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"Je später ihr uns morgen aufweckt, umso größer wird die Überraschung."

Auch diesmal verschluckte meine Frau in Erwartung eines harmonischen Abends jeden Kommentar. Übrigens gingen wir nicht ins Kino und bummelten in Anbetracht meiner hungergeplagten Eingeweide auch nur gut dreihundert Meter weit.

Wir aßen ausgezeichnet, fühlten uns allerdings danach so, als hätten wir eine Spur zu viel gegessen. Demzufolge spazierten wir nach dem Mahl wieder die dreihundert Meter zum Auto, um direkt heim zu fahren. Nach einem prüfenden Blick auf die Verkehrslage, die hinsichtlich der Häufigkeit fahrender Autos als ruhig bezeichnet werden konnte, begann Elke mich an einer gewissen Stelle durch die Hose hindurch zu streicheln. Sehr bald spürte sie die erwartete Reaktion. Bei der dritten Ampel küssten wir uns. Weil das sehr gefühlvoll und intensiv geschah, zudem mit geschlossenen Augen, bemerkten wir nicht, dass das grüne Licht mittlerweile den Verkehr wieder freigab. Erst ein lautes, für unsere Ohren schrilles Hupen riss uns in die schnöde Wirklichkeit zurück.

Langjähriges Training steigerte unsere Begierde, während der Wagen beinah von allein den Heimweg fand. Wir hatten es sehr eilig, ins Haus zu kommen. Die Mäntel landeten auf der Truhe im Flur. Die Kinder sahen unser unordentliches Tun ja nicht. Geradewegs ging meine Frau ins Schlafzimmer.

Wäre ich ihr doch nur auf direktem Wege gefolgt!

Stattdessen wollte ich in der Küche einen Orangensaft trinken. Folglich konnte ich den Zettel nicht übersehen, der dort auf dem Tisch lag. Die noch etwas ungelenke Schrift unseres Sohnes verkündete: "Tante Huberti Anruf Wichtich!"

Die Nachricht bemächtigte sich sofort meiner Gefühle, so dass es zwecklos gewesen wäre, Elke die Existenz dieses Zettels vorläufig zu verschweigen. Mit Leichenbittermiene ging ich ins Schlafzimmer und sagte beim Anblick meiner erwartungsvollen Frau: "Scheiße!".

Verblüfft und verständnislos sah sie mich an. Mit der Nachricht, die Jonas so sorgsam für uns notiert hatte, erhöhte ich den Grad ihres Verstehens. Als ich erklärte, ich müsste auf der Stelle anrufen, nickte sie enttäuscht.

Hilde Huberti hielt diesmal nicht den sonst üblichen Wortschwall voller Höflichkeitsfloskeln für mich bereit.

Als ich durch sie von Evelines Autounfall erfuhr, wusste ich noch nicht, dass ich in Bälde zu einem Privatdetektiv, noch dazu auf eigene Kosten, mutieren würde. Obwohl ich nicht Augenzeuge jenes Abends war, von dessen Geschehnissen wir erst 24 Stunden später erfuhren, habe ich mittlerweile eine so klare Sicht auf die Vorgänge, dass ich sie beschreiben kann, als sei ich dabei gewesen.

Christoph besaß ein Motorrad, eine Rennmaschine mit allem Drum und Dran. Wie er das Geld aufgebracht hatte, sie in seinen Besitz zu bringen, bleibt sein Geheimnis. Fest steht, dass er schon lange mehrmals in der Woche neben dem Studium verschiedenen Jobs nachging, von Nachhilfestunden bis zum Transport von Konservendosen.

An den Wochenenden fuhr er häufig zu Rennen und nahm auch gelegentlich selbst daran teil. Wenn er irgend konnte, verschwieg er diese Tatsache lieber, brachte sie ihm doch stets angstvolle Beschwörungen ein, nicht so leichtfertig mit seinem Leben umzugehen.

Eveline fuhr einen teuren weißen Wagen mit bekanntem Markenzeichen und vielen Extras. Auch in ihren besten gemeinsamen Zeiten durfte ihn Christoph nicht allein und eigenmächtig benutzen, er durfte sich nur ans Steuer setzen, um sie zu chauffieren.

Fast ausnahmslos gehörte alles ihr.

In der Neubau-Eigentumswohnung, von ihrem Vater auf Firmennamen gekauft, hatte er keine Leitung verlegen, geschweige denn seine Meinung zur Art der Einrichtung beisteuern dürfen. Von A bis Z samt i-Tüpfelchen hatten Evelines Mutter, ihre Schwestern und sie selbst das Abbild von Empfehlungen bekannter Zeitschriften über zeitgemäßes gutbürgerliches Wohnen geschaffen: geschmackvoll, teuer und unpersönlich. Ich selbst erhielt während meines Hochzeitsbesuches keine Genehmigung zur Besichtigung der Räumlichkeiten. So streng waren die Burger-Sitten.

Christoph gab - im Nachhinein sah es aus wie weise Voraussicht - sein möbliertes Zimmer nicht auf, sondern deklarierte es zur Studierstube. Sein Krimskrams einschließlich der Alltagskleidung - alles Markenartikel, seinen Gepflogenheiten entsprechend - blieb zunächst dort.

Wie er mir erzählt hatte, war er in jener Nacht nach dem Anruf bei uns mit dem Motorrad weggefahren. Stundenlang kurvte er durch die Gegend.

Als er danach in seiner Studentenbude landete, wartete Eveline dort auf ihn. Er entschied sich für einen Begrüßungskuss. Unter Vergessen aller logischen Argumente, über den gegenwärtigen Zustand ihrer Beziehung reden zu müssen, gerieten beide in heftige sexuelle Erregung. Diese Reaktion war nicht verwunderlich, denn sie hatten aus Gründen, die Eveline nie näher erklärt hatte, seit Wochen, ja Monaten mönchisch beziehungsweise nonnenhaft gelebt.

Nach dem dritten vergeblichen Versuch, seine Frau zu ihren ehelichen Pflichten zu verführen, hatte Christoph aufgehört, sie ein viertes Mal zu versuchen. Jetzt aber liebten sie sich mit einer gewissen Verbissenheit, ja Brutalität, weil beide die Schranken der inzwischen entstandenen Hemmungen überwinden mussten. Aneinander gekrallt lagen sie auf der schmalen, von früheren Begegnungen vertrauten Couch. Christoph stieß sie von oben, als wollte er sie durchbohren. Sie stöhnte und schrie. Er achtete nicht darauf, ob sie es aus Gier, Lust oder Schmerz tat.

Doch sie konnten nicht zueinander finden, zu vieles trennte sie.

Jeder kämpfte für sich allein um seinen Orgasmus. Als es Christoph lange genug erschien, dass er sich zurückgehalten habe, ließ er sich gehen.

Er hatte seit gefühlten Ewigkeiten keinen Geschlechtsverkehr gehabt, da er sich dem wachen Auge des Klatsches in der Stadt nicht aussetzen wollte. Nun überkam es ihn so heftig, dass er die Selbstkontrolle verlor. Jedenfalls schilderte er mir später seinen Zustand in dieser Weise. Eveline schrie vor Schmerz und beschimpftet ihn auf das Heftigste und Hässlichste.

Der Zwist hatte nur eine kurze Pause gehabt.

Er sah aus dem Fenster, als sie davonfuhr. Er sah sie nicht wieder.

Die Situation war nicht so, dass er verlangte, man solle für ihn den Sarg öffnen. Ins Leichenschauhaus, um sie zu identifizieren, gingen die Eltern Burger. Er drängte sich nicht danach.

Wie sich herausstellte, war Eveline nicht geradewegs nach Hause gefahren. Auch auf dem Weg zur Villa ihrer Eltern hatte sie sich nicht befunden. Als das Unglück geschah, fuhr sie außerhalb der Stadt in einer waldreichen Gegend auf einer Straße voller Kurven. Keiner vermochte zu sagen, was sie dort gesucht hatte. Sie kannte die Straße gut wie die meisten in der Umgebung der Stadt, in der sie aufgewachsen war. Sie galt als sichere Fahrerin. Alkohol hatte sie seit einiger Zeit völlig gemieden - wegen des erwarteten Babys, wie sie allen erklärte. Der Wagen war zwei Tage vor dem Unglück zur Inspektion gewesen.

Keiner, der Eveline kannte, konnte sich erklären, warum das Auto aus der Kurve getragen wurde und frontal gegen einen Baum prallte, offenbar in großer Geschwindigkeit, denn die vordere Hälfte glich nach dem Zusammenstoß einer zwar unregelmäßig, aber völlig zusammengedrückten Ziehharmonika.

Man nahm später an, dass Eveline sofort tot gewesen ist. Da die Strecke wenig befahren war, wurde sie nicht gleich gefunden. Erst in den Morgenstunden entdeckte der Fahrer eines Lieferwagens die Verunglückte. Vom nächsten Dorf aus benachrichtigte er die Polizei, nachdem er gesehen hatte, dass nichts und niemand mehr zu retten war.

Eveline hatte keine Papiere bei sich gehabt.

Christoph, noch immer wütend, sah am nächsten Morgen keinen Grund, Kontakt zu seiner Frau aufzunehmen. Folglich rief er nicht in der Wohnung an und dachte auch nicht daran, mal vorbeizuschauen und zu läuten.

Auch die Familie Burger bemerkte zunächst nicht, dass ein Unglück geschehen war. Zwar ließ die Mutter ein paar Mal das Telefon klingeln, dachte sich jedoch, als der Hörer nicht abgenommen wurde, die Tochter sei zum Einkaufen oder zum Friseur gegangen.

Die Polizei forschte nach dem Besitzer des Wagens. Dabei stieß sie auf Eveline Anders. Da die Adresse und die Telefonnummer registriert waren, versuchte ein Beamter mehrmals, jemanden in der Wohnung zu erreichen. Vergeblich.

Erst am späten Vormittag löste sich das Problem durch die Person eines zufällig hereinspazierenden Streifenpolizisten, der sich erinnerte, dass eine Tochter des reichen Burger, Eigner der gleichnamigen Werke, vor kurzem durch Eheschließung zu einer Frau Anders geworden war. Der Vater erfuhr als erster von dem Unfall. Christoph hingegen erfuhr es erst am nächsten Tag aus der Zeitung. Die angeheiratete Familie hatte es nicht für nötig befunden, ihn zu unterrichten.

Die Polizei kam zu dem Schluss, dass ein von der Fahrerin ausgelöster Unfall vorlag und beendete Untersuchung sowie Akte. Da es keinen Abschiedsbrief gab, wurde Selbstmord ausgeschlossen, was in diesem katholischen Landstrich alle zufriedenstellte. Eine Obduktion wurde nicht vorgenommen, weil niemand einen Anlass dafür sah.

So nahm Eveline ein Geheimnis mit ins Grab.

Alle, die es wussten - und es wussten fast alle - trauerten auch um das von ihr erwartete Kind. Nur Christoph wusste es besser. Oder glaubte jedenfalls es besser zu wissen.

Ich hatte meinen Bruder gefragt, ob er Wert auf mein Erscheinen bei der Beerdigung lege, ob er meiner quasi-elterliche Stütze bei diesem traurigen Anlass bedürfe. Gottlob verneinte er.

Lieber Mord als Scheiddung

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