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Kapitel 6: Der Tod kommt vom Nil.
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Kairo, Ägypten. Montag, 13. Oktober 2014. Der Tod kommt vom Nil.
Der Muezzin rief weithin hörbar zum Salat al-Asr, dem Nachmittagsgebet.
Es war der Moment, in dem ein wenig Ruhe einkehren sollte in die Turbulenzen der fortdauernden fast bürgerkriegsähnlichen Zustände, während noch seine Stimme zwischen den Häusern und Hausruinen verhallte. Seit den ersten Tagen des Arabischen Frühlings kämpften verschiedene Gruppierungen um die Macht. Die Frontlinien zogen sich dabei quer durch alle Bevölkerungsschichten und öffentliche Einrichtungen, zuweilen sogar durch einzelne Familien. Die Ansar Bait al-Makdi, eine dem Islamischen Staat nahestehende Terrogruppe, heizte die verschiedenen Auseinandersetzungen, die eine Zeit lang oberflächlich zur Ruhe gekommen zu sein schienen, seit geraumer Weile wieder an.
Beim islamischen Opferfest vor einer Woche, der auch mit dem „Tag der Streitkräfte“ zusammenfiel, hatte es zum wiederholten Male in der Hauptstadt und anderen größeren Städten sehr gewalttätige Auseinandersetzungen gegeben. Bei der Armee wusste man nie genau, auf welcher Seite sie gerade stand – hier gab es genügend Generäle und untergeordnete Ränge, die zum Teil der einen, zum Teil der anderen Kraft gegenüber gewogen waren, dann aber die Loyalitäten doch wechselten. Panzereinsätze gegen Demonstranten, Sniper-Schüsse auf harmlose Spaziergänger, Tote auf den Straßen… so konnte man einmal mehr den gegenwärtigen Zustand der gebeutelten Stadt beschreiben, welcher sich nach der gewaltsamen Absetzung des gewählten Präsidenten im Spätsommer des letzten Jahres entwickelt hatte. Nach der Konterrevolution war das Land am Nil in genau der politischen Steinzeit wieder angelangt, die es zu Mubaraks Zeiten inne gehabt hatte.
Längst hatten die Regierungen der Welt vor jeglichen Reisen in das Land gewarnt. Wenngleich es bei den Pyramiden und in einigen Landesteilen ruhig blieb, war nicht auszuschließen, dass sich die Gewalt jederzeit über Kairo und die anderen Hochburgen der verschiedenen Parteien hinaus ausdehnte. Ägypten befand sich nunmehr im Ausnahmezustand, und die Welt, soweit sie nicht gerade mit anderen Dingen beschäftigt war, fragte sich, wo dies alles noch hinführen sollte. Das Land drohte durch diese Entwicklung zum Ausgangspunkt für eine konterrevolutionäre Welle im gesamten arabischen Raum zu werden. Auch im benachbarten Libyen gab es fortgesetzt schwerste, terroristisch begründete Konflikte.
Die Großmächte bereiteten ihr militärisches Eingreifen vor. Im Mittelmeer stand die 6. US-Kriegsflotte bereit für Drohnenangriffe – freilich argwöhnisch beobachtet von den Russen, die seit des Beginns der Krise in der Ukraine selbst auch eine Intervention der NATO einkalkulieren mussten. Vor ein paar Wochen war die amerikanische Universität an der El-Sheik Rihan Ziel eines Brandanschlages gewesen; andere westliche Einrichtungen, angefangen bei einzelnen Botschaften bis hin zu einer weltweiten Fast-Food-Kette, hatten entweder ihre Pforten geschlossen oder bewaffnetes Sicherheitspersonal eingestellt. Eine Spezialeinheit der Marines bewachte die amerikanische Vertretung, eine andere des SAS die britische. Die Metro fuhr nur sporadisch, und das öffentliche Leben war beinahe zum Erliegen gekommen.
Die für eine Araberin vielleicht etwas zu große Frau unter einer völlig schwarzen Burkha bewegte sich schnell und unerkannt durch die engen Gassen der Altstadt. Nur einem sehr aufmerksamen Beobachter, der unmittelbar vor ihr stand, wäre im schmalen Augenschlitz aufgefallen, dass es sich um eine besonders hellhäutige Person handelte, die eher europäischer Herkunft sein musste. Sie wirkte einigermaßen sportlich trainiert, mehr war nicht erkennbar.
Vorbei an Bettlern, bestehend aus Heerscharen verwaister Kinder und verhärmten Bürgerkriegsversehrten mit verlorenen stumpfen Gliedmaßen, bahnte sie sich eilig ihren Weg, ohne den Begegnungen besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Sie war spät dran. Wenn Murad sie rief, durfte sie keine Zeit verlieren! Ihr Gehorsam entsprang dabei nicht etwa familiärer Bande, sondern ihrem Dienst am Land.
Der DMG, formell „Dschihaz al-Muchabarat al-Amma“ genannt, aber unter dem kurzen Namen „Muchabarat“ als einer von drei gefürchteten Geheimdiensten Ägyptens durch die Spezialisierung für die Terrorismusbekämpfung geläufig, hat seinen eigentlichen Sitz in einem unscheinbaren Großkomplex im Westen Kairos, das offiziell zu den Regierungsgebäuden gehört. Es geht nichts besonders Geheimnisvolles von dem Areal aus und macht auf den vorüberfahrenden Betrachter den Eindruck eines gewöhnlichen umzäunten, abgesicherten Verwaltungsbaus.
Seit der Revolution von 2011 befand sich allerdings eine kleinere Division auch in einem Teilbereich des Ägyptischen Museums direkt am Al-Tarhir-Platz. Obwohl der Keller dort hauptsächlich brutalen Verhören diente, nutzte ihn der Mukharabat gelegentlich für Einsatzbesprechungen mit seinen besten Agenten, die keinesfalls von der Öffentlichkeit als solche enttarnt werden durften, da sie mit den heikelsten Missionen im Ausland betraut werden. Das im klassizistischen Stil um die vorletzte Jahrhundertwende herum errichtete Bauwerk konnte man fast jederzeit am Tag betreten, ohne Aufsehen zu erregen. Insider bezeichneten die Abteilung im Museum gern als „Antikendienst“; derselbe Name, den früher einmal das „Supreme Council of Antiquities“ als Sammler und Bewahrer der Kunstschätze des Landes am gleichen Ort inne gehabt hatte.
Die Frau, die zuvor unter Meidung der Straßenunruhen durch die Gassen geeilt war, erreichte das Museum somit ebenso unauffällig wie unerkannt. Sie würdigte den eindrucksvollen Ausstellungsgegenständen keinen besonderen Blick und gelangte schließlich über eine schmale Treppe hinter einer Notausgangstür eine Etage tiefer.
Sie wurde erwartet, daher summte sofort der Türöffner, als sie im Spektrum der Videoüberwachung einer nicht beschrifteten Stahltür erschien und dort nur kurz die Gesichtsvermummung wegklappte. Sie stieß die Tür auf, trat geschwind ein und wandte sich nach zwei Metern an einer Kreuzung des Ganges nach links, während die Tür hinter ihr zufiel und ein dumpfes Klacken die besondere Sicherung verriet.
Das Büro, in dem sie sich am Ende des Ganges bei dem Mann, den man allgemein nur „Murad“ nannte, einfand, war wie die gesamte Abteilung im Keller des Gebäudes versteckt, fensterlos und karg eingerichtet. Ein Schreibtisch mit zahllosen Akten darauf, ein Sessel dahinter, zwei Besucherstühle und eine große Staatsflagge, an den Wänden die Fotos der gegenwärtigen Herrscher des Landes, soweit sie der Geheimdienst als legitim ansah – das war schon beinahe alles. Dazu gab es allerdings in einem Gestell an der Wand mehrere Monitore, welche tonlose Aufnahmen des Al-Tarhir-Platzes und einiger anderer markanter Orte Kairos aus Live-Bildern der Überwachungskameras zeigten. Auf zweien davon waren gerade Demonstrationen oder andere Unruhen im Gange, nach ein paar Minuten wurde auf einer Übertragung sogar heftig geschossen. Trotz Gebetsstunde!
Der Mann, der den Bildschirmen keine Blicke würdigte, war ein westlich gekleideter Araber, etwa Mitte bis Ende vierzig Jahre alt und wirkte charismatisch sowie nachdenklich zugleich. Er verfügte über jene gewisse Ausstrahlung, welche auch in einem überfüllten Raum sofortige Stille eintreten lässt, wenn er ihn betrat. Die Begrüßung zwischen ihm und der Frau war indes herzlich und besonders vertraut. Nur wenige wussten, dass er der gegenwärtige Leiter einer speziellen Abteilung des Geheimdienstes war, die sich mit der Verfolgung und Liquidierung von ägyptenfeindlichen Terroristen im europäischen Ausland beschäftigte.
Murad sprach die Frau mit einem unübersetzbaren, frivolen arabischen Kosewort an. Dann wechselte er jedoch schnell in die deutsche Sprache, welche die Frau muttersprachlich und er selbst ausgesprochen gut, jedoch mit deutlichem Akzent, aufgrund seines früheren langen Studiums in Heidelberg beherrschten. Dort hatten sie sich auch vor vielen Jahren kennengelernt. Sie war mindestens zehn Jahre jünger als er, damals vielleicht vierzehn oder fünfzehn gewesen und hatte mit ihm ihr „erstes Mal“ erlebt. Prägend, jedoch kurzlebig, waren sie nicht lange ein Paar geblieben, aber während sie der Faszination seiner Exotik und Erfahrung erlag, hatte er sie stetig und trickreich zu seiner „Todesspinne“ ausgebildet. Nach vielen Jahren war sie nun seine beste Agentin, wenn es darum ging, auf dem Gebiet der EU einen Auftrag zu erledigen. Dort gab es eine Vielzahl exilierter radikaler Zellen, vor allem auch in Deutschland. Nach ihrer letzten Aktion hatte er sie jedoch bereits eine ganze Weile nicht mehr dort eingesetzt, auch hatte es damit zu tun, dass die Unruhen in Ägypten die Auslandsaktivitäten des DMG beständig lähmten.
Selbst innerhalb des Geheimdienstes waren nicht immer alle auf derselben Seite im komplizierten Geflecht der regierenden und oppositionellen Machtstrukturen zu finden. Murad wusste, dass er gegenwärtig einen ziemlichen Balanceakt vollführte. Es gab Kräfte im Mukhabarat, die ihm nicht unbedingt wohlgesonnen waren, obwohl man ihm allgemein durchaus Respekt zollte. Zwei Anschläge auf sich hatte er bislang unbeschadet überlebt, ohne genau zu wissen, von wem sie iniziiert waren.
„Wir haben eine Spur von Tarek!“, sagte der Mann langsam, ohne hierbei seine Besucherin direkt anzublicken. Fast abwesend rauchte er eine filterlose Zigarette, sie dabei etwas ungewöhnlich zwischen Ring- und Mittelfinger haltend. Ihr dünner Qualm entfernte sich langsam in Richtung des nachträglich eingebauten Klimaabzugs in der Kellerdecke. Er setzte sich als erster auf einen Stuhl hinter den Schreibtisch und sah in eine offenliegende Akte vor sich. Murad misstraute Computern und Netzwerken.
Nachdem auch die Frau ihm gegenüber Platz genommen und sich zuvor der vollständigen Verschleierung entledigt hatte, welche nur Tarnung für den fußläufigen Weg hierher gewesen war, wirkte sie gar nicht mehr allzu groß. Die Kleidung täuschte. Unter der Burkha, die sie bisher vollkommen verhüllt hatte, trug sie dünne Jeans und ein helles einfarbiges Shirt ohne Ausschnitt, das ihre große Oberweite locker umgab, um Anstoß zu vermeiden. Es war einfache Kleidung von der Stange – der Anruf hatte sie unvermutet erreicht, Murad hatte dringlich geklungen und keinen Zeitraum für besondere Kleidungswahl gelassen. Ihr ovales Gesicht wies feine Züge auf, war von einem sehr zarten Teint und zeugte von bewusster, latenter Sonnenscheue. Es besaß um die Mund- und Augenwinkel herum im Laufe der letzten Jahre leichte Furchen, die auf eine zwar nicht unbedingt körperlich schwere, jedoch nervlich oder psychisch belastende Arbeit hinwiesen. Der Mund war nach oben hin geschwungen, die Unterlippe eher flach. Das Haar wirkte sehr dunkel, beinahe aber nicht gänzlich schwarz, und fiel sehr lang nach Entfernung der tarnenden Kleidung und eines Clips auf einer Seite vor ihr neben den großen Brüsten bis fast zu den Hüften herunter. Sie trug keinen Schmuck und hatte kein Parfum aufgelegt, weil sie wusste, dass Murad das nicht mochte. Immer noch versuchte sie ihm gelegentlich, zu gefallen. Er schien es nicht zu bemerken, oder nicht bemerken zu wollen. Sie machte ein etwas überraschtes Gesicht, kaum das er die Worte zu Ende gesprochen hatte.
„War man nicht zu der Ansicht gekommen, dass er bei einer Schießerei in Port Fuad umgekommen sei?“
Port Fuad lautet der Name der kleineren Hafenstadt direkt gegenüber des bekannteren Port Said am Mittelmeer, bei welchem der Suezkanal beginnt. Murad wusste das natürlich. Seit seinem Bestehen ist der Kanal immer wieder Faustpfand im Ränkespiel der großen Mächte gewesen, obwohl ein Internationaler Vertrag eigentlich freie Durchfahrt in Kriegs- wie in Friedenszeiten für jedermann vorsah. Schon mehrfach war es nun seit dem „Arabischen Frühling“ zu einer Bedrohung des Kanals gekommen. Im andauernden Bürgerkrieg könnte dies schnell wieder zum casus belli für ausländische Intervention werden, wie schon zuvor im zwanzigsten Jahrhundert. Da der Kanal nicht nur politisch, sondern vor allem auch wirtschaftlich äußerst bedeutsam für Ägypten war, setzten natürlich die Behörden – allen voran die Geheimdienste – alles daran, diesen Bedrohungen wirksam zu begegnen, um ein Eingreifen etwa der US-Flotte dort und den Verlust von Souveränität zu vermeiden.
Nach den Erkenntnissen des DMG hatte „Tarek“ in Port Fuad seinerzeit ein weiteres Attentat geplant gehabt, aber nicht mehr ausführen können, da die ägyptischen Sicherheitskräfte ihm allzu dicht auf den Fersen waren. Die Agentin erinnerte sich zu gut an die genauen Erzählungen Murads über die letzten Minuten im Leben des Terroristen. Sie dachte, nein, sie hoffte, es sei mit ihm wirklich vorbei gewesen.
Auf einem Obstmarkt gab es schließlich einen im Staatsfernsehen harmlos als „Zusammenstoß“ bezeichneten Zwischenfall, bei dem mehrere Menschen starben, wovon man einen, dem ins Gesicht geschossen war, anschließend längere Zeit für „Tarek“ hielt.
„Wie eine Katze, so hat auch er wohl neun Leben.“, gab Murad von sich.
„Mindestens!“, sagte die Frau. Es klang beinahe traurig.
„Du bist allerdings nicht auf dem Laufenden. Wir haben vor ein paar Wochen festgestellt, dass er seinen Tod dort uns gegenüber nur vorgetäuscht hatte, um nach Europa fliehen zu können. Wir haben nur noch nicht zuviel Wind darum gemacht.“
„Ich kann nichts dafür, dass Du mich nicht mehr so oft einsetzt.“, murrte sie. „Du weißt, dass ich nicht gerne nur herumsitze. Tarek ist doch meine Domäne, nicht erst seit seinem Anschlag auf den Schulbus aus Gizeh.“
„Die Zeit des Wartens hat nun ein Ende!“, stellte Murad fest und drückte seine kurze Zigarette aus, nur um sich sofort eine neue anzuzünden. Er bot der Frau keine davon an, aber sie hätte als passionierte Nichtraucherin auch keine haben wollen.
Die Unterredung mochte noch eine halbe Stunde andauern, während derer der Geheimdienst-Sektionschef mit ihr Einzelheiten besprach und sie in alles einweihte, was sie wissen musste. Das Hauptthema war dabei der Anschlag auf den Nachtexpress in Deutschland. Ansonsten war es nicht allzu viel, denn „Tarek“ hatte zwar eine Spur der Verwüstung, aber nicht viel über sich selbst hinterlassen. Was man jetzt wusste, kam dem Inhalt nach über eine Quelle in Deutschland, so wie Murad sich insgesamt ausdrückte und die selbst offenbar sehr gut Bescheid wusste.
„Du reist noch heute Abend über Italien in die Europäische Union ein.“, sagte Murad schließlich. „Das geht am Leichtesten. Die sind ja immer noch mit Lampedusa sehr beschäftigt.“
Solange die europäischen Verträge hinsichtlich des Asyslantragsrechts nicht geändert wurden, war Italien als EU-Randstaat - und hier vornehmlich die pelagische Inselgruppe im Mittelmeer zwischen Sizilien und Tunesien - Hauptziel illegaler Einwanderung durch Bootsflüchtlinge aus Nordafrika nach Europa. Dies einzudämmen, war man dort bereits kaum mehr in der Lage. Hier wurde alles scharf überwacht. Die Kontrollen auf den Internationalen Flughäfen wurden dagegen eher lasch gehandhabt, was Einreisen, vor allem Wiedereinreisen, anbelangte.
Er schob ihr einen großen Umschlag über den Tisch. Sie öffnete ihn und besah sich die darin befindlichen Papiere. Der deutsche Ausweis mit einem der Agentin einigermaßen ähnlichen Bild darin lautete auf den Namen Adriane Kurtzweil, wohnhaft in Fürstenfeldbruck. Es war ein echtes Dokument, welches man einer der wenigen noch im Lande verweilenden Touristinnen bei Gizeh entwendet hatte. Das war wesentlich leichter, als in kurzer Zeit gute Ausweise zu fälschen. Bis die Dokumente trägen Beamten als gestohlen gemeldet und die Informationen über die deutsche Botschaft in Europa gelandet sein würden, konnte viel Zeit verstreichen, in welcher diese von einem „Identitätsdouble“ missbraucht werden konnten. Man hatte sehr schnell agiert. Das vorliegende Flugticket ging über Rom, wie sie zur Kenntnis nahm.
Die Frau auf dem Foto trug kaum mehr als schulterlange, blonde Haare, aber es sollte kein Problem sein, die eigene Haarfarbe und -länge daran anzugleichen. Nur ein wenig weiteres Make-up und leichte künstliche Hautbräune waren dann noch erforderlich, um diese Identität halbwegs anzunehmen. Laut dem ebenfalls enthaltenen Reisepass war sie vor drei Wochen nach Ägypten eingereist.
„Kein Problem!“, stellte sie fest, nachdem sie die Papiere durchgesehen hatte.
„Du bist Journalistin und arbeitest für eine süddeutsche Zeitung!“, sagte er. Der Umschlag enthielt unter anderem auch einen entsprechenden Presseausweis.
„Wo genau soll ich anfangen zu suchen?“, fragte sie. „Europa ist groß!“
„Unser Mann in München, von dem wir die Informationen über Tarek haben, wird mit dir auf übliche Weise Verbindung halten. Melde dich bei ihm, wenn du in Deutsch-land eingetroffen bist. Es gibt Anhaltspunkte, die auf Westeuropa hinweisen.“
Murad bestätigte damit, was vorher aus seiner Rede nur zu vermuten gewesen war. Er und seine Agentin hatten geistig das Bild eines deutsch-Ägypters namens Umari vor Augen, der in München-Pullach beim BND aufgrund seiner Sprachkenntnisse eigentlich für Übersetzungen abgehörter Telefonate aus Nordafrika zuständig war, und somit begrenzten Datenbankzugriff besaß. Die Abfrage Freysings über Tareks Identität von Bonn aus war nicht besonders klassifiziert gewesen. Niemand würde Rückschlüsse auf Umari ziehen können – jeder halbwegs Versierte mit einem Computeranschluss innerhalb des BND hätte die Anfrage rückverfolgen können.
Da sich insbesondere Tarek der besonderen Aufmerksamkeit des DMG erfreuen durfte, kontrollierte Umari ständig mittels eines kleines von ihm installierten Phishing-Programms Datenabfragen zu internationalen Terroristen aus dem Nahen Osten oder Nordafrikas, die über Pullach liefen. So wusste er nur wenige Minuten später Bescheid, nutzte seine „Kaffeepause“ außerhalb des Geländes und nahm mit Kairo Kontakt auf. Natürlich konnte er nicht vom BND-Areal aus mailen – das wäre sofort aufgefallen. Auch Handys sind im Sicherheitsbereich des BND nicht zulässig, man musste sie vorher abgeben, aber er besaß ein Gerät im Versteck eines außerhalb variabel abgestellten Mofas, um dringliche Informationen absetzen zu können.
Umari war bislang der unregelmäßigen Innenrevision entgangen, denn er verhielt sich allgemein sehr unauffällig – andere Mitarbeiter wurden zudem wegen ihrer Sicherheitsrelevanz wesentlich genauer überprüft. Er verriet keine deutschen Staatsgeheimnisse, und er tat es nicht für Geld, sondern aus Überzeugung, mit der Weitergabe gewisser Informatioenn etwas Sinnvolles für das Land seiner Väter zu tun. Er hatte in München inzwischen nach langen Jahren seiner zuverlässigen Tätigkeit nicht mit besonderem Misstrauen zu rechnen, trotzdem war er ständig auf der Hut. Bei seinen Kollegen galt er als lustiger und humorvoller Zeitgenosse.
„Leitet er die Operation, oder ich?“, fragte die Frau allerdings sofort mißtrauisch. „Du weisst: Ein Schiff, auf dem sich zwei Kapitäne befinden, geht unter.“
Als bedeutender Informant besaß Umari einen sehr hohen Stellenwert in der DMG-Hierarchie, aber sie wollte sich die Entscheidungskompetenzen im Ernstfalle nicht wegnehmen lassen. Nur Murad durfte ihr befehlen! Es war daher wichtig, klarzustellen, wer im Streitfall das Kommando innehatte. Gerade als Frau in einem zunehmend muslimisch geprägten Land! Ihr Gegenüber lächelte, wurde dann aber gleich wieder ernst.
„Selbstverständlich Du, meine liebe Sphinx!“. Es war das erste Mal, dass er in dem Gespräch ihren Codenamen gebrauchte, aber es klang, als handele es sich lediglich um ein weiteres Kosewort. Er fuhr fort: „Umari wird dich mit Informationen aus erster Hand versorgen können, also behandle ihn nicht wie einen Lakaien. Wir sind auf ihn angewiesen. Immer daran denken: Erfolgreich sein kann man nur als Wissender! Aber du allein setzt dich auf Tareks Fährte und stellst sicher, dass er nie wieder einen Anschlag in unserem Land verüben kann.“
Sie wusste, was er damit meinte. Es war ein eindeutiger Tötungsauftrag, und sie war darauf spezialisiert.
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