Читать книгу Tripod – Das schwarze Kätzchen - Hanna Nolden, Lea Baumgart - Страница 9

Kapitel 6

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Mama öffnete die Tür und betrat leise wie eine Maus das Zimmer. Sie hatte das dreibeinige Kätzchen auf dem Arm und sah sehr unglücklich aus. Ben tat sein Wutausbruch leid, war aber zu stolz, es zuzugeben. Er hatte sich das Headset vom Kopf geschoben und das Mikrofon stumm geschaltet, damit Oliver von dem Gespräch nichts mitbekam.

„Also behalten wir das Kätzchen?“, fragte er.

„Natürlich behalten wir das Kätzchen“, sagte seine Mutter und drückte das Tier fester an sich. „Und ich habe es nicht extra für dich besorgt. Meine Freundin Tanja hat das arme Ding vor ein paar Wochen gefunden und aufgepäppelt. Seitdem bekniet sie mich, es zu nehmen. Ich habe mich dagegen gewehrt, ehrlich!“

Ben verzog den Mund. Gut, dann hatten sie jetzt eben einen behinderten Jungen und eine behinderte Katze im Haus. Wie auf Kommando fing die Katze so wild an zu zappeln, dass Mama sie nicht länger halten konnte. Mit einem Satz sprang sie von Mamas Arm, rannte Richtung Schreibtisch und war mit einem Umweg über Bens Schoß auf der Arbeitsplatte. Gegen seinen Willen musste Ben grinsen.

„Na, der kommt ja prima zurecht. Erinnert mich an Oliver. Wie war noch gleich sein Name.“

„Flint“, antwortete Mama, sah seinen Gesichtsausdruck und meinte: „Aber ich bin sicher, dass er auch auf einen anderen Namen hören wird, wenn du ihn umbenennst.“

Zögerlich streckte Ben die Hand aus und kraulte das Nackenfell der Katze.

„Ich denk mal darüber nach.“

„Dann … dann kann ich ihn hier bei dir lassen?“, druckste Mama herum. „Ich muss nämlich noch 1000 Wörter schreiben, weißt du?“

Ben verdrehte die Augen.

„Alles klar. Geh schreiben. Lass die Tür einen Spalt offen, falls das Vieh zu dir will.“

„Sag nicht Vieh zu ihm!“, schimpfte Mama und machte den Eindruck, als würde sie gleich auf die Katze zustürmen und sie schützend an ihr Herz drücken wollen. Resigniert schüttelte sie den Kopf, aber dann waren ihr die 1000 Wörter wohl wichtiger und sie ging aus dem Zimmer. Ben seufzte, schnappte sich das Kätzchen und hob es vom Schreibtisch.

„Sorry, kleiner Kater, aber ich bin online und will Oliver nicht zu lange warten lassen.“

Er setzte sich den Kopfhörer auf, doch das Kätzchen war hartnäckig und sprang wieder auf seinen Schoß. Da rollte es sich zusammen und fing an zu schnurren. Ben rückte etwas vom Schreibtisch ab und betrachtete das schwarze Fellbündel auf seinem Schoß.

„Du kennst mich doch gar nicht“, sagte er. „Schämst du dich nicht, fremde Männer einfach so anzuschnurren? Aber gut, meinetwegen kannst du da liegenbleiben.“ Er aktivierte das Mikrofon. „Bin zurück.“

„Was war denn?“, drang Olivers Stimme aus dem Kopfhörer.

„Meine Mutter. Sie hat mir eine Katze geschenkt. Eine dreibeinige Katze.“

„Echt jetzt? Wie cool!“

War ja klar, dass Oliver so dachte. Manchmal hatte Ben den Eindruck, ihm hätte nichts Besseres passieren können, als ein Bein zu verlieren. Als würde ihn das irgendwie besonders machen. Aber das Besondere an Oliver war vermutlich seine positive Einstellung. Alles, was geschah, geschah aus einem bestimmten Grund. Insgeheim beneidete Ben ihn um seine Einstellung.

„Naja“, machte er. „Find ich jetzt nicht so. Wie würdest du sie denn nennen?“

„Keine Ahnung, Mann. Ich hab ja noch nicht einmal einen coolen Namen für mein Pferd hier. Hast du schon einen für deins?“

„Kein Plan. Kleiner Donner?“

Oliver prustete los. „Sag bloß, du guckst noch Yakari?“

Die Gildenbesprechung war vorbei. Die letzten Schlachtrufe rollten durch den Chat, dann verließ einer nach dem anderen das Gildenhaus, um in den Kampf zu ziehen. Oliver und Ben blieben zurück. Olivers Figur fing an zu tanzen. Ben setzte seine auf den Boden. Die Gildenhäuser waren abseits vom Spielgeschehen und so bekamen sie von dem, was außerhalb gechattet wurde, nichts mehr mit. Aber jemand schrieb jetzt doch etwas im Chat: „Hey hallo! Wollt ihr denn gar nicht in die Schlacht ziehen?“

Ben bewegte verwundert die Maus und entdeckte eine Heilerin. Sie war asiatisch angehaucht, trug ein enges grünes Kleidchen und braune Stiefel. Ihre Haare waren knöchellang und hatten mehrere abstehende Zöpfe.

„Wer ist die denn?“, fragte er Oliver über Teamspeak, wo sie beide allein waren. „Hast du die schon mal gesehen?“

„Nö, noch nie. Yuki Ayuri. Vielleicht ist die neu hier.“

Im Chat schrieb Oliver: „Nö, wir sind nicht so die Kämpfer. Wir wollten gleich ausreiten in den Hügeln.“

Ben kicherte. Die musste sie für ganz schön bekloppt halten. So wie die anderen aus der Gilde auch. Manchmal fragte er sich, warum sie überhaupt noch geduldet wurden, allerdings war Oliver sehr gut darin, die ganzen langweiligen Sammelquests zu machen, die den Kämpfern zu blöd waren. Daher hatte er immer Materialien bis zum Abwinken.

„Ausreiten?“, schrieb die Heilerin im Chat. „Das klingt toll!“

„Oha“, meinte Ben. „Die scheint tatsächlich ein Mädchen zu sein.“

Meistens steckten hinter den weiblichen Avataren nämlich Kerle. Soweit Ben wusste, gab es nur wenig Mädchen, die sich im Spiel herumtrieben.

„Muss nicht“, meinte Oliver. „Gibt auch Jungs, die Pferde mögen.“

Oder Katzen, dachte Ben und streichelte geistesabwesend den kleinen Kater, der auf seinem Schoß eingeschlafen war. Irgendwie fühlte es sich ja schon schön an, eine Katze auf dem Schoß zu haben.

„Soll ich sie auf den TS-Server einladen?“, fragte Oliver.

„Bist du irre?“, rief Ben. „Wir kennen die doch gar nicht!“

„Hm. Ein Pferd habe ich natürlich noch nicht“, schrieb Yuki in den Chat. „Hättet ihr vielleicht Lust auf den Blümchenquest?“

Blumen pflücken mit Yuki. Na toll. Oliver war für so einen Kram zu haben. Der liebte die stumpfsinnigen Quests. Aber Ben brannte darauf, sein Pferd auszuprobieren. Ehe er protestieren konnte, hatte Oliver schon eingewilligt: „Ich mach ne Party auf.“

Widerwillig trat Ben der Party bei und sie reisten per Schnellreise in die Ebene, wo Yuki 100 rote Blumen sammeln musste. Während sie das tat, blubberte sie ohne Ende im Chat herum.

„Ich finde das Spiel so toll! Als ich ankam, waren alle auf dem Marktplatz am Tanzen und Zaubern. Und dann diese Landschaften! Einfach traumhaft. Ich kann es kaum erwarten, eine Katze zu zähmen und als Begleittier zu haben.“

Ben betrachtete ein weiteres Mal den Kater in seinem Schoß.

„Soll ich sie nicht doch ins TS einladen?“, fragte Oliver. „Sie scheint irgendwie ein Redebedürfnis zu haben. Und wenn sie die ganze Zeit tippt, braucht sie hundert Jahre für die hundert Blumen.“

Ben verdrehte die Augen.

„Ja okay. Mach einfach.“

Es war ihm unangenehm, mit Fremden im Teamspeak zu sprechen, aber Oliver kannte da nichts. Er lud Yuki ein und obwohl sie wie eine eher unerfahrene Onlinegamerin wirkte, hatte sie Teamspeak bereits installiert. Und wie sich herausstellte, war sie tatsächlich ein Mädchen.

„Hi“, tönte eine melodische, sehr weiche Stimme aus Bens Kopfhörer. „Könnt ihr mich hören?“

„Laut und deutlich“, sagte Oliver. „Schön, dass du da bist. Du bist noch nicht so lange in Maira, oder?“

„Nee, erst seit ein paar Tagen. Ich hatte kaum Level 3, da wurde ich schon eingeladen, der Gilde beizutreten. Warum auch immer.“

Ben konnte sich schon denken, warum. Wenn sie auch sonst im Chat so drauflosplapperte, wussten die anderen gleich, dass sie ein Mädchen war. Und die waren sehr begehrt. Außerdem war sie Heilerin und Heilerinnen konnte man immer gebrauchen.

„Aber ihr scheint euch auch nicht so viel aus dem Gildenleben zu machen, oder?“

„Nö“, antwortete Oliver. „Uns geht es wie dir. Wir mögen die Landschaften und die Tiere. Vielleicht sollten wir lieber einen Walkingsimulator spielen.“

Ja, dachte Ben. Weil das nämlich der Grund ist, aus dem wir hier sind. Das Walken. Das Rennen und Springen und Tanzen. Einfach, um mal wieder zwei Beine zu haben. Aber das durfte keiner wissen. Selbst Oliver, der sonst so offen mit seiner Behinderung umging, hatte das im Spiel für sich behalten.

„Ach, naja, vielleicht entdecke ich das Kämpfen ja doch noch für mich“, meinte Yuki. „Vielleicht melde ich mich auch wieder ab. Ich weiß noch nicht.“

„Wo wohnst du denn?“, fragte Oliver geradeheraus. Er fand sie süß, dass ahnte Ben. So, wie man jemanden eben süß finden konnte, den man gerade erst kennengelernt hatte, dessen Stimme man nur gehört und von dem man keine Ahnung hatte, wie er in Wirklichkeit aussah. Yuki lachte.

„Na, das werde ich dir bestimmt nicht verraten!“

Ben musste grinsen. Sie wirkte zwar etwas naiv, aber so naiv war sie dann wohl doch nicht.

„Na gut, dann eben nicht“, gab Oliver nach, während Ben noch immer kein Wort gesagt hatte. Er hörte den beiden nur zu, als würde er einem Hörspiel lauschen. „Aber vielleicht kannst du uns helfen, einen Namen für Bens Katze zu finden, die er heute bekommen hat. Sie hat nur drei Beine.“

„Aww, das arme Ding“, machte Yuki. „Das ist aber süß von dir, dass du ein behindertes Kätzchen bei dir aufnimmst, Ben. Wer von euch ist eigentlich Ben?“

„Ich bin Ben“, antwortete er und stöhnte innerlich auf. Natürlich wollte sie wissen, wie er im Spiel hieß! „Ähm, also Nebu Kramsol.“

„Hi Nebu!“

„Ach, sag ruhig weiter Ben. Die Quasselstrippe da heißt übrigens Oliver.“

„Cool. Ihr werdet mir das jetzt bestimmt nicht glauben, aber ich heiße tatsächlich Yuki.“

„Bist du Japanerin?“, wollte Oliver wissen.

„Zur Hälfte“, antwortete Yuki. „Meine Mutter ist Japanerin. Mein Papa ist Fischkopp.“

Sie kicherte, und Ben musste zugeben, dass sie wirklich süß klang. Fischkopp, wiederholte er in Gedanken. Das sprach für Norddeutschland.

„Seit wann hast du das Kätzchen, Ben?“

„Seit einer halben Stunde“, sagte er und unterdrückte ein Lachen. Sie musste ihn für verrückt halten, aber so war es halt. „Meine Mutter hat es angeschleppt. Sie hat gesagt, der Kater heißt Flint, aber ich finde den Namen doof. Wie würdest du denn ein dreibeiniges Kätzchen nennen?“

„Tripod“, sagte Yuki wie aus der Pistole geschossen. „Ist doch wohl logisch!“

Tripod? Ben runzelte die Stirn. Der Name war genauso blöd wie Flint.

„Du könntest es Pod abkürzen“, schlug Oliver vor, der wohl Bens Gedanken erraten hatte.

„Ja, vielleicht mache ich das.“ Er betrachtete das Kätzchen auf seinem Schoß, das immer noch schlief, und fragte: „Möchtest du gerne Pod heißen?“

Oliver lachte. „Und? Ist er einverstanden?“

„Keine Ahnung. Er schläft.“

„So, ich glaube, ich habe meine hundert Blumen“, meinte Yuki jetzt. „Kommt ihr mit zur Blumenfrau?“

„Ich weiß nicht“, sagte Ben, der diese Quest gefühlte hundert Mal gemacht hatte. „Wir wollten eigentlich die Pferde ausprobieren.“

„Oh macht ruhig. Ich gucke zu.“

„Wollen wir?“, fragte Oliver. „Auf drei!“

Ben machte mit, obwohl er es albern fand. Oliver zählte bis drei, dann packten sie ihre Pferde aus. Wie von Geisterhand standen sie nach dem Klick neben ihnen. Olivers war pechschwarz, während Bens weiß mit schwarzen Kuhflecken war. Den Pferden konnte man auch Namen geben, aber Ben verschob die Entscheidung auf später. Bis auf Kleiner Donner war ihm noch nichts Gescheites eingefallen. Mit einem Tastendruck saßen sie auf, dann war das Pferd genauso zu steuern wie die Spielfigur. Sie ließen Yuki stehen und preschten davon.

„Juhuuuu!“, rief Oliver. „Oh, das ist so cool!“

Ben grinste. Er wusste genau, was Oliver fühlte, denn ihm ging es genauso. Die Landschaft raste vorbei und er fühlte sich frei und lebendig. Als würde er wirklich auf einem Pferd sitzen und über die Ebene preschen. Als wäre er ein gesunder Junge auf zwei gesunden Beinen. Er hörte Yuki lachen.

„Oh, die sehen toll aus“, sagte sie. „Und ihr seid voll süß, wie ihr euch freut.“

Wir?, dachte Ben. Schließlich hatte er kein Wort gesagt. Aber er nahm es hin.

„Ich gebe mal meine Blumen ab. Treffen wir uns gleich im Gildenhaus?“

„Klar“, sagte Oliver.

„Mal sehen“, meinte Ben. Er hätte sie jetzt lieber aus dem TS rausgeworfen und sich allein mit Oliver unterhalten, aber er wusste, dass Oliver da vermutlich keinen Bock draufhatte. Ihm gefiel es, mit Yuki zu quatschen, das konnte Ben an seiner Stimme hören. Nun war es ja nicht so, dass sie ihm unsympathisch wäre, aber er konnte halt nicht so offen sprechen wie sonst. Da kam ihm das Schicksal entgegen und Yuki sagte: „Mist. Meine Mutter ruft zum Essen. Seid ihr heute Abend nochmal on?“

„Logo“, meinte Oliver.

„Dann bis später!“

Und weg war sie.

„Boah“, machte Oliver. „Fassen wir mal zusammen: Sie wohnt noch bei Muttern, also wird sie nicht zu alt sein. Und sie ist echt verdammt süß!“

„Sie klingt süß“, verbesserte Ben. „Du hast doch keine Ahnung, wie sie aussieht.“

„Wen interessiert, wie sie aussieht, wenn sie nett ist?“, fragte Oliver und erwischte Ben damit eiskalt. Verdammt. Oliver hatte ihm schon oft vorgeworfen, wie oberflächlich er war und irgendwie hatte er sogar recht damit. Auch jetzt konnte Oliver sich nicht zurückhalten und setzte nach: „Alter, wir sind einbeinige Krüppel! Ich will, dass sich ein Mädchen in mich verliebt, weil sie mich nett findet. Und mir ist bei einem Mädchen auch wichtig, dass sie nett ist. Ganz egal, wie sie aussieht.“

„Ist ja schon gut“, gab Ben nach. „Du hast ja Recht. Aber ich gucke mir Mädchen trotzdem lieber an, wenn sie gut aussehen.“

„Gucken ist gucken und chatten ist chatten“, meinte Oliver. „Naja, wahrscheinlich wohnt sie eh am Arsch der Welt. Aber nett ist sie.“

Da wollte Ben nicht widersprechen. Der erste Eindruck war jedenfalls nett. Sie ritten noch ein wenig um die Wette und Oliver erzählte Ben von der Schule. Er fragte ihn auch ein wenig zu seinem Schulalltag, aber Ben blockte ihn ab. Er wollte nicht über die Schule sprechen. Er wusste nicht, ob Oliver ebenfalls gemobbt wurde und sich die ganzen positiven Geschichten nicht einfach ausdachte, aber so wie er Oliver einschätzte, stimmte das, was er sagte, tatsächlich. Oliver war der Typ Mensch, den jeder auf Anhieb mochte. Er ging auf die Menschen zu, hatte immer gute Laune und sah alles positiv. Er war das genaue Gegenteil von Ben. Und das war wohl der Kern des Übels.

Tripod – Das schwarze Kätzchen

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