Читать книгу Wer auf dich wartet - Gytha Lodge - Страница 12
8. April – neunzehn Monate vorher
ОглавлениеZoe war schon den ganzen Tag von einem wohligen Gefühl erfüllt, das beim Mittagessen mit Aidan im Mercure nur noch intensiver wurde. Sie hatten sich zum Essen in seinem Hotel verabredet, was ohne Zweifel auf Sex hinauslaufen würde. Aidan hatte erst um vier Uhr wieder Seminare, und Zoe dachte bereits daran, mit ihm nach oben zu gehen, als ihre Tagliatelle serviert wurden. Die ganze Woche hatte sie hauptsächlich mit Tagträumen von ihrer gemeinsamen Nacht verbracht, und in den sechs Tagen, die er schon wieder weg gewesen war, hatte sich eine für sie untypische Ungeduld in ihr angestaut, sodass sie es kaum erwarten konnte, ihn auf sein Zimmer zu zerren.
Der Wein half auch nicht. Warum hatte sie bloß ein zweites Glas Rosé bestellt? Anscheinend verführte sie seine Gegenwart dazu, all die falschen Dinge immer wieder zu tun.
Sie waren fast mit dem Essen fertig, als Zoes Handy klingelte.
»Angeline«, sagte sie knapp und lächelte gezwungen.
»Du willst doch wohl nicht etwa drangehen, oder?«, fragte er mit leicht zusammengekniffenen Augen.
»Ich … ich weiß nicht …« Sie stieß einen frustrierten Seufzer aus. »Es geht ihr nicht besonders gut, und ich glaube, sie bekommt nicht die Hilfe, die sie braucht. Sie macht dumme Sachen. Na ja …« Zoe seufzte. »Sie trinkt, und dann ritzt sie sich. Es kommt einem vermutlich nicht so dumm vor, wenn man verzweifelt ist.«
Das Telefon summte immer noch. Angeline gab nicht auf.
»Ruft sie immer dich an?«, fragte er und sah ihr fest in die Augen.
»Ich … ich glaube schon«, antwortete sie.
»Findest du das fair dir gegenüber?«
Aidan stellte die Frage so sanft, dass Zoe sich nicht angegriffen fühlte. Sie fragte sich vielmehr flüchtig, ob es wirklich fair war. Aber dann sah sie Angelines schlaffen Körper vor sich, der wie ein Haufen Abfall auf ihrem Schlafzimmerfußboden lag. Das war beim letzten Mal dabei herausgekommen, als Zoe nicht da gewesen war. Es gab sonst niemanden, der geholfen hätte.
Schließlich hörte das Telefon auf zu klingeln, und Zoe blickte elend auf das Display. Aidan fasste ihre Hand und drückte sie. »Tut mir leid. Ich wollte nicht sagen, dass du ihr nicht helfen sollst. Natürlich sollst du das. Ich möchte nur nicht, dass du dich auslaugst. Vielleicht sollte sich hin und wieder auch mal jemand um dich kümmern.«
Er strich mit dem Daumen über ihren, drehte ihr Handgelenk und streichelte die Unterseite, wo ihre Haut am blassesten und empfindlichsten war. Sie spürte die Berührung bis tief in ihr Inneres. Sich zu vergewissern, dass es Angeline gut ging, schien auf einmal nicht mehr so wichtig.
»Lassen wir die Rechnung kommen«, sagte Aidan vielversprechend und lächelte dann trocken. »Und ich muss noch mal kurz verschwinden. Ich kann nämlich nur begrenzt viel Wein halten.«
»So ein alter Mann«, murmelte sie.
Er stand lachend auf.
Zoe gab dem Kellner ihre Karte, den Kopf voller Gedanken an das Hotelzimmer und seine Liebkosungen.
»Kann ich zahlen, bitte?«
Der Kellner schien überrascht. Er hatte offensichtlich erwartet, dass sie länger bleiben würden. Wenig später kam er mit einem Lesegerät zurück, und sie gab ihm, ohne den Betrag zu überprüfen, ihre Kreditkarte und tippte die PIN ein.
Aidan kam zurück, als sie die Karte gerade wieder einsteckte.
»Warte, ich erlaube nicht, dass du alles bezahlst«, sagte er.
»Warum nicht?«, fragte Zoe und hob das Kinn.
»Weil es extravagant war und ich mehr Wein getrunken habe als du«, sagte er. »Und beim letzten Mal hast du auch die Hälfte bezahlt. Warte, ich überweise dir das Geld.« Er zog sein Handy aus der Tasche. »Wenn du beschließt, dass du mich genug magst, um mich wiedersehen zu wollen, kannst du mich nach Herzenslust einladen und verwöhnen, aber jetzt hätte ich ein schlechtes Gewissen.«
Zoe seufzte übertrieben. »Na gut. Aber nur die Hälfte. Das sind … ungefähr zweiundvierzig.« Sie kramte ihre Karte wieder hervor und lies ihn die Kontonummer lesen.
»Schau nach, ob ich keinen Fehler gemacht habe«, sagte er, als sie sie wieder einsteckte. Zoe verdrehte die Augen, loggte sich aber trotzdem bei ihrem Konto ein.
»Yup, erledigt«, sagte sie und ließ ihren Blick über die Zeile mit dem Kontoinhaber schweifen. Mr & Mrs A. Poole.
Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, was sie da las, und dann breitete sich eine schreckliche Kälte in ihrer Brust aus.
»Du bist verheiratet«, sagte sie flach und hart. Sie blickte auf, sah seinen Gesichtsausdruck und wusste, dass es stimmte. »Mr und Mrs A. Poole.«
Er blickte auf sein Telefon und sagte: »Oh … das gemeinsame Konto …« Und einen Moment lang wirkte er verloren. Der wortgewandte, charmante, faszinierende Aidan war plötzlich sprachlos.
Nach einer Weile seufzte er und blickte zu ihr auf. »Ja, das bin ich«, sagte er fest und hielt ihrem Blick stand. »Aber nicht so, wie du denkst. Ich bin formell noch verheiratet, weil ich meine Frau nicht austricksen will. Ich will mich nicht scheiden lassen, ein paar Monate bevor das Erbe meiner Mutter fällig wird.« Er richtete sich auf, seine Haltung wirkte offen. Ehrlich. »Es ist keine Ehe. Es ist eine verdammte Farce. Wir wohnen im selben Haus, und wir haben keine Ahnung mehr, wer der andere ist. Ich glaube, sie hätte mich schon lange verlassen, wenn ich ihr nicht trotz allem ein bisschen leidgetan hätte.«
»Verdammte Scheiße«, sagte Zoe und wandte den Blick ab, weil sie ihn schubsen wollte. Und sie wollte, dass das, was er sagte, stimmte.
»Zoe«, sagte er und griff nach ihrer Hand, doch sie riss sie zurück und schüttelte den Kopf, sodass er eindringlicher wiederholte: »Zoe. Ich wollte dir nichts vormachen. Ich habe versucht, den Mumm aufzubringen, es dir zu sagen, seit ich dich kennengelernt habe. Ich hatte Angst, dass du weglaufen würdest, nur wegen einer Ehe, die schon lange nichts mehr bedeutet.«
»Ja, ich wäre weggelaufen«, sagte sie und drängte sich an ihm vorbei. »Ich laufe jetzt weg.«
»Bitte nicht«, sagte er und fügte leise und ernst hinzu: »Wir würden es beide bereuen.«
Zoe schüttelte den Kopf. Diese schreckliche Kälte breitete sich immer weiter in ihrem Körper aus. Zoe ging weiter.
»Du würdest nicht gehen, wenn du wüsstest, wie unglücklich Greta und ich waren«, sagte er hinter ihr. »Ich weiß, ich hätte es beenden sollen, bevor ich mich anderweitig umschaue, aber manchmal sind die Menschen nicht so. Und sie ist nicht … sie hat es nicht verdient, dass ich sie um die Hälfte dieses Geldes betrüge«, fuhr er fort. »Sie hat sich während der gesamten Krankheit genauso um meine Mutter gekümmert wie ich.«
An der Tür des Restaurants zögerte Zoe. Sie spürte, wie ihr Herz in ihrer Brust pochte. Gott, sie wollte so sehr, dass es stimmte, was er sagte. Aber was, wenn er nicht besser war als Isaac, der Maeve monatelang angelogen hatte? Ohne sich umzudrehen, sagte sie: »Versuch nicht, mich anzurufen.«
Sie schaffte es, ihre Tränen zurückzuhalten, bis sie das Hotel verlassen hatte, aber dann weinte sie so sehr, dass es sich anfühlte, als würde ihr das Innerste aus dem Leib gerissen. Sie musste hier weg, doch es schien auf der Welt plötzlich keinen Ort mehr zu geben, der ihr irgendetwas bedeutete.