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Man nannte ihn Rudi

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Rudi Paschke war ein waschechter Berliner ohne Familie. Seine Mutter war bei den Bombenangriffen gestorben und sein Bruder an der Westfront gefallen. Er selbst hatte den Krieg gut überstanden. Zwar war er die ganze Zeit über an der Ostfront, jedoch als Ordonnanz einem Zahlmeistermajor zugeteilt, dessen Aufgabe es war, für Versorgung und Nachschub der Truppe im Bereich der Verpflegung zu sorgen, führte er ein verhältnismäßig ruhiges Leben. Auch als in Berlin bis zum Ende des Krieges um jedes Haus, jede Ruine gekämpft wurde, befand er sich außerhalb der Schusslinie und konnte als `Befugter´ in aller Seelenruhe die Magazine, in denen die erlesensten Lebensmittel lagerten, für sich ausräumen. Während der nachkriegschaotischen Zustände und auch noch während der Zeit der Blockade war er der Kopf einer der mächtigsten Schwarzmarktschieberorganisationen Berlins. Schon von Anfang an wechselte er in den Westsektor über, wohnte als normaler Bürger in Dahlem, und hatte beste Beziehungen zu den Besatzungsmächten. Zu seinen unmittelbaren Nachbarn gehörte Professor Sauer, Chefarzt der Dermatologie an der Charité. Er war mit der Familie eng befreundet, schon weil er während der Blockade den Professor und seine Frau mit dem Lebensnotwendigen versorgte. Mit Dingen, die man nur auf dem Schwarzmarkt bekam. Man tuschelte in Bekanntenkreisen, dass er mit der Frau des Professors ein Verhältnis hatte. Und als der Professor nach der Währungsreform starb, hinterließ er das Geheimrezept von der erfolgversprechenden Gesichtscreme „Hormoderma“. Die Witwe war alleinige Erbin. Rudi Paschke schlug ihr vor, Hormoderma auf den Markt zu bringen. Sie gründete eine Firma und machte ihn zum Geschäftsführer. Anfangs sah es gar nicht so aus, als ob sie Erfolg haben würden. Denn wenn deutsche Frauen in der Lage waren, kosmetische Produkte zu kaufen, bevorzugten sie französische oder amerikanische Artikel, die sich immer mehr auf dem deutschen Markt ausbreiteten. Sie investierten viel Geld, das nach der Währungsreform eh knapp war, in das neue Unternehmen. Im Krankenhaus Charité mietete er ein Labor und holte sich für die Mixtur der Creme erfahrene Dermatologen und Pharmazeuten. Aber alles musste bezahlt werden. Er flog von Berlin aus in die Bundesrepublik und besuchte für den Absatz von Hormoderma in den großen Städten, wie München, Düsseldorf, Frankfurt, Hannover, etc. sämtliche Drogerien/Parfümerien und in Frage kommende Geschäfte und landete somit per Zufall in Hamburg im Chez Nous bei Ella Bolle. Er hatte schon lange darüber nachgedacht, Berlin den Rücken zu kehren. Denn Berlin war eine Insel geworden, von der man nur mit dem Flieger fortkam. In den Osten konnte er nicht, er hatte zu viel Dreck auch dort am Stecken und in Westberlin war man vor Entführungen nicht sicher. Er brauchte ein drittes Standbein und das könnte durchaus Hamburg sein. Und er brauchte eine Ausweichmöglichkeit, die es ihm ermöglichte – falls die Creme doch nicht das versprach, was man sich erhofft hatte, schon weil zu viele von dem Kuchen etwas abhaben wollten – in ein zweites und drittes Geschäft einzusteigen, ohne jegliche Haftung seinerseits. Mit St. Pauli der Reeperbahn wollte er nichts zu tun haben. Auch nicht mit den einschlägigen Vierteln am Bahnhof. Was ihm vorschwebte, war genau das, was auch Ella Bolle vorhatte. Hamburg war voll von wunderschönen, langbeinigen jungen lebenslustigen Frauen, die in der Innenstadt in Kontoren und Kaufhäusern arbeiteten und die in den Mittagspausen und nach Feierabend viel Zeit hatten für gewisse Dinge, besonders auch, um sich etwas zuzuverdienen. Und die Herren? Er versetzte sich in die Lage gewisser Männer, die Zuhause nicht mehr das hatten, was sie sich eigentlich wünschten, aber nicht die Komplikationen mit einer ständigen Geliebten in Kauf nehmen wollten. Sie wollten nur mal so, auf die Schnelle, in der Mittagspause. Ohne Verpflichtung, ohne gefragt zu bekommen „wann kommst du wieder“ oder mehr noch „wann lässt du dich scheiden“. Dem konnte er abhelfen. Das heißt, nicht er alleine. Noch brauchte er Kontakt zu Personen, die sich in dem Milieu auskannten, die auch Beziehungen zu den Behörden hatten, denn alles – und darauf legte er großen Wert – musste diskret über die Bühne laufen. Es mussten sozusagen Privatclubs sein, die ohne Konzessionen und mit Damen, die nicht professionell registriert waren, arbeiten konnten. Und ein Instinkt sagte ihm, dass die Zeit dafür gekommen war, dass Ella Bolle, dieser Giftzwerg – wie er sie bereits nannte – genau das Richtige für seine Zwecke wäre, und dass ein von seiner Firma eingerichteter Kosmetiksalon als perfekte Tarnung dienen würde. Die Bedingungen hatte er im Laufe des Tages aus Berlin telegrafisch erhalten, so dass er autorisiert verhandeln konnte.

Der Alsterpavillon, der nach den Bombenschäden erst kürzlich wieder in Betrieb genommen wurde, war eines der schönsten Plätze Hamburgs geworden. Er saß aber nicht an einem Tisch mit Blick auf die Binnen-Alster, sondern hatte es vorgezogen einen Eckplatz zur Straßenseite zu nehmen, wo es verhältnismäßig ruhiger zuging. Er wollte sich gerade eine Zigarette anstecken, als er sah wie Ella Bolle die paar Stufen zur Terrasse hochkam und ihn bereits am Fenster erblickte. Erstaunlich, dachte er, dass sie bei der Behinderung so gut laufen konnte.

Sie kam auch gleich zur Sache und nach einem kurzen Hallo, sagte sie: „Viel Zeit haben wir nicht. Sagen Sie mir nur, ob Ihre Telefonate erfolgversprechend waren und die telegrafische Bestätigung vorliegt, denn wir müssen sofort los, der Vermieter ist nur noch eine halbe Stunde in seinem Geschäft.“

Er erhob sich, bezahlte und trottete hinter Ella her zu den Colonnaden. Die Räumlichkeiten gefielen ihm, sogar sehr, und ohne noch lange zu überlegen, machte er an Ort und Stelle im Namen seiner Firma einen Mietvorvertrag.

Es war alles so, wie sie es sich vorgestellt hatte, vielleicht etwas zu schnell, aber dann sagte sie sich wiederum ´wer nicht wagt, der nicht gewinnt`. Sie musste nur aufpassen, nicht übers Ohr gehauen zu werden. Und abends machten sie Nägel mit Köpfen im Büro von Max Becker, der ohne zu zögern und im Einverständnis mit Paschke sich an dem Geschäft beteiligte und auch dafür sorgte, die kompetenten Handwerker für die Renovierung, Einbauten und Dekorationen zu beauftragen. Die Regie übernahm Ella. Und sie führte ihren Job als Chefin so aus, als hätte sie nie zuvor anderes getan. Alles verlief verhältnismäßig schnell über die Bühne, und knapp einen Monat später konnte die Eröffnung gefeiert werden. Die Presse war dabei und sogar einige Behördenvertreter, schließlich war man bemüht, Niederlassungen jeglicher Art nach Hamburg zu locken, denn Hamburg war im Begriff kulturell eine wichtige Rolle in der jungen Bundesrepublik zu spielen und das zog natürlich Künstler aus aller Welt an, für die Schönheitssalons eine Selbstverständlichkeit waren.

Rudi Paschke war es gar nicht recht, dass so viel Tamtam um die Hormoderma-Produkte gemacht wurde, die in seinen Augen nur ein Aushängeschild waren, da sich das eigentliche Geschäft – wie gesagt – hinter den Kulissen abspielte. Nun ja, es wird sich zeigen, dachte er und machte gute Miene zum bösen Spiel. Auch Ella fühlte sich nicht so ganz wohl in ihrer Haut. Sie sah zu, dass sie, wenn überhaupt, so wenig wie möglich fotografiert wurde und bei der erst besten Gelegenheit verabschiedete sie sich klammheimlich still und leise und überließ Max Becker und Rudi Paschke alles Weitere.

Das Geschäft lief anfangs gar nicht so gut, wie man erhofft hatte. Schließlich waren die Colonnaden keine Laufgegend, mehr eine Seitenstraße der Innenstadt, in die man hin wollte. Außerdem war es ein Schönheitssalon auf Etage. Zwar war alles geschmackvoll und vom Feinsten eingerichtet, aber für die erwünschte Kundschaft noch unbekannt. Es müsste Reklame gemacht und besonders darauf hingewiesen werden, dass auch Herren in den Genuss der Behandlungen kommen könnten.

Doch nach einigen Monaten hatte es sich herumgesprochen, dass dieser Salon ein Etablissement war, in dem erotische Massagen angeboten wurden. Ella schlug vor, aus dem Ganzen nun doch – wie bereits eingangs besprochen, um keinen Ärger mit den Behörden zu bekommen – einen Club nur für erlesene Gäste und deren Freunde zu machen, in dem man Mitglied werden konnte.

Hamburg erwachte aus den Trümmern. Nicht nur in St. Pauli auf der Reeperbahn herrschte rund um die Uhr Leben, sondern auch in der Innenstadt wuchsen wie Pilze aus dem Erdboden Hotels, Restaurants, Kneipen, Nachlokale und Tanzbars. Die Menschen hatten Nachholbedarf, sie wollten leben. Besonders Heimkehrer, die das Glück hatten aus Gefangenschaften entlassen zu werden, sich aber schwertaten, in geordnete Verhältnisse zu integrieren. Viele von ihnen suchten das Glück in Kneipen, in Nachtlokalen bei Frauen, die leicht zu haben waren und die genau wie sie auch, nur eines wollten: vergessen. Die Wirtschaft boomte.

Nach verhältnismäßig kurzer Zeit und nachdem das Geschäft lukrativ blühte, konnte Ella Bolle sich auch privat sehr zu ihrem Vorteil verändern. Sie mietete eine circa 200 qm Wohnung in der Willistraße in Harvestehude. Die Renovierung und Einrichtung kosteten ein Vermögen. Doch sämtliche Ratschläge von Bekannten und Fachleuten wurden überhört, ihr Stil war und blieb nun mal Chichi. Die vielen mit Blattgold verzierten, eingerahmten Spiegeln, die an Stuckdecken hängenden Kristall-Lüster, die unzähligen Kunstblumen, die zum Teil sogar an Rahmen von Bildern, wovon eins, alles andere nur nicht in dieses Ambiente passte, eine Gebirgslandschaft mit Gämsböcken darstellte, steckten, die vielen mit Chintz bezogenen Chaiselongues und Sofas, auf deren Kissen sich Porzellanpuppen räkelten, dazwischen eine riesige orientalische Vase, natürlich auch mit Papierblumen bestückt, gaben der vollgestellten Wohnung eine dermaßen geschmackslose Stilrichtung, dass es beinahe schon an Bewunderung grenzte. Sie kaufte alles, was „ihr“ gefiel wahllos, Hauptsache es war auffallend bunt und glitzerte. Ihre Lieblingsfarbe war Pink, auch was die Kleidung anbetraf. Alles an ihr war auffällig, und wenn sich die Leute nach ihr umschauten, dachte sie, sie würde bewundert werden wegen ihrer Eleganz, das Gegenteil zog sie erst gar nicht in Erwägung. Es dauerte gar nicht lange, da war sie nicht nur in der City, sondern auch im vornehmen Viertel Harvestehude stadtbekannt. Sie führte ein offenes Haus. Dubiose Geschäftemacher und Zuhälter gaben sich die Türklinke in die Hand. Verkrachte Juristen managten ihre Belange. Sie schwelgte quasi im Glück, gab das Geld mit vollen Händen aus, alles andere interessierte sie nicht.

Rudi Paschke zog von Berlin ganz nach Hamburg. Die Kosmetikfirma, in der er stiller Teilhaber blieb, überließ er der Witwe Sauer und einem Geschäftsführer. Er mietete in Pöseldorf eine Villa und machte einen Künstlerclub daraus. Der Club hatte aber auch für Nichtmitglieder rund um die Uhr geöffnet. Und da das Haus in unmittelbarer Nähe des Alsterufers lag, war es besonders im Sommer für Ausflügler und Segler interessant. Er selbst wohnte im obersten Stockwerk des Hauses. Der Club führte den Namen „La Isla“. Er wurde zunehmend stadtbekannter. Prominente Künstler, überwiegend Schauspieler aus aller Welt, gingen dort ein und aus, zumal Hamburg im Stadtteil Tonndorf ein bekanntes Filmstudio besaß, in dem im und nach dem Krieg deutsche Filme gedreht wurden. Und damit hatte Paschke gerechnet, immer öfter standen unzählige Menschen am Gartenzaun und warteten auf einen meistens noch aus der Ufa-Zeit berühmten Filmschauspieler. Mitunter musste die Polizei einschreiten, um die Menschenmenge abzuschirmen. Als Türsteher hatte er den Leibwächter von Max Becker, der auch hier in diesem Club mitwirkte, aus dem Bordell „Chez Nous“ angestellt. Somit konnte er sicher sein, dass keine ungebetenen Gäste Einlass fanden.

Ella Bolle saß auf einem Hocker an der Bar in der hinteren Ecke. Somit hatte sie einen Überblick auf die langgestreckte Bar und auf die Barmixer hinter dem Tresen. Sie kam fast jeden Abend, empfand es als Abwechslung und erinnerte sie an ihre Tätigkeit im Chez Nous. Ihr entkam nichts. Sie kannte jeden Stammgast, und die Stammgäste kannten sie. Sie wurde von allen Seiten respektvoll gegrüßt. Natürlich wussten viele, dass sie quasi die Chefin von dem Salon in den Colonnaden war. Und jeder, besonders die möchte gern Playboys und Neureichen, fühlte sich geehrt von ihr mit Namen genannt zu werden.

Heute war er da. Er war gekommen, auf den sie gewartet hatte. Er saß am anderen Ende des Tresens und war leider nicht mehr ganz nüchtern. Sie kannte ihn nicht anders. Eigentlich kannte sie ihn gar nicht. Und er nahm auch keinerlei Notiz von ihr. Nicht nur von ihr, sondern auch von anderen Damen, die ihn mitunter schamlos anhimmelten. Meistens war er umringt von Künstlern und Neureichen, die sich überschlugen, seine Zeche zu übernehmen. Er trank Abend für Abend nur Korn und Bier. Bezahlt hatte er nie, und trotzdem war er einer der beliebtesten Gäste. Sie wusste, dass er ein Trinker war. Einer von vielen armen Schweinen, die den Krieg vergessen wollten, ihn aber immer noch unterschwellig erlebten, die nicht einschlafen konnten, ohne Albträume, ohne Erinnerung an das grausam Erlebte und die immer noch nicht begriffen, dass sie überlebten. Sie hatte sich erkundigt, nachdem sie ihn zum ersten Mal sah und sie sich hoffnungslos in ihn verrannte. Er war ein hochdekorierter Offizier gewesen. Ein Ritterkreuzträger. Er war verheiratet. Es war eine Ferntrauung mit irgendeiner Frau, die er kaum kannte. Die ein Kind von ihm bekam, deshalb. Ob er inzwischen geschieden wurde, wusste sie nicht. Sie wusste nur, dass er kein eigenes Zuhause hatte und bei seinen Eltern gemeldet war. Eigentlich sah er nicht gut aus, aber ein in jeder Hinsicht charmantes Sexappeal war ihm eigen, er hatte das gewisse männliche Etwas, das Frauen aus allen Schichten, ob jung oder alt, anzog. Ella wusste, dass er für sie unerreichbar war, doch sie wollte ihn haben, wenn nicht anders, dann mit Gewalt. Heute – stellte sie fest – hatte er, milde gesagt, etwas zu viel über den Durst getrunken. Es wird nicht mehr lange dauern, und er fällt stockbesoffen wie ein Stein vom Hocker. Man wird ihn hochheben, diskret nach draußen befördern und in einen Gartenstuhl setzen. Er wird besinnungslos sein.

Und in dem Moment, als Ella sich erhob und beim Barmixer verabschiedete, fiel er mit dem Schnapsglas noch in der Hand um. Der Türsteher kam mit noch zwei Schlägertypen zur Hilfe, so dass nicht zu viel Aufsehen erregt wurde. Er ließ alles mit sich geschehen. Er lebte ja auch nicht mehr in dieser Welt, er war bereits abgetreten in eine Welt der Besinnungslosigkeit. In einem Taxi, das ihr auf Wunsch ständig zur Verfügung stand, brachte sie ihn zu sich nach Hause. Mit Hilfe des Chauffeurs legte sie ihn ins Wohnzimmer auf die breite Couch und setzte sich daneben. Es war das erste Mal, dass sie ihn bei sich hatte und erlebte auch zum ersten Mal, wie ein Mensch im Delirium mit Wahnvorstellungen um sich schlug. Stundenlang blieb sie neben ihm sitzen. Erst gegen Morgengrauen fiel ihr Kopf total übermüdet auf die Tischplatte, und sie wachte erst auf, als er sich rührte.

Die Egomanin

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