war an diesem Tag, nach dem Lichterfest der Heiligen Lucia – wie meistens – der Audienzsaal gut gefüllt.

Er nahm an der Stirnseite Platz und sein Seneschall2 rief die Anwesenden auf, ihre Anliegen nun vorzutragen.

Die ersten beiden Fälle waren kleine Familienstreitigkeiten, die damit gelöst werden konnten, dass sich beide Parteien im Beisein eines Mönches, der als Schlichter fungierte, zusammensetzten und miteinander das Problem aus der Welt schafften – das ging dem König beileibe nichts an.

Dann trat jedoch ein Mann im langen Mantel und mit tief in die Stirn gezogener Gugel vor, der Folgendes sagte:

„Schweres Leid wurde mir in Eurem Namen zugefügt und ich verlange Gerechtigkeit!“

„Was ist Euch geschehen?“

„Goten, die in Euren Diensten stehen, haben mein Weib und Kind erschlagen, mein Haus angezündet und Teile meiner Waren gestohlen.“

Ein Raunen ging durch die Menge.

„Wer seid Ihr, dass Ihr eine derartige Behauptung aufstellt?“ war der Seneschall zu hören. Und die Gesellschaft merkte, dass er sich zurückhalten musste, um nicht auf den Ankläger ein zu prügeln.

Aber der Angesprochene war noch nicht fertig, wurde lauter und schritt auf den Bischof zu.

„Das ist ein Dokument aus Eurer Hand – gerade mal fünf Tage alt – in dem Ihr mir bestätigt, dass meine Steuern für die nächsten vier Jahre beglichen wären.“

Da der Kläger nur noch wenige Schritte vom Bischof entfernt war, wollte ihn ein Wächter zurückdrängen, bekam aber einen solchen Hieb, dass er rückwärts zu Boden fiel und regungslos liegen blieb.

„Ihr wollt wissen wer ich bin?“ wandte er sich an den Seneschall. „Ich bin Samson, genannt Samo und Euer Domus hat mir vor fünf Tagen diese Urkunde ausgestellt.“

Mit diesen Worten zog Samo die Kapuze der Gugel zurück, hielt den Seneschall am Kinn fest und schob ihn gegen die Wand, so dass seine Füße in der Luft schwebten, während er ihm die Urkunde zeigte.

Und zum Bischof gewandt, während sein gesamter Körper nach Vergeltung schrie:

„Haltet Ihr immer so Euer Wort? Als ich vorgestern nach Hause kam, fand ich meinen Hof brennend vor, meiner Frau wurde Gewalt angetan, bevor sie ermordet worden war und mein Sohn lag in seinem Blut vor meiner Haustüre – er hat noch nicht mal richtig laufen können! Mein Schwiegervater erzählte mir, dass der Gote Alberich – der wie ich weiß, in Euren Diensten steht – diese Freveltat begangen hat, weil ich meine Steuern nicht bezahlt hätte! - Nun will ich seinen Kopf! Gebt Ihr ihn mir oder soll ich ihn mir selbst holen?“

Sprach’s und ließ den Seneschall los, der zu Boden sackte und nach Atem rang.

Der Bischof stand gegen Samo auf und erklärte:

„Es tut mir leid, was Euch widerfahren ist, aber glaubt mir, Alberich handelte nicht in meinem Auftrag – im Gegenteil.

Ich habe ihn zum Fest des Heiligen Nikolaus aus meinen Diensten entlassen und er schwor, dass er sich rächen würde. Kurz darauf erschlug er meinen Schwager und dessen Familie und plünderte dessen gesamten Besitz!

Nun hat er das auch bei Euch gemacht, da ich Euch freundschaftlich verbunden bin.“

„Das will ich meinen nach der Menge an Tuchen, die ich Euch kostenlos übergeben habe.“

Samos Zornesader pulsierte und verlangte nach Blut:

„Wo finde ich ihn?“ knurrte er.

„Das weiß ich nicht“, dem Bischof schwankte der Boden unter den Füßen und er sank auf die Knie, als wollte er dem Hass ausweichen, der ihm von Samo entgegen schlug; „ich habe keine Nachricht mehr von ihm. Sobald ich etwas höre, werde ich Euch benachrichtigen.“

Die letzten Worte rief er Samo noch hinterher, aber dieser verließ unwirsch, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, den Saal.

Samo würde von nun an sein gesamtes, beträchtliches Vermögen einsetzen, um den Mörder seiner Familie zu stellen und zu töten.

+++

Laurin betrieb eine kleine Schenke mit Herberge an der Grenze zwischen Austrien und Neustrien, an der Straße, die von Paris nach Reims führte. Es war Winter und die Regierung von König Chlothar II ging ins neunte Jahr. Es waren also etwas mehr als zwei Jahre seit dem Tod von Adelgunde und Ingvar vergangen.

In seiner Schenke bekam Laurin allerlei mit, weil auf diesem Handelsweg sehr viele Leute vorbei kamen, aber in letzter Zeit nahm die Anzahl an zwielichtigen Persönlichkeiten wieder zu. Und es wurde gemunkelt, dass es bald wieder Krieg geben würde. Vielleicht diesmal zwischen König Chlothar und seinem Sohn Dagobert.

Warum mussten sich diese Merowinger auch immer über die Thronfolge uneinig sein, insbesondere, wann diese stattzufinden hatte? Ehrliche Leute konnten dabei nie in Ruhe ihren eigenen Geschäften nachgehen.

„Da hinten sitzt auch wieder so eine zwielichtige Gestalt.“ Dachte er sich, aber der Kerl bezahlte bisher seinen Wein, hüllte sich in seinen dunklen Mantel und hatte die Gugel tief ins Gesicht gezogen. Anhand seiner Kleidung konnte man zwar vermuten, dass er ein Krieger war – auf der Rückseite zu schließende Stiefel, die in einem paar langen, ledernen Hosen steckten und eine halblange Tunika, die zum größten Teil von einem dicken Wollfilzmantel verdeckt wurde. Laurin hatte auch so etwas wie einen Schuppenpanzer3 darunter hervor blitzen sehen.

Gesprochen hatte der Fremde bisher nur das Nötigste.

„Von mir aus kann das auch so bleiben.“ Dachte Laurin weiter, wohl wissend, dass das nicht so bleiben würde. Denn in dem Moment flog die Türe auf und vier Goten marschierten herein, setzten sich grußlos an den mittleren Tisch und bestellten den besten Wein.

„Das gibt bestimmt wieder Ärger“ raunte ihm Ludmilla zu. Sie war aus Karantanien4 hierher verschleppt worden und Laurin hatte sie von einem Sklavenhändler günstig erworben. Mittlerweile war sie aber seine rechte und linke Hand gleichzeitig und er behandelte und liebte sie im Grunde wie seine Ehefrau – die er nie gehabt hatte.

„Der Kerl da hinten macht mir auch Kummer“, meinte er „sitzt da, trinkt seinen Wein und lässt sich sonst nichts anmerken.“

„Aber er zahlt und gibt noch Trinkgeld dazu“, widersprach Ludmilla „von mir aus könnten alle Gäste so sein.“

Nahm den Krug mit Wein und stellte ihn den Goten, mit dem nettesten Lächeln zu dem sie imstande war, auf den Tisch.

Die meisten Goten, die in diesem Gebiet unterwegs waren, ließen sich als Söldner mal von neustrischer, mal von austrischer Seite anwerben, je nachdem, wer besser bezahlte. Blieben sonst aber unter sich. Sofern sie nicht in Lohn und Brot bei einem Kriegsherrn oder „major domus“ standen, lebten sie von Überfällen auf schlecht ausgerüstete Reisende.

Diese vier Exemplare waren in der Beziehung nicht anders, wobei einer davon ein ziemliches Großmaul zu sein schien und immer unglaublichere Geschichten erzählte. Gekleidet waren alle drei, der Jahreszeit entsprechend, in Fellkleidung, Schuppenpanzer und einem langen Mantel darüber.

Ihre rohledernen Sturmhauben hatten sie gleich am Anfang auf den Tisch krachen lassen.

Als das Großmaul anfing zu erzählen, dass er vor etwas mehr als zwei Jahren beim Bischof von Paris gedient hatte, setzte sich der Kerl in der hinteren Ecke etwas um, scheinbar wollte er genauer hören, was dieser Mensch da von sich gab.

Er winkte Ludmilla zu sich her und raunte ihr zu:

„Wenn Dir und Deinem Herrn Euer Leben lieb ist, haltet Euch bei dem was jetzt kommt vom Tisch der Goten, den Türen und dem Fenster fern!“

„Ich hab's doch geahnt“, sagte sich Laurin, nachdem Ludmilla ihm die Warnung des Fremden überbracht hatte und ging hinter dem Tresen in Deckung, wo er zu seinem eigenen Schutz ein altes Spatha5 versteckt hatte.

Ludmilla blieb ebenfalls in der Reichweite des Tresens, nachdem außer dem Fremden und den Goten nur zwei einheimische Bauern in der Schenke waren, war das kein Problem.

Als das Großmaul gerade lauthals erzählte, dass er, nach seinem Dienst beim Bischof von Paris den Hof eines Tuch- und Weinhändlers geplündert und dabei „mehrere bestens bewaffnete Krieger“ zu ihren Vätern gesandt hatte, erhob sich der schweigsame Fremde, ruhig aber kraftvoll.

Er umrundete den Tisch und stellte sich genau gegenüber von dem Großmaul auf.

Ruhig fixierte er ihn, bis dieser ihn anblaffte:

„Willst’ was von mir?“

„Möglich. Kann es sein, dass du Alberich heißt und vor etwas mehr als zwei Jahren im Dienst des Bischofs Céraune von Paris gestanden hast?“

Der Fremde stand dabei mit seiner vollen Körpermasse dem Goten gegenüber.

„Ja, aber was geht’s Dich an? Hab’ ich doch gerade erzählt!“

„Der Hof, von dem Du gerade erzählt hast“, antwortete ihm der Fremde mit einer Ruhe, dass es dem Beobachter einen Schauer über den Rücken jagte.

„Lag der Hof im Gau von Senonago?“

„Ja.“ Kam jetzt zögerlicher zurück.

„Wie viele schwerbewaffnete Gegner hattest Du da gleich noch mal?“

„Weiß nicht mehr. Drei, vier?“

„War es nicht nur einfach ein kleines Kind, das noch nicht mal richtig laufen konnte und eine junge Frau? Das Kind hast Du zum Fenster hinausgeworfen, der Frau Gewalt angetan und sie dann umgebracht!“ dabei war der Fremde ziemlich laut geworden, so dass in der Schenke jetzt endgültig alle Augen auf den Tisch in der Mitte gerichtet waren.

Der Gote stand auf.

„Wenn Du schon alles so genau weißt, warum fragst Du dann noch?“ knurrte er und die Kampfeslust brachte die Luft zwischen den Streitenden zu flimmern.

„Ich wollte nur sichergehen, dass ich den Richtigen vor mir habe. Und jetzt schlage ich vor, Du folgst mir nach draußen. Oder soll ich Dich gleich hier festnehmen und hinter meinem Pferd her schleifen?“

„Und weshalb sollte ich Dir wohl folgen wollen?“

„Du könntest Dich Deiner gerechten Strafe stellen! Es war mein Kind und meine Frau, die Du getötet hast – und zwar vollkommen grundlos. Oder kämpfst Du nur gegen Leute, die sich nicht wehren können?“

Dabei ließ der Fremde seinen Mantel fallen und schob die Kapuze seiner Gugel zurück unter der die langen blonden Haare hervor drangen. In seiner Hand lag eine schwere Streitaxt und seinen Oberkörper bedeckte ein stabiler Schuppenpanzer.

Aber in seinen Augen brannte nun der schlimmste Hass, den sich die Goten vorstellen konnten.

„Wer bist Du?“ fragte Alberich nur noch.

„Ich bin Samo und jetzt solltest Du mit mir nach draußen gehen.“

Sprach’s und ging am Tisch vorbei zur Türe hin. Als er sie erreicht hatte, schrie Ludmilla auf und er duckte sich instinktiv, so dass der Dolch, den Alberich nach ihm geworfen hatte, im Holz der Türe stecken blieb.

„Also doch ein Feigling!“ murmelte Samo und war mit einem Satz beim Tisch der Goten.

Ein anderer Gote hatte ebenfalls einen Dolch gezogen, aber bevor er ihn gegen Samo richten konnte, lag seine Hand – abgehackt von Samos Streitaxt – an der hinteren Wand.

Die beiden anderen Goten zogen ihre Schwerter und griffen Samo gemeinsam an, doch dieser wich geschickt aus und konnte dem Ersten einen Schlag gegen das Brustbein beibringen, so dass dieser zusammenbrach, Blut ausspieh und mit weit aufgerissenen Augen zu Boden sank.

Nun drang auch Alberich mit seiner Axt auf Samo ein, aber dieser parierte seine Schläge und setzte seinerseits Alberich zu, dass sich dieser in einer Ecke zurückgedrängt sah.

Samo wollte gerade gegen den Kopf Alberichs schlagen, als dessen letzter Gefährte auf Samo eindrang und ihm einen Stich gegen den Rücken setzte.

Aber die Klinge konnte den Schuppenpanzer Samos nicht durchdringen. Während Samo den Schwung seines Schlages nun gegen den Angreifer richtete und diesem den Schädel spaltete.

Diesen Moment nutzte Alberich und rettete sich durchs Fenster ins Freie.

Samo bemerkte das und sprang ebenfalls durch das Fenster, das wegen der kalten Jahreszeit mit einem Fell verhängt war.

Draußen war es bereits dunkel und es hatte wieder zu schneien begonnen.

Samo wusste nicht wohin Alberich geflohen war, aber eine fliegende Streitaxt, die knapp neben dem Fenster an die Wand prallte verriet ihm die Richtung.

„Alberich! Stell Dich wie ein Mann, Du kannst mir nicht entkommen. Ich bringe Dir sogar Deine Waffe mit!“ rief Samo, holte tatsächlich die Streitaxt Alberichs und lief in die Richtung aus der die Axt geflogen war.

Auf der Mitte der Straße stand Alberich und nicht nur seine Augen verrieten seine Angst. An seinem Bein war er nass und diese Nässe dampfte noch, so dass sie nicht vom Schnee kommen konnte.

Samo trat ihn mit den beiden Äxten entgegen. Legte die Axt Alberichs auf den Boden und schob sie ihm mit dem Fuß zu.

„Mach einmal in Deinem Leben einen ehrlichen Kampf, Alberich, besonders da dies Dein letzter sein wird“, sprach Samo ruhig.

Alberich bückte sich nach der Axt, hob sie und ging in Lauerstellung.

Samo hielt seine Axt kampfbereit in beiden Händen vor dem Körper, so dass er einen Schlag – aus welcher Richtung auch immer – sofort abwehren konnte.

Alberich ging auf Samo zu, fing an ihn zu umkreisen. Samo hingegen blieb stehen, Alberich ständig beobachtend.

Der Gote meinte, nun eine Lücke gefunden zu haben und rannte auf Samo los. Doch dieser drehte seinen Oberkörper zur Seite, stellte dem Goten ein Bein und der Gote landete im Schnee.

Samo veränderte seine Position leicht, wartete bis Alberich sich wieder aufgerappelt hatte und erwartete geduldig den nächsten Angriff seines Gegners.

Der war mittlerweile so wütend und zornig, dass er sofort auf den Franken los sprang um ihm den Schädel zu spalten. Laut schrie er: „Das ist Dein….“

Zum „Ende“ kam er nicht mehr, denn die Wucht des Angriffs hatte Samo genutzt, um ihn wieder ins Leere laufen zu lassen.

Diesmal jedoch schlug er mit seiner Axt auf den Nacken seines Gegners und trennte dessen Kopf vom Rumpf, so dass dieser ein paar Meter entfernt liegen blieb.

Samo lies die Axt herab sinken, fiel auf die Knie und begann zu weinen.

Die Rache, die er am Grab seiner geliebten Frau Adelgunde und seines Sohnes Ingvar geschworen hatte, war vollbracht.

Doch der Schuldige hatte eigentlich zu wenig gelitten.

Samo

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