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Prolog
Оглавление»In dieser Welt entspricht das Ideal nicht der Wirklichkeit, und wer sich von gutmütigen Motiven bestimmen lässt, ist einfach ein Narr.«
Giulio de’ Medici, Papst Klemens VII. (1523-1534)
Die Vorbereitungen für das Konklave waren auf das Sorgfältigste getroffen. Für jeden der stimmberechtigten 35 Kardinäle war eine Holzzelle angefertigt und mit den zugelassenen Bequemlichkeiten ausgestattet worden. Die entsprechende Liste des vatikanischen Zeremonienmeisters war peinlich genau:
»Ein Sessel, ein Schemel, ein Stuhl zur Entleerung des Darmes, zwei Urinflaschen, zwei kleine Mundtücher, vier Handtücher, zwei kleine Tücher zum Abwischen der Becher. Eine Kiste für das Ablegen der Gewänder. Tücher zum Abwischen des Gesichtes und ein Taschentuch. Vier Schachteln Süßigkeiten. Ein Gefäß mit gezuckertem Piniensamen. Eine Nadelbüchse. Eine Schreibmappe mit Federmesser. Vierundzwanzig Bögen Schreibpapier. Eine kleine Waage. Ein Salzfässchen ...«
... und was noch vonnöten war, um die Wahl eines Papstes zu beschleunigen.
Am 1. Oktober 1523 wurde das Konklave in der Sixtinischen Kapelle feierlich eröffnet. Der Eingang zum Saal und die Fenster wurden vorschriftsmäßig zugemauert. Nur ein Türchen blieb offen, durch das die Speisen hineingereicht werden sollten. Der Mangel an Licht und Luft galt als probates Mittel, die Konzentration des Heiligen Kollegiums zu schärfen.
Es galt, einen Nachfolger für den essigsauren Flamen Hadrian VI. zu wählen, dessen christliche Strenge die Römer zwei Jahre lang verstört und verärgert hatte. Die Kardinäle scherzten nun – nach Hadrians plötzlichem, von Gift erwirkten Tod –, »dieser Barbar war gewiss der Kandidat des Heiligen Geistes, denn der unsere war er nicht«. Diesmal wollten sie sich gründlicher bedenken. Und so zogen sich die Wahlvorgänge endlos hin.
Das Geschäft der Papstwahl spiegelte auch nicht zuletzt die Spannungen der Außenwelt wider. Wer immer zum Papst gewählt würde, er musste sich einem der mächtigen Lager anschließen, die um die Vorherrschaft in Europa rangen. Diese Lager waren Frankreich und Spanien. Das erstere wurde geführt von dem jungen König Franz, der die kriegerische Pose des Ritters und fürstliche Vergnügungen wie Jagd und Tanz schätzte, allgemein aber nicht als hervorstechend klug galt.
Ihm gegenüber stand der nicht minder junge, aber bei weitem ernsthaftere spanische König Karl V, der zudem Kaiser war. Eine Tatsache, die Frankreichs langnasiger Franz dem Spanier mit dem vorspringenden Herrscherkinn übel nahm, hatte er sich doch auch um die Kaiserkrone beworben.
Die Rivalität zwischen König und Kaiser bestimmte Europas Politik und sollte bald in offenem Krieg aufflammen. Einem Krieg, der – wie stets – auf italienischem Boden ausgefochten wurde. Hier, wo das Tor zum Orienthandel lag, wo reiche Stadtstaaten als Beute lockten, machten die beiden Monarchen ihre Ansprüche auf verschiedene Regionen, auf das Königtum Neapel etwa, geltend. Wer Italien regiert, so hieß es, regiert Europa und damit das Zentrum der bekannten Welt.
Ein Papst also hatte sich klug mit der einen oder anderen Partei zu verbünden, um den Kirchenstaat, der die Mitte Italiens von der West- bis zur Ostküste durchzog, mächtig, unantastbar, aus dem Krieg möglichst herauszuhalten.
Die Kardinäle im Konklave waren sich nicht einig, ob dazu ein franzosentreuer Amtsbruder oder ein Spanienanhänger besser geeignet sei. Die Wogen gingen hoch, Bestechungen und geheime Verhandlungen in den Holzzellen waren an der Tagesordnung. Erschwert wurde die Prozedur durch persönliche Feindschaften.
So hasste der mächtige Römer Pompeo Colonna den Spitzenkandidaten Giulio de’ Medici bis aufs Blut. Mit allen Mitteln bemühte er sich, den Mann, der illegitim geboren war, schlecht zu machen. Doch Giulio, wiewohl ein Bastard, verfügte über die berüchtigte Schläue der Medici und intrigierte gegen den Intriganten.
Die ständigen Gruppierungen und Umgruppierungen verursachten weitere Verzögerungen. Am 13. Oktober sorgten der römische Pöbel und die Hefe des Volkes draußen für Tumulte. Sie verlangten nach einem neuen Papst: »Es ist uns egal, selbst wenn es ein Holzklotz ist – nur gebt uns einen.«
Die Ungeduld hatte berechtigte Gründe, auch die Stadtväter machten sich inzwischen ernsthafte Sorgen über die Gefahren einer noch längeren Sedisvakanz – einer papstlosen Zeit.
In den Gassen und Straßen herrschten Anarchie und Aufruhr, es wurde geplündert und gemordet, in dem sicheren Bewusstsein, dass der neue Papst – wie jeder seiner Vorgänger – dafür später eine Generalamnestie verfügen würde.
Um die vielfältigen Verbrechen in Grenzen zu halten, machten die Magistrate deshalb nun von den Befugnissen Gebrauch, die dazu bestimmt waren, ein Konklave noch weiter zu beschleunigen. Die Speisen der Kardinäle wurden auf eine einzige zu Mittag und zu Abend beschränkt.
Doch die Entbehrungen steigerten nur die Spannungen drinnen. Nach einem Monat ohne frische Luft und Licht meuterten schließlich die französischen Kardinäle und verlangten, sich in den Belvedere-Gärten Bewegung verschaffen zu dürfen. Der Schmutz und Gestank im Saal zwangen die Behörden schließlich, ihn für eine Stunde zu öffnen und die Holzzellen der Kardinäle vom gröbsten Unrat zu befreien.
Eine Kost, die nur aus Wasser und Brot bestand, mag das Kollegium schließlich zu einer Entscheidung bewogen haben. Hinzu kam die Nachricht, dass der Krieg zwischen Franz und Karl bereits ausgebrochen war.
So entschied sich am 19. November 1523 das Konklave für Giulio de’ Medici. Der Kardinal Pompeo Colonna musste mit Gewalt davon abgehalten werden, den Medici tätlich anzugreifen, so groß waren sein Hass und Zorn. Doch es half nichts. Giulio sollte die dreifache Krone des Kirchenstaates tragen.
Er nannte sich Klemens VII. und wurde von beinahe allen seinen Vertrauten für einen spanischen Parteigänger gehalten.
»Der Papst ist ganz die Kreatur Eurer Majestät – die Macht Eurer Majestät ist so groß, dass selbst Steine gehorsame Söhne werden«, meldete triumphierend der spanische Botschafter nach Granada.
Allein, der Mann irrte. Genau wie die Römer irrten, die nun auf ein zweites goldenes Zeitalter voller Vergnügungen und Kunst, Müßiggang und Heiterkeit hofften, so wie es ihnen der Medici-Papst Leo X. einst beschert hatte.
Klemens VII., der unter seinem Onkel Leo X. ein durchaus weiser und umsichtiger Vizekanzler gewesen war, erreichte mit dem Apostolischen Stuhl genau die Position, die ihn hoffnungslos überforderte. Schon kurz nach Beginn seines Pontifikats vermeldete Venedigs Botschafter – nicht frei von Sarkasmus:
»Der Papst ist achtundvierzig Jahre alt und ein vernünftiger Mann, aber langsam in seinen Entscheidungen, woraus sich sein Schwanken im Handeln erklärt. Er ist ein guter Redner, aber sehr zaghaft. In politischen Dingen hört er auf jeden und tut dann, was ihm gefällt. Er gilt als geizig, deshalb murrt man in Rom. Spaßmacher und Musikanten will er nicht sehen. Er geht nie auf die Jagd. Sein ganzes Vergnügen besteht darin, mit Ingenieuren über Wasserspiele zu reden.«
Doch das Murren der Römer war bald nichts mehr im Vergleich zum Zorn der Monarchen Karl und Franz, denen sich der Papst in immer wechselnden Bündnissen zuwandte. Nach drei Jahren zaudernder und zögerlicher Politik entschloss sich Klemens – vielen Beratern zum Trotz – für eine Liga mit Frankreich und den italienischen Stadtstaaten Venedig und Mailand und gegen Spaniens Kaiser Karl V.
Doch diese Heilige Liga von Cognac sollte sich als erster Fehler in einer ganzen unglückseligen Reihe von falschen Entscheidungen erweisen. Sie wurde am 22. Mai 1526 geschlossen. Klemens hatte sich zu einem Krieg entschlossen, den er jedoch nie begann. Die Folgen seines peinlichen Zauderns sollten Rom und die gesamte römisch-apostolisch-katholische Kirche kaum ein Jahr später bitter zu spüren bekommen.
Schon der ausklingende Sommer des Jahres 1526 war geprägt von fieberhafter Unruhe, schicksalhaften Begegnungen und düsteren, untrüglichen Vorzeichen.
Seine Heiligkeit verstand es nicht, sie unfehlbar zu deuten.