Читать книгу Lieber Mord als Scheiddung - Hannelore Kleinschmid - Страница 3
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ОглавлениеIch erlebte die ungewöhnlichste Zeit meines 35-jährigen Daseins. Doch ich war zu angewidert, als dass ich die Spannung hätte genießen können. Ich erlebte leider kein beneidenswertes Abenteuer, sondern todernstes Leben. Es ging um Christoph. Ihm musste ich helfen. Wieder einmal musste ich für den kleinen Bruder in die Bresche springen. Er stand kurz vor der Vollendung seines 23. Lebensjahres, als er in der Klemme steckte wie nie zuvor. In Untersuchungshaft saß er, eine Mordanklage wurde vorbereitet. Vieles sprach gegen ihn. Aber ich glaubte ihm, als er schwor, dass er unschuldig sei.
Schließlich bin ich sein Bruder.
Mir hatte schon damals - ehrlich gesagt - nichts Gutes geschwant, als Elke die Einladung zur Hochzeit präsentierte.
Ich kam aus dem Büro nach Hause, sie trat auf mich zu und sagte, hintergründig lächelnd: "Ich habe etwas für dich, mein Bester. Etwas, das du erwartet hast, wenn auch nicht in dieser Form! Moment bitte!" Dann verschwand sie im Wohnzimmer. Ich blieb mitten im Flur stehen, um ihr das Spiel nicht zu verderben. Sie kam mit dem Goldrandteller wieder heraus, dessen reiche und schwülstige Verzierung uns immer als ein Höhepunkt an Kitsch erschien, obgleich wir wussten, welcher Wert durch das Markenzeichen repräsentiert wurde. Der Teller war ein Geschenk gewesen, also ein geschenkter Gaul. Jetzt lag ein Brief darauf, und meine Frau spöttelte: "Unverhofft kommt oft!“, eine Redewendung, die bei uns gerade „in“ war. Ich nahm den Teller.
Gleich darauf sah ich mich zu einer Verteidigung genötigt. Noch jetzt glaube ich, nichts dafür zu können, dass ich zur erheblichen Wertminderung des Goldrandtellers beigetragen habe. Er fiel auf den Boden, und zwar aus meinen Händen, die eine goldbedruckte Einladung hielten, während mein Grinsen einfror. Der Teller zerbrach in zwei Teile.
"Und ich hatte mir gedacht, wir könnten das herrliche Stück als Hochzeitsgeschenk benutzen! Wäre doch sehr passend gewesenl" klagte meine Frau Elke. Prompt ging einmal mehr die Kinderzimmertür auf. "Ihr streitet.“ triumphierte mein Sohn Jonas. "Ihr habt den goldigen Teller kaputtgemacht." jammerte Tochter Miriam. "Aber uns wird immer gesagt, wir sollten schön aufpassen und nichts kaputtmachen." ergänzte Jonas.
"Schert Euch ins Kinderzimmer!“ verlangte ich ziemlich lautstark. "Ihr seht doch, dass wir etwas zu besprechen haben." erklärte meine Frau. Unter Gekicher ging die Kinderzimmertür wieder zu. Überflüssigerweise wies mich Elke nun darauf hin, dass ich nicht losschreien sollte. Gelassen verwahrte ich mich gegen die immer gleichen Anschuldigungen von ihrer Seite.
Mit den Scherben des wertvollen Tellers und der Golddruckeinladung begaben wir uns ins Wohnzimmer.
"Ich brauche einen Schnaps." stellte ich beim Hineinsinken in meinen Lieblingssessel fest, der sich so vorzüglich meinen Formen angepasst hatte, dass meine Frau behauptete, er sei schiefgesessen – in nur drei Jahren. Jetzt sagte sie allerdings: "Einen Schnaps kann ich auch gebrauchen." Kommentarlos erhob ich mich wieder und verteilte in meiner gutmütigen Art Whisky. Ich holte sogar noch Eiswürfel aus der Küche, die ich, da ich mich unbeobachtet fühlte, der Einfachheit halber mit den Fingern herausklaubte.
"Man sieht noch die Fingerabdrücke;" sagte Elke. Aber in Anbetracht des kaputten Tellers schwieg ich großmütig.
"Prost!“ meinte sie daraufhin und machte eine Geste, mit mir anstoßen zu wollen: "Auf das junge Paar!“ Ich fand die Angelegenheit gar nicht komisch, und so bedachten wir gemeinsam, wie Festivität und Ehe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schieflaufen würden. Nach einigen Momenten des Schweigens bekannte sich Elke zum Resultat ihrer nachmittäglichen Überlegungen:
"Ich komme nicht mitf" erklärte sie. Ihr Tonfall machte mir klar, welch schweren Stand ich hätte, wollte ich sie eines Besseren belehren. Schließlich waren wir seit zehn Jahren verheiratet und kannten uns noch länger. Wir hatten inzwischen unsere Erfahrungen miteinander machen können und gelernt, uns weitgehend so zu akzeptieren, wie wir waren. Die Freunde meinten, deswegen schon, unsere Ehe sei beneidenswert gut. Diese Meinung färbte im Laufe der Zeit auf uns ab. Allmählich wuchs unser Glaube daran, dass wir gute Eheleute seien.
Folglich reagierte ich auf den Entschluss meiner Frau, nicht an Christophs Hochzeit teilnehmen zu wollen, ohne Protest. Ich hätte auch gar keine Zeit dazu gehabt, denn wir wurden aus dem Wohnzimmer verbannt. Jonas und Miriam verkündeten unmissverständlich: "Sesamstraße“. Wir räumten die Plätze, unsere Gläser in der Hand. Erste Station war die Küche, in der Elke routinemäßig die abendlichen Fischstäbchen für die Kinder in einer Pfanne auf dem Herd plazierte, obgleich dieselben von Zeit zu Zeit als arg gesundheitsschädlich getestet wurden. Uns erschien meistens ein bisschen Schaden weniger schlimm als Protestgeheul gegen zu gesundes Essen. Gut eingespielt im Elternteam, stellte ich Teller und Gläser samt der Riesenflasche Ketchup auf den Tisch. Dann gingen wir ins Gäste- und Arbeitszimmer. Endlich konnte ich fragen, warum meine Ehefrau nicht mit mir in meine alte Heimat fahren wollte. Sie erklärte, dass derlei Festlichkeiten nicht kindgemäß seien und sie demzufolge daheimbleiben müsse. Ich gab mich als friedliebender Mensch. Überdies fand ich den Gedanken reizvoll, einmal ohne Familie zu reisen.
"Was sagst du sonst dazu?" erkundigte ich mich.
"Wir sind schuld." antwortete sie. Wir schwiegen gemeinsam und nippten an den leeren Gläsern, bis uns die Wirklichkeit einholte.
"Die Fischstäbchen brennen an." rief Elke. Wie auf ein Stichwort sprang ich gemäß meiner mehr als zehnjährigen Erziehung zur Emanzipation auf und startete durch in die Küche.