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2. Der Teufel ist los

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Als Anna erwachte, lag sie auf dem Fußboden. Sie brauchte eine Weile, um sich zu erinnern, wie sie dort gelandet war. Dann rappelte sie sich auf, zog die Knie an den Bauch. Verschränkte die Arme auf den Knien und stützte ihr Kinn darauf. Von der Verbrennung an ihrer Hand war seltsamerweise nichts mehr zu spüren.

So saß sie nun da und sah auf die Tür, die zur Küche führte. Dann erhob sie sich zögernd. Öffnete die Tür, tat ein paar vorsichtige Schritte. Nun war sie in der Küche und blickte sich um.

Außer den Resten vom zerbrochenen Ei, die immer noch auf dem Boden lagen, war nichts zu sehen. Anna schob die Teile zusammen, um sie dann aufzuheben. Langsam ging sie zum Mülleimer.

»Tu‘s nicht, gib‘s mir!«

Diese Stimme machte ihr mit einem Schlag klar, dass der Traum von dem Teufelchen wirklich keiner war. Als Anna sich umdrehte, stand vor ihr ein kleiner Kerl, gut drei Handbreit groß.

Sie war kurz davor, ihm die Eireste an den Kopf zu werfen. Hinaus in den Flur zu laufen und die Tür hinter sich zuzuschlagen. Aber das würde nichts ändern.

Wie erstarrt stand Anna einen langen Moment da. Dann beschloss sie, endlich das anzunehmen, was passiert war. Und sich erst einmal auf alles einzulassen, was jetzt noch geschehen würde.

Sie ging in die Hocke und hielt dem Wesen die Reste des zerborstenen Eis hin. Das kleine Geschöpf kam mit erhobenen Armen näher. Und als der seltsame Kerl nach den Eierteilen grabschte, kribbelte es sonderbar in ihren Händen.

Während er alles mitsamt den Schalen gierig verschlang, sah Anna zu. Dabei nutzte sie erst jetzt die Gelegenheit, ihn genauer zu betrachten: Seine Haut leuchtete in einem kräftigen Rot, das an einigen Stellen wie den Händen und Füßen in ein tiefes Schwarz überging. Insgesamt gesehen glich seine Figur der eines winzigen Menschen.

Die kleinen Hörner auf dem Kopf und der kräftige schwarze Schwanz deuteten jedoch wieder mehr auf ein Tier hin. Auch hatten seine Füße keine Zehen, sondern sahen aus wie Pferdehufe. Schließlich waren da noch zwei Flügel, wonach das Wesen sogar hätte eine Art Vogel sein können.

Irgendwie war dieses Wesen weder Mensch noch Tier. Anna zuckte zusammen: Hatte die Kreatur die Wahrheit gesagt? Was sie so vom Aussehen eines Teufels gehört oder gelesen hatte, passte auf diese Erscheinung. Mit einem Mal schien es für sie klar, dass es sich tatsächlich um einen leibhaftigen Teufel handelte. Wenn auch um einen kleinen.

»Glaubst du mir nun?« Seine Stimme riss sie aus ihren Gedanken.

»Was?«, fragte sie.

»Dass ich ein Teufel bin.«

»Wie?«

»Was? Wie?« Er lachte.

Dann wischte er mit den Händen an seinem Bauch auf und ab, und sagte: »Du hast mich angeschaut und dabei überlegt, was für ein Wesen ich wohl sein könnte. Und dann bist du zu der Einsicht gekommen, dass ich wirklich ein Teufel bin.«

Anna nickte. »Du hast recht. Du kannst wohl Gedanken lesen?«

»Ja.«

»Wirklich?«

»Na ja, nicht alle.«

Bei dem Gedanken, dass dieser Wicht verstand, was sie so dachte, wurde es Anna mulmig.

Offenbar hatte er auch das mitbekommen, denn jetzt sagte er: »Wenn deine Gedanken besonders leise oder schnell sind, dann können sie mir leichter entgehen. Außerdem muss ich ja nicht ständig auf das achten, was du so denkst.« Und er lächelte sie verschmitzt an.

Beruhigend waren diese Bemerkungen nicht gerade. Aber Anna wollte sich auf alles einlassen, was auf sie zukommen sollte. Also machte sie einfach nur »Hm« und beschloss, eine Weile an nichts zu denken.

»Ich habe immer noch Hunger«, sagte der kleine Teufel.

»Was möchtest du essen?«, fragte Anna.

»Ich vertrage alles, was andere auch essen können.«

Anna ging zum Kühlschrank und öffnete ihn: »Na, dann bedien dich!«

Das hätte sie besser nicht getan. Denn der kleine Teufel stürzte sich auf das, was er zu fassen bekam. Und er verschlang es mit einem Heißhunger. Auf diese Weise biss er sich durch den ganzen Kühlschrankinhalt. Und wenn ihm etwas nicht schmeckte, ließ er es einfach fallen oder warf es zur Seite.

Schon nach kurzer Zeit hatte das Innere des Kühlschranks viel Ähnlichkeit mit dem eines Mülleimers. Angewidert wandte sich Anna zur Seite: Der Appetit auf Essen war ihr für die nächste Zeit vergangen. Mit einem Mal wurde sie so ärgerlich, dass sie mit einem kräftigen Tritt die Kühlschranktür schloss.

Drinnen wurde es plötzlich still. Dann vernahm Anna ein kräftiges Zischen. Und schließlich hörte sie eine Stimme rufen: »Es ist dunkel und kalt hier. Und ungemütlich. Lass mich raus!«

»Aber nur, wenn du dich anders benimmst!«, rief Anna zurück.

»Anders? Ja ja, aber lass mich jetzt raus.«

»Versprichst du's?«

»Ich verspreche alles. Ich will hier raus!«

Anna lächelte wie jemand, die einen Sieg errungen hat, und öffnete langsam die Tür zum Kühlschrank. Drin saß der kleine Teufel und schaute sie an. Dann grinste er, sprang mit einem Satz aus dem Kühlschrank, und landete auf dem Fußboden.

»Und wer bringt das alles wieder in Ordnung?«, fragte Anna.

»Ordnung? Wozu?«

»Meinst du allen Ernstes, ich würde irgendetwas da drin noch essen?«

Der kleine Teufel nickte: »Warum nicht? Ist ja noch genug übrig.«

»Aber ...«, begann Anna. Wie sollte sie diesem Wesen bloß erklären, dass sie das alles so anekelte. Keinen Bissen würde sie hinunter kriegen. Ihr war plötzlich zum Heulen zumute. Sie würde den ganzen Kram wegwerfen müssen. Und wie sollte es weitergehen? Den Kerl verjagen konnte sie nicht. Oder doch?

»Da sind wir wohl verschiedener Meinung über Ordnung«, hörte sie den kleinen Teufel sagen. »Und du wärst mich am liebsten wieder los.«

Anna schrak auf. Sie hatte vergessen, dass er ja Gedanken lesen konnte. Jedenfalls wenn sie deutlich genug waren. Stumm nickte sie, dann schüttelte sie den Kopf. »Egal«, sagte sie dann leise, »ist ja auch egal«.

»Was machen wir jetzt?«, fragte der kleine Teufel. Und saß mit einem Satz auf dem Herd.

»Ich«, antwortete Anna, »mache mir jetzt was zur Beruhigung.«

Einen starken Espresso konnte sie jetzt brauchen. Am besten gleich einen doppelten oder mehrfachen. Sie öffnete eine Schranktür und nahm die größte Tasse heraus, die sie hatte. Füllte sie mit Wasser und goss es in die Espressokanne um.

»Was wird das?«, fragte der kleine Teufel.

»Espresso«, sagte Anna.

»Was ist das?«

»Etwas zu trinken«, erwiderte Anna.

»Für mich?«

»Nein, den werde ich trinken«, betonte Anna.

»Warum du?«

»Weil ich ihn jetzt nötig habe.«

Augenscheinlich gab sich der kleine Teufel mit dieser Antwort zufrieden. Er saß stumm da und schaute Anna zu, wie sie sich mit der Zubereitung ihres extra großen Espresso beschäftigte.

Als sie fertig war, ging sie langsam mit der dampfenden Tasse zum Küchentisch und setzte sich. Für die nächsten Minuten wollte sie sich nur noch auf diese Tasse Espresso konzentrieren. Sie trank einen ersten Schluck, setzte die Tasse auf dem Tisch ab, und schloss dann die Augen. Sie spürte, wie es ihr heiß den Hals hinunterlief. Und sie genoss es.

»Tut gut!«, hörte sie die Stimme des kleinen Teufels. Als sie die Augen aufschlug, saß der vor ihr und hatte seinen Po mitsamt dem Schwanz tief in die Tasse getaucht.

»Bist du verrückt?«, empörte sich Anna und sprang auf. »Du versaust mir meinen ganzen Espresso!«

»Mir tut es gut, beim Essen war es ganz schön kalt.«

»Der ist zum Trinken, nicht zum Baden!«, schrie Anna.

»Auch gut.«

Der kleine Teufel erhob sich, drehte sich um und setzte die Tasse an den weit geöffneten Mund. Erst als sie leer war, ließ er sie wieder los. Breit grinsend machte er einen großen Satz zum Herd, und schlug dabei mit den Flügeln.

Anna war außer sich. Da kam ihr eine Idee. Sie stand von ihrem Stuhl auf, ging langsam zum Herd und drehte dort sämtliche Heizplatten an. »Bald wirst du mehr Hitze haben als dir lieb ist«, dachte sie.

»Wirklich?«, hörte sie den kleine Teufel lachen, »Das ist gut!«

Schon wieder hatte sie nicht darauf geachtet, dass dieser verdammte Teufel Gedankenleser war. Aber was machte das jetzt? Gleich würde das kleine Biest sich fühlen wie in der Hölle. Nun musste Anna sogar grinsen. Gespannt schaute sie zu, wie die Herdplatten allmählich zu glühen anfingen.

Der kleine Teufel schien mit einem Mal wie erstarrt. Er saß zusammengekauert auf einer der Platten und hatte die Augen geschlossen. Dann brummte er vor sich hin: »Wie schön! Tut gut!«

»Nicht mehr lange«, dachte Anna laut.

Aber der kleine Teufel schien sie gar nicht zu hören. Je heißer die Platten wurden, desto mehr gab er sich der Hitze hin. Schließlich waren sie alle so glühend rot geworden, dass Anna sich um ihren Herd sorgte. Schnell schaltete sie alle Platten wieder ab.

Erst mit der Zeit begann Anna zu begreifen, dass einem Teufel selbst größte Hitze offenbar nicht schaden kann. Schließlich stammten diese Wesen ja aus der Hölle. Und dort war es sicher um ein Vielfaches heißer als es jemals auf einer Herdplatte werden konnte.

Der kleine Teufel reagierte nicht auf ihre Gedanken. Vielleicht bekam er sie auch gar nicht mit. Gerade legte er sich der Länge nach hin, streckte sich, und wälzte sich ein paar Mal auf den immer noch glühend heißen Platten hin und her.

»Das genügt«, sagte er dann und sprang wieder vom Herd. Nach einigen Hüpfern landete er auf einem Küchenstuhl.

Anna starrte ihn einen Moment an. Sie ging zum Tisch und setzte sich auf den anderen Stuhl. Sie stellte die Ellbogen vor sich und stützte den Kopf in ihre Hände.

»Bloß jetzt nicht nachdenken«, sagte sie dann laut. Sie stand wieder auf und sah sich um. Irgendetwas musste sie tun. Etwas, das sie ablenkte.

Anna starrte auf den Berg Teller, Tassen und Besteck, der sich auf der Spüle türmte. Dann nickte sie: »Ich werde Geschirr spülen.«

»Ich werde Geschirr spielen«, hörte sie das Lachen des kleinen Teufels. Und schon saß er auf der Spüle. Mit einem Stups brachte er den Haufen Geschirr ins Rutschen. Ein paar Tassen landeten unsanft auf dem Fußboden und zerschellten dort.

Der kleine Teufel lachte: »Das ist gut!« Und mit einem weiteren Schubs beförderte er einen Teller hinterher. Die Scherben flogen durch die ganze Küche.

»Hör auf, hör auf!«, schrie Anna verzweifelt. Doch der kleine Teufel hatte bereits den nächsten Teller in seinen Fingern. Und schleuderte ihn jetzt in hohem Bogen gegen die Küchentür. Anna sah, wie er sichtlich das Klirren genoss, als der Teller auf dem Boden aufkam.

Da packte sie eine unbändige Wut. Mit einem Faustschlag fegte sie den kleinen Teufel von der Spüle. Der wusste gar nicht, wie ihm geschah, als er plötzlich durch die Luft flog und unsanft auf dem Küchenboden landete.

Im gleichen Moment wandelte sich Annas Wut in Bestürzung. Schnell lief sie zu dem kleinen Teufel und ging vor ihm in die Hocke. »Hast du dir weh getan?«, fragte sie besorgt.

»Das ist nicht gut«, stöhnte der arme Kerl und rieb sich den Rücken, »Tut nicht gut.« Dann schaute er Anna mit großen Augen an: »Und dir geht es nicht gut?«

Anna nickte. Wie sie ihn so ansah, kamen ihr mit einem Mal die Tränen. Sie setzte sich auf den Boden, schlug die Hände vors Gesicht und begann laut zu weinen. So saß sie eine ganze Zeit lang da, bis sie merkte, dass es ihr um Hals und Schultern wärmer wurde.

Als sie wieder aufsah, war der kleine Teufel vom Boden verschwunden. Aber sie spürte, dass er auf ihrer Schulter saß und seine kleinen Arme um sie gelegt hatte. Die Berührung tat ihr gut. Obwohl ihr immer heißer dabei wurde.

Schließlich begann sie zu schwitzen. Schweißtropfen liefen ihr von der Stirn, ihre Bluse wurde an Hals und Rücken nass und begann zu kleben. Der Kerl auf ihrer Schulter war ihr unangenehm, sie wollte ihn wieder loswerden.

»Das wird mir zu heiß«, sagte sie laut.

Der kleine Teufel sprang von ihrer Schulter und saß nun wieder vor ihr. Sie wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.

»Puh«, sagte sie. Und schaute den kleinen Teufel an.

»Da haben wir wohl verschiedene Ansichten über ...«, begann der zu sagen.

»Über vieles«, ergänzte Anna, »über vieles.« Und sie versuchte zu lächeln.


Der kleine Teufel

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