Читать книгу Darf ich vorstellen: Amor - Hannah Albrecht - Страница 6
4. Alma
ОглавлениеGestern Nacht, nachdem ich nach Hause kam, bin ich tatsächlich sofort ins Bett gefallen. Kein großes Grübeln mehr. Meg hatte mir Bescheid gegeben, dass sie die Kiste mit den Fotos vor seiner Tür ohne Probleme mitnehmen konnte. Es hatte zwar geregnet, aber dem Inhalt war nichts passiert. Sie würde sie für mich so lange aufbewahren, wie ich mochte. Ich könne mir Zeit lassen, sie abzuholen. Das würde ich wohl auch tun. Meine Pläne würden mich in der nächsten Zeit nicht nach Hamburg bringen, wenn ich sie irgendwie beeinflussen konnte. Ich stand aus dem Bett auf, ging duschen und machte mir schnell etwas zum Frühstück. Heute würde ein angenehmer Tag auf der Arbeit werden. Ich hatte gestern den größten Teil meiner Aufgaben für heute vorbereitet und der Rest, der auf dem Programm stand, war recht entspannt. Das Einzige, was noch kommen konnte, war ein neuer Vertrag für einen Abschluss, an dem die Marketingabteilung seit Wochen arbeitete. Aber das müsste, wenn, nur vorbereitet werden, die Details würden erst in den nächsten Tagen konkret ausgehandelt werden.
Als ich mein Auto in der Garage parkte und zum Fahrstuhl lief, traf ich meine Kollegin. Wir kannten uns noch nicht lange, aber unsere Firma war nicht so groß, als dass ich in den sechs Monaten nicht schon Kontakt zu allen Angestellten gehabt hatte. Sie war ein fröhlicher, ausgeglichener Mensch, dem scheinbar noch nie etwas Schlimmes im Leben widerfahren war. Wenn doch, hatte sie eine unglaubliche Kraft, immer das Beste in jeder Situation oder Wendung zu sehen. Trotz des regnerischen Tages war sie bestens gelaunt.
„Guten Morgen Frau Ahorn, wie geht es Ihnen heute? Ist das nicht ein herrlicher Morgen? Ich habe ein gutes Gefühl, heute wird ein grandioser Tag.“
Sie drückte den Knopf für den Fahrstuhl, ein rhythmisches Klick-Pause-Klickklick Pause-Klick ertönte. Ich lächelte sie freundlich an und nickte ihr zu. Sie schaute mich von der Seite an und legte ihren Kopf schief.
„Wann sind Sie denn gestern wieder nach Hause gegangen? Ich hoffe doch nicht, dass es wieder so spät war! Wenn ich fragen darf, sind Sie eigentlich in einer Beziehung? Was sagt denn Ihr Freund dazu wenn Sie sich bis tief in die Nacht hier auf der Arbeit rumtreiben? Zieht der Ihnen nicht die Ohren lang?“
Wie viel Information ist zu viel Information? Das war seit einiger Zeit die Frage für mich. Was sollte ich preisgeben? Es war nun einmal so, ich war quasi geschieden, da war nichts mehr zu machen. Es war auch kein so großes Ding, dass ich es nicht erzählen konnte, aber es war immer ein wenig ein Stimmungskiller. Ich entschied mich erstmal für die kurze Version:
„Nein, ich habe keinen Freund, der eifersüchtig auf meinen Freund ‚Arbeit‘ ist. Wenn Sie mich fragen, ist das ein wunderbarer Luxus. Ich kann mich voll und ganz auf das konzentrieren, was mir richtig Spaß macht. Keine Rechtfertigung für zu viele Stunden auf der Arbeit. Genau mein Ding!“
Emma Stein musterte mich eingehend, mit einem leichten Grinsen auf ihrem Gesicht. Es funkelte etwas in ihren Augen. Oh nein, gleich würde sie mir mit einer ihrer Ideen kommen. Ich war gespannt, aber nicht vor Vorfreude, eher vor Panik. Ich würde ihre Gedanken jede Sekunde erfahren.
„Ich habe da eine Idee“, fing sie an, „also, es sieht so aus, dass ich heute Abend eine Verabredung habe oder, besser gesagt, zu einem Treffen eingeladen bin, auf dem auch der ein oder andere Single ist. Wissen Sie, das könnte doch ein perfekter Ausgleich für Sie sein!“
Wir waren in den Fahrstuhl gestiegen und es gab keine Möglichkeit mehr, der Unterhaltung aus dem Weg zu gehen. Gerade hätte ich noch die Chance gehabt, unter dem Vorwand, etwas vergessen zu haben, zum Auto zurückzugehen, aber hier, in diesem Stahlkarton, gab es kein Entfliehen. Wollte ich ihr meine ganze traurige Geschichte in Kurzform darlegen? ‚Sorry, ich habe meinen Scheidungstermin noch vor mir, ich wurde von meinem Mann durch meine ehemalige beste Freundin ausgetauscht, meine Lust auf Männer ist fürs Erste gedeckt. Aber danke für das Angebot.‘? Wahrscheinlich würde sie daraufhin noch stärker darauf drängen, dass ich mich ablenkte. Würde ich mit der Arbeit kommen, wäre das eine Ausrede und sie würde es merken und könnte es persönlich nehmen. Aber ich konnte mir wirklich nicht vorstellen, mich unter die Menschheit zu mischen, über dumme Witze von Männern zu lachen, die sich produzieren wollten und sich anstrengten, toll dazustehen. Wirklich, dafür fehlte mir jegliche Lust und wohl auch der Nerv.
„Hallo? Bekomme ich noch eine Antwort bevor wir aussteigen? Oder muss ich Sie den ganzen Tag stalken, damit Sie zusagen?“, sagte Emma Stein herausfordernd.
Okay, was war mein Plan? Sie wollte etwas hören und auf jeden Fall nicht das, was ich bereit war, zu sagen. Aber sie war ein fröhliches Wesen. Sie würde es schon verkraften, wenn ich ihr dankend absagte.
„Das ist wirklich ein ganz nettes Angebot, aber ich kann heute leider nicht, vielleicht ein anderes Mal?“
Ich hatte mehr Glück, als ich verdient hatte, denn genau in dem Moment öffneten sich die Türen des Fahrstuhls und ich konnte, ohne auf ihre Antwort zu warten, zu meinem Büro hasten und die Tür hinter mir schließen. Fürs Erste hatte ich das Schlimmste abgewendet. Ich schaltete meinen Computer an und setze mich in voller Montur davor. In der Zeit, in der er hochfuhr und die Internetverbindung herstellte, streifte ich meine Jacke dann doch ab und warf sie zusammen mit meinem Tuch auf den Stuhl vor meinem Tisch. Wie immer checkte ich zunächst die Mails auf meiner Arbeitsadresse und schaute dann nach, ob ich etwas Wichtiges auf meinem privaten Account hatte. Ein paar Benachrichtigungen von Facebook, ein paar Design-Newsletter, nichts Wichtiges zu entdecken – bis ich den Namen meiner Anwältin las. Mir lief kurz ein kalter Schauer über den Rücken. Es gab nur ein Thema, wegen dem sie mich hätte anschreiben können. Erst gestern das mit den Fotos, jetzt eine Nachricht von meiner Anwältin. Ich schaute auf den Betreff. „Termin“ war alles, was dort stand. Hatte ich eine Verabredung mit ihr vergessen? Ich versuchte mich zu erinnern, während der Cursor auf der Mail verweilte. Ich konnte mich an keine Verabredung erinnern. Ich übte ein wenig Druck auf die Maus aus und das Geschriebene präsentierte sich:
Sehr geehrte... blah blah blah... der Scheidungstermin wurde festgelegt. Bitte kommen Sie...
Okay, alles klar. Ich holte tief Luft. Das musste noch kommen. Das war der letzte Schritt. Ich musste ihm noch ein letztes Mal unter die Augen treten, ich konnte nur hoffen, er würde die blöde Kuh nicht mitbringen. Aber wie ich sie, in der Kombination mit ihm, kennengelernt hatte, würde sie sich diesen Triumph nicht entgehen lassen. Eigentlich war ich froh, dass der ganze Spuk ein Ende haben sollte. Die Geschichte war beendet und ich hatte nicht einen Moment die Hoffnung oder den Wunsch gehabt, alles wieder in Ordnung zu bringen. Hätte man die Zeit zurückdrehen können, wäre nichts davon passiert, darauf hätte ich mich vielleicht eingelassen. Aber so? Nein! Auch wenn ich mir einfach nicht erklären konnte, wie und warum das alles so passieren konnte. Jemanden zurücknehmen, der mich so hintergangen hatte? Nein danke! Casper und die blöde Kuh hatten doch wirklich, allen Ernstes, verlangt, dass ich Verständnis zeigen sollte, da sie für einander bestimmt waren... NEIN!
Ich wollte mich jetzt weder darüber ärgern noch sollte ich mir Gedanken über dieses Thema machen. Der Termin war noch ein wenig hin, also konnte ich für heute und die nächsten Tage die Mail, und somit das Thema, getrost ignorieren. Ich würde das Datum sofort in meinen Kalender eintragen, die Email schließen und mich auf meine Arbeit konzentrieren. Vielleicht sollte ich mir noch schnell einen starken Kaffee holen. Ich schloss den Internetbrowser, nahm Jacke und Tuch vom Stuhl, hängte sie an die Garderobe und holte mir einen Kaffee in der Küche. Heute würde er schwarz bleiben. Einen guten starken Kaffee, der mir die Schuhe ausziehen sollte. Ich trank einen großen Schluck und merkte, wie sich meine Nerven beruhigten. Komisch, sollte dieses Getränk nicht eher aufputschende Wirkung haben? Ich kam wohl direkt nach meiner Großmutter. Wenn sie nicht schlafen konnte, machte sie sich zur Beruhigung auch immer eine Tasse Kaffee. Nach dem zweiten Schluck war ich entspannt und bereit, meinen Tag noch einmal von vorne zu beginnen. Ich lief zu meinem Büro, wo schon das Telefon klingelte. Ich hatte noch zwei Stunden, bevor das erste Meeting beginnen würde. Genug Zeit, um die paar Emails zu bearbeiten und nachzuhaken, wo meine Infos für den Colemann-Vertrag blieben.
Noch vor ein paar Monaten, bevor ich hier meinen Platz gefunden hatte, dachte ich, mein Leben wäre vorbei. Ich hatte meine kommenden Jahre perfekt durchgeplant. Casper und ich sollten für alle Ewigkeit gemeinsam durchs Leben gehen, er würde erfolgreicher Wirtschaftsanwalt werden und ich würde Richterin am Sozialgericht werden. Dann würden die kurzen Pausen kommen, in denen ich unsere zwei Kinder zur Welt gebracht und umsorgt hätte. Wir hätten uns eine fundierte Existenz in Hamburg aufgebaut, wären ab und zu in die Oper oder ins Theater gegangen und am Wochenende hätten wir schöne Spaziergänge an der Alster gemacht. Aber jetzt kam alles anders. Ganz anders! Nachdem mir klar wurde, dass sich keiner meiner Pläne auch nur im Geringsten verwirklichen würde, bekam ich Panik. In seiner völligen Blödheit und Verplantheit hatte Casper meine Bewerbung für die Stelle als Richterin nicht abgeschickt, was ich auch erst erfuhr, als ich aus Australien zurück kam und mich wunderte, warum sich niemand bei mir meldete. Da war die Bewerbungsfrist schon über einen Monat vergangen. Da entschied ich mich, Hamburg den Rücken zu kehren und begann, Bewerbungen nach Berlin zu schicken. Auch auf Stellen, die ich normalerweise ignoriert hätte. Und wie es der Zufall wollte, meldete sich genau so eine Stelle. An einem Dienstag hatte ich mein Vorstellungsgespräch und am Montag darauf begann mein neuer Job. Und entgegen aller Erwartungen und Pläne liebte ich meinen neuen Job. Es machte mir einen riesen Spaß, Verträge auszuhandeln und in meinem Team zu arbeiten. Aber es stimmte wohl, damals war mein Leben vorbei, zumindest das Leben, dass ich bis dato gelebt hatte. Ich setzte mich entspannt an meinen Schreibtisch und verlor mich in der Arbeit.