Читать книгу Netz der Gewalt - Hannes Wildecker - Страница 13
6.Kapitel
ОглавлениеLisa war sichtlich froh, als sie mich sah. „Magst du ein Glas Rotwein?“, fragte sie und ich wunderte mich, dass sie bisher noch nicht das Gespräch auf ihre neuen Schuhe gelenkt hatte. Sie wartete meine Antwort nicht ab und wollte die Flasche entkorken, die sie schon bereitgestellt hatte. Ich entwand sie ihr mit sanfter Gewalt und sah auf das Etikett. „Chateauneuf du Pape“, Jahrgang 2005. Nicht schlecht, Herr Specht.
„Hast du den alleine ausgesucht?“ Ich sah sie fragend von der Seite an.
„Heiner, ich glaube, du weißt überhaupt nichts von mir“, entgegnete sie und ihr Gesicht sah auf einmal sehr ernst aus.
So hatte ich sie in den letzten acht Monaten, in denen wir zusammen waren, noch nie gesehen. Und sie hatte mich Heiner genannt, was äußerst selten vorkam.
„Wenn diese Sache, du weißt schon, dieser Fall, geklärt ist, versprich mir, dass wir beide etwas gemeinsam unternehmen. Fahr mit mir für ein paar Tage weg. In die Berge, an die See oder zeige mir den Hunsrück, von dem du immer so schwärmst.“
Sie hatte Recht. Es sind schon ein paar Monate her, als wir unsere Koffer gepackt und mit meinem klapprigen Astra einfach so ins Blaue losgefahren sind. Diese nicht geplanten Aktionen sind einfach die besten. Wir fuhren damals der Mosel entlang, machten Station in Bernkastel und stiegen in ein Touristenboot, wo wir auf Deck bei einem Glas Wein die Sonne genossen. Lisa hatte sich an mich geschmiegt und gesagt: „Wie schön es hier ist. Am liebsten würde ich bis ans Ende der Welt mit dir fahren. Wir müssten uns viel mehr Zeit für einander nehmen.“
Sie gab mir einen flüchtigen Kuss, stand auf und ging zur Reling und machte mit der rechten Hand eine weit ausholende Bewegung
„Sieh, die Weinberge, das satte Grün mit seinen Trauben, die uns so berauschen. Winzer muss doch ein sehr schöner Beruf sein.“
„Aber auch anstrengend, in diesen Steillagen zu arbeiten. Bei aller Witterung. Jeder Schluck, jeder Tropfen sollte uns stets daran erinnern.“
Doch, je weiter wir Mosel abwärtsfuhren, umso mehr hatte ich Parallelen mit meinem Heimatbereich, mit dem Hunsrück, dem Osburger Hochwald, gezogen. Ich weiß, das eine kann man nicht mit dem anderen vergleichen, aber heute auf dieser Fahrt sah ich es deutlich. So schön es hier war, hier hätte ich nie leben können. Ich brauchte meinen Wald, Ich brauchte den Dialekt, mit dem ich aufgewachsen war und ich brauchte die Menschen, die nicht immer einfach waren, weil sie meist das sagten, was sie meinten, auch wenn es ihnen nicht immer zum Vorteil war.
„Wir werden eine Reise unternehmen“, sagte ich. Ich werde dir die Schönheiten des Hunsrücks zeigen. Ich werde mit dir durch die Wälder streifen und ich werde dir all die Dinge und Sehenswürdigkeiten zeigen, die den Hunsrück und den Hochwald so liebenswert machen. Es wird dir gefallen. Und vielleicht wirst du mich am Ende sogar verstehen.“
„Ich danke dir“, sagte sie. „Ich danke dir dafür, dass du das tun willst. Aber nun musst du deine Arbeit tun. Und stell dir vor: Ich kann das verstehen. Nur, beeil dich, ich möchte nicht immer nur warten.“
Sie neutralisierte diesen versteckten Vorwurf indem sie sich an mich schmiegte und drückte mir das Glas mit dem „Chateauneuf du Pape“ in die Hand.
„Trinken wir darauf. Trinken wir auf unsere Zukunft. Ich bin glücklich neben dir, trotz allem. Liebst du mich eigentlich, oder…?“
Ich drückte meinen Zeigefinger auf ihre Lippen, nahm ihr das Weinglas aus der Hand und stellte es mit dem meinen auf dem Tisch ab.
„Ich liebe dich“, sagte ich. „Ich liebe dich unendlich.“
Schon früh am Morgen, Lisa und ich lagen noch eng umschlungen aneinander gekuschelt, klingelte das Telefon. Es war Leni.
„Guten Morgen, Heiner. Ich hoffe, du bist schon auf. Vergiss deine gleitende Arbeitszeit und komm bitte sofort. Es hat sich etwas Neues ergeben.“