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Mr. Barnstaple fand, daß er dringend einen Urlaub brauchte; nur wußte er weder, mit wem, noch wohin er hätte gehen können. Er war überarbeitet und hielt es zu Hause nicht mehr aus.

Barnstaple hatte von Natur aus ein starkes Temperament. Seine Familie liebte er innig, so daß er sie durch und durch kannte und sie ihn entsetzlich langweilte, wenn er in so niedergedrückter Stimmung war. Seine drei heranwachsenden Söhne schienen von einem Tag zum andern langbeiniger und größer zu werden. Wollte er sich in einen Sessel setzen, so saß sicher schon einer von ihnen darin; sie verjagten ihn von seinem Pianola; sie erfüllten das Haus mit gellendem und nicht enden wollendem Gelächter über Witze, die sich nicht zum Erzählen eigneten. Sie störten ihn bei den späten, harmlosen Flirts, die bis dahin sein bester Trost in diesem Jammertal gewesen waren; sie schlugen ihn im Tennis; sie rauften miteinander voll Übermut auf den Treppenabsätzen und sausten zu zweit und dritt unter gewaltigem Getöse die Stiegen hinunter. Ihre Hüte lagen überall umher. Sie kamen zu spät zum Frühstück. Jeden Abend beim Zubettgehen erhoben sie ein Gebrüll: »Uahu! Uahu! Uahu! … bums!« Und ihrer Mutter schien dies zu gefallen. Sie alle kosteten Geld und setzten sich sorglos über die Tatsache hinweg, daß alles, mit Ausnahme von Barnstaples Verdienst, gestiegen war. Und wenn er bei den Mahlzeiten einige schlichte Wahrheiten über Mr. Lloyd George äußerte, oder wenn er den leisesten Versuch machte, den Ton des Tischgespräches über das Niveau des dümmsten Tratsches zu erheben, ließ ihre Aufmerksamkeit ostentativ nach …

Auf jeden Fall schien es ostentativ.

Er hatte das starke Bedürfnis, von seiner Familie fort, irgendwohin zu gehen, wo er in Ruhe mit Stolz und Liebe an seine Angehörigen denken konnte, ohne von ihnen gestört zu werden …

Und ebenso wünschte er dringend, für einige Zeit von Mr. Peeve loszukommen. Nie wieder wollte er eine Zeitung oder eine Zeitungsankündigung sehen; selbst der Anblick der Straßen wurde ihm zur Qual. Er war von der Furcht vor einem finanziellen und wirtschaftlichen Zusammenbruch besessen, gegen den der Weltkrieg bloß als ein geringfügiger Zwischenfall erschienen wäre. Und das nur aus dem Grunde, weil er zweiter Redakteur und Faktotum beim Liberal war, jenem bekannten Organ der traurigeren Aspekte der fortschrittlichen Meinung, und weil der unentwegte Pessimismus des Mr. Peeve, seines Chefs, ihn immer mehr ansteckte. Früher war es noch möglich gewesen, Mr. Peeve eine Art Widerstand entgegenzusetzen, indem man sich mit den anderen Angehörigen der Redaktion über seinen Trübsinn verstohlen lustig machte, aber jetzt gab es keine anderen Redaktionsmitglieder mehr; in einem Anfall finanzieller Verzagtheit hatte Mr. Peeve sie alle abgebaut. Tatsächlich schrieb jetzt außer Barnstaple und Mr. Peeve niemand mehr regelmäßig für den Liberal. So stand nun Mr. Barnstaple ganz unter Peeves Einfluß. Der konnte manchmal zwei Stunden lang zusammengekrümmt, die Hände tief in den Hosentaschen, und alle Dinge von der düstersten Seite betrachtend, auf seinem Redaktionsstuhl hocken. Barnstaple neigte von Natur aus zu bescheidenen Hoffnungen und zu Fortschrittsglauben, aber Mr. Peeve hielt hartnäckig daran fest, daß es um mindestens sechs Jahre zu spät sei, an einen Fortschritt zu glauben und daß der Liberalismus bestenfalls auf ein baldiges Jüngstes Gericht hoffen könne. Und wenn Mr. Peeve den Leitartikel, den der Redaktionsstab, als es noch einen gab, dessen wöchentliche Magenverstimmung nannte, fertiggebracht hatte, ging er fort und überließ es Mr. Barnstaple, den restlichen Teil des Blattes für die nächste Woche zusammenzustellen.

Schon in normalen Zeiten wäre es schwer genug gewesen, mit Mr. Peeve zusammenzuarbeiten; aber die Zeiten waren nicht normal. Sie waren erfüllt von unangenehmen Begebenheiten, die seine trübseligen Ahnungen nur zu berechtigt erscheinen ließen. Die große Aussperrung der Grubenarbeiter dauerte bereits einen Monat und ließ den kommerziellen Zusammenbruch Englands vorausahnen; jeder Morgen brachte aus Irland Nachricht von neuen Ausschreitungen, von unverzeihlichen und unvergeßbaren Greueltaten; eine anhaltende Dürre bedrohte die Welternte; der Völkerbund, auf den Mr. Barnstaple in den glorreichen Tagen des Präsidenten Wilson riesige Hoffnungen gesetzt hatte, war zu trauriger und selbstzufriedener Bedeutungslosigkeit herabgesunken; überall Konflikte, überall Unvernunft; sieben Achtel der Welt schienen in chronische Unordnung und soziale Auflösung zu verfallen. Sogar ohne Mr. Peeve wäre es schwer genug gewesen, den Ereignissen die Stirn zu bieten.

Mr. Barnstaple gab nun auch wirklich die Hoffnung auf, aber für Menschen seiner Art ist Hoffnung eine wesentliche Würze, ohne die das Leben unverdaulich wird. Er hatte seine Hoffnung stets auf den Liberalismus und auf eine großzügige, freiheitliche Bewegung gesetzt, jetzt aber begann er zu glauben, daß der Liberalismus niemals mehr erreichen würde, als gekrümmt dazusitzen, mit den Händen in den Taschen, über die Rührigkeit tiefer stehender, aber energischer Männer zu grollen und darüber zu raunzen, daß ihre krabbelnde Emsigkeit die Welt zugrunde richten werde.

Tag und Nacht machte sich Mr. Barnstaple nun Sorgen um die ganze Welt; nachts noch mehr als tagsüber, da er keinen Schlaf finden konnte. Er war von einer krankhaften Begierde behext, eine Nummer des Liberal herauszubringen, die sein ureigenstes Werk sein sollte, alles abzuändern, nachdem Mr. Peeve gegangen war, das ganze gallige Zeug, den elenden leeren Hohn über dieses oder jenes Unrecht auszumerzen, die Schadenfreude über Grausamkeit und Unglück, die Aufregung über die belanglosen, natürlich menschlichen Fehlgriffe von Mr. Lloyd George unter Berufung auf Lord Grey, Lord Robert Cecil, Lord Lansdowne, den Papst, die Königin Anna oder auf Kaiser Barbarossa (sie wechselten von Woche zu Woche); sich zu erheben, den jungen Bestrebungen einer wiedergeborenen Welt Stimme und Gestalt zu geben und die Nummer zu füllen mit – Utopia! Den verblüfften Lesern des Liberal zu sagen: Seht her, das hat zu geschehen. Seht her, das wollen wir tun. Welch ein Schlag wäre das für Mr. Peeve bei seinem Sonntagsfrühstück! Vor Staunen würde er am Ende gar diese Mahlzeit ausnahmsweise richtig verdauen.

Aber das waren höchst närrische Träume. Zu Hause saßen die drei jungen Barnstaples, und ihnen mußte ein anständiger Start gesichert werden. Und so schön der Traum auch war, so hatte Mr. Barnstaple doch die sehr bedrückende Überzeugung, daß er in Wirklichkeit nicht geschickt genug sei, um so eine Sache richtig anzupacken. Irgendwie würde er sie doch verpfuschen …

Und dann könnte er vom Regen in die Traufe kommen. Der Liberal war wohl ein ödes, entmutigendes und kleinliches Blatt, aber es war immerhin kein gemeines und verrufenes Blatt.

Indes, wenn es auch zu keinem so verheerenden Ausbruch kommen sollte, so war es doch für Mr. Barnstaple unbedingt erforderlich, einige Zeit von Mr. Peeve auszuruhen. Ein- oder zweimal hatte er ihm schon widersprochen. Ein Streit konnte jeden Augenblick ausbrechen. Es war klar, daß der erste Schritt, den er tun mußte, um von Mr. Peeve auszuruhen, ein Besuch beim Arzt war. Also ging Mr. Barnstaple zu einem Arzt.

»Ich verliere die Gewalt über meine Nerven«, sagte Mr. Barnstaple, »ich bin fürchterlich nervös.«

»Sie leiden an Neurasthenie«, sagte der Arzt.

»Ich hasse meine tägliche Arbeit.«

»Sie brauchen einen Urlaub.«

»Glauben Sie, daß ich eine Abwechslung nötig habe?«

»Eine so gründliche, wie nur irgend möglich.«

»Können Sie mir einen Ort empfehlen, wohin ich gehen könnte?«

»Wohin wollen Sie gehen?«

»Ich habe kein bestimmtes Ziel. Ich dachte, Sie könnten mir etwas empfehlen …«

»Finden Sie einen anziehenden Ort – und gehen Sie dorthin. Tun Sie sich keinen Zwang an.«

Mr. Barnstaple zahlte dem Doktor eine Guinee und, gewappnet mit dessen Ratschlägen, bereitete er sich darauf vor, Mr. Peeve von seiner Erkrankung und der Notwendigkeit eines Urlaubs zu benachrichtigen, sobald sich Gelegenheit ergeben würde.

Menschen, Göttern gleich (Roman)

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