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Der Auftrag der Könige
ОглавлениеSamo arbeitete in der Schmiede seines Schwagers Kunobald an seinen Waffen, insbesondere die große Streitaxt, mit der er vor zwei Wochen Alberich und zwei seiner Spießgesellen getötet hatte, brauchte eine neue Griffwicklung. Die anderen Waffen hatte er bereits durchgesehen, aber hier musste nichts repariert werden.
Vor etwas mehr als zwei Jahren, war er noch nicht so sorgsam mit seinen Waffen umgegangen, aber der Überfall Alberichs und der Tod seiner Familie hatte aus ihm einen anderen Menschen gemacht.
Als Adelgunde, seine Frau und Ingvar, sein Sohn noch lebten, gab es für ihn nichts Schöneres als bei ihnen zu sein, auch wenn ihm das Geschrei seines kleinen Jungen manchmal den Verstand raubte.
Aber der gewaltsame Tod seiner Liebsten hatte Vieles verändert.
Keinem Händel ging er mehr aus dem Weg, was aber zu seinem eigenen Bedauern bisher immer darauf hinausgelaufen war, dass er als Sieger daraus hervorging. Er suchte schon fast den Tod, aber der wollte ihn noch nicht bei sich haben.
„Als ob ich noch etwas Besseres vor mir hätte, als das Sterben!“ Dachte er manchmal bei sich und Leere hatte sich in seinem Herzen breit gemacht.
Also zog er durch die Lande, auf der Suche nach irgendwelchen Verbrechern, um ihnen den Garaus zu machen. Immer in dem Bewusstsein, dass es jederzeit auch ihn selbst treffen könnte.
Als er vor etwas mehr als einem Monat die Spur von Alberich wieder aufgenommen hatte, war er auf dieser Fährte geblieben, um ihn dann in Laurins Schänke zu erwarten.
Alberich musste irgendwo bei den Wenden oder Awaren gewesen sein, sonst hätte er ihn schon eher stellen können.
Aber vielleicht war es auch gut so, denn mittlerweile waren seine Sinne und Reaktionen geübt und ausgerechnet Alberich wollte er nicht das Vergnügen gönnen, dass er auch ihm zum Opfer gefallen wäre.
Nachdem nun seine eigene Rache vollendet war, kehrte er in sein altes Zuhause zurück.
Das Warenlager war wiederaufgebaut worden. Sigubert, sein Schwiegervater und Kunobald, sein Schwager, kümmerten sich um die Geschäfte, die sehr gut liefen und ihnen ein gutes Auskommen ermöglichten.
Samos Anteile an den Gewinnen waren so groß, dass auch er sich keine Gedanken über Geld zu machen brauchte. Im Gegenteil, er hatte sich die besten Waffen herstellen lassen können und ein gutes Streitroß zierte seinen Stall.
Samo selbst war das einzige Kind einer viel zu kurzen Ehe, zwischen einem fränkischen Kaufmann namens Balduin und einem jüdischen Mädchen namens Rebecca gewesen.
Das Mädchen, seine Mutter, war bei der Geburt gestorben und sein Vater war von einer Handelsreise auf der Bernsteinstraße6 nicht mehr zurückgekehrt.
So war er elternlos bei Balduins Nachbar Sigubert und dessen Familie aufgewachsen, von dem er das Kaufmannsgewerbe übernommen hatte.
Und Sigubert freute sich schon darauf, dass sein Schwieger- und Ziehsohn wieder als Kaufmann tätig wurde, denn Sigubert wollte sich langsam, aber sicher, zur Ruhe setzen und sein Sohn Kunobald hatte bereits jetzt viel zu viel, zu tun.
Aber für Samo waren diese Zeiten mittlerweile endgültig vorbei. Er wollte noch ein paar Wochen hier bleiben und spätestens, wenn das Wetter wieder besser wurde, aufbrechen. Immer der Nase nach, egal wohin das Schicksal ihn trieb. Die Leere in seinem Herzen würde nur noch größer werden, wenn er weiterhin hier, wo seine Liebsten ihr Ende gefunden hatten, bleiben würde.
Das wusste er genau.
An Waffen verfügte er über eine kurzstielige Franziska7 , mit der er noch nie sein Ziel verfehlt hatte, einem langen Sax8 , mehrere Dolche und eben die schwere, große Streitaxt mit den zwei Blättern, die nicht – wie sonst üblich – über einen Holzstiel verfügte, sondern vom Griff an, vollständig durchgeschmiedet worden war.
Nur der Griff war mit Lederschnüren umwickelt, die er nun erneuerte.
Als er die zwei Ellen9 lange Axt prüfend im Arm wog, ließ ihn das Geräusch von mehreren Reitern aufhorchen, die vor der Türe ankamen.
Ein Mann trat unaufgefordert durch die Türe der Schmiede ein. Der Kleidung nach war er ein Vasall von König Chlothar. Für einen Moment blieben die Augen des Mannes an den langen Haaren Samos hängen.
„Seid Ihr der, den man Samo nennt?“ fragte der Mann barsch.
„Und wer will das wissen?“ antwortete ihm betont ruhig Samo.
„Ich bin Godinus, Sohn des Warnachar. Gundoland, der Hausmeier unseres guten Königs Chlothar, schickt mich, um den zu ihm zu bringen, der sich Samo nennt. Bist Du dieser Samo?“
Der Ton des Neuankömmlings war noch immer sehr unfreundlich, offenbar war es dieser nicht gewohnt, die Befehle anderer Leute auszuführen.
„Ja ich bin Samo! Worum geht es?“ Samo war zu intelligent, als dass er sich auf die Tonlage Godinus herabgelassen hätte.
„Das kann ich Dir nicht sagen – ich habe nur den Auftrag Dich zu Gundoland zu bringen.“
Godinus merkte scheinbar, dass er mit seiner gereizten Tonlage Samo nicht aus der Reserve locken konnte.
„Lass mich hier meine Arbeit zu Ende bringen, dann folge ich Dir.“
Von diesem Kerl zum König geschleppt zu werden, konnte nichts Gutes bedeuten, aber Samo blieb bewusst ruhig und seine Sinne waren umso schärfer.
„So sei es, aber beeile er sich!“ Godinus bekam wieder Oberwasser und trat vor die Schmiede.
+++
Eine kurze Zeit später setzte sich der Tross wieder in Gang. Ihr Ziel war Paris, wo der König sich derzeit mit seinem Sohn Dagobert aufhielt.
Samo war zwar schnell bekleidet gewesen, jedoch vorsichtig genug nicht alle Waffen sichtbar zu tragen, obwohl er sein gesamtes Waffenarsenal bei sich hatte.
Sollte er durchsucht werden, hätte der Suchende seine wahre Freude, da in jedem seiner Ärmel und in jedem Stiefel ein Dolch seinen Platz hatte. Nachdem er aber über ausreichende Kraft und Geschicklichkeit verfügte, hätte er einen unachtsamen Gegner nötigenfalls mit der bloßen Faust zur Strecke bringen können.
Sie kamen gut voran, so dass sie gegen Abend in Paris eintrafen. Während der Reise hatte Samo kein weiteres Wort mit Godinus gewechselt, nachdem dieser wirklich nicht wusste, worum es bei dieser Reise ging.
Im Königsgut angekommen wurden die Pferde von Burschen übernommen, die die Sättel abnahmen und die Pferde trocken rieben, während Godinus, Samo und ein Teil ihrer Begleiter in einen Saal geleitet wurden, wo sie von den Hausmeiern Warnachar und Gundoland empfangen wurden.
„Schön dass ich Dich einmal kennenlerne Samo, ich habe schon viel von Dir gehört. Meistens Gutes – aber zuletzt auch etwas Schlechtes – zumindest für uns“, trat ihm Gundoland – der Jüngere der beiden – entgegen, während sich Warnachar mit seinem Sohn unterhielt.
Samo war überrascht so freundlich empfangen zu werden, er hatte mit weitaus Schlimmeren gerechnet.
„Wir haben in Beisein der Könige einige Dinge zu besprechen. Komm bitte mit.“ Gundoland ließ Warnachar und dessen Sohn unbeachtet stehen und schob Samo durch eine kleine, mit einem Vorhang verhangene Türe, die Samo im ersten Moment gar nicht wahrgenommen hatte.
In dem Raum dahinter stand ein Tisch, an dem zwei Männer saßen. Anhand ihrer Haartracht konnte man sofort erkennen, dass es sich um Männer aus königlichem Hause – also Nachfahren des Merowech – handelte.
Der Ältere von beiden musste Chlothar und der Jüngere sein Sohn Dagobert sein. Der Ältere war etwa zehn Jahre älter als Samo, während der Jüngere eher als „junger Bursche“ von fünfzehn Jahren bezeichnet werden konnte.
„Wir haben Dich bereits erwartet“ richtete der Jüngere von beiden das Wort an ihn. „Wie kommst Du dazu, unseren besten Kundschafter umzubringen?“
Die Abneigung die aus diesen Worten sprach war fast sichtbar.
„Wen meint Ihr?“ fragte Samo zögerlich.
„Alberich, den Goten“ antwortete ihm Dagobert. Die Worte flogen wie Pfeile in Samos Richtung.
„Hätte er ein Schild an seinem Hals gehabt, auf dem gestanden hätte, dass er Euer Kundschafter ist, hätte ich ihn in Ketten zu Euch gebracht und dann seinen Kopf gefordert. Da er aber meine Familie auf dem Gewissen hatte und kein derartiges Schild trug, war es rechtens was ich getan habe.“
Samo stellte die betont sachlich fest, wohl wissend, dass ihn eine derartige Rede schnell seinen Kopf kosten konnte. Doch er wollte diesem jungen Burschen nicht zu schnell nachgeben.
„Was rechtens ist und was nicht, entscheidet immer noch der König!“ Chlothars Zurechtweisung sorgte für ein Zucken in Dagoberts Mimik.
„Sicherlich war es nicht rechtens, dass Alberich Eure Familie umbringt, aber er hatte von uns einen wichtigen Auftrag angenommen, der immer noch ausgeführt werden muss. Da Du Alberich daran gehindert hast, seinen Auftrag zu Ende zu bringen, wirst Du diesen Auftrag nun übernehmen.“
„Der Auftrag kann nicht so wichtig gewesen sein, wenn Ihr keinen Besseren dafür gefunden habt, als dieses Großmaul“ antwortete Samo schnell und wurde dafür mit einem wütenden Blick des Königs bestraft.
Nach einer Pause des Nachdenkens fügte er vorsichtig hinzu: „Was war denn sein Auftrag?“
„Er sollte die Wenden, die man auch Slawen nennt, zu einem Aufstand gegen ihre Herren, die Awaren aufstacheln. Damit die Awaren in ihren Ländern bleiben und nicht wieder gegen uns zu Felde ziehen, wie sie es vor zwölf Jahren getan haben“, erklärte ihm nun wieder Gundoland.
„Alberich hat herausgefunden, dass sich die Slawen nicht mehr alles gefallen lassen wollen und die Awaren vielleicht angreifen würden, wenn sie von uns, Unterstützung bekämen. Aber ihre Fürsten sind untereinander zerstritten und brauchen eine einheitliche Führung, sonst kommen sie nicht weit“, erklärte Gundoland weiter.
„Und dieser Führer hätte Alberich sein sollen?“ lachte Samo laut auf, während er sich heimlich eingestand, dass diesmal wieder seine Zunge schneller war, als sie es hätte sein sollen.
„Ja, warum nicht?“ fragte Dagobert verdutzt zurück.
Samo versuchte sachlich zu bleiben: „Seit wann kann es sich ein guter Anführer leisten, in einer Schänke mit seinen Kämpfen zu prahlen, besonders wenn diese Kämpfe gar nicht stattgefunden haben?“
Samo sah den Prinzen direkt an, was diesem noch einen Stich versetzte.
Nach einer Kunstpause fragte Samo weiter: „Und wie habt Ihr Euch die ganze Sache nun vorgestellt? Soll ich etwa zu den Slawen reiten und ihnen sagen: ‚Der König Chlothar schickt mich und Ihr sollt gegen die Awaren kämpfen.’? Sie werden mich fragen: ‚Mit welchen Waffen? Und was haben wir dann davon? Soll Chlothar unser neuer Herr sein?’ Was soll ich dann antworten?“
„Es soll so sein, dass Du zu ihnen reitest, im Geheimen einen Aufstand vorbereitest, die Slawen bei diesem Aufstand unterstützt und ihnen versicherst, dass ihnen unter meiner Führung kein Leid zugefügt wird.“ Erklärte nun Chlothar selbst in aller Ruhe.
„Und was ist mit Waffen? Sollen die Wenden zu Fuß, mit Knüppeln und ohne Rüstungen gegen gut ausgerüstete Kataphrakten10 antreten?“ hackte Samo nach.
„Was denkst Du, was Du an Waffen brauchst?“
„Mindestens Schwerter und Streitäxte, Speere und Lanzen, Bögen und Pfeile, Helme, Leder- und Schuppenpanzer und Kettenhemden für ungefähr achthundert Krieger. Dazu Pferde und Maulesel um diese Waffen zu ihnen zu bringen.“
„Das ist zu teuer!“ schrie Dagobert entrüstet dazwischen.
„Geht Ihr etwa davon aus, dass sich die Awaren kampflos ergeben, nur weil die Wenden plötzlich zu schreien beginnen?“ wies ihn Samo zurecht.
„Zusätzlich brauche ich natürlich eine Eskorte von 100 Mann, die ebenfalls bestens ausgerüstet und ausgebildet sind. Außerdem müssen diese Männer auch noch in der Lage sein, neue Kämpfer zu unterweisen. Sonst könnt Ihr die Sache gleich aufgeben.“ Zählte Samo weiter auf.
Chlothar und Gundoland sahen sich Stirn runzelnd an und nickten sich zu.
„So sei es!“ meinte dann Chlothar „Aber die Männer suchst Du Dir selbst. Und wenn irgendetwas von diesem Gespräch an dritte Ohren weiter gegeben wird, lassen wir Dich von Pferden zerreißen. Die Waffen liefern wir Dir zur Kräuterstadt Uburzis11 . Dort tritt demnächst der neue Herzog der Mainlande, Hruodi sein Amt an. Wie und mit wem Du die Waffen aber zu den Wenden bringst, ist Deine Angelegenheit. Wir wissen von nichts.“
„Darüber hinaus beanspruche ich alle von mir eroberten Gebiete für mich oder die Wenden.“ setzte Samo obendrauf, „ich brauche ein Lockmittel für sie, sonst kämpfen sie nicht mit.“
Samos Verstand arbeitete nun schnell und präzise, so dass sich bereits eine Idee entwickelte.
„Auch das geht in Ordnung, jedoch bleibst Du unser Untertan und ziehst nicht gegen uns. Darauf wollen wir Deinen Eid!“ konterte Chlothar.
„Das will ich beschwören!“ antwortete ihm Samo feierlich. Er kannte die Merowinger gut genug, dass im Zweifelsfall eher die Könige der Franken ihre Verträge brachen, als dass er das hätte tun müssen. Eid hin oder her!
„Eines habe aber ich noch“, mischte sich nun Dagobert ein. „Ich habe eine noch unverheiratete Tochter, namens Notburga, die Du zur Frau nehmen wirst, selbstverständlich nur pro forma, da sie erst ein Jahr alt ist. Damit gehörst Du dann offiziell zu unserer Familie.“
„Was das wert ist, haben die Kriege der letzten 70 Jahre gezeigt“, brummte Samo. Die Frage, was er auf einem Kriegszug mit einem Säugling sollte, schluckte er bedächtig hinunter.
„Mein Sohn hat, trotz seines noch jungen Alters tatsächlich bereits eine Tochter gezeugt. Um jedoch eine standesgemäße Verbindung eingehen zu können, wirst Du auch die zugehörige Mutter mitnehmen“, erläuterte Chlothar abschließend, jedoch rang er ob seines Sohnes mit der Fassung.
„Damit habe ich nicht nur einen Säugling am Hals, sondern auch noch das Kebsweib12 dieses Knaben“, dachte sich Samo, vermied aber einen Kommentar.
Die Waffen sollten bis zum Osterfest geliefert werden, bis dahin sollte auch Samo seine Leute bereit haben. Hruodi würde nicht in die Sache eingeweiht werden, sollte aber Samo nach besten Kräften unterstützen, ihnen Quartier und die Möglichkeiten für Kampfesübungen geben.
Samo kehrte noch am selben Tag, ohne Begleitung, zu seinem alten Hof zurück, bei dem er gegen Mitternacht ankam.
Deshalb also, hatte ihn der Tod noch nicht haben wollen. Wenn er jetzt Krieg gegen die Awaren führen sollte, würde dieser umso reichere Ernte einfahren können – egal ob es sich dabei um Awaren, Slawen oder Franken handeln würde.
+++
Während Samo zum Hof seines Schwiegervaters zurückkehrte, fuhr Dagobert seinen Vater an, Gundoland hatte sich inzwischen ebenfalls zurückgezogen:
„Weshalb vertraut Ihr diesem Menschen?“
„Was meinst Du?“ fragte ihn der König zurück.
„Habt Ihr seine Haartracht gesehen?“
„Ja. Und?“ antwortete der König ruhig.
„Er wagt es in unserer Gegenwart seine Haare lang zu tragen! Wärt Ihr nicht anwesend gewesen, hätte ich ihm den Kopf abgeschlagen!“ schrie Dagobert seinen Vater an.
„Bleib ruhig mein Sohn.“ antwortete dieser ihm. „Zum Einen wäre ein Mann wie Samo darauf vorbereitet gewesen und zum Anderen gilt das Verbot der langen Haare nach wie vor. Aber wir tragen unsere Haare in erster Linie deshalb nicht kurz, damit man nicht sieht, dass wir die Male, die unser Urahn am Rücken unserer Vorfahren hinterlassen hat, nicht mehr tragen. Oder treten die Male bei Dir wieder auf?“
Dagobert schluckte für einen Moment, dann antwortete er: „Nein. Ich habe diese berühmten Male nicht an meinem Rücken.“
„Siehst Du, ich auch nicht. Aber jeder unserer Vorfahren, einschließlich meines 'Vaters' Chilperich hatte diese Male. Was also könnte das bedeuten?“
Chlothar ließ die letzten Worte bedeutsam in der Luft hängen und beobachtete genüsslich die Gedankengänge seines Sohnes.
„Das ist nicht Euer Ernst“, platzte es nach einem Moment aus Dagobert heraus.
„Doch. Wahrscheinlich sind die Gerüchte, die Fredegunde – meine Mutter – so streng verfolgte wahr, nämlich, dass ich nicht der leibliche Sohn Chilperichs bin. Und um diesen Mangel zu verdecken, tragen wir unsere Haare lang und verbieten es allen anderen!“ endete Chlothar seine Rede.
„Aber warum lasst Ihr es dann bei diesem Samo durchgehen?“ bohrte Dagobert weiter.
„Ganz einfach. Ich habe mit Céraune gesprochen und einiges über unseren Freund erfahren. Er hat in den letzten beiden Jahren mehr Diebe und Mörder gestellt, als unsere Büttel. Und das nur, weil er sich zum Ziel gesetzt hat, den Mörder seiner Familie aufzutreiben. Dieser Mörder war wohl Alberich. Jetzt haben wir ihm eine Aufgabe gestellt, von der er wahrscheinlich nicht zurückkehren wird. Da kann er seine Haare ruhig offen und lang tragen!“
Für Chlothar war damit die Diskussion beendet.
Aber sein jugendlicher Sohn hackte nochmals nach: „Aber die Waffen die er verlangt...“
„müsstest Du sowieso herstellen lassen, wenn Du gegen die Awaren ziehen willst. Und so trägt er die Kosten für seine Söldner selbst. Sonst müsstest Du diese Kosten auch noch tragen! Willst Du etwa den Schatz, den ich Dir als König von Austrien anvertraue, so schnell wieder ausgeben?“ fragte Chlothar seinen Sohn und fuhr fort:
„Stell Dir mal vor, dieser Samo hat Erfolg, dann müsstest Du Dir nur seine Gefolgschaft sichern und kannst das Reich der Merowinger ganz leicht nach Osten erweitern. Das Risiko und die Kosten tragen Samo und die Wenden, während Du Deine Macht in Austrien festigen kannst. Du musst Dich erst einmal gegen die Adeligen in Austrien durchsetzen, die mich dazu zwingen, Dich zu ihrem König zu machen. Einen schwächlichen Knaben – in ihren Augen.“
„Aber ich bin der König von Austrien!“ begehrte Dagobert auf.
„Ja, der Form nach!“ antwortete ihm Chlothar ruhig und sachlich. „Wenn Du Dich aber weiterhin über zu lange Haare aufregst, wirst Du auch nur ein formeller König bleiben und tun, was Deine Adeligen von Dir verlangen. Ich musste, wegen dieses unseligen Krieges13 , den meine Frau Mutter angezettelt hat, vieles von meiner Macht, an meine Adeligen abgeben. Aber ich erwarte von Dir, dass Du diese Macht wieder zurückholst. Und zusätzlich darfst Du auch nicht vergessen, dass einer Deiner Vorgänger fast durch die Schwerter der Awaren gestorben wäre.14 Also, bewähre Dich als König von Austrien, bevor Du Dir Ansprüche auf mehr ausrechnest.“
+++
Ein paar Tage später setzte Samo sich mit Benno, seinem erfahrensten Kundschafter aus den Handelsreisezeiten zusammen und erzählte ihm, dass er einen größeren Auftrag hatte, zu dem er ungefähr 100 waffenfähige Männer bräuchte.
Um was für einen Auftrag es sich dabei genau handelte, sagte er ihm nicht. Nur dass diese Männer keine Familie haben dürften, zuverlässig sein mussten und sich bis Mariä Lichtmess in Uburzis einzufinden hätten.
Außerdem stehe noch nicht fest, wie lange dieser Auftrag dauern würde. Es könnte aber gut sein, dass neben satten Gewinnen auch noch reiche Beute zu machen wäre.
Benno zog die Augenwinkel nach oben und rümpfte die Nase: „Und nach Ostern soll die ganze Geschichte losgehen?“
„Ja“, erklärte Samo, „und außerdem sollten die Männer nicht allzu redselig sein. Zusätzlich wäre es mir wohler, wenn nicht allzu viele Leute etwas davon mitbekommen.“
„Das auch noch! Das muss ja eine ziemlich teure Fracht sein, die wir da zu bewachen haben. Aber schön, dass Du Dich doch wieder dem Kaufmannsgewerbe zuwenden willst“ brummte Benno.
„Was ich aber nicht ganz verstehe, ist, weshalb die Ware erst um Ostern herum in Uburzis in Empfang genommen werden soll?“
„Die Ware wird von einem befreundeten Händler dorthin geliefert und nachdem es sich bei den Männern, wohl eher um grüne Jungs, als um erfahrene Kämpfer handeln wird, brauche ich einige Zeit der Vorbereitung. Deshalb Lichtmess“, schloss Samo.
Er ging nach draußen. Sie hatten sich in Bennos Haus getroffen. Dessen Kinder spielten im Schnee und seine Frau war dabei, das Essen zu machen.
„Benno, ich werde Dich nicht mitnehmen können. Du bist hier gebunden. Deine Frau und Deine Kinder sollten Dir jetzt das Wichtigste sein.“
„Ich weiß, nur ungebundene Männer. Ich habe nur keine Lust, Dich mit irgendwelchen Strauchdieben – noch dazu 100 Mann – alleine los ziehen zu lassen.“
„Dann kläre doch mit Deiner Frau folgendes: Du kommst bis Ostern mit und bildest die Kundschafter aus. Danach kehrst Du aber wieder hierher zurück und bleibst bei Frau und Kind!“
„Da wird sie sicherlich zustimmen – ich gehe ihr nämlich schon lange genug auf die Nerven. Du bleibst aber noch zum Essen? Burgiswintha hat sich so viel Arbeit damit gemacht – wäre schade, wenn wir das alles an die Schweine verfüttern müssten.“
Das Letzte fügte er grinsend hinzu, da er noch nie hatte Essen an die Schweine verfüttern müssen, wenn Samo zu Besuch war.
Samo blieb natürlich.
Die beiden Männer blieben noch einige Minuten draußen stehen, bevor sie nach drinnen gingen, um das Essen von Bennos Frau zu genießen. Es gab reichlich und Burgiswintha war eine gute Köchin.
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Etwas mehr als zwei Wochen vor Lichtmess traf Samo, im Gefolge des Hruodi, in Uburzis ein. Er gab sich als Kaufmann aus und ihm wurde als Quartier ein Bauernhof im Wald, etwa einen halben Tagesmarsch westlich von Uburzis zugewiesen. Die dortigen Bauern hatten ihre Höfe wegen Überfällen von Räubern und Krankheiten aufgeben müssen.
Samo suchte sich als Quartier das Haus aus, das am wenigsten verfallen war und stellte zu seiner Überraschung fest, dass es im Eingangsbereich eine großzügig eingerichtete Schmiede enthielt.
Wenn jetzt hier ein Schmied wäre, könnte der gleich mit der Arbeit anfangen.
Nach und nach trafen nun die Männer ein, die von Benno beauftragt worden waren, sich hier einzufinden. Benno selbst kam am Lichtmesstag selbst an. Samo und der Teil der Männer, die schon früher angekommen waren, hatten in der Zwischenzeit die anderen Häuser soweit hergerichtet, dass sie als Quartiere dienen konnten.
Nachdem einen Tag nach Samos Ankunft ein fähiger Schmied eingetroffen war, der die Schmiede gleich in Beschlag nahm, herrschte nun reges Treiben in dem ehemals verlassenen Bauerndorf.
Mit Benno waren neun Männer angekommen, die man durchaus als „alte Hasen“ ansehen konnte.
Gumbert und Sigismund waren ausgewiesene Schwertkämpfer. Arnulf ein geübter Kundschafter, Childerich und Ansgar stellten sich als Meister mit dem Speer vor. Chronobert’s Waffe war der Bogen. Cozbert und Adiolf schwangen ihre Äxte mit einer Gewalt, dass einem Gegner von diesem Anblick schon das Herz stehen blieb. Zum Schluss kam noch Willibald hinzu der sich bestens mit dem Beladen von Mauleseln und Pferden auskannte, auch die Herstellung und Reparatur von Sätteln und Zaumzeug war sein Spezialgebiet.
Einhundert Männer bewohnten nun das kleine Bauerndorf und wurden in zehn Gruppen, zu jeweils zehn Mann Stärke eingeteilt.
Die Männer, die Benno mitgebracht hatte, wählten sich jeweils zehn Mann aus, um ihre Fertigkeiten weiterzugeben. Der restlichen zehn Männer, nahm sich Samo persönlich an, sie waren für das Bauen von Lagern, Reparieren von Waffen und Werkzeugen und Überbringen von Nachrichten zuständig. Es versteht sich von selbst, dass bei diesen Leuten Kunibert der Schmied war, der seinen Bereich im Wesentlichen selbst leitete und sich dabei von niemandem hineinreden ließ. Nur von Samo hörte er sich ab und zu einen Einwand an.
Samo war das nur Recht, denn dadurch konnte er sich um Dinge kümmern, die über die Ausbildung von Kriegern und Kundschaftern hinausgingen.
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Schon bei seiner Ankunft hatte Samo erfahren, dass sich am Main, etwa einen Tagesmarsch von Uburzis entfernt, Wenden oder Slawen angesiedelt hatten, die noch gute Kontakte zu ihren ehemaligen Fürsten hatten.
Also machte sich Samo am Tag nach Lichtmess, während im restlichen Lager fleißig gearbeitet und der Umgang mit Waffen geübt wurde, mit zwei Leuten seiner Gruppe auf den Weg zu diesen Wenden.
Da sie mit Pferden unterwegs waren, kamen sie nach einem halben Tag dort an.
Samo hatte seine Begleiter und die Pferde im Wald versteckt zurückgelassen und marschierte zu Fuß in das Dorf, das an einer Furt lag durch die Ochsen15 getrieben werden konnten. Er wurde zum Dorfältesten gebracht und fragte diesen frei heraus, was er von den Awaren halten würde.
Der Dorfälteste erschrak, erklärte aber dann, dass er wegen dieser Landplage seine Heimat verlassen und sich hier angesiedelt hätte. Samo erklärte ihm kurz, dass er mit einem Zug von etwa einhundert Mann und einigen mit Waffen beladenen Mauleseln ins Land der Slawen fahren wollte und dass die Awaren von diesem Zug nicht all zu viel mitbekommen sollten.
Der Älteste nickte und versprach mit einem seiner Enkel zu reden, damit dieser den Zug begleiten sollte, da er ihn hin und wieder zu seinen Verwandten schicken würde. Seinem ehemaligen Fürsten, einem Mann namens Wogast, wäre der Enkel, namens Ladislaus, bekannt und sie würden dort sicherlich auf Freunde stoßen. Samo sollte einfach mit dem gesamten Tross bei ihm vorbeikommen und Ladislaus käme dann mit.
Außerdem könnte er ganz gut mit einem Messer umgehen, so dass er sich seiner nicht zu schämen bräuchte, fügte der Dorfälteste noch grinsend hinzu.
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Die Ausbildung die Samos Männer erhielten, umfasste für alle Männer das Werfen der Franziska, den Kampf mit dem Schwert und der Streitaxt und das Schießen mit einem Bogen, sowohl zu Fuß als auch vom Pferd aus. Darüber hinaus wurden die einzelnen Krieger, je nach Art der Einheit, der sie angehörten, zusätzlich in speziellen Fertigkeiten ausgebildet.
So mussten die Kundschafter sich zum Beispiel lautlos anschleichen oder einen Beobachtungsposten verlassen können, ohne das dort Spuren von ihnen zu finden waren, beispielsweise abgebrochene Zweige an einem Busch oder Ähnliches.
Bestimmte Horn- und Geheimsignale wurden festgelegt und bei einmal täglich stattfindenden Kampfübungen geprüft, ob die einzelnen Fertigkeiten tatsächlich beherrscht wurden.
Samos Männer übten hart und so fiel es gar nicht auf, dass es nur noch zwei Wochen bis zum Osterfest waren, als ein Bote von Hruodi bei dem Dorf „Brunnen im Wald“ eintraf und Samo sprechen wollte.
Dieser hatte sich gerade von Ladislaus – den die Neugier nicht mehr im Dorf an der Ochsenfurt gehalten hatte – eine Karte zeichnen lassen, die den Verlauf des Main, dahinter den Verlauf der Elbe, der Eger, der Moldau, der March, südlich davon der Donau und ihrer Zuflüsse, sowie der dortigen Bergketten darstellten. In dieser Karte waren auch die Dörfer und Burgen eingezeichnet, in denen die einzelnen Stammesfürsten der Slawen wohnten. Außerdem erklärte Ladislaus, dass er fast alle Fürsten in diesem Gebiet kennen und Samo und seine Leute sicher zu ihnen geleiten würde.
Samo grinste als er das hörte und dachte bei sich „Ein schlauer Kerl!“
Der Bote trat ein: „Ich bringe Euch Kunde von Eurer Braut Notburga, der Tochter des Dagobert, und soll Euch zu ihr geleiten.“
„Brüllt das doch bitte gleich im ganzen Gau herum, dass jeder gleich weiß was los ist. Denkt Ihr vielleicht, wir haben uns hierher zurückgezogen, um unsere Waffen zu polieren?“ fuhr ihn Samo an.
„Ich werde Euch begleiten, wenn Ihr aber noch einmal sagt, dass Ihr vom Sohn des Königs geschickt worden seid, reiße ich Euch Eure Ohren ab.“
Samo hob drohend den Finger, doch der Bote ließ sich nicht beirren.
„Dagobert wurde zum Unterkönig in Austrien ernannt und Ihr als sein Schwiegersohn habt damit sicherlich höhere Rechte und Pflichten, als in einem Bauerndorf auf irgendwelches Pergament zu starren“, verkündete der Herold.
„Kunibert!“ rief daraufhin Samo „komm herein und brenne diesem Idioten etwas Gehirn in seinen Schädel.“
„Geht klar!“ meine der Gerufene nur, packte den Herold und zerrte den verdutzten Kerl in Richtung der Schmiede.
„Nein! Was tut Ihr?“ war von diesem zu hören.
„Lass gut sein, Kunibert. Aber Euch sollte es eine Lehre sein, Euren Schnabel nicht so weit aufzureißen. Sonst verbrennt Ihr Euch irgendwann einmal Euer Mundwerk richtig!“
„Gebt mir ein bisschen Zeit, dann begleite ich Euch nach Uburzis.“ Fügte er noch hinzu.
Gesagt getan – kurze Zeit später befand sich Samo, in Begleitung des Heriolds, zu Pferde auf den Weg nach Uburzis, wo er seine künftige Braut Notburga kennenlernen sollte. Die offizielle Vermählung sollte am Ostersonntag stattfinden und Tags darauf sollte der Zug zu den Wenden beginnen.
Von einer tatsächlichen Hochzeit konnte natürlich keine Rede sein, da das Mädchen mit knapp einem Jahr noch keine Frau war, sondern ein kleines Kind. Wobei natürlich in Adelskreisen auch Kinderhochzeiten üblich waren, die mit Liebe nichts zu tun hatten, weil sie zur Verbesserung der Politik geschlossen wurden.