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2. Kapitel

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Leni hatte sich richtig in den Fall hineingearbeitet und im Prinzip arbeiteten wir gut zusammen, auch wenn uns die weibliche Logik ab und zu auf intellektuelle Distanz brachte.

Wer der Ermordete war, konnte schnell ermittelt werden. Sein Name war Wilhelm Rietmaier. Er wohnte laut Einwohnermeldeamt seit drei Jahren fest in Forstenau, war dort geboren und hatte sich irgendwann in jungen Jahren nach Frankfurt weggemacht. Das Haus, in dem er lebte, hatte seinen verstorbenen Eltern gehört. In den Jahren, bevor er sich in Forstenau niederließ, hatte er das Haus sozusagen als Urlaubssitz genutzt und in den Sommermonaten für einige Wochen darin gelebt. Um seine Person rankten sich zahlreiche Storys, die wir in den nächsten Tagen zu beleuchten hatten. Obwohl auch ich hier lebte, sagte mir die Person des Toten nichts. Noch nicht.

Die Leiche wurde vom Tatort unmittelbar in die Gerichtsmedizin nach Trier gebracht, wo sie von der Staatsanwaltschaft bis auf weiteres beschlagnahmt wurde.

Mit Gerichtsmedizin ist nichts Anderes gemeint als ein Raum neben der Leichenaufbewahrung des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder, der alles beherbergte, was zur Leichenöffnung benötigt wurde. In einem Kühl-fach in diesem Raum wartete Rietmaier unter Verschluss darauf, der Welt Auskunft über seinen Tod geben zu können.

Das würde voraussichtlich erst an einem der folgenden Tage sein, denn das Pathologen-Team musste erst von der Staatsanwaltschaft angefordert werden und kam vermutlich aus Mainz, wo sie in einer Klinik ihrer schaurigen Arbeit nachgingen.

So wussten wir also die genaue Todesursache noch nicht. Doch die Ermittlungen würde das nicht beeinträchtigen, denn dank Dr. Kämmerlein wussten wir zumindest, wie der tödliche Stich ausgeführt worden war.

In der Ferne vernahm ich ein Klingeln. Zum Glück hatte ich den Vibrator meines Handys in der Hosentasche auf „on“ gestellt, der mir mitteilte, dass es sich um mein eigenes handelte. Ja, ja, das Alter, die Ohren!

„Spürmann“, meldete ich mich, nachdem ich das Handy zwischen Taschentuch und Autoschlüsseln aus der Hosentasche genestelt hatte.

„Hallo Spürnase, wo treibst du dich herum?“, fragte die Stimme am anderen Ende der Leitung. Es war Lisa, die ich ganz vergessen hatte. Lisa Bauer war meine neue Flamme, und das schon seit acht Monaten. Jung, oder besser gesagt, jugendlich mit ihren 28 Jahren, attraktiv, blond, mit langen Beinen. Ich war gerne mit ihr zusammen. Sie hörte mir zu, wenn ich mir mal irgendwelche Dinge von der Seele reden musste. Und sie verstand es immer wieder, mich danach erneut aufzubauen.

„Ich versuche schon seit heute Morgen, dich zu erreichen. Ich vermisse dich.“

„Das kann heute noch dauern, Lisa, der Mord in Waldhausen, weißt du“, sagte ich und dachte daran, dass ich in den nächsten Tagen wohl kaum oft mit Lisa zusammen sein würde. „Ich vermisse dich auch. Wenn das hier vorbei ist, verspreche ich dir...“

Lisa unterbrach mich und sie machte es, wie immer geschickt.

„Ich weiß, dann fahren wir beide ganz alleine irgendwohin, wo niemand uns erreicht. Ich werde so lange warten.“

Ich fuhr ins Präsidium. Leni wartete schon auf mich. In meinem Büro.

„Wir bleiben am besten zusammen, wenn wir schon gemeinsam diesen Fall bearbeiten“, sagte sie und blätterte in einem dicken schwarzen Ordner. Auf dem Schreibtisch, meinem Schreibtisch, türmten sich mehrere rote, prall gefüllte Aktendeckel.

„Die Kollegen haben die Wohnung des Opfers durchsucht. Sie haben nichts gefunden, was auf einen Kampf oder einen Angriff im Haus von Rietmaier hindeutet“, sagte Leni. „Auf dem Grundstück müssen wir morgen selbst noch einmal nachsehen. Der Erkennungsdienst hat das Gelände weiträumig abgesperrt.“

„Ich war in der Zwischenzeit in der Aktenhaltung“, plauderte sie weiter, auf dem Chefsessel, meinem Chef-sessel, durch die Kraft ihres Allerwertesten hin und her rollend. „Und stell dir vor, was ich gefunden habe?“ Leni blies aus dem Mundwinkel eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht.

Ich war gespannt. Und überrascht. Sie hatte alle Sätze ohne die Streifen ihres Adenauer Platts von sich gegeben.

„Na, was?“, fragte ich.

Leni blätterte aufgeregt hin und her rollend in einer der roten Akten und schob sie mir zu. Sie zeigte mit ihrem dezent farblos lackierten Nagel des Zeigefingers auf das Blatt und las:

„Rietmaier, Wilhelm, geboren am 19. Dezember 1960 in Forstenau, zur Zeit dieser Akte, die ist vom…“ Sie blätterte zum Anfang des Dossiers.

„Die Akte ist vom Dezember 1979. Betrug und Verdacht der Zuhälterei. Der hat aber früh angefangen. Hier steht unter anderem: ‚…da der Beschuldigte hinreichend verdächtig ist, die Minderjährige soundso mittels Androhung von Gewalt zur Prostitution gezwungen zu haben’…usw.“

„Interessant.“ Die Arbeitsweise von Leni gefiel mir. „Hast du noch etwas herausgefunden?“

Leni war in ihrem Element. Kein Wunder. Sie war noch jung, ja wie jung eigentlich. Das konnte ich sie doch nicht fragen. Ich schätze mal gerade 23, höchstens 25 Jahre. Fast halb so alt wie ich. An den eigenen Kindern und den jungen Kolleginnen sieht man halt, wie alt man tatsächlich ist. Doch Kinder hatte ich keine. Leider. War nie verheiratet, der Beruf ging stets vor. Und ich wollte auch keinen Partner mit ständiger Abwesenheit belasten.

„Die Akten der Staatsanwaltschaft Trier weisen noch auf einige Betrugsdelikte hin“, murmelte Leni, in den Akten lesend. Ich musste sie dahin bekommen, lauter zu sprechen, oder mir ein Hörgerät zulegen. Das mit dem Hören wurde immer schlimmer. Und dazu noch der Tinnitus, der mir meist zu pfiff, aber manchmal auch hämmerte, als hackte ein Specht auf meinem Ohr herum.

„Kannst du deine Gedanken auch lauter formulieren?“, fragte ich und stellte gleich eine weitere Frage, um von meinem Problem abzulenken.

„Warum ist Rietmaier danach nicht mehr straffällig geworden?“

Auch darauf wusste Leni bereits eine Antwort. „Ist er wohl, aber nicht mehr in unserem Zuständigkeitsbereich. Er ist 1982 weggezogen, nach Frankfurt. Ich habe im Computer nachgesehen. Dort hat er das vollendet, was er hier begonnen hat.“

„Also hatte er in Frankfurt seine Pferdchen ins Rennen geschickt. Cleveres Kerlchen. Ich glaube, da kommt noch viel Neues auf uns zu. Machst du bitte einen Ausdruck aller strafrechtlichen Erkenntnisse von Rietmaier? Ja, und noch eins: Das sind alles lediglich landesweite Erkenntnisse. Fordere bitte per Telex auch die bundesweiten Erhebungen vom BKA über Rietmaier an. Ich bin mir sicher, da summiert sich einiges.“

„Und was machst du?“, fragte sie und warf den Kopf leicht in den Nacken.

„Feierabend. Bin seit fünf Uhr auf den Beinen. Wir sehen uns morgen. Übrigens: Dieses Teil haben die Kollegen von der Schutzpolizei aus Hermeskeil am Auffindungsort neben der Leiche gefunden. Einen so genannten USB-Stick. War in den Dreck hineingetreten worden. Vielleicht sind noch Daten drauf. Kannst du das überprüfen?“ Meine Computerkenntnisse hielten sich in Grenzen und reichten gerade, mit zwei Fingern einen dienstlichen Text zu schreiben. Ich konnte von Glück sagen, dass dies von den Schreibkräften im Schreibpool besorgt wurde. Entweder diktierte ich gleich in den PC oder gab das Band des Diktaphons dort ab.

Ich legte das Teil auf den Schreibtisch vor Leni.

„Wir werden uns morgen darum kümmern“. Ich griff nach meinem Mantel und drehte mich noch einmal um. „Danke, Leni. Ich glaube, du hast Recht. Wir werden sicherlich ein gutes Team!“

Netz der Gewalt

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