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1 Einleitung

Unter dem Stichwort »Connubium divinum« will diese Arbeit der »Vermählungstheologie« Scheebens nachgehen und wie mit dieser die Einheit von Gott und Mensch zur Darstellung kommt. In einem brillanten Essay trifft Hans Urs von Balthasar zwei Feststellungen bezüglich Scheeben: Zum einen schreibt er hinsichtlich der Unterscheidung von Natur und Gnade:

»Gegen die romantische Theologie wird mit lückenloser Schärfe die Trennung von Natur und Übernatur verfochten und aus der gesamten Häresiologie begründet … Alle Fäden, die von unten naturhaft ins obere Reich zielen könnten, werden durchgeschnitten, und zu diesem Behuf … ein begrifflich widerspruchsloses Reich der ›natura pura‹ aufgestellt, als eine ›abgeschlossene Lebensordnung.‹«6

Dies ist sehr pointiert formuliert und trifft von Anfang an und, wie sich noch zeigen wird, bereits in »Natur und Gnade« zu nur mit deutlichen Brechungen. Zudem fragt sich, ob das Gegenüber nicht zunächst die Theologie der Aufklärung ist, das »System des Rationalismus«, und nicht so sehr die »romantische Theologie«. Zur Verbindung, der »Vermählung« von Natur und Gnade schreibt Balthasar dann:

»Sobald von der formalen Überlegung fortgeschritten wird zur inhaltlichen Betrachtung der Mysterien, zeigt sich, dass die ›Erhebung‹ der Kreatur in Gott durch eine vorgängige Herab- und Einsenkung Gottes geschieht, eine Durchdringung der Natur mit der Gnade, die Scheeben von Anfang an und dann bis in alle Einzelheiten der Dogmatik hinein unter dem Titel ›Vermählung‹ behandelt, so dass seine Theologie zu einer einzigen Eroslehre wird, weithinaus über alles, was bisherige Theologie in dieser Hinsicht entwickelt hatte«.7

Diese »Vermählungstheologie« bzw. »Eroslehre« ist Thema der Arbeit. Wie gestaltet sich diese »Herab- und Einsenkung Gottes, die »Durchdringung der Natur mit der Gnade« und die daraus resultierende Einheit von Gott und Mensch. Das ist Scheebens eigentliches Anliegen, die deutliche Unterscheidung von Natur und Gnade Mittel zum Zweck.

Der titelgebende Begriff »Connubium divinum« ist dabei ein Kürzel für die anvisierte »Vermählungstheologie«. Er knüpft an Balthasar wie an Scheeben selbst an. Scheeben nennt in der Mariologie die für die Vermählungstheologie exemplarische Verbindung von Christus und Maria ein »matrimonium divinum oder connubium Verbi« (D V n 1588), die »gottesbräutliche Mutterschaft« und die »gottesmütterliche Brautschaft« von Christus und Maria (D V n 1590).8 Balthasar spricht vom »Conubium« (sic, H.G.) Gottes mit der Menschheit.9 In den »Mysterien des Christentums« (1865) finden sich die Wendungen »Connubium Christi mit der Kirche«, vom »mystischen Connubium« Christi oder vom »himmlischen Connubium«.10 Den Begriff »Vermählung« verwendet Scheeben zwar gelegentlich diffus, als enge Verbindung von Personen, Gegebenheiten oder konstituierenden Prinzipien in oder zu einem »organischen Ganzen«. Diese Bedeutung von »Vermählung« ist der Verbindung von Mann und Frau in der Ehe aber eng verbunden, denn Mann und Frau bilden bei Scheeben in der Ehe ebenfalls ein »organisches Ganzes. In dieser Arbeit wird »Vermählung« dominant als paralleler Gegenbegriff zu »Zeugung« verstanden, als enge wechselseitige Verbindung zweier lebender Wesen, Mann und Frau, Christus und Maria bzw. Kirche. »Zeugung« und »Vermählung« überlappen sich allerdings dann, wenn die Zeugung die Mitteilung eines lebendigen Wesens bedeutet, zu dem zugleich und mit der Zeugung eine enge Verbindung von Person zu Person einhergeht. Dies ist der Fall in der Gnadenkindschaft wie bei der Gottesmutterschaft Marias, dem Connubium divinum im engeren Sinn.

Die These, die hier also vertreten wird, ist, dass die gesamte Theologie Scheebens als Vermählungstheologie angelegt und zu lesen ist. Dabei geht es nicht nur um die aus der Brautmystik vertraute Figur der bräutlichen Verbindung Christi mit der Kirche oder der einzelnen Seele. Inhalt dieser Vermählungstheologie ist die »Durchdringung der Natur mit der Gnade«, das, was Scheeben als »Übernatur« bezeichnet, auch, und weniger missverständlich, als »Gesamtnatur höherer Ordnung« (D III n 900). Wie später gezeigt wird, wird das Ganze der Geheimnisse des Glaubens, der »Mysterien des Christentums«, gesehen als Vermählungsgeschehen, in welchem sich der dreifaltige Gott in der Inkarnation und der Gnade der Menschheit offenbart und mitteilt. Bereits die Trinitätslehre ist als eine primordiale Vermählungstheologie angelegt. In der Zeugung des Sohnes ist alle Gestalt und alle Gestaltung grundgelegt, in der Schöpfung, in der Gottebenbildlichkeit des Menschen und der ihr entsprechenden Einheit von informierend-gestaltender Geistseele und Leib, von Gott und Mensch in Christus und der Einheit alles Geschaffenen in und mit Christus (Christozentrik). Eine besondere Bedeutung kommt bereits trinitarisch immanent der sponsal-mütterlichen Pneumatologie zu. Das wirkt sich vor allem aus nach der Neuorientierung Scheebens in der Frage der persönlichen Einwohnung des Heiligen Geistes. Es können nun alle Aspekte der geschaffenen und der ungeschaffenen Gnade pneumatologisch integriert werden. Die Pneumatologie ist ökonomisch Ort und sozusagen »Umschlageplatz« der Vermählungstheologie.

1.1 Scheebens Theologie – ein erster Blick

Im Jahr 1859 kehrt Scheeben aus Rom zurück. Noch vor seiner Rückkehr nach Köln scheint ihm eine theologische und ästhetische Intuition und Vision des Ganzen seiner Theologie vor Augen zu stehen. Seit 1860 erscheinen in rascher Folge die ersten Hauptwerke bis zu den »Mysterien des Christentums« im Jahre 1865.11 Es wird dann fast 10 Jahre dauern, bis 1874 der erste Band der Dogmatik erscheint, aber bereits in den Arbeiten der ersten fünf Jahre finden sich die zentralen Grundoptionen Scheebens. Sie werden in mannigfacher Weise im Fortgang des Werkes durchgearbeitet, entfaltet, konkretisiert, auch modifiziert. Aussystematisiert strukturieren sie in der Dogmatik das Werk. Dies alles ist ganz wesentlich ein Prozess innerhalb, innerhalb dieser Grundoptionen. Scheebens Werk ist als ganzes, wie man sagen könnte, die sukzessive Rekonstruktion seiner Grundintuitionen, die Rekonstruktion eines von Anfang an deutlich in den Blick genommenen »Systems« des Übernatürlichen.

Vorbereitet vor allem in den »Mysterien« wird seit der Dogmatik die eheliche Verbindung von Mann und Frau als Abbild der trinitarischen Beziehungen und als Vorbild der ehelichen Verbindung von Christus und Kirche gestaltet. Eine exemplarische Bedeutung für die Gnadenlehre und für die Ekklesiologie erhält die Mariologie. Die Verbindung von Christus und Maria ist Realsymbol der Verbindung Gottes und der Menschheit. Das betrifft das Geschehen der Verbindung als Ineinander von Mitteilung göttlicher Gnade und menschlichem Empfangen (Zeugung, Empfangen, Vermählung, Schoß, Geburt). Dieses Grundmodell der mariologisch fundierten »Vermählung von Natur und Gnade« wird seit dem Schlusskapitel von »Natur und Gnade«, Scheebens erster größerer wissenschaftlicher Veröffentlichung, immer wieder aufgerufen. Es unterliegt auch den mariologischen Grundbegriffen, dem »matrimonium divinum« und dem »connubium Verbi«, d.h. der Verbindung von Empfangen des Sohnes Gottes und der Geburt Christi. Die Gemeinschaft von Christus und Maria ist Gottesmutterschaft und Brautschaft, ist mit den Worten Scheebens gottesbräutliche Mutterschaft« und »gottesmütterliche Brautschaft« (D V n 1590). In der Gemeinschaft von Christus und Maria ist bestimmend dann die für die Christologie zentrale anthropologische Kategorie der Einheit von Seele und Leib, die hypostatische Union durch informationsanaloge Weiterführung der ewigen Zeugung. Daran partizipiert Maria durch ihre Gottesmutterschaft. Es dominiert dann die ebenfalls anthropologische pneumatologisch besetzte Kategorie der Vermählung. Bei dieser Verbindung von Partizipation und Relation ist das für Scheeben zentrale, immer korrelativ zu verstehende Paar von »Verähnlichung und Vereinigung« nicht fern. Die Gemeinschaft von Christus und Maria hat exemplarischen Charakter für das Ein-Leib-Ein-Geist-Sein mit und in Christus und dadurch mit dem dreifaltigen Gott. Im Sinn dieser Bezüge kann »Connubium divinum« mit Recht als Kürzel für die gesamte Vermählungstheologie genommen werden.

Will man einen großen Schritt nach vorn tun, kann man sagen: Bei den »Mysterien des Christentums« handelt es sich um ein Vermählungsgeschehen trinitarisch aus dem »Schoß« Gottes zunächst, aus der »Fruchtbarkeit« des göttlichen Lebens, christologisch und gnadentheologisch-pneumatologisch in den empfänglich-fruchtbaren »Schoß« der Menschheit sodann, auf diesem Weg die gesamte Schöpfung einbeziehend. Sieht man die Entwicklung, die Scheebens Theologie insgesamt nimmt, dann kann man mit dem Schlusskapitel von »Natur und Gnade« auch »Vermählung von Natur und Gnade« als dem »Connubium divinum« entsprechendes Kürzel für die ganze Theologie Scheebens nehmen, »Natur« als das Ganze der Schöpfung, »Gnade« als das Ganze von ungeschaffener und geschaffener Gnade, christologisch und pneumatologisch.12 Mit Hans Urs von Balthasar:

»Für den Glauben ist Gott Trinität, sich ergiessende innere Fruchtbarkeit, die sich in der hypostatischen Union in die dazu vorbereitete Schöpfung ergiesst, welche wiederum, durch die Gnade und für die Gnade Christi zubereitet, ihre Spitze in der bräutlichen Mutterschaft Marias besitzt: von hier aus ist alles Kirchliche und Christliche zu deuten, bis schließlich in die weltliche Natur und bis in die formale Ontologie hinein.«13

Die folgenden sich im Verlauf des Werkes entfaltenden Optionen sind in besonderer Weise hervorzuheben, sie betreffen den Inhalt und die Gestaltung:

1. Durch die Gnade wird der »Natur«, wird den Menschen, eine neue, höhere Lebenswirklichkeit mitgeteilt, die der göttlichen Natur nach 2 Petr 1,4 und des göttlichen Lebens, die »Übernatur«. »Vergöttlichung«, »Vereinigung und Verähnlichung«, »Ein Geist Sein mit Gott« (nach 1 Kor 6,17) sind die Stichworte. Hier liegt der Grund für die deutliche Unterscheidung von Natur und Gnade.

2. Dieses Geschehen ist Selbstoffenbarung und Lebensmitteilung Gottes. Es ist Offenbarung und Mitteilung der Fruchtbarkeit des göttlichen Lebens, d.h. der Überfülle von Gottes Leben und seiner mitteilungsbereiten Güte, und es ist Offenbarung und Mitteilung der »Herrlichkeiten der göttlichen Gnade«. Gott offenbart sich, teilt sein eigenes Leben mit, seine »Natur«, trinitarisch wie nach außen durch Inkarnation und Gnade. Dadurch werden die Menschen erhoben zu Kindern Gottes des Vaters, zur Braut des Sohnes und zum Tempel des Heiligen Geistes. Christologisch verbinden sich die Einheit als Leib Christi und Brautschaft mit Christus. Das entspricht der Analogie von Geist-Leib-Einheit und ehelicher Einheit.

3. Die Mitteilung der Gnade an die Natur ist im Rahmen eines »Natur und Gnade« umfassenden Ganzen zu sehen, das im »nexus mysteriorum«, im Zusammenhang der zentralen »Mysterien des Christentums« gründet, daraus hervorgeht, es darstellt und darin mündet: Trinität, Inkarnation (Eucharistie), Gnade und Glorie sind die zentralen Mysterien.14 Es handelt sich um die Geheimnisse des göttlichen Schoßes und des göttlichen Herzens.15

4. Dieses Ganze bildet von vornherein den Horizont von Scheebens Werk, prinzipiell und final, und es umgreift alle Unterscheidungen, auch die von Natur und Gnade. Scheebens Werk ist also von Anfang an trinitarisch, christozentrisch und pneumatozentrisch.

5. Das Ganze von Scheebens Theologie findet von Anfang an seinen Ausdruck in Begriffen und Bildern von sich äußernder und mitteilender Offenbarung und der informierend-gestaltenden Mitteilung von Geist und Leben: Die »organische« Einheit und Ganzheit von Geist und Leib, das Verständnis von Natur als »Wurzel«, d.h. als Lebensgrund gestaltend-organischer Lebensentwicklung hin zu einem Ganzen sind zentrale Kategorien.

6. Hinzukommen Begriffe und Bilder aus dem Bereich der ehelichen Vereinigung und Einheit von Mann und Frau sowie der Brautmystik: Fruchtbarkeit, Zeugung, Vermählung, Empfängnis, Schoß, Braut, Mutter, Geburt, Herz, Kuss. Begriffe und Bilder sind einander zugeordnet. Das Begriffs- und Bildmaterial liegt bereits im Frühwerk bis zu den »Mysterien« in reicher Fülle vor.

7. Mit diesem Begriffs- und Bildmaterial wird Scheebens ganze Theologie als »Vermählungstheologie« gestaltet. Besonders seit der Dogmatik wird mit dem, oft in »Grundbegriffen« und »Gesamtbildern« konzentrierten Begriffs- und Bildmaterial, das Ganze von Scheebens Theologie als »organisches Ganzes« entfaltet. In solchen Begriffen und Bildern umgreift Scheeben von Anfang an Formaltrennungen und überschreitet sie hin auf ein Ganzes.

8. Dabei zeigt sich eine exemplarisch-dynamische Zuordnung von Trinität, Christologie und Pneumatologie einerseits und der Anthropologie andererseits: Der Mensch als Bild Gottes, als Einheit von Geist und Leib und die eheliche Verbindung von Mann und Frau sind Abbild des trinitarischen Lebens Gottes und Vorbild von dessen Mitteilung in Christus, in der Gnade, in Maria und in der Kirche. In diesem Zusammenhang wird »Natur« immer deutlicher als offen für die »Gnade« herausgearbeitet.

9. Alles, was Gestalt und Gestaltung betrifft, von der Zeugung des Sohnes Gottes als Bild des Vaters über die zeugungsanaloge Erschaffung der Welt, die Erschaffung des Menschen als Ebenbild Gottes in der Einheit von Geist und Leib bis zur Inkarnation des Sohnes Gottes in Christus und bis zur gnadenhaften Erhebung des Menschen wird im Begriff »Zeugung« umfasst oder ist darin präfiguriert. Zeugung als verähnlichende Lebensmitteilung und die damit verbundene Information (informatio) ist die eine Zentralachse der Vermählungstheologie.

10. Die andere Zentralachse, die eheanaloge Vereinigung durch den Heiligen Geist, ist »Vermählung«. Unter Vermählung, wie gesagt teilweise in einem weiten Sinn für jede Art enger Verbindung gebraucht, im engeren Sinn wird hier verstanden die bräutliche Vereinigung mit Gott. Sie impliziert die Empfängnis göttlicher Lebensmitteilung und die dadurch getragene Lebensgemeinschaft. In diesem Sinn ist Vermählung in besonderer Weise mit der Sendung und Einwohnung des Heiligen Geist verbunden.

11. Zeugung ist »Verähnlichung« durch Mitteilung der göttlichen Natur (nach 2 Petr 1,4), die zugleich »Vereinigung« (nach 2 Kor 13,13 und 1 Joh 1,3) impliziert. Vermählung ist Vereinigung, die Empfängnis einer Einzeugung impliziert. Zeugung und Vermählung sind wie Verähnlichung und Vereinigung korrelativ untrennbar verbunden.

12. Diese Vermählungstheologie ist bereits in den ersten Werken präsent als »Vermählung von Natur und Gnade«: als »Zeugung« und als »Vermählung«, als physische Erhebung der Natur und moralisch als übernatürliche Liebe, als physisch-moralisches »Ein-Geist-Sein« mit Gott bzw., christologisch konkretisiert, als »Ein-Geist-Sein« mit Christus (1 Kor 6, 17).16

13. Seit dem Schlusskapitel von »Natur und Gnade« unterliegt dem Ganzen von Scheebens der Vermählungstheologie wie eine Folie eine christologisch-mariologische Struktur.17 In der Verbindung von Christus und Maria bildet sich ab die Genese der Verbindung von Natur und Gnade (motio ad gratiam), die »Vermählung von Natur und Gnade«, ein Thema, das Scheeben seit dem Schlusskapitel von »Natur und Gnade« immer wieder aufgreift.

14. Die Mariologie ist ein exemplarischer Fokus der gesamten Theologie Scheebens. Sie wird im »Connubium divinum«, dem Modell per modum abundantiae der Vermählung von Natur und Gnade, explizit. Das betrifft die Konstitution der Einheit von Christus und Maria (Empfängnis und Geburt des Sohnes Gottes) und die daraus resultierende Einheit. Im Doppelbegriff »gottesbräutliche Mutterschaft« und »gottesmütterliche Brautschaft« sind alle Aspekte des »Connubium divinum« verbunden.

15. Diese mariologische Grundierung ist schon in Scheebens allererstem Werk, den »Marienblüthen«, greifbar, einer umfänglichen Sammlung von marianischen Texten, Gedichten und Liedern.18 In der Einheit von Christus und Maria bildet sich zugleich ab und verwirklicht sich die Einheit mit Gott dem Vater durch Einheit mit und in Christus und durch den Heiligen Geist.

16. Schon in den »Mysterien des Christentums«, dann in der Dogmatik, wird diese Einheit mit Gott dem Vater durch die Einheit mit und in Christus und durch den Heiligen Geist ausgeweitet auf die ganze Menschheit und darüber hinaus die ganze Schöpfung. Die trinitarische Gnadenformel, wonach die Menschen zu Kindern Gottes des Vaters, zur Braut des Sohnes sowie zu seinem Leib und zum Tempel des Heiligen Geistes erhoben werden, erhält eine universale menschheitliche und kosmische Gestalt.

Um diese Grundoptionen lagert sich das Gesamtwerk. Sein Thema, mit den Titeln der ersten Werke: »Die Herrlichkeiten der göttlichen Gnade« und »Die Mysterien des Christentums«. Beides steht in einem strikten Wechselverhältnis, denn die »Herrlichkeiten der göttlichen Gnade« sind, was Ursprung, Inhalt und Ziel der »Mysterien des Christentums« ausmacht, des »nexus mysteriorum«: die Gemeinschaft mit dem dreifaltigen Gott durch Inkarnation und Gnade.

Es gibt einen markanten Fluchtpunkt der Vermählungstheologie, der Theologie des Connubium divinum, das Schlusskapitel von »Natur und Gnade«, »Verbindung und Vermählung von Natur und Gnade (Übernatur)«, abgekürzt »Vermählung von Natur und Gnade« (NG 173–206). Scheeben sagt hier: Es

»ist die Vermählung der Natur mit der Gnade das lichtvolle Geheimnis der christlichen Heilsökonomie und damit der ganzen höheren Weltordnung.« (NG 181)19

Diese »Vermählung« wird fast eins zu eins mit der Menschwerdung des Sohnes Gottes aus der Jungfrau Maria verglichen, was zur Formulierung führt:

»Besteht nicht eine wunderbare Ähnlichkeit zwischen der Vermählung der Natur mit der Gnade und der Vermählung der jungfräulichen Mutter mit dem Heiligen Geiste?« (NG 195)

Wenn hier vom Heiligen Geist die Rede ist, so gilt das in »Natur und Gnade« ohnehin nur per appropriationem. Wesentlich ist der Vergleich zwischen Empfang und Geburt der Gnade – der »geschaffenen« in »Natur und Gnade« – und Empfang und Geburt des Gottessohnes in und aus Maria. Scheeben führt dies im Einzelnen aus, um zu resümieren:

»Die ganze Art und Weise, wie sich die göttliche Natur in der Person der Wortes mit der menschlichen im Schoß der jungfräulichen Mutter vermählte, entspricht in allen Momenten der Art und Weise, wie sich Gott in der Gnade mit der Natur in jedem Menschen vermählen will.« (NG 195)

Beides, die gesamte Heilsordnung und den Vergleich mit Maria verknüpfend, schreibt Scheeben in der »Analytischen Übersicht« zu »Natur und Gnade« bezüglich der Vermählung von Natur und Gnade:

»Ideal und Grundlage dieser Vermählung ist die Vermählung der göttlichen Natur in der Person des Wortes mit der menschlichen im Schoße der Jungfrau (195–197). In diesen beiden Geheimnissen konzentriert sich die ganze christliche Heilsordnung (196 f.).« (NG 213)

Das Ganze noch einmal etwas anders akzentuiert: Die »mütterliche Tätigkeit« Marias, die Empfängnis des Sohnes Gottes in ihrem Schoß und die Geburt Christi des menschgewordenen Gottessohnes, ist eingebettet in eine »übernatürliche geistige Vereinigung« mit dem Sohn Gottes.20 Diese geht, wie die »gratia praeveniens« der »Vermählung von Natur und Gnade«, mitteilend, erhebend und tragend voraus und vollendet diese Vereinigung. Natürlich ist es bei Maria eine »leibliche« Vollendung, und es fällt bei ihr die ursprüngliche Begnadung mit der Empfängnis Marias zusammen. Aber Scheeben rückt das allgemeine Geschehen der Begnadung vom Beginn bis zur Vollendung und das marianische Geschehen so eng wie möglich aneinander. In »Natur und Gnade« schreibt er:

»Die jungfräuliche Mutter goß, wie die Kirche sagt, das ewige Licht in die Welt aus; sie gebar den Sohn Gottes in der menschlichen Natur und sie empfing ihn in ihrem Schoße. Hier (in der Gnade, H.G.) soll der Sohn Gottes nicht in der physischen Einheit der Person, sondern in moralischer Einheit der Person, durch ein reelles Bild seines göttlichen Lichtes und eine reelle Partizipation seines göttlichen Lebens in der menschlichen Natur wiedergeboren werden.« (NG 195)

Das ist, wie man sieht, noch ganz im Bann der geschaffenen Gnade, noch vor den Revisionen in der Inhabitationsfrage seit den »Mysterien«. Offener und gleichbleibend in allen von ihm verantworteten Ausgaben der »Herrlichkeiten der göttlichen Gnade« schreibt Scheeben, dass »der Heiland durch … (die, H.G.) Gnade uns fast seiner eigenen Mutter gleichsetzt:«

»Denn durch die Gnade werden wir in wahrhaft wunderbarer Weise der Mutter Gottes ähnlich … selbst ihre Mutterschaft ahmen wir in uns beim Empfange der Gnade nach. Derselbe Heilige Geist, der in den Schoß Mariä herabstieg, um ihr eine himmlische Fruchtbarkeit zu verleihen, steigt auch in unsere Seele herab, um den Sohn Gottes in ihr geistigerweise zu zeugen.« (H 52)

Das will diese Arbeit an den einzelnen Teilstücken von Scheebens Theologie zeigen und belegen.

Damit ist so etwas wie der Fluchtpunkt der gesamten Vermählungstheologie und der Theologie des »Connubium divinum« und auch der ganzen Theologie Scheebens benannt. Dominiert dabei zunächst der Aspekt der Genese, »Vermählung« als Prozess, so folgt daraus als Abschluss die Vollendung der Einheit von Gott und Mensch. Diese wird immer wieder dargestellt in einem von Alexander von Hales und Bonaventura übernommenen Ternar: Durch die Gnade wird der Mensch Kind des Vaters, Braut (und Leib, wie man hinzufügen muss) des Sohnes bzw. Christi und Tempel des Heiligen Geistes. Es ist dies die Vollendung der Vermählung. Zumal von den griechischen Kirchenvätern übernommene Begriffe wie Vergöttlichung, Vereinigung und Verähnlichung, Verklärung, dazu ein entsprechendes Bildprogramm (Feuer, Erleuchtung, Salbung u.a.m.) orchestrieren dies, oft unterstrichen mit dem braut- und vermählungstheologischen locus classicus 1 Kor 6,17: Qui autem adhaeret Domino unus Spiritus est. Wer aber dem Herrn anhängt, ist Ein Geist mit Ihm.21 Da diese Mitteilung der vergöttlichenden Herrlichkeit auch das leibliche Sein des Menschen und darüber die ganze Schöpfung einbezieht, muss man der Vollständigkeit halber sagen: Ist Ein Leib und Ein Geist mit Ihm (Drittes Eucharistisches Hochgebet). Dazu gehört dann 1 Kor 6,19, wonach der Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist.

Um noch einmal zu den Anfangsfeststellungen zurückzukehren: Vor seinen größeren und seinen wissenschaftlichen Arbeiten steht bei Scheeben das Büchlein »Marienblüthen«, eine über 200 Seiten starke Sammlung marianischer Texte, Gedichte, Lieder, Gebete und kompakt theologische, zugleich panegyrische Texte von Kirchenvätern. Die Kirchenvätertexte reflektieren die »Unbefleckte Empfängnis«.22 Das Chronogramm der vorangestellten lateinischen Fürbitte zeigt das Jahr 1854, das Jahr der Dogmatisierung der Unbefleckten Empfängnis Mariens. Scheeben war zu der Zeit in Rom. Der Hinweis auf die Mariologie im Schlusskapitel von »Natur und Gnade« hat also programmatische Bedeutung.23 Wie Maria den Sohn, so empfängt die Natur die Gnade durch eine »Zeugung« in ihrem »Schoß«, wird so Gott anvermählt und befähigt zur »Geburt« des Lebens der Gnade, ja, zu einer Geburt des Sohnes in der Seele.24

1.2 Aufbau, Struktur und Problemzonen der Arbeit

Bei der Beschäftigung mit Scheeben gibt es drei Schwierigkeiten. Zum einen die der Sache zwar durchaus angemessene, aber zugleich schwierig-sperrige Sprache Scheebens, zumal in der Dogmatik. Ferner war und ist Scheeben zwar ohne Zweifel theologisch einer der ganz Großen, aber seit seiner ersten Veröffentlichung 1860 sind fast 160 Jahre vergangen, zwei Weltkriege, der Weg in die globalisierte »Eine Welt«, nicht zuletzt folgte dem großen kirchlichen Ereignis zu Lebzeiten Scheebens, dem Ersten Vatikanischen Konzil (1869–1870), das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965). Scheebens theologische Welt ist in ganz vieler Hinsicht nicht mehr die unsrige. Das gilt drittens nicht zuletzt von seiner Vermählungstheologie. Nicht nur, dass sie in ihrer Art einzigartig ist, macht ihre Beurteilung schwierig – ich weise hier nur auf die sponsal-mütterliche Gestalt seiner Pneumatologie hin, für die es in dieser Form kaum Vorbilder gibt – auch sein Verständnis des Verhältnisses von Mann und Frau bereitet einige Probleme, um es ganz zurückhaltend zu sagen. Ein androzentrisches Frauenbild des 19. Jahrhunderts, bevor auch nur eine Ahnung weiblicher Emanzipation das Innere der Kirche erreichte, ist integraler Teil seiner Vermählungstheologie. Wer um die Komplexität des heutigen Diskurses zur »Querelle des Femmes« weiß, ist ständig in der Versuchung, angesichts von Scheebens Frauenbild aufzugeben. – Ich komme auf all das im Verlauf der Arbeit zu sprechen und greife dies und das Thema von Scheebens theologischer Ungleichzeitigkeit mit uns auch am Schluss der Arbeit noch einmal auf.

Zum Aufbau der Arbeit: Gerahmt durch einen Einleitungsteil, zu dem auch die biographische und theologiegeschichtliche Zuordnung gehört, und einen resümierenden Schlussteil, hat die Arbeit zwei Schwerpunkte. Es gibt zunächst eine umfangreiche Hinführung. Sie schreitet die zentralen Themen und Motive von Scheebens Theologie ab, beginnend mit seiner Theozentrik der Vergöttlichung, und führt zur Vermählungstheologie als Ausgangs- und Zielpunkt. Dann kommt zweitens, beginnend mit der Trinitätstheologie, ein Durchgang durch fast alle Traktate. Dabei soll gezeigt werden, wie diese vermählungstheologisch gestaltet sind. Ausgeklammert sind allein Scheebens Theologie der Sünde, zumal der Erbsünde, des peccatum originale, und seine großartige Theologie des Opfers. Erstere, weil sie zwar wichtig ist, aber nicht direkt Teil der Vermählungstheologie ist, Letztere, weil sie zwar einen Kulminationspunkt von Scheebens Theologie darstellt, aber so gewichtig ist, dass eine einlässliche Darstellung den ohnedies schon arg strapazierten Rahmen dieser Arbeit gesprengt hätte. Ich komme auf dieses Thema mehrfach zurück.25

Der zweifache Versuch, das Ganze darzustellen, wenn auch in unterschiedlicher Perspektive, führt unvermeidlich zu Wiederholungen und Redundanzen. Nachdem dieser Ansatz einmal gewählt, wäre ein erneuter Umbau der Arbeit sehr zeitaufwendig geworden, mit zudem zweifelhaften Erfolg. Hier liegt nämlich ein Dilemma der Lektüre und der Interpretation von Scheebens Werk. Norbert Hoffmann schreibt in seiner vorzüglichen Arbeit über Scheeben, es gehe bei Scheeben immer »vom Ganzen her und zum Ganzen hin.«26 Das heißt auch, man versteht, worum es jeweils geht, nur oder angemessen, wenn man das Ganze im Blick hat. Um zwei Beispiele zu geben: Das Modell »Autoritätsglaube«, schon erwähnt, versteht man erst, wenn man das Ganze verstanden hat, wenn einem klar geworden ist, worauf Scheeben mit diesem Begriff hinaus will: Die Gemeinschaft mit dem sich mitteilenden Gott. Scheebens Gotteslehre in ihrem Teil »De Deo uno«, traditionell gesprochen, versteht man erst recht, wenn einem klar wird, dass die gesamte Gotteslehre so disponiert ist, dass sie »organisch« in die Lehre von Gott dem Dreifaltigen transponiert werden kann, fast hineinwächst. Was hier auf vergleichsweise kleinem Raum stattfindet, im Rahmen der überschaubaren Glaubensanalyse oder im Rahmen eines ebenfalls noch relativ gut überschaubaren ganzen Traktats gilt weithin für das Gesamtwerk. Es gibt Passagen im Frühwerk, etwa die erwähnte Parallelisierung der »Vermählung von Natur und Gnade« (1860) und der Menschwerdung ex Maria virgine, die so erst mehr als 20 Jahre später im entsprechenden Band der Dogmatik eingelöst werden (1882) und hier ihre volle Bedeutung bekommen. Noch einmal verkompliziert sich das Ganze in der Frage nach dem Verhältnis der »Mysterien des Christentums« (1865) zur Dogmatik (1874–1887). In den »Mysterien« bewegt sich Scheeben viel unmittelbarer in der Konkretheit des »nexus mysteriorum«, d.h. vor allem der Christozentrik des Ganzen als in der Dogmatik, wo der Christologie erstmal eine sozusagen a-christologische, will sagen prälapsarische Gnadenlehre vorgeschaltet wird, die jedoch durchgängig mit neutestamentlichem Material arbeitet und folgerichtig erst nach der Christologie ihren zutreffenden Platz bekommt. Die »Mysterien« standen jedoch vor einer Zweitauflage, die auf Grund von Scheebens Tod und wohl auch des Todes seines Verlegerfreundes Benjamin Herder (beide 1888) nicht mehr erschien. Diese Zweitauflage, soweit sie bei Scheeben vorlag und die die Vorlage zur Ausgabe in den »Gesammelten Schriften« bildet, ist mit einigen Ausnahmen, die aber keinerlei grundsätzlichen Richtungswechsel erkennen lassen, identisch mit der Erstauflage. Wieweit können also die »Mysterien«, mehr oder minder gänzlich die Auflage von 1865, zur Interpretation der Dogmatik herangezogen werden?

Es gibt zwei Felder, auf denen sich bei Scheeben ein wirklicher Wandel vollzogen hat. Zum einen beim Verhältnis von Natur und Gnade. Im Fortgang seines Werks wird immer deutlicher, dass die »Natur« zwar theoretisch eine »reine« sein könnte, auf eine naturale Vollendung gerichtet, dass aber tatsächlich die Natur für die Gnade bestimmt ist und ohne die Gnade auch ihre natürliche Vollendung nicht erreichen kann. Vor allem Scheebens Anthropologie ist, wie Hoffmann gezeigt hat und schon Eschweiler im Blick hatte, ganz von der Dynamik auf die Erfüllung mit Gottes Gegenwart geprägt. Am Ende, auf den buchstäblich letzten von Scheeben geschriebenen Seiten der Dogmatik, stellt Scheeben klar, dass in der Realität alles Handeln des Menschen schon von der Gnade getragen ist und sich auf ein übernatürliches Ziel hin bewegt. Gibt es diesbezüglich einen wirklichen Fortschritt, so ist gleichwohl festzustellen, dass all dies bereits 1860 in »Natur und Gnade« angesprochen wird. »Ja, im allgemeinen wird jetzt alle Tätigkeit des Menschen von Gott einem übernatürlichen Ziele auf die eine oder andere Weise zugelenkt.« (NG 57) Es handelt sich also um die Weiterentwicklung eines schon früh Bedachten und Formulierten, das im Fortgang des Werkes entfaltet wird, also nichts gänzlich Neues.

Ähnlich ist es mit Scheebens Meinungsänderung in der Frage der persönlichen Einwohnung des Heiligen Geistes und dessen Wirken bei der Konstitution der Gnadenkindschaft. Natürlich hat sich hier, wie von Scheeben ausdrücklich angemerkt, ein wirklicher Wandel vollzogen. Er beginnt mit den »Mysterien« (1865) und erreicht seinen Höhepunkt in Scheebens Gnadenlehre (D III – 1880) und der darüber mit dem Jesuiten Theodor Granderath geführten Kontroverse (bis 1884). Nur bedient sich Scheeben bereits in »Natur und Gnade« ganz nachdrücklich der Theologie der Kirchenväter, nicht zuletzt der griechischen. Deren Feststellungen können dann später ohne Mühe neu im Licht nichtappropriierter Einwohnung gelesen werden. Das wurde in »Natur und Gnade« noch expressis verbis zurückgewiesen. Ein Beleg dafür aber, dass dieser Bruch als solcher gar nicht thematisiert werden muss, sind die »Herrlichkeiten der göttlichen Gnade«. So bleibt dort z.B. eine Passage über das Wirken des Heiligen Geistes aus den ersten beiden Auflagen (1862 und 1864) unverändert in den beiden noch zu Lebzeiten Scheebens erschienenen Auflagen (1875 und 1885), ohne dass die inzwischen erfolgte Änderung in der theologischen Lehre auch nur erwähnt wird.27

All dies zeigt, dass bei Scheeben bei aller Entwicklung und Entfaltung der Gedanken in etwas mehr als einem Vierteljahrhundert (27 Jahre, wenn man die Erscheinungsjahre der Werke von 1860 bis 1887 zugrunde legt) zugleich mit einer hohen Kontinuität und Präsenz der leitenden Motive von Anfang an gerechnet werden muss. Es ist oft kaum möglich, genau zu markieren, wieweit spätere Entwicklungen schon gänzlich zur Interpretation früherer Teile des Werks herangezogen werden können. »Inhaltlich wird an wenigen Punkten einiges geändert, aber nur um die eingeschlagene Linie sauberer durchzuhalten«, so Balthasar in seinem Essay im ersten Band der theologischen Ästhetik.28 Dem würde ich voll und ganz zustimmen. Was das im Einzelnen heißt, ist aber damit nicht geklärt. Eugen Paul hat die Spannung zwischen früh gegebenen Grundintuitionen und deren oft mühsamer Artikulation auf Scheebens »Denkweg« zum Schlüssel seiner Scheeben-Interpretation gemacht. Ihm ist grundlegend und weitgehend zuzustimmen. Scheeben ist wohl immer in der Perspektive des Ganzen weiter, als im Einzelnen gerade traktiert wird oder als er adäquat auszuformulieren vermag.

In seinen letzten Arbeiten, der Kontroverse mit Granderath und dem letzten Band der Dogmatik, scheint es zudem oft so, als finde Scheeben hier, von der mühevollen Arbeit dogmatischer Begriffsbildung zur unmittelbaren Frische seine ersten Arbeiten zurück, vor allem der »Mysterien«. Ich frage mich manchmal, ob Scheeben von den hier erreichten Zielpunkten und dem von dort möglichem Blick aufs Ganze nicht eine andere Dogmatik hätte schreiben können als die jetzt vorliegende. Eine Dogmatik, die als Dogmatik, d.h. befrachtet mit den üblichen Quisquilien eines wissenschaftlich durchgearbeiteten Lehrbuchs, gleichwohl die Unmittelbarkeit und heilsgeschichtliche Konkretheit der »Mysterien« gezeigt hätte. Denn das findet sich auf einigen Seiten der Kontroverse mit Granderath und im letzten Band der Dogmatik. Was Norbert Hoffmann zu Scheebens Position in der Frage der Einwohnung des Heiligen Geistes gesagt hat, kann als Schlüssel zu vielen Positionen der Dogmatik gesagt werden:

»Überall, wo Scheeben nicht den abstrakten Begriff, sondern die konkrete Tatsächlichkeit des Übernatürlichen entfaltet, sieht er in ihm und durch dasselbe besondere Beziehungen zur Trinität verwirklicht. Man kann seine theologische Entwicklung auf weite Strecken hin einfach kennzeichnen von dem Bemühen her, das Zentralgeheimnis des Glaubens und die in sich absolut höchste Wirklichkeit auch immer mehr nach außen, für das begnadete Geschöpf, Geltung gewinnen zu lassen, oder – umgekehrt – das Übernatürliche in immer stärkerem Maße als dasjenige zu erweisen, wodurch Gott als Dreifaltiger dem Geistgeschöpf sich schenkt. Die übernatürliche Ordnung gilt ihm schließlich einfachhin als jene, die das Geschöpf in die innigste Beziehung setzt zur trinitarischen Ordnung in Gott.«29

Das lässt sich mutatis mutandis auf das Verhältnis von Natur und Gnade übertragen, darauf, dass die zweite göttliche Person die Person der Menschwerdung ist, auf die christozentrische Bestimmung der Schöpfung, dass alle Gnade Gnade Christi ist u.a.m. Man denkt hier unwillkürlich an den wunderbaren Text des Heinrich von Kleist (1777–1811) »Über das Marionettentheater« (1810). Im Durchgang durch den mühsamen Prozess der Reflexion stellt sich am Ende, im Unendlichen bei Kleist, die ursprüngliche Naivität und Frische wieder ein, »so findet sich auch, wenn die Erkenntnis gleichsam durch ein Unendliches gegangen ist, die Grazie wieder ein.«30

In jedem Fall schien es mir deshalb sinnvoll, der Einzeldarstellung eine Art conspectus totius des Ganzen voranzustellen, eine Art Lesehilfe und Hinführung zum Thema, zu Scheebens Vermählungstheologie, etikettiert mit dem Kurztitel »Connubium divinum«. Ich beginne also mit der für Scheeben schlechthin zentralen Intuition und Intention: Die übernatürliche Offenbarung und Gnade, die »Übernatur«, ist die denkbar innigste Gemeinschaft des Menschen mit dem dreifaltigen Gott, »als ob sie Ein Wesen wären.« (D III § 174) Darauf läuft alles hinaus. Von diesem Ausgangspunkt schreite ich zentrale Aspekte, Motive und Begriffe wie Bilder von Scheebens Theologie ab, um bei der Vermählungstheologie zu landen. Sie ist sozusagen das Organon oder Instrumentar, durch welches und in welchem die übernatürliche »Wesensgemeinschaft« mit dem dreifaltigen Gott durchbuchstabiert und zur Darstellung gebracht wird, die von Hans Urs von Balthasar etikettierte theologiegeschichtlich singuläre Erostheologie. Im zweiten Teil der Arbeit gehe ich, beginnend mit der Trinitätstheologie, durch die Traktate, die sämtlich vermählungstheologisch gestaltet sind. Dieser zweite Teil hat also fast so etwas wie dokumentarischen Charakter, er will belegen, dass der Verfasser im ersten Teil nicht »den Mund zu voll genommen hat.« Dieser zweite Teil ist recht lang geraten, was auch an der Kompaktheit von Scheebens Stil liegt, inhaltlich wie auch sprachlich. Fülle und Verfolgung der gedanklichen Spur bis ins Detail sind die Merkmale. Deshalb auch die ausführlich wiedergegebenen Zitate, sie belegen Scheebens »Denke« und den mühevollen, gelegentlich geradezu umständlichen Versuch, dies in Worte zu fassen. Wir wissen aus dem unten angeführten Briefwechsel mit Benjamin Herder, wie oft Scheeben seine Texte umgearbeitet hat.31

Dieser Durchgang durch die Traktate bringt zuletzt ein weiteres und hier weithin unlösbares Problem. In nahezu allen Teilen seiner Theologie ist Scheeben weit über die Grenzen üblicher Schulbuchtheologie seiner Zeit hinaus. Seine rigorose Theozentrik, Christozentrik und Pneumatozentrik, die Verwurzelung seiner Theologie im nexus mysteriorum von Trinität, Christologie und Gnadenlehre, seine Gründung in der Theologie der Kirchenväter und neben der nachtridentinischen Scholastik vor allem der Hochscholastik, zudem in mystischer Theologie, geben seiner Theologie einen weiten Horizont, machen ihn oft zum Vorläufer von Strömungen, die in der Theologie um und durch das Zweite Vatikanische Konzil Wirklichkeit wurden. Aber die Theologiegeschichte ist weitergegangen. Das betrifft die Exegese, das historische Wissen und vieles anderes mehr. So wird, um nur dieses zu nennen, eine Trinitätstheologie heute viel stärker ökonomisch die trinitarischen Dimensionen der Offenbarung selbst einbeziehen und nicht wie Scheeben den primären Ausgang beim inneren Leben Gottes suchen, jedenfalls nicht allein. Die Beispiele lassen sich vermehren und ich werde darauf am Ende dieser Arbeit noch einmal zurückkommen. Der Durchgang durch die einzelnen Traktate mit Scheeben macht es kaum möglich, den heutigen Stand des theologischen Wissens ausführlich zu referieren und zu diskutieren. Es bleibt ganz oft bei Hinweisen. Das gilt nicht zuletzt für Scheebens zentrales Paradigma, das Verhältnis von Mann und Frau.

6 Hans Urs von Balthasar, Herrlichkeit. Eine Theologische Ästhetik, Bd. 1, Schau der Gestalt, Einsiedeln 1961, 98–110, hier 99. Dieser Essay gehört, nicht zuletzt in seiner konzisen Kürze von knapp 13 Seiten, zum Besten, was bislang über Scheeben geschrieben wurde.

7 H. U. von Balthasar, Herrlichkeit I, 98.

8 Vgl. 9.6.1. Die Hinweise in diesem Einleitungsteil nur vereinzelt detailliert, sie werden größtenteils unter 1.2.2.1 u. im Lauf der Arbeit gegeben.

9 H. U. von Balthasar, Herrlichkeit I, 107

10 In der Erstauflage der »Mysterien« Freiburg 1865, 582 f. bzw. 580. In den GS schreibt der Hrsg. Josef Höfer »Konnubium«, M² 497–499, ebenso bereits im Nachdruck Mainz 1925 (573 u.a.). Sprachlich ist sowohl »connubium« wie »conubium« möglich, mit leichtem Bedeutungsunterschied, »Vermählung« oder »Ehe« und »Ehebund«. Aus dem Kontext wird nicht deutlich, welche Bedeutungsschattierung Scheeben vorzieht. Was die Schreibweise betrifft, so wird in den »Mysterien« die Großschreibung bevorzugt. Da »Connubium divinum« wie ein Terminus technicus gebraucht wird, wird hier die Großschreibung übernommen; in der o.a. Stelle der Dogmatik wählt Scheeben die dem Lateinischen entsprechende Kleinschreibung.

11 Die wichtigsten Titel hier: Natur und Gnade, 1861; Die Herrlichkeiten der göttlichen Gnade, 4 Auflagen zu Lebzeiten Scheebens,1862,1864,1875,1885; Die Mysterien des Christentums, 1865; Handbuch der Kath. Dogmatik, 1874–1887. Die Dogmatik endet mit dem in Bd. VI der GS vorliegenden Band der Gnadenlehre. Die nach Scheebens Tod erschienenen Bände sind ausschließlich das Werk des Münchener Dogmatikers Leonhard Atzberger (1854–1918). Scheeben hatte die Absicht einer Zweitauflage seiner »Mysterien«, was durch seinen Tod 1888 verhindert wurde. Das Manuskript lag aber bereits vor und anhand dessen lässt sich das Verhältnis des »frühen« Scheeben (1865) zum Spätwerk (1887/88) wenigstens grundsätzlich verifizieren. Angesichts allerdings der von Julius Dorneich genannten Praxis Scheebens, Texte mehrfach umzuarbeiten (s. dazu 2.1), muss es eine offene Frage bleiben, wieweit eine von Scheeben selbst bis zum Druck gebrachte Ausgabe der »Mysterien« gänzlich der jetzigen Ausgabe der Zweitauflage entsprochen hätte. Zum Verhältnis von M¹ und M² s. die Einleitung des Hrsg. der »Mysterien« J. Höfer in GS 2, V–VIII.

12 Vgl. dazu u.a. 3.5.5.

13 H. U. von Balthasar, Herrlichkeit I, 103.

14 Vgl. dazu schon Scheebens ersten Aufsatz Die Lehre von dem Übernatürlichen in ihrer Bedeutung für christliche Wissenschaft und christliches Leben (= ÜN) von 1860, GS VIII, 21.

15 S. 3.4.4.

16 Beide Formen begegnen.

17 Vgl. NG IV, 195 f.

18 Marienblüthen aus dem Garten der heiligen Väter und christlichen Dichter zur Verherrlichung der ohne Makel der Erbsünde empfangenen Gottesmutter, gesammelt und übertragen von M. J. Scheeben, Dr. theol. et phil., Schaffhausen 1860.

19 S. auch NG, 180.

20 Zur Verbindung dieser Aspekte s. bes. 9.3.1 bzw. D n 761 u. 1588.

21 S. dazu 2.2.5 u.ö.

22 Als Geleit ist dem Ganzen ein traditionell auf Maria applizierter Weisheits-Text aus Jesus Sirach beigegeben. In EÜ 1980 steht 24,18 mit Verweis auf die Septuaginta in der Anmerkung und es wird der im mariologischen Kontext charakteristischste Teil wiedergegeben mit »ich bin die Mutter der reinen Liebe«; in EÜ 2016 steht 24,18 im laufenden Schrifttext und wird wiedergegeben mit »ich bin die Mutter der schönen Liebe«. In der Neo-Vulgata secunda emendata findet sich Eccl. 24,24: » Ego mater pulchrae dilectionis et timoris et agnitionis et sanctae spei.« http://www.vatican.va/archive/bible/nova_vulgata/documents/nova-vulgata_vt_ecclesiasticus_lt.html

23 NG 4. Kapitel, s. 7.7.1.

24 Belege später.

25 Es liegt jetzt eine ausgezeichnete Arbeit zum Thema des »sakramentalen Charakters« bei Scheeben vor, dessen erster Teil ausführlich Scheebens Theologie des Opfers behandelt: Maciej Roszkowski, »Zum Lobe seiner Herrlichkeit« (Eph 1,12). Der sakramentale Charakter nach Matthias Joseph Scheeben, Münster 2017.

26 Norbert Hoffmann, Natur und Gnade. Die Theologie der Gottesschau als vollendeter Vergöttlichung des Geistesgeschöpfes, Rom 1967, 5.

27 Ich komme mehrfach darauf zurück.

28 H. U. von Balthasar, Herrlichkeit I, 98 f.

29 N. Hoffmann, Natur und Gnade, 223, s. auch 7.1.

30 Heinrich von Kleist, Über das Marionettentheater, in: Heinrich Sembdner, Heinrich von Kleist, Werke in einem Band, München 1966, 802–807, hier 807.

31 S. dazu 2.1.

Die Theologie der Vermählung

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