Читать книгу Darf ich vorstellen: Amor - Hannah Albrecht - Страница 4
2. Alma
ОглавлениеDas Büro hatte sich geleert und ich war die Einzige, die noch an ihrem Tisch saß. Ich liebte Überstunden. Nicht immer so sehr wie jetzt, aber momentan kamen sie einer Befreiung nahe, denn ich war dankbar, wenn ich etwas zu tun hatte. Langsam aber sicher stellte sich wieder so etwas wie eine Routine in meinem Leben ein. Es war schon verrückt, wie sich alles verändern konnte. Nach meinem Plan, nach meinem ursprünglichen Plan, hätte ich mich wohl bald um ein Kinderzimmer gekümmert. Ich wäre schwanger geworden und wir wären umgezogen, in eine Wohnung mit zwei freien Zimmern, eins für unseren Jungen und eins für unser Mädchen, das dann zwei, drei Jahre nach unserem Jungen gekommen wäre. Gut, niemand hätte sagen können, ob es wirklich so passiert wäre, mit den Geschlechtern meine ich. Inzwischen wusste ich nur zu gut, dass Dinge selten so passierten, wie geplant. Und nun saß ich hier und war im Begriff, in meine neue leere Wohnung zu gehen. Langsam hatte ich mich daran gewöhnt, dass mich niemand dort erwartete. Es hatte auch seine Vorteile: Ich brauchte nicht die Sachen von jemand anderen auf- und wegräumen, ich musste keine Kompromisse eingehen, die den anderen glücklich machten, wenn er denn überhaupt mitbekam, dass ich sie machte! Inzwischen war ich ganz froh, dass alles so geklappt hat, dass ich vor ein paar Monaten, trotz meines Zustandes, meinen neuen Job bekommen hatte. Nie hätte ich hätte gedacht, dass ich mal hier landen würde, aber, wie gesagt, Pläne werden überbewertet. Letztendlich tat mein Lieber Mann mir wohl ein Gefallen, als er meine Bewerbung für die Stelle bei Gericht nicht abgeschickte. Damals war es für mich zwar eine Katastrophe, sozusagen das Katastrophen-Sahnehäubchen auf der bereits bestehenden Katastrophe, aber das war damals. Jetzt saß ich in der Rechtsabteilung einer mittelständischen Firma und konnte mir nichts Besseres vorstellen. Mit Casper zusammen wäre das nicht denkbar gewesen. Das hätte ja keinen Status gehabt. Jetzt war ich sehr froh hier zu sein. Und alles entwickelte sich ganz ordentlich, wenn nicht immer mal wieder Nachrichten aus meinem früheren Leben kommen würden. Sechs Monate nachdem er sich von mir getrennt hatte, lies er mich per Mail wissen, dass er die Kiste mit all unseren gesammelten Fotos von acht Jahren gemeinsamen Lebens auf die Straße stellten würde. Wie sollte ich von Berlin aus die Kiste in Hamburg abholen? Wie hatte er sich das denn bitte vorgestellt? Da konnte nur die blöde Kuh dahinterstecken. Als ob diese Fotos irgendeine Gefahr darstellen würden. Zum Glück hatte sich Meg bereit erklärt, sie für mich einzusammeln. Ich schwankte immer wieder hin und her. Vielleicht wäre es besser gewesen, Casper nie kennengelernt zu haben. Aber wenn ich ehrlich war, hatten wir eine großartige Zeit. Alles war perfekt, bis zu diesem Moment vor einem halben Jahr. Ich konnte mir immer noch nicht erklären, wie es überhaupt dazu kommen konnte. Alles war abgesprochen, er sollte mich vom Flughafen abholen und kurz danach wollten wir in den Urlaub fahren, um uns wieder näherzukommen. Aber so kam es nicht. Nichts kam so wie geplant. Er holte mich nicht einmal vom Flughafen ab, ich musste ein Taxi nehmen und als ich mit all meinen Sachen, nach einem Jahr Australien, die Treppe hochkam, sagte er mir, wir müssten reden. Ich konnte es bis heute nicht glauben, ich konnte es immer noch nicht fassen. Das war definitiv nicht der Casper, den ich kannte oder den ich geheiratet hatte. Es war alles so unglaublich. Genau wie diese Aktion heute wieder. Wer war dieser Mann? Ich hatte so lange mit ihm zusammen gelebt und so viel Zeit mit ihm verbracht, aber jetzt hatte ich das Gefühl, ihn nie richtig gekannt zu haben. Er lebte einfach so weiter, hatte seinen alten Job, lebte in unserer alten Wohnung, ging weiterhin zu unserem Lieblingsitaliener essen. Alles beim Alten. Scheinbar hatte sich für ihn nichts verändert, außer, dass ich nicht mehr Teil seines Lebens war. Der Rest war für ihn gleich geblieben. Und bei mir... Bei mir hingegen war alles anders. Ich habe viel verloren. Ich wollte nicht jammern, aber das war Fakt. Ob sich alles für die Ewigkeit zum Schlechteren verändert hatte, wusste ich nicht, aber im Moment stand mein Leben auf dem Kopf. Ich musste es komplett neu aufbauen, lernte aber auch neue Facetten kennen. Ich wohnte seit langer Zeit das erste Mal wieder alleine und fing fast an, es zu genießen. Ich musste bei meinen Entscheidungen auf niemanden Rücksicht nehmen und niemand redete mir rein. Es war nicht alles besser, aber eben anders. Ich hatte die Stadt verlassen, hatte meine Freunde, bzw. unsere Freunde, in Hamburg ihm überlassen und mich in meine Heimatstadt aufgemacht. Als gefühlte Verliererin: Ich war die Erste in meinem Freundeskreis, die verheiratet war, und nun war ich auch die Erste, die geschieden sein würde. Das war sicher nicht meine Absicht. Das Schlimmste daran war, dass ich nicht mal eine Antwort auf das Warum hatte. Ich wusste nicht, warum alles in die Brüche ging. Es war einfach so. Von einem Tag auf den anderen. Einfach so. Das war, glaubte ich, auch der Grund, warum diese blöden Gedanken es immer wieder schafften, mich zu überfallen. Ich hatte so viele Fragen, so viele Dinge, die ich Casper gerne sagen wollten, aber Monsieur weigerte sich, mit mir zu reden. Oder vielleicht durfte er es auch nicht. Meg hatte so etwas angedeutet, dass die blöde Kuh ihm direkten Kontakt zu mir, in jeglicher Hinsicht, verboten hatte. Und er hielt sich auch noch strikt daran. Aber eigentlich konnte es mir auch egal sein. Es wäre halt ganz schön gewesen, die ganze Geschichte zu verstehen. Wie kam das, dass Liebe von einen Tag auf den anderen einfach weg war? Als ich ins Flugzeug stieg, hatten wir noch kurz telefoniert und er säuselte mir ins Ohr, wie sehr er sich auf mich freute und als ich ausstieg war alles weg. Das verstand ich einfach nicht. Da dankte ich den Gesetzen, da war alles genau dargelegt. Da existierten zwar teilweise verschiedene Interpretationsweisen, aber man wusste was richtig und was falsch war. Es war relativ einfach zu verstehen und man konnte sich vor allem darauf verlassen.
Ich schaute hoch. Mein Blick fiel auf die Uhr. Ich musste mich kneifen, war es Tatsache schon wieder so spät geworden? Konnte das sein? Ich schaute auch auf mein Handy, um mich zu vergewissern, dass es wirklich schon halb zwölf nachts war. Gut, jetzt sollte ich das Licht ausmachen und mich auf den Nachhauseweg begeben. Mit meinem kleinen Mini. Er war das Einzige, was ich aus unserer Beziehung in Anspruch genommen hatte. Den treuen kleinen Mini. Meinen kleinen Schlumpf, wie ich ihn nannte. Er würde mich jetzt sicher nach Hause bringen. Ob ich noch was essen sollte? Hatte ich seit dem Frühstück eigentlich schon etwas gegessen? Ich konnte mich nicht wirklich erinnern. Vielleicht hatte ich noch diese chinesischen Tütennudeln zu Hause, die sollten reichen. Ich fing langsam an, meine Sachen zu packen. Hatte ich auch alles für morgen vorbereitet? Ich schloss langsam ein Programm nach dem anderen auf meinem Computer und packte ein paar Unterlagen ein, falls ich morgen beim Frühstück Langeweile bekommen sollte. Nur für den Fall. Auch wenn mein Frühstück meist aus einer schnellen Schüssel Müsli oder einer raschen Stulle auf die Hand bestand, man konnte ja nie wissen. Ich schaute mich um. Es war schon merkwürdig, dass ich jetzt hier arbeitete. Es gefiel mir wirklich, aber das war der Ort, an dem ich mich vor sieben Monaten noch am wenigsten sehen konnte. Ich schloss alles ab und machte mich auf den Weg in die Garage zu meinem Schlumpf. Vielleicht hatte ich ja auch noch ein wenig Schokolade im Handschuhfach. Die würde auch als Abendbrot dienen können. Ich beschleunigte meine Schritte und öffnete die Türen schon von weitem mit meiner Fernbedienung. Schnell setzte ich mich auf den Fahrersitz, beugte mich rüber und öffnete das Fach. Ja, ich hatte noch einen kleinen Vorrat in meinem Fach und er befand sich sogar noch in einem festen Zustand: Ein Snickers und ein Twix. Das sollte reichen. Wenn Casper Schokolade im Auto sehen würde oder sehen würde, dass Schokolade im Auto gegessen wurde, würde er durchdrehen. Ich musste grinsen, öffnete die Snickersverpackung und vergrub genüsslich meine Zähne in der klebrigen, leckeren Masse. Nachdem ich beide Riegel verputzt hatte, startete ich den Motor und fuhr in meine einsame Wohnung.