Читать книгу Solange ich schreibe, lebe ich! - Hanan Al Obaidat - Страница 9

15. April 1943

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[…] Ich habe, wenn ich mich selbst lobe, meinen Geschwistern voraus, dass ich universal denke und nicht umweltbedingt. Ich weiss auf alles Rücksicht zu nehmen, so weit es irgendwie geht, aber ich kann auch energisch sein bis zur Brutalität, wenn das Recht mit Füssen getreten wird, oder gegen Menschen, die den Frieden mit aller Gewalt zu stören suchen. Ich bin innerlich selbst gefestigt und kann auf mich selbst vertrauen und bin deshalb auch – wie ich hoffe – berechtigt, meine Frau zu führen und auf den Händen zu tragen, wenn es sein muss und zu verteidigen bis zum letzten. Du wirst von mir überall als die Idealperson proklamiert, ob Du es bist oder nicht, nur weil solche Taktik allein Vorurteile und etwaige Fehlerbezichtigungen zu interminieren imstande ist. Man darf den Leuten die Mäuler nicht aufreissen, sondern muss sie oft beschwichtigen um des Friedens willen. Die Dümmsten sind ja doch immer die Frechsten. Wenn du willst, Helmi, wollen wir mit Verwandten gar nichts gemein haben. Mir ist das sehr recht. Ich will Dich nur allein besitzen. Du wirst sehen, dass Du nicht wild zu werden brauchst, weil ich mich durch Geschwister oder Eltern beeinflussen liesse, sondern ich werde selbst wild, wenn sie mich nur beeinflussen wollen. Du kennst meinen Widerspruchsgeist noch nicht. […] Diese Alleswisser haben in allem Erfahrung und wenn es darauf ankommt, stelle ich sie alle in den Schatten. […] Sie sagen auch den Leuten immer die Meinung, wenn Du sie reden hörst. Wenn Du aber selbst Zeuge ihrer Debatten bist, sind sie Allerweltsjasager. O, Helmi, ich bin mir meiner Sache so sicher, dass ich gar keine Bange habe, Du könntest nur einmal mit mir unzufrieden sein. Ich kenne die Menschen, wenn ich ihnen auch nicht immer die Wahrheit sage. Bei meinen Kameraden bin ich sehr beliebt, weil ich zur rechten Zeit entscheiden kann. Sonst bin ich sehr taktvoll und übersehe gerne Fehler, um die grosse Linie zu bewahren. […]

Alfons und Helmi wuchsen in Ballweiler auf und waren Nachbarn. Bei den ältesten erhaltenen Briefen ab Dezember 1941 handelt es sich noch um eine lose Korrespondenz zwischen alten Jugendfreunden, obwohl er schon recht früh äußert, dass er sich ein intimeres Verhältnis mit Helmi wünscht. Helmi ist jedoch bereits vergeben. Trotzdem schreiben sich beide weiter. Alfons berichtet von einem magischen Moment im September 1942. In diesem Urlaub kamen sich die beiden offenbar näher und er gesteht ihr auf dem Rückweg zur Front seine Liebe.

Für meinen Großvater war es die erste Erfahrung mit einer Frau, das erste Verliebtsein. Die Briefe von September 1942 bis Juni 1943 sind dementsprechend voller sentimentaler Gefühlsäußerungen, naiven Vorstellungen über das Zusammensein und Gedanken an eine Heirat. Das letzte Thema war freilich knifflig, denn eigentlich erwarteten sowohl seine Eltern als auch der Orden, dass er nach dem Krieg in seinen alten Beruf als Mönch zurückkehren werde. Nachdem ihm und Helmi jedoch klar geworden war, dass sie ein Paar sein wollten, entschied er sich für seinen neuen Lebensweg und legte seine Zukunftswünsche seinen Eltern vorsichtig dar. Überraschenderweise erhielt er deren Zustimmung offenbar recht problemlos. Ab November 1942 kreisten folglich seine Gedanken nur noch um Verlobung sowie Heirat und im März 1943 beschloss er, Helmi kurzerhand im nächsten Urlaub im Juni zu heiraten. Helmi zögerte zunächst noch etwas, willigte jedoch schließlich ein, wohl aufgrund seines kontinuierlichen Drängens und seiner kühnen Argumente über die Vorzüge der Ehe.

Nach der Hochzeit wurden die Briefe ernster und auch kürzer. Alfons wurde in dieser Zeit mehrmals versetzt. In den Briefen ist zudem seine ständige Angst vor dem Tod selbst heute noch gut greifbar. Der Einsatz als Sanitäter an der Hauptkampflinie war in der Tat wahnsinnig gefährlich. Ungeschützt ständig zwischen den Frontlinien zu agieren, permanent mit den schlimmsten Leiden und den schlimmsten Ausgeburten des Krieges konfrontiert zu sein – seine Angst war mehr als berechtigt. Helmi war ihm in dieser Situation offenbar eine wichtige Stütze und wohl auch die größte Motivation, weiterzuleben.

Solange ich schreibe, lebe ich!

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