Читать книгу Weißes Gift - Hannes Wildecker - Страница 9
Kapitel
ОглавлениеDie Kollegen von der Kriminalpolizei in Idar-Oberstein erwarteten uns bereits. Es war immer wieder das leidige Spiel. Sie, die selbst Kriminalbeamte waren, wurden bei Vorliegen eines Kapitalverbrechens gezwungen, zurück in die zweite Reihe zu treten und der Sonderkommission Platz zu machen.
So ist das nun einmal geregelt und die Zuständigkeitsgrenzen sind genauestens festgelegt. Das hat auch nicht im Geringsten etwas damit zu tun, dass sie die Ermittlungen nicht im Griff hätten, nein, es hatte ganz einfach damit zu tun, dass Sonderkommissionen nun mal die größere Erfahrung auf diesen Gebieten besitzen, da sie tagtäglich mit Kapitalverbrechen konfrontiert werden. Und vor allem konnten sie an dem Fall dranbleiben, ohne durch andere Einflüsse abgelenkt zu werden.
Aber aus Sicht der Kollegen, die ihre Dienststelle dafür zur Verfügung stellen müssen, dass andere ihre Arbeit in ihren eigenen vier Wänden tun, ist das schon hart, zugegeben. Aber in keinem Fall ist es so, dass die Kommission in aller Stille und unter Geheimhaltung aller Fakten ihren Ermittlungen nachgeht. In jedem Fall werden die Kollegen in die Ermittlungen integriert, ihnen werden Recherchen zugewiesen und vor allem: Sie werden als Gleichberechtigte in den Fall einbezogen. Ohne sie wäre die gesamte Kommission aufgeschmissen. Kommission ist gut. In diesem Fall bestand sie aus Leni und mir. Und umso mehr waren wir auf die Mithilfe der Kollegen angewiesen.
„Emmerich, Werner Emmerich, mein Name. Ich bin hier der Kommissar vom Dienst“, kam ein großer, kräftiger Kollege auf uns zu, gab mir die Hand und verbeugte sich kurz vor Leni. Doch die bot ihm ihre Hand, die Emmerich leicht errötend erfasste.
„Sie wohnen in der Pension ‚Bergkristall’, einem kleinen Hotel ganz hier in der Nähe. Ich hoffe, es wird Ihnen beiden zusagen.“
Dann kam Emmerich zum dienstlichen Teil.
„Meine Kollegin Susanne Quarto und ich haben uns bereits mit dem Penn… mit dem Landstreicher unterhalten. Der sagt, er habe heute am Abend im Supermarkt ‚Gutkauf’’ einen Liter Milch gekauft, der seiner Meinung nach vergiftet war. Einer seiner Kollegen hat die Milch getrunken und ist unmittelbar darauf verstorben. Ob die Milch tatsächlich die Ursache für seinen Tod ist, steht bislang nicht fest. Wie auch? Die Milch muss zuerst untersucht werden und der Tote natürlich auch.“
„Wo ist die Leiche jetzt?“
„Wir haben den ersten Angriff ‚gefahren’, Tatortaufnahme und so, Fotos gefertigt und die Namen der Stadtstreicher festgehalten, die im gleichen Gebäude wie der Tote und der Zeuge gehaust haben. Der Tote liegt in der Leichenhalle des städtischen Krankenhauses. Sein Name ist, warten Sie mal, ja, Scharlow, Martin Scharlow. Seine Person ist uns bekannt. Ein Harmloser, kaum straffällig geworden, nur so das Übliche. Ladendiebstahl, Bettelei und so. Ist keiner aus der hiesigen Gegend. Kommt aus Berlin. Der Zeuge Piefke ebenso. Scheint ihnen im Hunsrück besonders gut zu gefallen. Oder gefallen zu haben. Aber, wer stirbt schon gerne im Hunsrück?“
Emmerich gefiel offensichtlich das abgewandelte Zitat eines bekannten Romans.
„Ich möchte den Tatort sehen“, unterbrach ich den literarischen Vortrag von Emmerich. „Können wir gleich dorthin fahren? Den Zeugen, wie hieß er gleich, ja, Piefke, würde ich gerne mitnehmen.“
Mein Handy klingelte, nein, es vibrierte. Ich muss zugeben, in den seltensten Fällen hörte ich mein tragbares Telefon, aber das Vibrieren in meiner Hosentasche, das merkte ich schon.
Es war Albert Steiner, Reporter beim „Trierer Merkur“ und gleichzeitig Leiter der Außenstelle in Hermeskeil. Der Kerl schien entweder eine gute Nase zu haben oder eine gute Quelle. Oder aber, er hörte den Polizeifunk ab, wie es viele in seiner Branche zu tun pflegen, obwohl es nicht erlaubt ist.
„Hallo, Herr Spürmann, Steiner hier, ‚Trierer Merkur’. Sie erinnern sich an mich? Können Sie mir irgendetwas über die Todesursache des Landstreichers sagen? Oder soll ich bei Ihnen vorbeikommen? Kein Problem.“
Gott im Himmel, bloß das nicht. Ich musste ihm etwas erzählen.
„Hören Sie Steiner, es ist noch zu früh. Ich kann Ihnen noch nichts sagen, weil wir mitten in den Ermittlungen stecken. Wie wäre es, wenn Sie mich morgen wieder anrufen?“
„Eine Kleinigkeit nur, für eine Kurzmeldung, Sie verstehen. Ich kann meine Kenntnis doch nicht einfach so für mich behalten.“
„Woher haben Sie denn Ihre Kenntnis?“
Es folgte ein kurzes Schweigen, dann war Steiner wieder da.
„Wann soll ich mich morgen melden?“ fragte er resigniert.
„Rufen Sie mich im Laufe des Tages auf meinem Handy an.“ Ich gab ihm die Nummer. „Und tun Sie mir bitte den Gefallen und warten Sie bis morgen, ehe Sie etwas Falsches schreiben!“
Die Tatortbesichtigung brachte uns nicht viel weiter. Leni machte noch einige Fotoaufnahmen und Piefke zeigte uns genau die Stelle, an der er und Scharlow ihr Lager aufgeschlagen hatten. Die Stadtstreicher, die sonst mit ihnen hier gehaust hatten, waren alle verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt. Mit einem Mord, nein, damit wollte man nichts zu tun haben Und mit der Polizei schon gar nicht. Was soll`s? Zumindest hatte man ihre Namen festgehalten.
Auf ihre Aussagen konnten wir allerdings vorläufig verzichten. Was hatten sie uns schon zum Tathergang zu sagen? Nichts! Was hatte uns Piefke zu sagen? Wir würden es erfahren.
Zurück auf der Dienststelle nahmen wir uns Piefke vor. Der arme Kerl war total übermüdet. Er schilderte uns in groben Zügen von seinem Milchkauf, von seinem Tausch mit Scharlow und der Erkenntnis, dass sein Kumpel plötzlich tot war. Mehr war aus ihm nicht herauszuholen.
Ich einige mich mit Emmerich, Piefke im Polizeigewahrsam ausschlafen zu lassen. Das war zwar gegen die Vorschrift, aber wir konnten es mit erforderlichen Vernehmungen seiner Person am anderen Morgen begründen. Und einen festen Wohnsitz hatte er ohnehin nicht. Piefke sah uns dankbar an, bevor wir die Zelle hinter ihm verschlossen.
Leni war derweil nicht untätig gewesen.
„Ich habe im Internet mal alle ‚Gutkauf’- Filialen in der hiesigen Region ausfindig gemacht. Wenn die vergiftete Milch tatsächlich aus einem dieser Großmärkte stammt, dann haben wir morgen früh ein großes Stück Arbeit vor uns. Vorsorglich habe ich der Zentrale der Milch verarbeitenden Fabrik in Weilersberg, dort wird das Produkt mit der Marke ‚Hunsrück – Milch’ verarbeitet, abgefüllt und an die Supermärkte, mit denen man vertragliche Bindungen hat, geliefert, eine Mail gesandt. Ebenso an die Hauptstelle des ‚Gutkauf’. Ich hoffe, dass dann zu Geschäftsbeginn morgen früh alle suspekten Packungen aus den Regalen genommen sein werden. Unsere Arbeit wird es sein, zumindest in den hiesigen Märkten, die Milchpackungen sicherzustellen und untersuchen zu lassen. Rischtisch, Heiner?“
Leni sah mich bei dieser Frage in ihrem Dialekt an, nicht Emmerich, der sich offensichtlich mit seiner Situation als Ermittler in der zweiten Reihe abgefunden hatte.
„So werden wir es machen. Und gemeinsam –ich sah Emmerich an- werden wir das auch schaffen. Und gemeinsam werden wir auch, ich hoffe es jedenfalls, Erfolg haben. Wir werden jede Menge Leute brauchen, morgen früh.“
„Dafür werde ich sorgen!“ Emmerich gab uns die Hand zum Abschied. „Susi Quatro wird morgen auch mit dabei sein.“
„Susi Quatro? Etwa die Sängerin?“
Emmerich drehte sich im Weggehen noch einmal um und lachte. „Nein, wir nennen sie nur so, wegen ihres Namens. Ich meinte natürlich Kriminalkommissarin Susanne Quarto. Aber wir nennen sie alle nur Susi Quatro.“