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3.
Оглавление»Mundus vult decipi – Die Welt will betrogen werden.«
Niccolo Machiavelli
Der Beichtvater der Reuerinnen?«, fragte der Kardinal della Guarde erstaunt und hob seinen Blick von einem Büchlein, in dem er soeben eine Aufstellung seiner Haushaltsausgaben machte. Vor ihm flackerte ein Öllämpchen, vor den vergitterten Fenstern des Schreibgemachs lag bereits tiefe Dunkelheit. Der Kammerdiener, ein junger, verhungert wirkender II.Diakon, der den späten Besuch angemeldet hatte, nickte schüchtern. »Warum sollte ich einen einfachen Mönch empfangen?«, fragte der Kardinal mehr sich als seinen Diener.
Der räusperte sich und sagte: »Mit Eurer Erlaubnis, er behauptet, er habe dringende Nachrichten von Seiner Eminenz Kardinal Falvini.«
»Falvini«, rief della Guarde wutentbrannt und warf die Feder von sich. »Zu dem würde es passen, mir einen Mönch als Boten zu schicken. Als Kardinalkämmerer hält er sich nun wohl auch für meinen Herrn. Was für eine unverschämte Dreistigkeit! Ich werde mich hüten, ihn zu empfangen.«
Er wedelte mit der Hand und bedeutete seinem Kammerdiener, sich zurückzuziehen. Der verharrte jedoch unschlüssig auf der Stelle. »Was ist noch, Kerl, du machst mich rasend mit deiner Ungeschicklichkeit, geh, geh.«
»Mit Eurer Erlaubnis«, begann der Kammerdiener ein zweites Mal, »der Dominikaner rechnete mit einer Ablehnung und gab mir das hier.« Der Kammerdiener öffnete nun seine rechte Hand, darin lag ein Wolfsamulett. Luparellas Zeichen, mit dem sie einem Bewerber ihr Einverständnis für eine Liebesnacht zu pflegen gab. Della Guarde wusste das, so wie ganz Rom es wusste. Er runzelte die Stirn, eine steile Falte teilte seine Stirn über der Nasenwurzel.
»Was soll mir das?«, sinnierte er. »Ich bin nicht interessiert an solchen Spielchen und Verlockungen. Weiber. Das erste hat uns um das Paradies gebracht, diese hier ist unser Verderben.« Er drehte das Amulett zwischen seinen Fingern.
Der Kammerdiener wollte sich schon zurückziehen, als della Guarde sich besann. »Nun gut, bring den Mann zu mir.« Der Diakon verneigte sich kurz und verschwand.
Della Guarde klappte das Büchlein zu und rückte ein besticktes Käppchen auf seinem geschorenen Kopf zurecht. Nachricht von Falvini. Was konnte das bedeuten? Eine weitere Festeinladung? Dieser verfluchte Kerl wollte ihn gewiss nur noch weiter demütigen. Es hatte della Guarde hart getroffen, dass Falvini ohne Mühen das hohe Amt Montefiscones übernommen hatte, denn damit verbunden war das Recht, an den Beratungen der geheimen Kammer des Papstes teilzunehmen. Damit hatte Falvini die Gelegenheit, die Entscheidungen des Papstes wirklich zu beeinflussen. Eine Gelegenheit, die ihm selbst als einfaches, wenn auch hervorragendes Mitglied des heiligen Kardinalkollegiums in weit geringerem Maße zuteil wurde. Della Guardes Finger spielten mit einem maurischen Dolch. Eine Erinnerung aus seinen Tagen als Inquisitor. Mit dem Dolch pflegte er in die Muttermale von Beklagten hineinzustechen, um sie als blutleere Teufelsmale zu entlarven. Die Spitze war dunkelrot verfärbt. Könnte er nur Falvini mit diesem scharfen Werkzeug abkehlen. Doch die Position des Kardinalkämmerers machte den Mann nur noch unverwundbarer. Vorkoster und verstärkte Wachen machten einen direkten, schlichten Mordanschlag beinahe zu einem Ding der Unmöglichkeit. Er brauchte eine feinere, elegantere Waffe im Kampf gegen diesen Liebling des Papstes.
Ein leichtes Pochen an der schweren dunklen Tür kündigte den Besucher an. »Herein«, rief della Guarde barsch und lehnte sich weit in seinem hohen geschnitzten Stuhl zurück. Sein Gesicht tauchte dabei in die Dunkelheit ab, sein Gegenüber würde nur mit Mühe in seinen Zügen lesen können.
Claudius trat leichtfüßig ein, verneigte sich gegen die dunklen Umrisse des Mannes, der hinter einem prächtigen spanischen Schreibtisch saß. Ein dunkles, schweres Möbel aus afrikanischem Ebenholz, fast mittelalterlich in seinen fantastischen Verzierungen. Ausgeburten der Hölle, Fabeltiere mit züngelnden Fratzen kletterten an den Ecken empor und wurden oben von schwerttragenden Engeln des Zorns erwartet. Nichts in dem düsteren Raum entsprach der neuen, heiteren italienischen Mode, und vergeblich hätte ein Besucher hier nach einem Spiegel oder einem in Pastell ausgeführten zeitgenössischen Porträt geforscht. Della Guarde hielt derlei schmückende Einrichtungen für gottlosen Tand. An der mit dunklen Ledertapeten bespannten Wand hinter ihm hing nichts als ein schwarzes Kreuz, auf dem ein von Elfenbein geschnitzter Christus sein Martyrium erlebte. Silberne Nägel zerteilten ihm die Sehnen an Füßen und Händen, um sein Leiden wenigstens äußerlich zu veredeln.
»Gelobt sei Jesus Christus. Euer Eminenz, darf ich Euch untertänigst meinen Gruß entbieten«, schnarrte Claudius und verbeugte sich gegen die Flamme des Öllämpchens am äußersten Rand des Tisches. Ein undeutliches Murmeln war die Antwort. Claudius genügte es, um zu beginnen.
»Ich danke Eurer Eminenz, dass Ihr einen so einfachen Diener des Herrn noch zu so später Stunde empfangt, und hoffe, dass meine Botschaft die Mühe wert ist.«
Della Guarde unterzog das lederne Geiergesicht des Mönches, das von der Öllampe recht deutlich beleuchtet wurde, einer genauen Untersuchung. Einfalt und Frömmigkeit gehörten nicht zu den Eigenschaften, die er darin entdeckte, wohl aber ein Hang zu Verschlagenheit und kalter Berechnung.
»Was willst du, Bruder in Christo«, fragte er mit einem Anflug von Spott, »mein Diakon sagt, du hast Nachrichten von Falvini.«
»Oh, verzeiht, mein deutscher Akzent mag zu diesem Missverständnis geführt haben. Ich habe nicht Nachrichten von, sondern über Falvini.«
»Bist du ein Spitzel, der mir seine Ware verkaufen will? Dann verschwinde, ich pflege nicht einem dahergelaufenen Mönch zu vertrauen. Schon gar nicht einem Deutschen.«
»Eine Anspielung auf Luther, wie ich annehme. Das ist nur zu verständlich, aber nicht jeder Deutsche ist so stur und ungehobelt wie dieser Mann. Nun, ich habe selbstverständlich einige Papiere, die Euch von meiner gut katholischen Aufrichtigkeit vielleicht überzeugen können.«
Claudius zog unter seiner Kutte eine handliche Rolle von Pergamentbögen hervor, schob dreist das Öllämpchen in die Mitte des Tisches und legte die Empfehlungsschreiben daneben. Dabei warf er einen flüchtigen Blick auf della Guardes Gesicht im Flammenschein und erkannte sofort, dass der Würdenträger von Neugier geplagt war. Claudius trat – Bescheidenheit vortäuschend – zurück. Mit gesenktem Blick wartete er, bis der Würdenträger die Papiere studiert hatte. Es waren Empfehlungen des Rates der Stadt Köln, die den Dominikaner als einen aufrechten Streiter für den ordentlichen römisch-katholischen Glauben bezeichneten und von erheblichen Diensten berichteten, die der Ordensbruder bei der Verfolgung von lutherischen Schwärmern in den Mauern der Stadt geleistet hatte. Daneben gab auch der Prior des mächtigen, kölnischen Dominikanerklosters ein günstiges Zeugnis für den Bruder Claudius, der sich mit Eifer der Hexenverfolgung gewidmet habe, zuvorderst in einem Prozess gegen eine gewisse Seherin Märthe, die sich ihrer Hinrichtung durch Flucht entzogen habe. Della Guarde studierte die lateinischen Schreiben aufmerksam, hielt die angebrachten Siegel näher an die Flamme und überzeugte sich von ihrer Echtheit.
»Nun, Fra Claudius, die Papiere gereichen dir zur Ehre. Ich nehme an, sie haben zu deiner Ernennung als Beichtvater der Reuerinnen beigetragen. Ein recht ansehnliches Amt für einen kleinen Mönch, der eben erst seinen Weg in Rom beginnt. Aber was willst du mit einem ehrwürdigen Mann wie dem Falvini zu schaffen haben?«
Claudius hob den Blick und trat eifrig an den Tisch heran. »Nichts, nichts habe ich mit dem hoch verehrten Falvini zu tun. Jedenfalls nicht direkt. Lasst mich erklären. Ich komme, Euch einen Vorschlag zu unterbreiten, der zu einer Säuberung Roms von all den schändlichen Sünden der Wollust führen kann.«
Della Guarde blickte auf, seine Augen verrieten Zorn.
»Was sprichst du für eine Sprache? Bist du doch infiziert vom lutherischen Geist?«
»Nein«, wehrte Claudius ab, »es dauert mein armes Christenherz nur sehr, was ich als Beichtvater der Kurtisanen zu hören bekomme von der Verwerflichkeit vieler Prälaten. Ich halte es natürlich nicht mit einem Luther, aber doch scheinen mir diese babylonischen Zustände gefährlich. Und es liegt mir daran, allen Schaden von unserer heiligen Kirche abzuwenden.«
»Das ist gut so«, sagte der Kardinal nur knapp.
»O ja, hoher Herr, es ist gut, dass immer mehr umkehren und Buße tun, aber es wachsen ja immer neue Sünderinnen nach. Heute mag eine Rodiconda bereuen, morgen...«
An dieser Stelle unterbrach ihn der Iberer. »Ihr sagt, Rodiconda bereut?«
»Ja, gewiss, sie hat sich in meine Obhut begeben.«
Della Guarde lachte kalt. »Du lügst. Eine wie die Luparella würde nie aufrichtig bereuen und sich in das Kloster der Reuerinnen begeben.«
Stumm nahm Claudius einen Lederbeutel, öffnete ihn und förderte schließlich ein kleines Büschel roten gelockten Haares hervor. Della Guarde stutzte. »Das sieht nicht aus wie die Haupthaare einer Frau. Willst du ihr die vom Kopf geschoren haben? Lächerlich.«
»Nicht vom Kopf, sondern direkt von der Scham.« Der Kardinal zuckte zurück und reinigte sich die Finger, mit denen er die Haare berührt hatte, angewidert an seiner Kutte.
»Du bist ein Fuchs, Mönch. Trotzdem, eine Rodiconda, die den Schleier nimmt, das scheint mir unsinnig. Sie hat die höchsten Gönner.«
»Ihr meint, sie war die Buhle Falvinis.« Della Guarde zuckte, hütete sich aber zu nicken.
»Nun, Euer Eminenz, Falvini gab heute Befehl, sie wegen Mordes zu verhaften.« Della Guarde richtete sich mit einem Ruck auf, brennende Neugier spiegelte sich in seinem Gesicht. Der Vogelkopf des Mönches warf einen hässlichen Schatten.
»Ist das dein Werk? Ist er etwa zur Umkehr bereit, geläutert«, rief der mächtige Kardinal beinahe bedauernd. Dann lehnte er sich zurück und fügte so trocken als möglich hinzu, »das muss dich doch freuen.«
»Oh, es würde mich freuen«, erwiderte eifrig der Mönch, »wenn es eine aufrichtige Umkehr wäre. Aber Falvini ist nur von einem weit gefährlicheren Dämon besessen, dessen Einflüsterung ihn unüberlegte Dinge tun lässt.«
»Mann, du erzürnst mich, sprich nicht in Rätseln und erheb nicht solch schwere Vorwürfe gegen meinen geliebten Amtsbruder. Welcher Dämon?« Der Ketzerverfolger in ihm roch Blut.
»Der Dämon der Liebe.«
Della Guarde lachte. »Liebe? Es mag viele Dinge geben, für die der Kardinal eine bedauernswerte Schwäche zeigt, doch diese gehört gewiss nicht dazu.«
»Ihr irrt. Falvini hängt an der Brust einer Frau wie dereinst Romulus und Remus an den Zitzen der Wölfin. Atoli, der Leibarzt des Kardinals, verschrieb diesem eine Milchkur gegen sein Magenbrennen. Falvini wählte sich eine unbedeutende Hure, die eben Mutter geworden war, für das Amt seiner späten Amme. Eine der Reuerinnen berichtete mir davon. Es ist ein verteufeltes Ding mit dieser Amme, sie hat das Antlitz einer Madonna und die Macht einer Hexe. Der Kardinal betet sie an. Doch nun ist seine madėnna di latte verschwunden, und er ist fest überzeugt, dass Rodiconda sie auf dem Gewissen hat. Darum der Haftbefehl. Bedenkt, der Kardinal klagt seine liebste Konkubine und die erste Kurtisane Roms an – wegen einer Milchhure.«
Della Guarde nickte langsam.
»Nun gut, kleiner Mönch, es ist von einem gewissen Interesse, was du mir da erzählst. Es wäre fürwahr ein schändliches Ding, wenn eine Teufelsbuhlin die Hände nach einem der treuesten Kirchenfürsten ausstreckt. Selbst den Papst müsste das beunruhigen. Was ist dagegen schon eine Rodiconda.«
Der Dominikanermönch rieb sich die dürren Hände.
»Eben so denke auch ich. Ihr seid, wie ich weiß, ein Verfechter des aufrechten Glaubens und hasst jede Form der Ketzerei. Euer Ruhm als Inquisitor ist groß.«
»Gewiss. Und?«
»Nun, es hat Euch bislang kalt gelassen, dass einer Eurer Amtsbrüder sich der fleischlichen Sünde hingibt. Selbst der Papst hat Falvini dafür seinen Dispens erteilt. Was aber, wenn der ehrwürdige Kardinalkämmerer nun den Verführungen des Satans nachgibt und eine Hexe liebt? Könnt Ihr das dulden?«
»Nein, Gott möge mir vergeben, wenn ich einen Satansanbeter durch mein Netz schlüpfen lasse. Aber du bist ein Narr, wenn du glaubst, man könne Falvini wie einen dahergelaufenen Bußprediger einfach der Ketzerei bezichtigen.«
Claudius lächelte dünn.
»Gewiss, Hochwürden, es ist mit einiger Arbeit verbunden, solch eine Anklage auf feste Füße zu stellen. Man braucht Beweise, Aussagen, Zeugen. Aber ich denke, ich, Verzeihung, WIR besitzen die Mittel dazu.«
Della Guarde hatte bei dem dreisten Wir kurz die rechte Augenbraue gelupft und einen strafenden Blick auf den Mann in der weißen Kutte geworfen, doch die Idee, Falvini nahezu unblutig zu vernichten, ihn einfach einem Scheiterhaufen anheim zu geben, reizte ihn mächtig. »Welche Mittel meinst du zu besitzen? Was hast du in der Hand?«
Claudius unterdrückte ein triumphierendes Grinsen: »Eine erzürnte Wölfin, eine falsche Madonna und eine reißende Bestie – das Volk.«