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Das Mariandl lief unterdessen an den Michaelern vorbei, durch die Augustinergasse hinunter, über den Neumarkt in das Krautgassel. Das Mariandl war sehr fröhlich, wusste sie doch für das kaiserliche Huhn einen dankbaren Gast, der es sicher mit besserem Appetit verzehren würde als die Majestät.

Schon an der Ecke des Krautgassels hörte sie Geigenspiel und den Gesang einer angenehmen Männerstimme. Das Mariandl blieb stehen und lauschte. Das Lied, das sie zu den Klängen einer Geige hörte, ergriff sie seltsam tief:

„Zwischen Ungarns heissen Steppen,

An der Donau hellem Strand,

An den wilden Felsentreppen

Im schroffen, rauhen Alpenland

Stehst du, der all mein Herz gehört,

Denn du allein nur bist es wert,

Dass wir in Treu’ dich lieben,

So ist all mein Sehnen geblieben bei dir, bei dir!“

Oben, am Fenster der Dachstube, setzte der Sänger jetzt die Geige ab, nahm den Bogen in die linke Hand und fuhr sich mit der rechten durch das Haar. Die Geste drückte Unzufriedenheit aus, und alsbald erklang denn auch die Melodie von neuem.

„Zwischen Ungarns heissen Steppen,

An der Donau hellem Strand,

An den wilden Felsentreppen ...“

Die alten morschen Treppen knarrten unter jedem Schritt, so leicht Mariandls Füsse sie auch berührten. Oben drang ein Lichtstreif durch den schlechtschliessenden Türspalt, und die Stimme des Sängers erscholl lauter. Das Mariandl öffnete die Tür.

Die kleine Stube war voll Sonne. Der Musikus am Fenster drehte sich nicht um, das leise Quietschen der rostigen Türangeln war ihm entgangen. Das Mariandl trat auf den wackligen Tisch zu, der in der Mitte stand, und stellte ihr Körbchen darauf. Dann stand sie ganz still mit gefalteten Händen und horchte. Immer wieder veränderte der Musikus am Fenster seine Melodie. Endlich schien er zufrieden zu sein. Noch einmal sang er die anmutige Weise und setzte dann mit Schwung den Bogen ab.

„So!“ sagte er befriedigt und wandte sich um. Da sah er das Mariandl stehen.

„Je, das Mariandl! Mein guter Geist!“ begrüsste der Musikus und Bänkelsänger Augustin das Mädchen. „Hab’s gar nicht kommen hören. Ist die Demoiselle schon lang da?“

„Ich hör’ Ihnen schon eine ganze Weile zu, Herr Augustin“, erwiderte Mariandl. „Sie singen so viel schön!“

Der Musikus lächelte freundlich, legte seine Geige aufs Fensterbrett und kam näher.

„Kommt die Jungfer nur zu mir, weil Ihr mein Gesang gefällt?“ fragte er scherzend. „Oder würde Sie auch ohne mein Konzerto kommen?“

Das Mariandl wurde verlegen. „Es muss doch manchmal jemand her, um Ordnung zu machen“, sagte sie hastig. „Es schaut ja bei Ihnen immer aus wie in einer Räuberhöhlen.“

So sah es in der Tat aus. Vom zerwühlten Bett hing die Decke auf den Boden herunter, der Dudelsack lag mitten in den Polstern, der hohe spitze Hut mit der Hahnenfeder am Tisch, und das Wäschespind hatte einen Fuss verloren; es stand windschief und zum Umfallen bereit. Das Mariandl erspähte den abgebrochenen Fuss und schob ihn unter das Spind. Es ging so leicht, dass sie es erstaunt öffnete.

„Wirst nichts drin finden, Mädel“, lachte der Musikus. „Alles, was ich hab’, trag’ ich auf mir.“ Und er wies auf seine abgetragenen Kleider.

„Wo haben’s denn Ihr zweites G’wand?“ entsetzte sich das Mariandl. „Und die bessere Wäsch’?“

„Fort!“ entgegnete Augustin mit grosser Geste. „Hab’s fortgeb’n an einen guten Mann, der mir auch was dafür gegeben hat.“

Das Mariandl sah ihn stumm an. Augustin wich ihrem Blick aus.

„Ich weiss schon“, sagte sie leise. „Es ist dort hinkommen, wo alles bei Ihnen hinkommt.“

„Recht hast, Mädel, versoffen hab’ ich’s.“ Und Augustin lächelte das Mädel fröhlich an.

Aber das Mariandl teilte seine Heiterkeit nicht. Sie senkte betrübt den Kopf, und ihre hilflose Gebärde griff dem Luftikus ans Herz.

„Wast hast mir denn da bracht?“ fragte er schnell und hob den Deckel vom Korb. „Je, ein Bibihenderl! Und so schön braun is braten!“

Das Mariandl zog das Huhn aus dem Körbchen, dazu ein Stück Brot und einen Holzteller. Sie stellte alles auf den Tisch, von dem sie den Hut mit der Hahnenfeder nahm. „Der Kaiser kriegt kein so schönes“, sagte sie und sah sich um, wohin sie den Hut geben könnte.

„Schmeiss ihn auf die Erd’“, riet ihr Augustin und machte sich mit seinem Messer über das Huhn her. „Wo hast’s denn her, das Prachtstückl?“

„Von meiner Tant’ aus Währing“, log das Mariandl und hing den Hut an einen Nagel neben dem Spind. „Was war denn das für ein Lied, das Sie grad g’sungen haben?“

„Ein neues. Für meine Geliebte hab’ ich’s g’macht“, erwiderte der Musikus, mit vollen Backen kauend.

„So?“ sagte das Mariandl, trat ans Bett und faltete die Bettdecke zusammen. „Wer ist denn nachher diese Geliebte, die an den Felsentreppen wohnt?“

„Die Wienerstadt“, entgegnete Augustin und säbelte sich ein saftiges Bruststück herunter. „Was Schöneres und Geliebteres als die Wienerstadt gibt’s für mich nicht mehr auf der Welt.“

Das Mariandl schlug mit ein paar knallenden Schlägen auf die prallen Federkissen des Bettes und legte sie aufs Fensterbrett in die Sonne.

„Pass auf mei’ Geigen auf“, ermahnte sie Augustin. „Wann sie auf das Pflaster unten fallt, tät’s ihr nicht frommen.“

„Dass S’ gar keine Ordnung halten können!“ seufzte das Mariandl und zog das Bettuch ab.

„Müsstest halt öfter herkommen“, lächelte Augustin verschmitzt zu ihr hinüber. „Net nur, wann’st mir was bringst. Mich freut’s schon, wenn ich dich seh, auch ohne Brathendl.“

Das Mariandl rüttelte den Strohsack auf und meinte verlegen: „Ich hab’ leider wenig Zeit.“

Augustin hörte auf zu essen und sah nachdenklich vor sich hin. „Komisch! Du kommst und gehst wieder, und ich weiss nicht, woher du kommst, wer du bist.“

Er schwieg. Seine Augen blickten jetzt scheu an dem Mädchen vorbei. Einen Augenblick herrschte Stille im Zimmer, nur eine Fliege summte leise. Augustin stand auf und ging zu Mariandl hin. „Solltest mir doch endlich deinen Namen und deine Herkunft sagen!“

Mit einem Lächeln glättete das Mädchen das Bettuch über dem Strohsack. „Es ist doch so viel schöner“, sagte sie leise. „Lassen wir’s dabei, dass ich Ihr guter Geist bin.“

Augustin wandte sich ab und ging wieder zum Tisch. „Na schön, werd’ ich halt nimmer fragen“, antwortete er verstimmt.

Das Mariandl sah ihm nach. Sie gab dem Bettuch noch einen letzten glättenden Strich und trat dann zu Augustin an den Tisch. „Nicht wieder bös sein! Ich komm’ zu Ihnen, weil ich Ihre Musik so gern hör’.“

Aber Augustin schien durch diese Worte noch mehr enttäuscht zu sein. „Also nur wegen meiner Musik kommst?“ fragte er und drehte dem Huhn einen Haxen aus. Die Augen des Mädchens sahen ihn bittend an. Eine grosse Zärtlichkeit lag in dem Blick, den der Mann warm auf sich ruhen fühlte.

„Ja!“ sagte das Mariandl leise. „Ich tu Ihnen so viel gern zuhören! Wo spiel’n S’ denn am Abend immer?“

Augustin legte die Hühnerhaxen wieder zurück. Das Essen freute ihn anscheinend nicht mehr so recht. Er wich dem Blick des Mädchens aus und sagte endlich zögernd: „Noch immer im Weinkeller „Zum süssen Löchl“!“

Die augensichtliche Verlegenheit Augustins amüsierte das Mariandl. „Ich käm’ so gern einmal hin!“ meinte sie lächelnd und wusste seine Antwort im voraus.

„Nein! Das möcht’ ich nicht, dass du dorthin kommst! Die Liedln, die ich dort aufspiel’, sind nicht das Beste, das ich kann. Sie sind ordinär.“

Das Mariandl drehte sich hastig um. „Das kann ich net glauben!“ meinte sie bestimmt. „Sie singen nichts Ordinäres!“

Augustin lachte. Sein Lachen war so froh und melancholisch zugleich wie das Lied, das er soeben gesungen hatte.

„Sind gar höllische G’sangeln, die die Demoiselle erschrecken täten“, sagte er mit leichter Bitterkeit. „Aber ich muss sie singen, solang ich noch einen Ton in der Brust hab’.“

Das Mariandl erschrak, denn in Augustins Augen flammte ein Feuer, das sie bisher nie darin gesehen. Das beunruhigte sie.

„Jetzt muss ich wieder gehen. Aber vergessen Sie nicht wieder auf den Schmaus!“ Sie wies auf das Huhn, das noch zur Hälfte unverspeist war.

Augustin nahm ihre Hand. „Bestimmt nicht!“ sagte er und verbarg seine Zärtlichkeit hinter Scherz. „Ich werde an die Demoiselle denken und das Henderl wird nur so ’runterrutschen.“

Jetzt lachte auch das Mariandl. Sie sahen einander lachend an. Dann lief das Mariandl einfach weg so wie jedesmal.

Augustin sah dem Mädchem vom Fenster aus nach, bis es um die Ecke zum Neumarkt verschwunden war. Dann verengten sich seine Augen. Er sah unten einen Mann kommen, dessen Besuch er hasste; nur der brennendste Hunger hatte ihn diesen Mann bisher ertragen lassen.

Bald darauf stand in der Stubentür Graf Trautensberg, der Inspector musicae des Kaisers. Er hob drohend seinen Stock, als er zu Augustin trat. „Wie kannst du dich erfrechen, mir eine Melodie zu verkaufen ...“

Der Bänkelsänger ging gelassen auf den wütenden Grafen zu und nahm ihm mit sanftem Griff den Stock aus der Hand.

„Den Stock legen wir weg“, sagte er dabei zu dem verblüfften Kavalier und fuhr ruhig fort: „Also, was wünscht der Herr von mir?“

Graf Trautensberg sagte etwas sanfter: „Du hast mir vor einigen Tagen eine Melodie verkauft, und die gleiche Melodie ist heute morgen im Hofe der Burg von zwei Bänkelsängern gesungen worden als infames Spottlied auf eine Dame des Hofes!“

„So!“ erwiderte Augustin seelenruhig. „Als Spottlied? Es war ja auch ein Spottpreis, den S’ mir zahlt’ haben. Zwanzig Kreuzer! Aber woher wissen S’ denn, dass das Lied heute morgen in der Burg g’sungen worden ist? San S’ vielleicht einer aus der Hofburg?“ Augustin fixierte den eleganten Herrn, dem es unter dem festen Blick des Musikus ungemütlich wurde.

„Nein!“ erwiderte Graf Trautensberg verlegen. „Aber es spricht ja bereits die ganze Stadt davon.“

„Ich hab’ zwar noch nichts gehört“, meinte Augustin zweifelnd. „Aber es tät’ mich freuen, wenn die Wiener endlich wach würden.“

Den Grafen packte von neuem die Wut. „Ich rate dir, Augustin, such dir ein anderes Publikum für deine Musik als die Hofburg! Sonst kann es leicht sein, dass du ...“

Der Graf vollendete den Satz nicht, sondern machte als Abschluss die Geste des Halsabschneidens.

„Oho!“ rief nun Augustin empört. „Oho, Sie Herr ...“ Mit blitzenden Augen trat er auf den Kavalier zu, der an die Wand zurückwich. Aber Augustin blieb am Tisch stehen, nahm ein Notenblatt in die Hand und sagte nun wieder ganz gemütlich: „Damit S’ kein’ Schaden haben wegen der Melodie, geb’ ich Ihnen eine neue!“

Der Musikgraf sah Augustin misstrauisch an. Aber nichts im Gesicht des Musikers verriet eine Tücke; freundlich stand er am Tisch, das Notenblatt in der ausgestreckten Hand.

Da griff Trautensberg begierig nach dem dargebotenen Musikstück. Er las es schweigend, begann dann die Melodie zu summen und den Takt zu schlagen.

„Douce et melodieuse“, sagte er entzückt. „Ja, die nehm’ ich gern zum Ersatz. Aber singt sie nicht auch schon der Pöbel auf den Strassen?“

„Dieses Lied ist mir heute erst eingefallen!“ erwiderte Augustin. „Übrigens spielen nur ich und meine Kameraden meine Lieder, ein Harfenist und ein Geiger.“

„Eben die waren es; ein dürrer Harfenist und ein dicker Geiger“, entgegnete der Graf. „Sie werden ihre Stockprügel schon besehen haben.“

„So!“ sagte der Musikus abermals, und ein gefährliches Funkeln kam in seine Augen. „Für gute Wiener Musik Stockprügel? Und fürs Pariser Gedudel – Dukaten?“

„Willst du deine kleinen Lieder den Kompositionen eines Lully gleichstellen?“ fragte der Graf spöttisch. „Den süssen Balletten des göttlichen Lully?“

„Die kenn’ ich nicht!“ sagte der Bänkelsänger stolz. „Aber dass meine Musika so gut ist wie jede andere in Wien, das weiss der Herr ja am besten selber. Sonst wären Sie ja nicht bei mir.“

Der Graf lachte laut auf. „Mit den nötigen Verzierungen und artigen Variationen können deine Liedchen ganz zierliche Musikstücke werden.“ Er betrachtete noch einmal das Notenblatt in seiner Hand und summte ein paar Takte. „Ganz scharmant, wirklich ganz scharmant in der Erfindung!“

„Sind wir also quitt?“ fragte der Augustin mit steinernem Gesicht. Dann ging er zur Tür und öffnete sie.

„Bitte schön!“ sagte er höflich, aber so bestimmt, dass der Graf der unmissverständlichen Aufforderung eiligst Folge leistete.

Augustin schloss die Tür mit einem lauten Bums und ging in das Stübchen zurück. Er war sehr nachdenklich geworden. Hatten der Martl und der Wastl es wirklich gewagt, ohne sein Wissen und ohne seine Einwilligung in der Hofburg zu singen?

Auf der Treppe wurden jetzt Schritte laut. Sie klangen etwas mühsam, jede Stufe knarrte besonders laut, weil die Füsse so lange darauf verweilten. Augustin machte sich bereit, Martl und Wastl zu empfangen.

Das rote Gesicht des Martl war noch röter als sonst; er hatte die Hand an die linke Hinterbacke gepresst, die rechte umklammerte die Geige mit den zerrissenen Saiten. Der Wastl bot ein vollständiges Bild des Jammers. Seine blauen Augen standen voll Wasser, und aus der Kehle rang sich dann und wann ein schluchzender Seufzer.

„Was ist denn? Was habt’s denn? Von wo kommt’s denn her?“ Aus Augustins Frage klang eine leichte Drohung.

„Aufspielt hab’n wir in der Hofburg!“ erwiderte der Wastl.

„Na, da müsst ihr jo nobel zahlt worden sein?“ höhnte Augustin „Heraus mit der Einnahm’. Ein Drittel gehört ja mir als Kapo?“

„Tät’ dir’s gern auszahln!“ knurrte Martl, „aber wünsch dir das nicht!“

Augustin lachte: „Ach so? Hieb’ habt’s kriegt für eure Musika? Recht g’schieht euch!“ Augustin betrachtete ungerührt seine unglücklichen Gefährten. „Das ist die Straf’ fürs eigenmächtige Aufspielen mit meine Liedln!“

„Ich wollt’ ja nicht“, stammelte der Wastl. „Den ganzen Weg über hab’ ich mich gewehrt. Aber der Martl ist so gewaltsam.“

Augustin wandte sich jetzt an den Martl, der noch immer ingrimmig seine Hinterbacke rieb.

„Du bist in der letzten Zeit immer so meuterisch. Gib acht, dass ich dich nicht einmal hinausschmeiss’ aus unserm Gespiel!“

„Wo singen wir heut?“ fragte der Wastl schnell, um Martl die Antwort abzuschneiden, denn er liebte den Frieden.

„Im „süssen Löchl“ natürlich wie jeden Abend“, erwiderte Augustin kurz. „Macht’s euch fertig und nehmt alle eure Kurasch mit. Ich glaub’, es liegt was in der Luft.“

Der liebe Augustin

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