Читать книгу Bis ihr sie findet - Gytha Lodge - Страница 7
4. Aurora Freitag, 22. Juli 1983, 18:15 Uhr
Оглавление»Wir haben es im letzten Sommer entdeckt, als wir hier draußen Benners’ Geburtstag gefeiert haben.« Topaz kletterte die bröckelige Uferböschung hinunter. Coralie war wie gewohnt direkt hinter ihr, stolperte auf ihren dünnen Beinen wie ein Fohlen, immer kurz davor hinzufallen. Benners, Connor und Jojo waren noch nicht eingetroffen, aber Topaz konnte es offenbar nicht abwarten, Brett herumzuführen.
Brett schien durchaus zufrieden damit, sich alles zeigen zu lassen. Er folgte den beiden so dicht, dass er sie mit der ausgestreckten Hand berühren konnte, wenn er denn wollte. Aurora glaubte, dass er es wollte. Alle wollten das.
Aurora ging in einigem Abstand hinterher, trunken von Hitze und Sonnenschein. Sie folgte ihnen nur, um zu folgen. Als sie am Rand des Ufers stolperte, erinnerte Brett sich daran, dass sie da war, und drehte sich um. »Warst du schon mal hier?«
»Nein.«
»Aurora …« Sie hörte die Schärfe in der Stimme ihrer Schwester.
Coralie sah sie an und flüsterte: »Super, das Kind der Liebe ist auch hier …«
Topaz hatte sich umgedreht. Unsicher versperrte sie ihnen mit ihrem Körper den Weg. Hinter ihr breitete eine riesige Buche ihre Äste aus, ihre Wurzeln ragten bis in den glitzernden Fluss.
»Kein Wort zu Mum und Dad, ist das klar?«, sagte Topaz.
»Warum sollte ich ihnen irgendwas erzählen?« Aurora blickte zu dem Baum auf und lächelte. »Er ist schön.«
»Das ist mein Ernst.«
Sie blickte in die undurchdringlichen blauen Augen ihrer Schwester. In diesem Moment war sie wie ein scharfkantiger Fels. Wie aus unnachgiebigem Stein gehauen. Gemeißelt und verwittert.
»Natürlich erzähl ich ihnen nichts.«
»Dann kommt.« Brett trat vor und legte eine Hand auf Topaz’ dunkle, bronzefarbene Schulter. Sie gab nach und drehte sich wieder um.
»Hier entlang.«
Sie tauchte mit dem Kopf unter ein Dach aus glänzenden Blättern und verschwand im Halbdunkel. Aurora ließ Coralie und Brett vorgehen und streckte die Hand aus, um das dichte grüne Blattwerk zu berühren.
»Es ist heiß hier.« Sie beugte sich vor. »Hast du Durst?«, flüsterte sie dem Baum zu.
Dann duckte auch sie sich unter die Blätter. Im Schatten des Baumes war der Boden kahl und dunkelbraun, nur lockere Erde und glatte Wurzeln sowie ein einzelner strauchartiger Sprössling direkt unten am Stamm.
Topaz bog zwei seiner Äste beiseite. Dahinter befand sich eine düstere Kammer, wo der Fluss die Uferböschung ausgehöhlt hatte.
»Cool!«, sagte Brett und trat einen Schritt vor.
»Guck es dir an«, sagte Topaz. »Es kann immer nur eine Person reinkriechen.«
Aurora beobachtete, wie Brett seine breiten Schultern seitlich verschob und sich durch die Öffnung zwängte.
»Was ist da drinnen?«, fragte Aurora. Es sah aus wie der Bau eines Tieres. Ein Dachs, ein Kaninchen. Vielleicht ein Otter.
»Privatsachen«, sagte Topaz sofort. »Sachen, über die du den Mund halten musst. Verstanden?«
Aurora zuckte die Schultern. »Okay.«
Und dann tauchte Brett mit schmutzigem Gesicht und leuchtenden Augen wieder auf.
»Mann. Das ist ja ein ordentlicher Vorrat. Woher habt ihr den?«
Topaz grinste ihn an.
»Von einem Freund von Jojos Bruder. Dem ist ein Deal geplatzt, und er schuldete seinem Lieferanten Geld. Benners hat alles zum Selbstkostenpreis gekauft.«
»Mit welchem Geld?«
»Er hat seine Alten darum gebeten«, schaltete Coralie sich ein. »Die haben nichts gerafft. Er hat behauptet, es wäre für ein neues Auto. Er hat für fünfzig Pfund irgendeine Schrottkarre gekauft, und der Rest ist dafür draufgegangen.«
»Meine Fresse.« Brett lachte und rieb sich das Gesicht. »Das reicht ja für eine Menge Partys.« Sein Blick fiel auf Aurora. »Das musst du dir angucken.«
»Nein, muss sie nicht«, erwiderte Topaz. Sie hatte die Arme vor dem Körper verschränkt und starrte ihre Schwester an.
»Komm schon. Sie erzählt es deinen Eltern bestimmt nicht. Damit würde sie sich genauso reinreißen wie dich. Sie ist schließlich mit uns hier, oder nicht?«
Aurora richtete ihren Blick zwischen die beiden und sah dann, wie Topaz winkte.
Sie sank auf die Knie und kroch in die Höhle, Erde klebte an ihrem Rock. Als sie in die Dunkelheit krabbelte, spürte sie einen winzigen Hauch von Feuchtigkeit in der Luft. Die Erde unter ihren Händen war weich und fühlte sich frisch gelockert an, wie auf einem Grab.
Es war ein kleiner Raum, gerade genug Platz, um zu sitzen oder zu knien. Vor ihr schimmerte etwas in der Dunkelheit. Sie blinzelte und strich mit der Hand über die Wand aus mattem Silber. Sie erkannte, dass es stapelweise sorgfältig gefaltete Päckchen aus Silberfolie in Dutzenden von durchsichtigen Plastikbeuteln waren.
Niemand musste ihr erklären, was sich darin befand. Irgendwelche Drogen, dachte sie. Nichts, wovon sie etwas wissen wollte.
Es war schade, dass sie so viel von dem Raum einnahmen. Es roch ein wenig nach Tier, und Aurora vermutete, dass die Kreatur, die diese Höhle gegraben hatte, verscheucht worden war. Sie konnte sich vorstellen, ein Tier zu sein und hier zu wohnen. Im Winter hier zu schlafen und sicher vor Jägern auf ihre Jungen aufzupassen.
Sie kroch langsam wieder hinaus und klopfte sich die Erde vom Rock. Ein wenig blieb, festgedrückt von ihren Knien, an dem dünnen Stoff kleben.
»Was denkst du?«, fragte Brett sie.
Sie lächelte dünn.
»Es ist schön da drinnen.«
Trotz Bretts dröhnenden Lachens konnte sie Topaz’ verächtliches Schnauben hören.