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Vorwort

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Mitte März 2020 saß EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrem Brüsseler Büro und musste tatenlos zusehen, wie ein Mitgliedsland nach dem anderen Verordnungen zu Grenzschließungen erließ, ohne diese zuvor auf EU-Ebene abzustimmen. Am tschechischen Grenzübergang České Velenice fuhren Radpanzer auf, im dänischen Pattburg schleppten Baufahrzeuge Barrikaden heran und überall begann man eifrig damit, Menschen nach ihren Staatsbürgerschaften zu sortieren.

Nicht das auf Sars-CoV-2 getaufte Virus war es, das den Offenbarungseid der EU-europäischen Institutionen bewirkte, sondern die einzelstaatlichen, völlig unkoordinierten Maßnahmen dagegen. Dieses Management der 27 – Großbritannien hatte bereits kurz zuvor die Flucht ergriffen – förderte zutage, was Worthülsen wie »europäische Solidarität« und »Weltoffenheit« wert sind, wenn es auf sie ankommt: nichts.

Doch die EU scheitert nicht bloß am Umgang mit einer Seuche, deren Gefährlichkeit auch ein halbes Jahr nach ihrem Auftauchen umstritten ist. Das europäische Einigungsprojekt war von Anfang an nicht als solidarisches und demokratisches gedacht, sondern folgte immer spezifischen wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen. Es ging um die Herstellung eines Großraumes für ökonomische Protagonisten in einem angeblich alternativlosen weltweiten Konkurrenzkampf. Als ideologische Begleiterscheinung dieses Geschäfts­modells wird das Selbstbild einer Wertegemeinschaft gemalt, deren anhaftendes Beiwort »europäisch« etwas erklären soll, das für die meisten BewohnerInnen dieses Raumes keinen Sinn ergibt. Schon die unhinterfragte, auch militärische Einbettung in die transatlantische Allianz macht die Eigenwahrnehmung ihrer Eliten unglaubwürdig. Die Ablösung dieser amerikanisch-europäischen Achse durch den Aufstieg Chinas auf der einen Seite sowie zunehmende regionale und soziale Ungleichheiten auf der anderen Seite beschleunigen den Niedergang der Brüsseler Union.

Ein Blick zurück zeigt, dass Europa-Ideen eine lange historische Tradition aufweisen. Aus der Verschmelzung von Antike und Christentum entsteht im Hochmittelalter die Grundlage eines Europabildes, das in der Folge in den unterschiedlichsten Varianten auftaucht. Die allermeisten Vorstellungen eines solchen »Europa« waren exklusiv, das heißt, die Feindwahrnehmung bildete die entscheidende Gemeinsamkeit und den Zusammenhalt im Inneren. Neben dem Kampf dynastischer Herrscherhäuser um territoriale Erweiterungen, der mit jeweils unterschiedlichen Vorstellungen von Europa legitimiert wurde, verstanden sich die allermeisten Europa-Ideen als Gegenbilder zur muslimischen und zur russischen Welt. Ausnahmen davon waren selten, dafür umso interessanter.

Der Großteil des Buches beschäftigt sich mit der Entwicklung der europäischen Einigungsbestrebungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Dabei wird deutlich, wie sehr die einzelnen Schritte hin zu einem größeren Europa von einer schmalen Schicht vorangetrieben werden, die ausschließlich wirtschaftlichen Interessen folgt. Vom »Komplott« des Kohle-Stahl-Paktes über die Missachtung einer ganzen Reihe von ablehnenden Volksentscheiden bis zur Konstruktion eines EU-»Parlaments«, das nicht einmal über ein gesetzgeberisches Vorschlagsrecht verfügt, steht die Geschichte der Europäischen Union für eine herrschaftliche Einrichtung von oben ohne demokratische Legitimation von unten.

Die Idee Europa faszinierte gleichwohl Menschen und Mächte in unterschiedlichsten Zeitaltern und Formen. Das wird auch nach dem absehbaren Zusammenbruch dieser aktuellen Europäischen Union so sein, weshalb am Ende dieses Buches ein Ausblick auf ein Europa ohne EU gewagt wird.

Mein spezieller Dank gilt den Menschen in meiner Umgebung, mit denen ich seit Jahren über Sinn und Nutzen der Europäischen Union diskutiere. Insbesondere seit der großen Osterweiterung 2004/2007 habe ich den einen oder die andere mit meiner Beharrlichkeit vielleicht irritiert, wofür ich mich – gerade wegen meiner Beharrlichkeit – aber nicht entschuldigen kann. Ich hoffe, die Debatten dienten der gegenseitigen Bereicherung; für mich war es jedenfalls so. Meiner Erstleserin und Lebensgefährtin Andrea Komlosy sei ein besonderer Dank ausgesprochen. Ohne die Hunderten von Stunden, in denen wir miteinander auf- und abdiskutiert haben, wäre dieses Buch nicht entstanden.

Hannes Hofbauer Wien, im August 2020

Europa

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