Читать книгу Die Egomanin - Hannelore Wulff - Страница 3
Prolog
ОглавлениеDer Mann stand auf der anderen Straßenseite gegenüber dem Haus, aus dem eine alte Frau mühselig die zirka zehn Treppenstufen eine nach der anderen hinunterhumpelte. Mit ihrer linken Hand, an der sie eine für sie verhältnismäßig große Tasche trug, hielt sie sich am Geländer fest. An ihrer rechten Hand hing eine Leine, an der ein kleiner Hund versuchte, sich loszureißen. Er zerrte knurrend mit aller Gewalt, so dass es aussah, als ob die Frau jeden Moment stolpern und die Treppe herunter fallen würde. Fast jeden Tag sah sich der Mann diese gefährliche Prozedur an und fast jeden Tag blieb er wie angewurzelt stehen, bis es der Frau gelang, heil die Stufen herunter zu kommen. Erst dann wollte er ruhig weitergehen. Doch fast jedes Mal musste er sich die von der Frau in voller Lautstärke über die Straße geschrienen Schimpfworte, die manchmal sogar unter der Gürtellinie gingen, anhören. „Hau bloß ab du Dreckskerl, du Spanner, meinst du, ich weiß nicht, dass du hinter mir her bist? Dass du mir auflauerst, nur um mit mir . . .“ Das Weitere hörte sich der Mann gar nicht mehr an. Er machte, dass er schnell aus der Reichweite dieser Dame mit ihren lautstarken obszönen Äußerungen kam. Er wohnte schon etliche Jahre in dieser ´feinen` nur für die oberen Zehntausend gedachten Straße in Harvestehude. Und als er das erste Mal diese geschmacklos und billig aufgetakelte alte Dame aus dem gegenüberliegenden Haus kommen sah, musste er unwillkürlich stehen bleiben, weil jeder in solch einem bewusst auffälligen Outfit Aufsehen erregte und einfach nicht in diese vornehme Gegend passte. Später hatte er erfahren, dass sie im Hochparterre zur Miete wohnt und mit dem jetzigen Hausbesitzer bereits zehn Jahre im Clinch liegt, und man sagte ihm – die ganze Straße redete davon - dass sie in ihrem hohen Alter, sie mag ungefähr über neunzig sein, quasi Kündigungsschutz besäße, und es zeitaufreibend lange dauern würde, bis der Hauswirt dieses, sein sogenanntes Krebsgeschwür, aus dem Haus bekommt. Heute, und das sah der Mann erst jetzt, stützte sie sich auf eine Krücke und ging auffallend langsam zu der im Souterrain gelegenen Garage, in der ihr Oldtimer stand. Sie fuhr immer noch Auto. Mehr noch als waghalsig, denn wenn sie rückwärts auf die Straße lenkte, ging jedes Mal ein Hupkonzert der ihr entgegenkommenden Fahrzeuge los, das sie stur nach dem Motto ´die Straße gehört mir` schimpfend ignorierte. Immerhin war sie noch im Besitz ihres Führerscheins. Jeden Morgen zur gleichen Zeit, fuhr sie bei Wind und Wetter, bei Eis und Schnee bis zu dem kleinen Park an der Außenalster, um ihren Hund auszuführen. Es war schon beinahe Routine, doch wie lange würde es noch dauern? Wie lange würde sie noch fähig sein, diese Strapazen auf sich zu nehmen? Wenn jemand sie darauf ansprach, wurde er angeschnauzt: er solle sich um seinen eigenen Dreck kümmern. Nein, angenehm höflich war die Dame nicht. Und niemand in der Straße wollte etwas mit ihr zu tun haben. Die armen Hunde, ihre Tiere wurden bei ihr nicht alt, taten den Leuten leid. Man sagte, sie hätte Geld. Nur man wusste es nicht so genau. Früher, das heißt, noch vor nicht allzu langer Zeit, war sie einmal Maklerin gewesen. Sollte auch damit Erfolg gehabt haben, denn sonst hätte sie nicht die in diesem Viertel üblichen hohen Mieten für ihre Wohnung bezahlen können, wobei allerdings ihr Hauswirt ihre nach dem alten Mietvertrag gültige Miete nicht erhöhen kann, weil er damit sie als Mieterin anerkennen würde. Es hört sich alles ein bisschen kompliziert an, aber dafür hatte sie als Maklerin seinerzeit, als der Mietvertrag zwischen ihr und den alten Leuten, den Vorbesitzern, von ihr ausgeklügelt wurde, gesorgt. Zu der Wohnung im Hochparterre gehört laut Mietvertrag die beheizbare Einzelgarage, ein Kellerraum, ein geräumiger nach hinten gelegener Garten und eine große Sonnenterrasse. Die Wohnung selbst ist etwa 180 qm groß. Armer Hauswirt, er muss mit der bei weitem nicht so großzügigen oberen Etage und einer kleinen Dachwohnung auskommen und ist natürlich diesbezüglich stinksauer. Als das Haus zum Verkauf stand, wollte es wegen des ausgebufften Mietvertrages niemand haben. Der jetzige Besitzer dachte zuerst, er hätte ein Schnäppchen geschlagen, bis er dann einsehen musste, dass seine Mieterin quasi bis an ihr Lebensende laut Gerichtsbeschluss, denn Kauf bricht nicht Miete, unkündbar ist, und wenn er Pech hat, ihn sogar noch überleben wird.