Читать книгу Lieber Mord als Scheiddung - Hannelore Kleinschmid - Страница 7
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ОглавлениеWer ungeduldig zu werden droht, weil ich seiner Ansicht nach zu lange bei Schilderungen verharre, die von den Absichten, die ich mit diesem Bericht verfolge, wenig durchblicken lassen, der möge sich nur noch einige Seiten lang gedulden, bis sich ihm die Problemstellung in ihrem ganzen existenzbedrohenden Umfang offenbaren wird.
Über zwei Briefe muss ich zunächst informieren, deren Bedeutung ich nicht richtig einordnen konnte. Der erste gelangte an einem Sonnabend, an dem ich dienstfrei hatte, in unseren Briefkasten. Seit der Hochzeit waren höchstens drei Wochen verstrichen. Meiner Neugier entsprechend, von der ich beruflich profitierte und die ich deswegen selten zu unterdrücken suchte, war ich als erster hinausgegangen, um nach der Post zu sehen. Das erwies sich für mich als günstig. Es war nur ein einziger Brief gekommen, in einem länglichen gelblichen Couvert, die Adresse mit der Schreibmaschine geschrieben, ohne Angabe der Hausnummer. Statt der Postleitzahl für unseren Stadtbezirk war sein Name notiert, ein Absender fehlte, was mich stutzig machte.
Als ob ich den Inhalt geahnt hätte, ging ich äußerst behutsam vor. So ließ ich den Briefumschlag in meiner Hosentasche verschwinden und griff zu einer winzigen Notlüge, als mich meine Frau.fragte, ob Post gekommen sei. Sie wunderte sich, dass keinerlei Botschaft von irgendwoher in unserem Kasten gelandet sein sollte, verdächtigte dann aber, um sich das Ungewöhnliche zu erklären, die Post, die möglicherweise ihrem Briefträger einen freien Sonnabend gewährt und die Briefe und Zeitschriften für die Montagspost sammelte.
Ich äußerte mich dazu nicht. Nach dem Frühstück ging ich zielstrebig zur Toilette, was nicht weiter auffiel, da meine Familie dieses Vorgehen mittlerweile als Gewohnheit billigt. Nur selten geschah es noch, dass Miriam oder Jonas in großes Stöhnen über ein dringendes Bedürfnis ausbrachen, während ich zeitungslesend den gewissen Ort hütete. Diesmal war es nicht die Zeitung, die ich ungestört und ungefragt studieren wollte, sondern das merkwürdige Schreiben. In der Tat war es mehr als merkwürdig, es war obszön. Man konnte es sogar als Drohung auffassen. "Alter Hurenbock" war die harmloseste der Beschimpfungen, die sich mir in Maschinenschrift präsentierten. Ein Ungeübter schien die Schreibmaschine verwendet zu haben. Alles war kleingeschrieben, vieles zusammen. Tippfehler gab es jede Menge, dazu orthographische. Ob das gewollt war oder nicht, konnte ich nicht beurteilen. Ich zeigte den Brief niemandem, weil ich keine Lust verspürte, Fragen zu beantworten. Die Drohung lautete, dass ich mich nie wieder in die Ehe meines Bruders mit Eveline einmischen solle, denn meines Lebens sei ich nur sicher, solange ich den Boden der Burger-Stadt nicht beträte. Ehrlich gesagt, fand ich das Ganze blöd und zuckte daher die Achseln, ohne mich zu fürchten. Um meiner gelegentlichen Vergesslichkeit, die manchmal als Unordnung beschimpft wurde, vorzubeugen, zerriss ich den Unflat in kleine Schnipsel und spülte ihn auf Nimmerwiedersehen in die Kloake der Weltstadt.
Der zweite Brief kam von Christoph.
Er begann mit einer Situationsschilderung:
"Mir geht es eigentlich gut, ich denke Eveline auch. Der Bauch wird kaum dicker. Ihrer, nicht meiner.
Ich gehe zur Uni und häufig in die alte Bude. Deshalb bin ich auch so selten telefonisch in der neuen Wohnung zu erreichen. Aber im September will ich mit dem Examen anfangen. Es muss sein." Der Zufall hat den Brief von Christoph in den Papierbergen, die sich neben mir auf dem Schreibtisch im Gäste- und Arbeitszimmer türmen, erhalten, so dass ich ihn zitieren kann, anstatt mein Erinnerungsvermögen zu bemühen.
Zwei Dinge habe er zu beklagen, fuhr mein Bruder fort:
“Beide sind Scheiße! Entschuldigung, aber es ist so! Mein juristischer Freund von der Uni ist nicht mehr mein Freund, denn er geht total neben der Spur, und das auf meine Kosten. Er hatte mir zugesichert, dass mir aus dem feinen Ehevertrag keine Nachteile erwüchsen! Dabei bekomme ich kein Stipendium mehr, da mein Weib in der väterlichen Firma so viel verdient, dass die zulässige Höchstgrenze überschritten wird. Und kein Mensch hat das bedacht. Jetzt kriege ich keinen müden Schilling. Also muss ich jobben wie ein Irrer - und das tue ich. Außerdem stehe ich auf dem Standpunkt, dass gefälligst die Familie meiner Frau für mich aufzukommen hat. Jawohl. Mir ist egal, was Du denkst."
Ich dachte mir nicht viel, zu fremd war mir Christophs Welt. Aber die folgende Mitteilung ließ mich doch nicht kalt. Er schrieb:
"Stell Dir vor, Brüderlein, gestern ruft die Dame Huberti in der neuen Wohnung an. Sie verlangt mich zu sprechen. Ich bin aber nicht da. Sie wirkt aufgeregt, weshalb meine Goldschnecke nach dem Grund fragt. Sie sagt nur, dass es auf der letzten Seite der Stadtzeitung steht. Wie Du Dich sicher erinnerst, stehen auf dieser Seite vermischte Nachrichten von Todesfällen bis Hochzeiten und Tauschwünschen? Am gestrigen Morgen hieß es dort wörtlich:
'Christoph Anders, jetzt Schwiegersohn der Burger-Familie, illegitimer Sohn des Rechtsanwaltes Meierbeer, ladet zur Feier seiner bestandenen Examina ein.'
Zwei faustdicke Lügen in drei Zeilen! Zuerst war, wie Du Dir denken kannst, meine Holde aus dem Häuschen, und ich platzte vor Wut.
Ich habe sofort bei dem Käseblatt angerufen und mich beschwert. Diese Mitteilungen sind keine Anzeigen und werden nicht bezahlt. Das Blatt reagiert sogar auf anonyme Anrufer wie in diesem Falle. Was meinst Du, soll ich gegen Unbekannt klagen? Bitte ruf mich umgehend an!
Jemand will meinen Ruf ruinieren und mich bei der Familie unmöglich machen. Natürlich habe ich auch mit Meierbeer geredet. Er ist empört, aber das ist auch schon alles. Die Zeitung bringt morgen die von mir verlangte Gegendarstellung. Ich zweifle, ob das reicht. Das Gerücht ist schließlich in der Welt. Ich weiß genau, wer das getan hat: Marianne, die liebe Schwester. Sie kann mich nicht riechen, weil sie Angst hat, ich könnte ihrem Freund gegenüber dem Herrn Papa die Position streitig machen. Ich habe den verehrten Johannes Müller nämlich im Studium längst überrundet, obwohl ich erst viel später eingestiegen und einige Jährchen jünger bin.
Leider kann ich nichts beweisen!
Bruderherz, bitte belästige mich umgehend mit Deinem Rat!"
Das tat ich, nachdem ich einen meiner Freunde von der Jurisprudenz befragt hatte. Dessen Rat leuchtete mir ein, und so gab ich ihn weiter. Von einem Prozess gegen Unbekannt oder gegen die Zeitung sei abzuraten, weil dadurch die Angelegenheit wochenlang breitgetreten werde und sich schließlich auch im Kopf des Uninteressiertesten festgesetzt habe. So bleibe bestimmt etwas hängen von der Verleumdung.
Wen wundert es, dass Elke und ich dies alles höchst unerfreulich fanden. Wir redeten weniger über Christoph als je zuvor. Dabei standen weitere Steigerungsformen des Unerfreulichen bevor.
Nach einer mehrwöchigen Pause des Schweigens meldete sich Christoph kurz nach Mitternacht am Telefon. Ich war gerade eingeschlafen und brauchte einige Zeit, um zu begreifen, was los war. Es war wirklich unbegreiflich.
Christophs Stimme zitterte vor Wut und Empörung.
"Sie hat mich reingelegt." schrie er. “Ich kann es nicht fassen, sie hat mich reingelegt. Ich verstehe die Welt nicht mehr, sie hat mich reingelegt!“
„Immer der Reihe nach! Sonst verstehe ich gar nichts." sagte ich.
"Sie hat mich reingelegt!“ empörte er sich weiter, schnaubte fürchterlich und schien sich dann endlich zu besinnen, dass er nicht anrief, um ständig einen Satz zu wiederholen.
"Stell dir vor", sagte er "sie kriegt gar kein Kind. Sie hat nur Theater gespielt. Sie hat mich die ganze Zeit getäuscht. Nicht mal geschlafen hat sie seit der Hochzeit mit mir, angeblich um die Schwangerschaft nicht zu gefährden. Das ist doch verrückt! Die spinnt doch! lch verstehe gar nichts mehr. Aber wütend bin ich, dass ich sie…
Er brach ab, ohne zu erklären, was er sie…
Ich war perplex. Meine müde Denkmaschine quälte sich. Schließlich sagte ich: "Ich begreife das genauso wenig wie du.“
"Ich kann dir gar nicht sagen, wie wütend ich bin." sagte Christoph. "Was mache ich bloß mit ihr?"
„Nichts!“ beruhigte ich. “Nichts wirst du machen! Es gibt nur ein einziges Mittel: Reden! Wenn du dich ein bisschen beruhigt hast, rede mit ihr! Versuche, herauszufinden, warum sie das getan hat. Sie muss ja Gründe für einen so schwerwiegenden Schritt gehabt haben." Langsam kam ich in Gang.
"Du hast gut reden!" antwortete Christoph auf meine Weisheiten. "Versuch es," sagte ich, "es ist der einzige Weg. Sag den anderen vorläufig nichts! Stelle sie nicht bloß! Sondern sprich mit ihr, wenn du irgendetwas retten willst."
"Kann ich nicht!" erwiderte er. "Kann ich bestimmt nicht!"
"Weißt du was," versprach ich, "ich spreche das mit Elke durch. Sie hat manchmal eine gute Idee. Ich rufe dich morgen Vormittag an. Wo erreiche ich dich?"
Christoph wollte noch in der Nacht die Wohnung verlassen und sich auf seine alte Studentenbude zurückziehen. Da es dort kein Telefon gab und ich das heikle Thema mit ihm nicht über das Telefon der befreundeten Dame Huberti besprechen wollte, sagte er zu, von der Hauptpost aus bei uns anzurufen.
Er rief aber nicht an. Am nächsten Vormittag nicht und in den nächsten Tagen auch nicht. Meine Frau und ich, wir sahen einander hilflos an, wussten wir doch nicht, wie wir Christoph erreichen konnten, ohne Staub in der dortigen Gerüchteküche aufzuwirbeln oder bei Eveline am anderen Ende der Leitung zu landen. Nach zwei Tagen schickten wir ein Telegramm an die alte Anschrift.
Es kam keine Antwort, kein Anruf. Wir wurden nervös, waren voller Fragen und Sorgen und ohne eine Idee, an wen wir uns wenden könnten.
Das heißt: nicht ganz ohne eine Idee. Am vierten Tag riskierte ich, was mir bereits am ersten eingefallen war, ohne dass ich es – aus verständlichen Gründen - Elke sagte: Ich rief von meinem Büro aus bei Elisabeths Wirtin an und fragte nach Sissy. Ich hatte Glück. Sie war zu Hause.
"Guten Tag, Sissy!“ sagte ich und fügte die üblichen Höflichkeiten hinzu, weil ich erkunden wollte, wie sie zu mir stand. Sie war ausgesprochen freundlich, deshalb bat ich sie ohne noch weitere Umschweife: "Könntest Du so nett sein, meinen Bruder Christoph aufzufordern, dass er bei uns anruft. Es ist sehr dringend."
Verständlicherweise hatte sie viele Fragen, aber ich erklärte nur, dass ich im Moment keinen anderen Weg wüsste, um an meinen Bruder zu erreichen.
"Hm" sagte sie. "Ich werde auch Schwierigkeiten haben."
"Wieso?" fragte ich, "Seht ihr euch nicht in der Uni?"
"Eigentlich ja," antwortete Sissy "ich habe Christoph aber schon eine ganze Zeit lang nicht gesehen. Ich weiß nicht genau wie lange. Man achtet ja nicht so sehr aufeinander, wenn man keinen Grund dafür hat."
"Was machen wir bloß?" fragte ich, nun doch ein wenig ratlos
"Ach, ich werde ihn schon finden und ihm deine Bitte ausrichten. Aber" - sie zögerte, "aber was sage ich ihm, wenn er fragt, wieso ich den Boten spiele."
"Erkläre es genauso, wie es war. Ich bedanke mich bei dir, Sissy, und hoffe, ich kann das einmal wiedergutmachen."
Schnell beendete ich das Gespräch, denn einer meiner Chefs steuerte auf mich zu, Arbeit wartete. Ich wartete auch. Im Gegensatz zu meiner Frau tat ich es nun wieder mit einer gewissen Hoffnung.
Die Tage vergingen. Als eine Woche Warterei hinter uns lag, fingen wir an, davon zu reden, ob wir unsere Freundin Huberti oder Rechtsanwalt Meierbeer einschalten sollten. Der Gedanke, dass beide etwas Außergewöhnliches vermuten könnten, wenn ich mich überraschend meldete, ließ uns zögern.
"Du wirst wohl hinfahren müssen, um nach dem Rechten zu sehen". meinte meine Frau zehn Tage nach Christophs mitternächtlichem Anruf. Ich zuckte mit den Schultern und hatte keine Lust.