Читать книгу TEXT + KRITIK Sonderband - Digitale Literatur II - Hannes Bajohr - Страница 7

Analog – Digital – Postdigital

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Beginnen wir also mit den Problemen, die auf dem Titel »Digitale Literatur« lasten. Bereits Weichbrodts Remediation weckt Zweifel an der Tragfähigkeit des Begriffs, der um 2001 noch einigermaßen unproblematisch gebraucht werden konnte.3 Wo inzwischen das Digitale alle Lebensbereiche erfasst hat, erscheint die Aufrechterhaltung der Binäropposition ›analog – digital‹ immer fragwürdiger. Nicht nur, weil streng genommen »auch mit Word geschriebene Romane als ›digitale Literatur‹ zu bezeichnen« wären,4 sondern auch, weil das Gegensatzpaar eine durchaus ideologische Fortschrittsgeschichte impliziert.

Der Tatsache, dass im strikten Sinn keine klaren Grenzen mehr zwischen digital und analog zu ziehen sind, will der Begriff des ›Postdigitalen‹ Rechnung tragen. Auch er ist bereits 20 Jahre alt, bezeichnete ursprünglich ein Phänomen in der Musikproduktion5 und wurde vor weniger als zehn Jahren zur allgemeinen Bezeichnung jenes »messy state of media, arts, design after their digitisation«,6 in dem es schwer wäre, irgendeinen gesellschaftlichen Bereich ausfindig zu machen, der nicht vom Digitalen durchzogen wäre.

Das gilt nun auch für die Literatur. Bestes Beispiel dafür ist das gedruckte Buch. Nicht nur, weil jedes Buch durch mehrere digitale Vorstufen (vom Schreibakt per Textverarbeitung bis hin zu Druckvorlage und datenbankgestütztem Vertrieb) geht.7 Sondern auch, weil es sich, als jener Inbegriff des Analogen, zu dem es erst durch die digitale Wende geworden ist, im veränderten Mediengefüge der Gegenwart neu positionieren muss. Im Zuge dieser Neubesinnung wandelt sich das ›alte‹ Medium vermehrt von einer bloßen Standardlösung zum absichtlich gewählten Ausgabeformat: Es ist bewusst das gedruckte Buch statt der vielen verfügbaren digitalen Optionen, für das Autor*innen sich entscheiden.8

Wo zumindest eine Auslegung des Begriffs ›postdigital‹ die Differenz der beiden Pole selbst abschaffen will, indem sie deren unentwirrbare Verwobenheit betont, strebt ein anderer Ansatz die Ausweitung des Digitalen über digitale Technik hinaus und in die Geschichte hinein an. Grundlage ist hier eine symboltheoretische Bestimmung: Das Digitale wird als aus differenzierbaren Einheiten zusammengesetzt verstanden, das Analoge bildet ein kontinuierliches System.9 Diese Deutung bietet sich vor allem für die Literatur an, schließlich ist das Alphabet ein diskretes Zeichenrepertoire. Damit lässt sich die gesamte schriftliche Literaturtradition als digitale beschreiben, womit erneut, aber aus anderer Blickrichtung, die Opposition ›analog – digital‹ in sich zusammenfällt.10

Was also kann angesichts solcher Maximalpositionen noch sinnvoll als ›digitale Literatur‹ bezeichnet werden? Dieser Band plädiert dafür, darin weniger einen streng analytischen als vielmehr einen historischen und reflexiven Begriff zu sehen: ›Digitale Literatur‹ folgt sowohl einer heute recht klar zu identifizierenden Tradition und integriert zugleich eine bestimmte Art und Weise literarischen Verhaltens in der Gegenwart. Sie vollzieht nicht lediglich ›die Digitalisierung‹ mit – das ist in allen gesellschaftlichen Bereichen der Fall –, sondern reflektiert diese Grundbedingung heutiger Literaturproduktion und -rezeption. Sie ist sich, in einem Wort, ihrer Digitalität wesentlich bewusst. Und so kann auch ein scheinbar analoges Buch wie das »Loading Book« digitale Literatur sein.

TEXT + KRITIK Sonderband  - Digitale Literatur II

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