Читать книгу Lieber Mord als Scheiddung - Hannelore Kleinschmid - Страница 6
6.
ОглавлениеEveline und Christoph fuhren nach England.
Auf dem Empfang hatte jeder, der es hören wollte oder nicht, von der Hochzeitsreise erfahren, zu der das Paar am nächsten Tag in aller Herrgottsfrühe aufbrechen würde.
Warum man sich nach einem Fest nicht ausschlafen darf, noch dazu, wenn man Hauptperson ist, verstehe ich nicht. Wahrscheinlich verstehe ich es deshalb nicht, weil meine eigene Hochzeitsreise vor gut zehn Jahren ins Wasser gefallen war. Wir mussten nämlich damals die diversen Hochzeitsgäste nach der Art gutsituierter Reiseleiter betreuen, Verwandte, die sich aus den verschiedenen Ecken des deutschen Sprachraums kommend, überraschenderweise unser erinnert hatten und denen wir beflissen die besten Seiten unserer Stadt zeigten.
Früher einmal verließ das Paar, soviel ich weiß, gegen Mitternacht das rauschende Fest, um die Reste der bedeutungsschwangeren Nacht unterwegs oder unter glücklichen Umständen am Ziel zu verbringen. Früher, das heißt vor Anbruch des Tourismuszeitalters, unternahmen allerdings nur die besseren Kreise derlei strapaziöse Fahrten, in erster Linie aus Gründen der Reisekosten.
Christoph absolvierte nun mit seiner Gattin eine standes- und traditionsgemäße Hochzeitsreise. Sie fuhren mit Evelines Wagen und mit Evelines Geld. Als mittelloser Student hätte er sich nur Jugendherbergen leisten können, sie aber bevorzugte Nobelherbergen.
Sie brachen nicht um Mitternacht auf, sondern am frühen Morgen nach einem Kurzschlaf in der neuen Wohnung, in der Mutter und Töchter Burger sogar an einen neuen Pyjama für meinen Bruder gedacht hatten.
Ich bedauerte den schnellen Aufbruch, denn ich hätte gern während meines Aufenthaltes in der alten Heimat mit Bruder und Schwägerin ohne die Spannung der Vortage zusammengesessen. Vor den Feierlichkeiten hatten wir uns unter den gegebenen Umständen nicht dazu in der Lage gefühlt. Später war ein solches Gespräch nicht mehr nachholbar, wie sich herausstellen sollte.
Nach Christophs Aussage war es das einzige Mal während seiner Beziehung zur Burger-Tochter, dass er, als er das Reiseziel wählte, also etwas allein bestimmen durfte.
Eveline war in den 27 Jahren ihres Lebens selten verreist, eigentlich nur mit den Eltern und meistens in das Landhaus der Familie, wenige Autostunden entfernt. Kaum zu glauben: Leute mit Geld sitzen zu Hause; während sich andere Fingernägel kauend und haareraufend damit zufriedengeben müssen, vor dem Globus von Weltreisen zu träumen, dem Frust eines leeren Portemonnaies ausgesetzt.
Da Christoph einstens drei Wochen lang England bereist hatte, sich demzufolge als Kenner britischen Lebensstils fühlte und zu den Fans der Insel rechnete, fiel ihm die Wahl eines Reisezieles leicht. Der Mai - in der Sprache der Touristikbranche nicht der Wonnemonat, sondern Vorsaison - erlaubte eine Fahrt ins Blaue. Niemand hatte freilich bei dieser Planung bedacht, dass die im Reisen unerfahrene und auf Luxus bedachte Eveline überfordert sein würde, weil sie nicht wusste, wohin sie in der Nacht ihr Haupt betten würde. Statt Genuss, wozu sie ja gedacht ist, brachte die Hochzeitsreise - wenn man meinem Bruder glauben will - nur Stress. Liest man entsprechende Tagebucheintragungen - was man freilich nicht tun sollte, obwohl sie sich unter Umständen als Wissensquelle anbieten -, spielten sich in den Hotelappartements und im weißen Wagen Szenen einer Ehe ab, die keine gemeinsame Vergangenheit, keine Gegenwart, geschweige denn eine gemeinsame Zukunft besaß.
Bis zur Heirat hatten sich die beiden immer nur stundenweise getroffen und einander nie über längere Zeitspannen ertragen müssen. In dem Zeitraum, den sie sich kannten, stellte eine Fahrt nach Innsbruck von Sonnabendmittag bis Sonntagnachmittag das längste an erlebter Gemeinsamkeit dar.
Damals waren sie nicht ohne Köfferchen, Reisetasche, Handtasche und Picknickkorb aufgebrochen. Eveline verlangte bereits nach einer Stunde Fahrzeit eine Kaffeepause. Glücklicherweise stellte sich schon zu diesem Zeitpunkt heraus, dass sie ihren Pass vergessen hatte, den sie für den Grenzübertritt benötigte. Also fuhren sie zurück. Nach zwei Stunden saßen sie wieder an der Stelle des Kaffeegenusses, um neuerlich Rast zu machen.
Und jetzt also mit den Ringen an den Fingern die gemeinsame Fahrt in die Fremde. Ich komme an anderer Stelle noch auf Einzelheiten zu sprechen, so, wie sie sich mir in der zeitlichen Abfolge offenbarten. An jenem Sonntag im Mai und den darauffolgenden zwei Wochen wähnte jeder das junge Paar glücklich, der von der Hochzeit wusste.
Auf diese Weise beschwerte man sich nicht unnötig den Kopf, Ich rechne mich insofern zu "man", als ich erfolgreich alle sorgenvollen Gedanken wegdrückte und mir vorhielt, dass ich als älterer Bruder gegenüber einem verheirateten beinahe Dreiundzwanzigjährigen nicht mehr unbedingt mit hundertprozentigem Einsatz die Elternrolle spielen müsste. Zu Recht sagte ich mir, ich hatte und hätte diese Heirat sowieso nicht verhindern können. Hilde Huberti gab mir ihren nachhochzeitlichen Standpunkt noch mit auf den Heimweg. Er besagte, dass Eveline erstens hübsch und wohlerzogen, dass ihr Vater zweitens einflussreich sei und drittens das Geld, von dem Christoph bislang nie nennenswerte Summen sein eigen nannte, zwar nicht allein glücklich mache, aber beruhige, wie Volksstimme so treffend sage.
Zurück im Hotel suchte und fand ich mit lobenswerter journalistischer Akribie die Telefonnummer von Sissys Wirtin, rief dort an und erfuhr, dass sie weggefahren sei und erst am nächsten Morgen zurückerwartet werde. Enttäuscht, aber auch irgendwie erleichtert, warf ich meine Sachen in den Koffer, die Nadelstreifen zuunterst, und setzte mich in den Wagen. Elke erwartet mich am Montag. So freute ich mich, sie zu später Stunde mit der überraschenden Heimkehr des Gatten zu beglücken. Obwohl ich mir im Auto fest vorgenommen hatte, zu Hause sofort einen Ausgleich für die gestrige Nacht zu suchen, und mich auch ausführlich mit den möglichen Details beschäftigt hatte, war ich dann, als ich in meinem Bett landete, entschieden zu müde, mein Vorhaben in die Tat umzusetzen.
Mit einigen beabsichtigten Lücken berichtete ich meiner Frau von den Geschehnissen rund um die Hochzeit in jener Stadt, die wir beide gut zu kennen glaubten. Ich schloss mit der Feststellung, dass jeder nach seiner Fasson selig werden solle, und wir schliefen ruhig ein in dem Gefühl, eine Verantwortung los zu sein.