Читать книгу Darf ich vorstellen: Amor - Hannah Albrecht - Страница 7

5. Hans

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Ich hatte die Anhörung überlebt. Als ich endlich aufstehen und den drei Herren meinen Rücken zudrehen durfte, spürte ich meine Anspannung bröckeln. Es wurde noch keine Entscheidung gefällt, meine Zukunft hier in der Firma und mit dem Fall war noch unklar, aber ich hatte die Möglichkeit alle Informationen zu teilen, die ich teilen wollte. Die drei Herren hörten mir zu, als ich meine Schuld eingestand und als ich darum bat, weiterhin in den Fall involviert zu sein. Die Entscheidung, was nun passieren würde, musste ich abgegeben. Es war von beiden Seiten alles gesagt worden. Aber eigentlich gab es noch eine Person, bei der ich mich entschuldigen und erklären musste, und das war Alma. Oder besser gesagt zwei Personen. Ich hatte die Anrufe von „Dem Großen“ noch nicht beantwortet. Das war etwas, das ich ändern konnte, wenn ich schon Alma nicht um Verzeihung bitten konnte. Es war dunkel und normalerweise würde „Der Große“ jetzt in seinem Lieblingsbistro sitzen und bei einer Zigarette und einem Glas Wein den Tag Revue passieren lassen. Ich machte mich auf den Weg. Was war schon das Schlimmste, was passieren konnte? Ich lief den Weg in die Stadt. Ich hatte keine Lust auf den Bus, die Bahn oder andere Fortbewegungsmöglichkeiten. Zu laufen gab mir die Zeit, mir Mut zuzusprechen. Er war sicher unglaublich enttäuscht von mir.

Nach einer guten halben Stunde kam das Bistro in Sicht. Es war ein typisch französisches Bistro. Nicht so eines, wie sie sich in der Stadt immer mehr verbreiteten, eine sterile Bäckerei, die zufällig auch Tische hatte, sondern ein uriger kleiner Raum, der dunkle Holzböden und -tische mit kleinen weißen Tischdecken hatte. Hinter der Bar stand der schmale Besitzer und kannte seine Kunden größtenteils beim Namen. Es gab immer die gleichen Leckerlis, wie Tartes und Baguettes mit Schinken oder Käse. Ich betrat den verrauchten Raum und versuchte „Den Großen“ an seinem Stammplatz auszumachen. Als meine Augen sich an den Rauch und die Umgebung gewöhnt hatten, konnte ich „Den Großen“ genau in seiner Ecke erkennen. Ich ging langsam auf ihn zu. Er war in sein Buch vertieft und bemerkte mich erst, als ich am Tisch angekommen war.

Er schaute hoch und ein Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit.

„Das verlorene Kind hat seinen Weg nach Hause gefunden! Was hat denn da so lange gedauert?“, wollte er wissen.

Er schien mir die Situation gar nicht übel zu nehmen. Ich war froh, aber gleichzeitig auch verwundert.

„Ich weiß, entschuldige bitte, aber ich habe mich so geschämt und konnte es nicht ertragen, dich ebenfalls enttäuscht zu haben. Darf ich mich setzen?“

Er gab mir mit einem Nicken und einem unmissverständlichen Blick zu verstehen, dass ich mich gefälligst setzen sollte. Dann drehte er sich zur Bar und lies den Barmann wissen, dass er ein weiteres Glas und eine neue Flasche Rotwein brauchte.

Dann wandte sich wieder mir zu:

„Also, dann hattest du heute deine Anhörung? Und? Haben die Kerle dich richtig schwitzen lassen?“

Ich musste lächeln, ich hatte seine direkte Art richtig vermisst. Vielleicht hätte ich ihn tatsächlich viel früher kontaktieren sollten.

„Ja und wie sie mich haben schwitzen lassen! Ich fühlte mich wie das armseligste kleine Würstchen, das es je gab. Alle meine Erfolge der Jahre zuvor... Wie ausgelöscht! Es wurde nur über diesen einen, bescheuerten Tag gesprochen. Dieser eine dumme, irrsinnige Fehler. Ich weiß ja selber nicht, wie es soweit kommen konnte. Alles nur wegen einer Frau.“

„Der Große“ hörte mir aufmerksam zu. Ob er genau über den Vorfall informiert war? Gerüchte verbreiteten sich in unserer Firma sehr schnell, nur wusste man leider immer nicht, ob der Stille-Post-Effekt eigensetzt hatte oder nicht. Sollte ich ihn fragen? Sollte ich die Geschichte erzählen? Sollte ich warten, bis er die Geschichte einforderte? Aber wie ich ihn kannte, hatte er meine Unsicherheit längst bemerkt.

Er strich den Bart um sein Kinn glatt, bevor er anfing zu sprechen:

„Mein Junge, ich finde Frauen und die Liebe sind die besten Gründe, um Fehler zu machen. Das andere Geschlecht hat eine Macht, die bei uns immer mal wieder zu einer ausgeprägten Denkpause führt und wenn daraufhin ein riesen Fehler passiert, dann werden wir aus keiner anderen Situation mehr lernen, als aus genau dieser. Das ist meine Meinung. Diese Überzeugung habe ich mir durch die vielen Jahre in unserer Brache angeeignet. Das ist doch auch genau der Mechanismus, den wir bei unseren Kunden anwenden, wenn wir sie in Vorbereitungsbeziehungen schicken. Darf ich ehrlich sein?“

Was war das denn für eine Frage? War er nicht immer ehrlich? Was würde denn jetzt kommen? Ich schaute „Den Großen genau an.

„Ja, bitte! Ich bitte darum, dass du ehrlich zu mir bist!“

Er strich erneut seinen Bart glatt, der sich seit dem letzten Glätten keinen Millimeter bewegt hatte.

„Es war längst an der Zeit, dass du einen Fehler, einen existenziellen Fehler, in deiner Arbeit machst! Natürlich tut es mir für deine arme Klientin leid, aber es war nötig! Deine Erfolgssträhne musste mehr Tiefe bekommen. Es ging ja nicht, dass du alle deine Klienten immer wieder nach Schema F abarbeitest. Du warst am Anfang so kreativ und bist individuell auf jeden Menschen neu eingegangen und hast passende Wege gesucht, auch wenn es dich ein wenig länger in Anspruch genommen hat. Dann merktest du, dass ein Weg oft zum Erfolg führte. Daraufhin wurde dieser Vorgang von dir perfektioniert. Du verbuchst zwar damit viele Erfolge, aber es befriedigt dich nicht. Das ist meine Einschätzung. Jetzt hast du die einmalige Chance, wieder zu deiner alten Form zurückzufinden. Junge, glaube mir, dieses Schlamassel ist ein Geschenk für dich. Du wirst stärker heraus kommen, als du hinein geschliddert bist!“

Er füllte unsere Weingläser und prostete mir aufmunternd zu. Diese Reaktion hatte ich beim besten Willen nicht erwartet. War ich doch die ganze Zeit davon ausgegangen, dass er mir den Kopf abreißen würde, weil ich mein ganzes Potential in die Tonne geworfen hatte und vielleicht sogar seinen Namen beschmutzt hatte. Er schien aber nicht im Geringsten wütend zu sein. Im Gegenteil: Meine Situation schien ihm zu gefallen.

„Dann möchtest du mir gar nicht den Kopf abreißen?“, fragte ich ihn verdattert.

„Der Große“ fing schallend an zu lachen.

„Um Himmels willen! Warum sollte ich das denn wollen? Wenn ich jedes Mal einem von euch den Kopf abreißen würde, wenn er einen Fehler macht, dann wüsste ich schon gar nicht mehr, wohin mit den ganzen Köpfen! Wie gesagt: Fehler sind wichtig, es ist zwar ungünstig, wenn sie einen so groben Verstoß gegen die Regeln beinhalten – das wird dann für den Betroffenen unangenehm – aber wichtig sind sie trotzdem. Ich habe dem Komitee meine Empfehlung ausgesprochen und bin gespannt, was sie mit dir machen werden. Aber mal eine persönliche Frage: Hast du im Ernst geglaubt, dass du deine Beziehung retten kannst, wenn du beweisen kannst, dass die Strahlen keine Auswirkungen auf deine Klienten haben,?“

„Der Große“ schaute mich mit aufgerissenen Augen an. Das war eine gute Frage! Und jetzt war auch klar, warum „Der Große“ über den Fall Bescheid wusste, er wurde mit einbezogen. Ich fiel wohl immer noch in seinen Zuständigkeitsbereich.

„Ich wünschte, ich könnte die Dinge auch so sehen wie du. Die Chance im Schlamassel zu sehen… Aber jetzt gerade habe ich nur Angst um meinen Job und ich habe wirklich ein schlechtes Gewissen Alma gegenüber. Sie scheint gerade zu einem dieser Menschen zu werden, die nicht mehr an die Liebe glauben. Sie ist überzeugt, mit der Liebe fertig zu sein. Dabei war sie zwar schon immer verkopft, aber trotzdem sehr romantisch veranlagt. Alles wurde bei ihr geplant und rational analysiert, aber für romantische Gesten war sie immer zu haben. Wenn ich meinen Job verliere, wer kümmert sich dann anständig um sie? Sie kommt dann bestimmt schnell in die Abteilung der schwer Vermittelbaren. Wenn sie Glück hat, wird dann irgendwann einer der übereifrigen Praktikanten versuchen, ihr wirklich zu helfen, es womöglich auch schaffen, aber antun möchte ich Alma das nicht. Hast du nicht eine Idee? Weißt du, wie ich es schaffe, dass sie mich nicht feuern?“

Auf meinen Monolog folgte eine längere Pause, ich konnte sehen, wie „Der Große“ verschiedene Optionen in seinem Kopf abwägte. Es dauerte eine Weile, bis er antwortete:

„Was ich jetzt sage, habe ich dir nie gesagt. Aber ich könnte durchaus eine Idee haben, wie du deine Alma vor den Praktikanten schützen kannst. Um eins klarzustellen: Ich werde nichts daran ändern können, ob sie dir die Kündigung aussprechen oder nicht. Aber sollten sie es tun, habe ich einen Plan. Sollten sie es nicht tun, klappt der Plan auch, du solltest aber auf jeden Fall daran denken, eine Sondergenehmigung zu stellen. Und ich rede von einer Sonder-Sondergenehmigung… Der Genehmigung, dich deiner Klientin zu erkennen zu geben.“

Ich schaute ihn ungläubig an.

„Was meinst du damit, ich soll mich zu erkennen geben? Soll ich etwa zu Alma gehen und ihr sagen: ‚Hallo Alma ich bin dein Amor, dein ‚Seelenpartnerfinder‘, ich habe einen großen Fehler begangen, deshalb hast du deinen perfekten Partner verloren, lass mich dir helfen, dass du einen neuen findest? ‘ Ist das dein Ernst? Soll ich das wirklich tun? Du machst doch Witze oder? Ist das denn überhaupt möglich? Wie soll denn gerade ich diese Sondergenehmigung bekommen?“

So eine Möglichkeit konnte es gar nicht geben. Das war doch verrückt. Oder? „Der Große“ fand es scheinbar ganz und gar nicht verrückt. Im Gegenteil, er meinte es genauso, wie er es gesagt hatte.

„Mein Lieber, nur weil es deinen Horizont übersteigt und du bisher genau nach Vorgaben und in engem Rahmen agierst, bedeutet das keinesfalls, dass es nicht trotzdem andere Optionen für dich gibt. Auch wenn du sie nicht kennst oder vergessen hast.“

Er hatte Recht. In der Zeit, in der ich „Den Großen“ aktiv begleitet hatte, habe ich viele Dinge auf verrückte Art und Weise gelöst. Wie aus dem Bilderbuch habe ich die Frau in Gefahr gebracht und sie heldenhaft von ihrem passenden Partner retten lassen. Solche Risiken bin ich in den letzten Jahren kaum mehr eingegangen. Was erzähle ich da, die bin ich gar nicht mehr eingegangen! Sie waren zu aufwendig. Den gleichen Erfolg haben auch plötzliche Zusammenstöße auf der Straße gebracht oder vertauschte Kaffeebecher im Coffee-Shop. Einfach, aber wirkungsvoll. Er hatte vollkommen Recht, ich war gemütlich geworden. Der Erfolg hatte mich bestärkt, immer wieder die gleichen Geschichten zu nutzen, so wie die Kollegen, die ich in meinen Anfängen als langweilig und überholt abgestempelt hatte. Deshalb war er „Der Große“, er war einfach der Beste!

„Nein, das übersteigt nicht meinen Horizont! Es ist nur sehr zeitintensiv. Aber aufgrund der Prüfung bekomme ich sowieso kaum neue Fälle und Klienten zugeteilt. Es gäbe also theoretisch keinen Grund, den Antrag nicht zu stellen… Stelle ich den bei Frau Müller?“

Das Funkeln in den Augen „Des Großen“ breitete sich über sein ganzes Gesicht aus.

„Das ist mein Junge! Hans Herzlich, willkommen zurück! Ich wusste, das dir diese Situation gut tun würde!“

Er haute mir mit seiner Pranke auf die Schulter und füllte sein Glas nach. Ich hatte meins bisher kaum angerührt, jetzt war mir aber nach feiern zumute. Ich fühlte mich erleichtert, freier und unbeschwerter. Ein Gefühl, dass mir in den letzten sechs Monaten unbekannt geworden war. Jetzt hatte ich einen Plan! Wenn ich direkt mit Alma in Verbindung trat, dann konnte ich ihr auch besser helfen. Bestimmt! Wie ich sie kennengelernt hatte, vielleicht besser nicht zu direkt und nicht zu offensichtlich. Aber aus der Ferne würde ich sie sicher nicht überzeugen. Sie war sehr intelligent, ich musste es gut tarnen! Wenn sie den Braten roch, bevor sie auch nur ein wenig für einen potenziellen neuen Partner empfand, dann hatte ich verloren und sie würde alles abwehren. Gemeinsam mit mir… Das könnte der Weg sein, sie wieder zur Liebe zu führen, ihr den Glauben zurückzugeben, das Vertrauen. Das hoffte ich zumindest!


Darf ich vorstellen: Amor

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