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Der verschollene Sohn

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Klaus Pörtner, Ellas Sohn, wohnte bei seinen Pflegeeltern Hans und Rosa Pörtner in Hamburg-Barmbek nicht weit von Hugos Sohn Helmut, der in Hamburg-Uhlenhorst bei seiner Mutter im 4. Stock des Wolf-Delikatessengeschäfts zu Hause war. Sie gingen in die gleiche Schule in der Averhoffstraße und waren - obwohl Helmut etwas älter war - in derselben Klasse. Barmbek ist ein Arbeiterviertel, dagegen wohnt in Uhlenhorst überwiegend der gehobene Mittelstand. Ein Unterschied, der immer wieder zu Reibereien auf dem Schulhof führte. Klaus war ein untersetzter, stämmiger Typ, der es verstand, sich mit seinen Fäusten und seinem Mundwerk durchzusetzen. Helmut jedoch war hochgewachsen, schlank, eher feingliedrig und behauptete sich eher mit dem Kopf als mit den Muskeln. Beide mochten sich nicht. Sie gingen sich nach Möglichkeit aus dem Wege.

Helmut Wolf überquerte den Hofweg, bog in die Averhoffstraße ein und war auf den Weg zur Schule. Er dachte an die Frau, die er soeben im Laden traf und die ihn überaus erstaunt und sehr interessiert angesehen hatte. Er wusste nicht was, aber irgendetwas in ihren Gesichtszügen kam ihm bekannt vor. Er schüttelte sich, denn die Blicke dieser merkwürdig aussehenden Frau, waren alles andere nur nicht angenehm. Sie hatte etwas Undefinierbares an sich, das, wenn er sich nicht täuschte, ihm schon mal begegnet war. Er schaute stolz auf die Uhr an seinem Handgelenk, die er unlängst von seiner Mutter geschenkt bekam und bemerkte, dass er sich beeilen musste, wenn er nicht zu spät kommen wollte. Als er am Tor zum Schulhof angelangt war, sah er, wie Klaus Pörtner langsam mit einer Zigarette im Mundwinkel auf ihn zukam. Er wollte so tun als ob er ihn nicht gesehen hätte, aber Klaus war schneller, packte ihn am Arm und sagte:

„He, Langer, hast wohl Schiss mir zu begegnen, was?“

Helmut erwiderte nichts, drehte sich um, schaute seinem ewigen Kontrahenten ins Gesicht und als er „Guten Morgen“ sagen wollte, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen und er erkannte, dass die Gesichtszüge von diesem Rabauken denen der kleinwüchsigen Frau aus dem Laden ähnelten.

´Das kann nicht wahr sein´ dachte er, ´das steht doch in keinem Zusammenhang´, und ging die Stufen zur Halle hoch, während Klaus noch auf dem Hof den Stummel seiner Zigarette ausdrückte.


Am Hofweg verlief das Leben normal. Ella war längst gegangen und Erika wunderte sich immer noch, denn das war nicht ihre Art hastig den Laden zu verlassen, ohne Plausch und Neuigkeiten über Hugo zu erfahren, derentwegen sie ja eigentlich gekommen war. In dem Moment, als sie eine Kundin bediente, läutete das Telefon im hinteren Zimmer, in dem tagsüber die alte Frau Wolf saß und in dem der Schreibtisch stand, an dem der alte Wolf seine Büroarbeiten erledigte. Erika hörte nur wie die alte, schwerhörige Frau immer wieder „Hallo, hallo, wer ist da“ in den Hörer schrie, ließ alles stehen und liegen, eilte nach hinten, nahm den Telefonhörer aus der Hand ihrer Schwiegermutter und meldete sich im letzten Moment, als Uwe Bender wieder auflegen wollte. Nach dem kurzen Gespräch, setzte sie sich, zündete sich mit zitternder Hand eine Zigarette an und ohne ihre Schwiegermutter, die natürlich wissen wollte, wer da angerufen hat, zu beachten, überlegte sie, was man am besten tun könnte.

Hier unten konnte er nicht untergebracht werden. Hier war kein Platz. Und abgesehen davon waren seine Eltern zu alt, um ihn zu versorgen. Oben? Auch nicht, außerdem war sie seine Geschiedene und somit nicht mehr für ihn verantwortlich. Fragt sich nur, wie schwer seine Verletzungen waren? In dem Moment hörte sie das Klingeln der Ladentür und erkannte an den schweren Schritten, die sich näherten, dass es der alte Wolf war. Mit der Zigarette in der Hand fühlte sie sich ertappt, stand abrupt auf und ärgerte sich über die immer noch wiederkehrende Unterwürfigkeit. Ohne ein Wort von sich zu geben ging er an seinen Schreibtisch, setzte sich, hob ein Bein und gab ihr zu verstehen, dass er die Schuhe von ihr ausgezogen haben wollte. Sie kniete vor ihm nieder, befreite ihn von den schweren Stiefeln und zog ihm auch noch seine Hausschuhe an. Dann stand sie entschlossen auf und sagte:

„Ich gehe nur noch mal kurz weg“, und ohne eine Antwort abzuwarten ging sie durch den Laden auf die Straße zur nächsten Telefonzelle.

„Hallo Ella, warum sind Sie denn so schnell aus dem Laden gegangen? Ohne etwas zu kaufen, was war denn los?“

„Ach, nichts weiter, Erika, ich hatte nur vergessen, dass ich noch eine wichtige Verabredung hatte. Was gibt es Neues? Was ist so dringend, das du mich anrufst?“

„Ja, es gibt was Neues, allerdings nichts Erfreuliches.“ Ehe sie weiter sprach machte sie eine kurze Pause und vernahm das ungeduldige Schnaufen in der Leitung. „Kurz nachdem Sie weg waren, bekam ich einen Anruf aus Frankreich; der alte Wolf war nicht da, und so konnte ich das Gespräch annehmen.“ Wieder Pause. Und durch die Stille am anderen Ende der Leitung wurde Erika unsicher. Sie war schon dabei einen Rückzieher zu machen, als sie die neugierige Stimme von Ella erneut hörte: „Nun mach schon, was gibt es denn so Unerfreuliches?“

„Hugo ist verunglückt. Die Eltern von ihm wissen es noch nicht. Ich wollte zuerst mit Ihnen sprechen und fragen . . .“

„Ja, und weiter, muss man denn immer alles scheibchenweise aus dir herausquetschen?“

„Uwe Bender, sein Freund, der anrief sagte, dass er schwerverletzt im Krankenhaus liegt und nach Deutschland überführt werden muss. Ja, und da wollte ich fragen, ob ich es den alten Leutchen sagen soll oder nicht, und was man da tun muss. Uwe hat gesagt, dass er morgen zwischen 11 und 12 nochmal anruft.“

„Nun hör genau zu Erika; zu den beiden Wolfs sagst du vorläufig nichts. Wenn der morgen anruft, dann gib ihm meine Telefonnummer, oder besser noch sag ihm, dass er sofort zurückgerufen wird, aber lass dir die Telefonnummer geben unter der er zu erreichen ist. Ich werde mich um alles kümmern und gebe dir dann Bescheid. Hörst du? Unternimm nichts! Sage nichts den Eltern! Verstanden?“

„Ja, aber ich kann doch nicht so ohne weiteres seinen Eltern gegenüber alles verschweigen. Wie soll es nun weitergehen?“

„Du benimmst dich wie immer, und morgen nach Ladenschluss kommst du hierher zu mir; dann sage ich dir, was ich von diesem Bender erfahren habe und wie es weitergehen wird. Verstanden?“

„Ja“, sie wollte noch sagen, dass er weder bei seinen Eltern noch bei ihr untergebracht werden kann, doch da war bereits aufgelegt.

Ella ging zu ihrer Hausbar, Nachahmung aus Chez Nous und goss sich einen doppelten Cognac ein. Sie triumphierte, bald würde sie ihn da haben, wo sie ihn wollte. Sorgen bereiteten ihr nur die Umstände, das heißt, wie es zu dem Unfall kam und ob er wieder vollständig, ohne Folgeschäden, genesen wird. Zwar wollte sie ihn, das steht außer Frage, aber keinen womöglich bleibenden Pflegefall. Falls dem so wäre, würde sie sofort rigoros einen Rückzieher machen. Darüber war sie sich im Klaren. Den Samariter würde sie bei niemandem – auch nicht bei Hugo Wolf – spielen.

Sie nahm Papier und Schreiber und notierte sich die zu erledigenden Maßnahmen. An erster Stelle musste geklärt werden, ob Hugo in Deutschland krankenversichert war. Wenn nicht, dann würde sich die Angelegenheit erledigt haben, denn sie hatte nicht vor, sich wegen einem Kerl in Unkosten zu stürzen. Bei aller Liebe, auch nicht, wenn es sich um einen Hugo Wolf handelt. Aber höchstwahrscheinlich wird dieser dubiose Anwalt Uwe Bender morgen mehr über das, was sie wissen muss, sagen können. Und während sie darüber nachdachte, ob und wo sie diesem Anwalt vielleicht schon mal begegnet war, nahm sie den Telefonhörer und wählte die Nummer von Max Becker.

Max Becker schlief noch. Er hatte eine anstrengende Nacht hinter sich. Seitdem er ein Teil des Chez Nous nach der Renovierung umgewandelt hatte in ein Frühlokal, das ohne sein Zutun als „Lumpensammler“ stadtbekannt wurde, brummte der Laden. Von überall kamen Nachtschwärmer, die nicht wussten wohin, oder noch nicht nach Hause gehen wollten, die zuallerletzt doch noch auf ein Abenteuer hofften, wonach sie in der Nacht vergeblich gesucht haben, denn in dem sogenannten Lumpensammler verkehrten Frauen aller Art, auch ohne Begleitung. Und wenn er dann die Nacht im Chez Nous mit anschließend ´Lumpensammler` durchmachte kam er fast jeden Tag erst vormittags übermüdet ins Bett und war natürlich geschafft. Mehrmals hatte er versucht, einen Geschäftsführer einzustellen, doch das schlug meistens fehl, weil es seiner Meinung nach in dieser Branche keine ehrlichen Leute gab.

Als das Telefon auf dem Nachtschränkchen an seinem Bett läutete, war es noch nicht mal vier Uhr nachmittags. Unwirsch, noch im Halbschlaf nahm er den Hörer und meldete sich mit seiner vom vielen Rauchen heiser gewordenen Stimme:

„Wer das auch immer ist, den hol der Teufel, ich will in Ruhe gelassen werden.“

Ella, der seine Redensarten wohl bekannt waren, denn es war nicht das erste Mal, dass er sie zum Teufel scherte, kam sofort zur Sache:

„Ich brauche deine Hilfe.“

„Schätzchen, wievielmal habe ich dir gesagt, dass du mich nicht um diese Zeit anrufen sollst. Was immer du willst, jetzt kann ich eh nichts für dich tun. Hat das nicht Zeit bis später?“

„Nein, wenn ich sage, ich brauche deine Hilfe, dann hat es keine Zeit bis später.“

„Na, dann schieß los.“

„Du kennst doch Hugo Wolf?“ „Ja, hat er wieder einen über den Durst getrunken? Liegt er wiedermal in der Ausnüchterungszelle? Ich denke er sitzt am Mittelmeer in der Sonne? Und deshalb raubst du mir den Schlaf . . .“ „Unterbrich mich bitte nicht! Er hat weder zu viel getrunken noch ist er auf irgendeiner Polizeiwache. Er hatte einen Unfall, liegt lebensgefährlich verletzt in einem Krankenhaus in Toulon und muss nach Hamburg geholt werden.“

„Und, was habe ich damit zu tun? So gut kenne ich ihn wiederum auch nicht. Und nur weil du in diesen Kerl verrannt bist, kannst du doch nicht alle Pferde scheu machen.“

Ella überhörte die Anspielung. Eine entsprechend patzige Antwort lag ihr auf der Zunge, doch sie schluckte sie runter und fuhr fort: „Morgen im Laufe des Vormittags erfahre ich Näheres. Aber ich möchte, dass du dich jetzt schon um ein entsprechendes bequemes Fahrzeug mit einem Fahrer kümmerst, der den Verletzten zurück nach Hamburg bringt.“

„Mehr nicht? Sag mal hast du noch alle Tassen im Schrank, von mir solche derartig aufwendige Dinge zu verlangen? Wer kommt denn für die Kosten auf?“

„Du. Du schuldest mir mehr noch, als solche - in meinen Augen - Lappalien. Also schweig und tu, was ich dir sage!“

Die Egomanin

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