Читать книгу Lieber Mord als Scheiddung - Hannelore Kleinschmid - Страница 9
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ОглавлениеAls lautstark Doktor Meierbeers Stimme aus dem Telefon drang, befürchtete ich, dass meine Feierabendwelt bald nicht mehr in Ordnung sein würde. Dabei hatte ich mir äußerste Mühe gegeben, den Feierabend vorzubereiten. Nach einem Blick auf das Fernsehprogramm hatte ich schon am Vormittag beschlossen, dass wir den Fernseher nach den Nachrichten ausschalten würden, um uns einander zuzuwenden, nachdem die Kinder ins Bett verfrachtet worden waren.
Während des Arbeitstages bereitete ich mich innerlich darauf vor die Momente unausweichlicher Tätigkeit ausgenommen, wie ich meine Frau Elke durch Hingabe zum Mitmachen bewegen und überzeugen wollte, endlich einmal wieder sei sie an der Reihe, mich zu verführen.
Den Weg dahin malte ich mir aus, während sich die Sportredakteure in der täglichen Konferenz stritten, an welcher Stelle ihre wichtigen Artikel erscheinen sollten,
Nichts von meinem Plan konnte ich verwirklichen. Wenigstens nicht an diesem Abend.
Lückenhaft nur war ich unterrichtet, wie Christoph das Leben eines jungen Witwers ausfüllte. Ich wusste lediglich, dass seine Hoffnung auf ein Erbe keine reine Illusion war, hatte er doch den Ehevertrag nach der Hochzeit kein zweites Mal unterschrieben.
Nach längeren Erklärungen hatte ich schließlich verstanden, dass somit kein rechtsgültiger Vertrag bestand. Nach meinem Erkenntnisstand bedeutete das einen Pflichtanteil für den Ehemann der Verstorbenen.
Wenn ich ehrlich bin, interessierte mich das Ganze nicht sonderlich. Ich nahm an, dass es für Christoph keinen Anlass gab, sich in Gram über eine verlorene Liebe zu verzehren. Streitereien und Familiengezänk hatten diese Liebe augenscheinlich klein und kleinlich werden lassen.
Ganz gegen seine Art und die landesübliche Höflichkeit überging Meierbeer alle Fragen nach unserem Befinden. Stattdessen brüllte er, anscheinend in dem Glauben die weite Entfernung ohne technische Hilfe mit seiner Stimme überbrücken zu müssen, in mein linkes Ohr: "Sie haben ihn verhaftet."
Aus der wohligen Abendgemütlichkeit und den vorgeträumten Erwartungen gerissen, verstand ich nicht gleich. Also fragte ich: "Wen? Wen haben sie verhaftet?“
"Christoph!“ brüllte der Doktor. „Christoph haben sie verhaftet! Wen sonst?" Ich verstand noch immer nicht.
"Warum denn?“ fragte ich.
"Das kann ich am Telefon nicht alles erklären." erklärte er. "Das kostet zu viel."
"Ich verstehe nicht." bekannte ich.
"Ich muss Schluss machen." sagte er.
Offensichtlich sah er auf Grund dieses Ferngesprächs in die weite Welt seinen geschäftlichen Ruin mit Riesenschritten auf sich zukommen.
"Ich muss doch wissen, warum sie Christoph verhaftet haben." beharrte ich.
"Mordverdacht." sagte er schlicht und kostensparend.
Dann fügte er hinzu: "Ich schreibe einen Brief. Ich wollte jetzt nur Bescheid geben. Auf Wiederhören und alles Gute. Meine Empfehlung an die Gattin."
Er hatte sie wiedergefunden, die Höflichkeitsfloskeln, die alles glattstreichen.
Einer plötzlichen Eingebung folgend, schrie ich ins Telefon:
"Bitte vertreten Sie ihn! Sie sind doch Anwalt."
Aber er hatte schon aufgelegt. Ich blieb stehen, wie ich gestanden hatte, den Hörer am Ohr, und stierte vor mich hin. Dann begann ich fürchterlich zu schimpfen. Ich will es mir ersparen preiszugeben, wie wortgewaltig ich fluchen kann.
Meine Frau kam ins Zimmer. Vorwurfsvoll hielt sie mir vor, ich würde die Kinder mit dieser Lautstärke am Einschlafen hindern. Im Allgemeinen setzt bei diesem Stichwort eine schnelle Reaktion ein. Zu sehr bin ich Vater und zu oft Betreuer meiner Kinder, als dass ich nicht die Situation zu schätzen wüsste, wenn sie endlich engelsgleich eingeschlafen sind, als hätten sie nie das letzte Wort gehabt oder in den unpassendsten Momenten zum zehnten Mal hintereinander auf ihrem Nein bestanden. Bei solchen Anlässen schreie ich über kurz oder lang, und zwar sehr laut. Mit Hilfe meiner Frau setzt anschließend mein schlechtes Gewissen wegen unkontrollierter Überreaktion ein. Und dann werde ich weich und vor allem liebebedürftig. Letzteres erkennen die Kleinen leider selten. Regelmäßig zielen und treffen sie mit dem nächsten lauten Nein mitten hinein in diese Sehnsucht nach Harmonie.
Fragen Sie jetzt nicht, was das eigentlich mit der Geschichte, die hier berichtet wird, zu tun habe. Erstens bin ich der Erzähler, und zweitens geht es sowieso schon weiter.
In dem Augenblick nämlich, als meine Frau in das Gäste- und Arbeitszimmer trat, in dem bekanntlich unser Telefon installiert war, was sich - wie erwähnt - bei nächtlichen Anrufen als höchst unbequem erweist, spürte ich statt der ursprünglichen Liebesbedürftigkeit nur noch nackte Wut auf die rücksichtslose Ruhestörung von außen. Logischerweise brüllte ich: "Lass mich in Ruhe. Was weißt denn du schon!"
Es traf meine Frau, nicht Meierbeer oder Christoph oder diejenigen, die ihn verhaftet hatten oder die zu seiner Verhaftung den Anstoß gegeben hatten. Natürlich konnte Elke in diesem Falle nichts wissen, bevor ich es ihr mitgeteilt hatte. Woher denn auch? Statt aber nachzufragen, um die Lücke ihrer Unwissenheit zu schließen, drehte sie sich auf dem Absatz ihrer Gesundheitslatschen um und ging. Immer sind die Leute im falschen Augenblick beleidigt!
Ich setzte mich, nachdem ich zuvor den Telefonhörer hingelegt hatte, wo er hingehörte, und dachte nach. Allmählich ging mir auf, dass ich zu wenig Stoff zum Nachdenken hatte. Mordverdacht und Untersuchungshaft - diese Stichworte waren nicht ausreichend für kluge Überlegungen. Die Erkenntnis beruhigte mich erstaunlicherweise und setzte mich in die Lage, als Friedensuchender ins Wohnzimmer zu schlendern und zudem eine Entschuldigung zu murmeln. Schließlich ging es jetzt um meinen Bruder. Nachdem ich getreulich von Herrn von Meierbeers Telefonat berichtet hatte, machte Elke sich daran mitzudenken. Sie schlug vor - ich glaube jedenfalls, dass sie es war -, Hilde Huberti anzurufen.
"Es gibt nach deiner eigenen Aussage nichts, was sie nicht weiß." begründete sie ihren Vorschlag.
Aufatmend kehrte ich ins Arbeitszimmer zurück. Elke folgte mir interessiert, um wenigstens meinen Teil des bevorstehenden Gesprächs mitzuhören. Ein Redestrom ergoss sich im Folgenden über mich, so dass selbst ich mich wegen der Telefonkosten sorgte. Dabei gehört Sparsamkeit nicht unbedingt zu meinen Charaktermerkmalen.
Mit Elkes Hilfe suchte ich hinterher aus den Wörterbergen der befreundeten Dame die Fakten zusammen. Sie ergaben, dass Christoph in den Vormittagsstunden verhaftet oder jedenfalls von der Polizei mitgenommen worden war. Irgendjemand aus dem Burger-Clan hatte Anzeige erstattet. Das war bereits einige Tage vorher geschehen. Offenbar hatte dieser Jemand Fakten vorgebracht, die die Polizei zu einer Untersuchung veranlassten.
In der Stadt hieß es laut Frau Huberti, an Evelines Auto sei ein Bremsschlauch manipuliert worden. Über meinen Bruder wusste sie nur sehr wenig. Er habe sich in letzter Zeit augenscheinlich von allen früheren Bekannten zurückgezogen, als seien sie schuld daran, dass er durch zwei Examensprüfungen gefallen war. Von diesem Tatbestand hörte ich zum ersten Mal und schluckte krampfhaft. Weil die Hochzeitsgesellschaft noch frisch in meine Erinnerung geprägt war, hütete ich mich irgendjemanden anzurufen und Fragen bezüglich der Prüfungen zu stellen. Oder gar bei der Huberti nachzufragen. Anpassungsfähig wie ich mir erschien, wollte ich nicht zu erkennen geben, dass Christoph mich nicht informiert hatte.
Wie Elke und ich die Sache stundenlang in nächtlichen Gesprächen - ich durfte gar nicht daran denken, wie ich den Abend ursprünglich hatte verbringen wollen - auch drehten und wendeten, wir waren uns einig, dass ich wieder einmal meine Vater- und Mutter-Ersatz-Rolle spielen und zum zweiten Mal in diesem Jahr in die frühere Heimat reisen müsste.
Als meine Frau tags darauf den Koffer packte, wies ich sie hilfreich darauf hin, wie unangebracht diesmal der Nadelstreifenanzug wäre. Meine Brötchengeber gestatteten mir, von einem Tag zum anderen einige Tage Urlaub "aus familiären Gründen" zu nehmen. Damals wusste ich noch immer nicht, worauf ich mich einließ.