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Abbildung 1: Energieströme und -transformationen in historischen Jäger- und Sammlergesellschaften


Abbildung 1 gibt einen Überblick über die Energiezirkulationen in historischen Jäger- und Sammlergesellschaften: Solare Energie wird von der Pflanzlichen Sphäre, der Tierischen Sphäre und der Menschlichen Sphäre aufgenommen, verarbeitet, gespeichert und ausgetauscht. Alle drei bilden sich selbst unterhaltende Subsysteme. Das Symbol des Mannes mit dem Speer und der Sammelkorb bezeichnen den Gebrauch einfacher Werkzeuge zur Energie- und Ressourcennutzung. Die beiden äußeren Linien (rechts) markieren den Strom von Abfällen aus der Menschlichen Sphäre in die anderen.[136]

Solange die Nahrungsreserven ausreichend und die Bevölkerungsgröße diesen entsprechend war, lebten die Jäger und Sammler in einer stabilen Beziehung mit ihrer Umwelt. Der Energieverbrauch pro Kopf und Jahr war niedriger als in jeder anderen Wirtschaftsform, die Energiezerstreuung gering.

Der moderne Begriff der Natur als benutz- und ausbeutbares Rohmaterial fehlt in solchen Gesellschaften völlig. Die Umwelt wird nicht als Ding gesehen, sondern als wesensverwandtes Subjekt. Oft wird die Sonne als Energiemanifestation verehrt. Mit dem Jagen und Töten der Tiere sind oft Schuldgefühle verbunden: „Manche Stämme unterziehen sich nach der Tötung eines Tieres einer Reinigung wegen Entheiligung. Andere entschuldigen (...) sich bereits vor der Tötung des Tieres bei diesem.”[137] Die Menschen dieser Zeit beginnen gerade erst sich des Körper-Ichs als ihrer eigenen getrennten Existenzweise bewusstzuwerden. Allmählich kommt er zur Erfahrung der Dualität von Geist und Körper sowie von Körper und Umwelt. Wilber[138] spricht von Uroboros als dem uranfänglichen mythischen Symbol der Schlange, die sich in den Schwanz beißt, als der Verkörperung dieser primitiven Bewusstheit, die noch ganz in die physische Natur eingebettet und von animalisch-reptilhaften Impulsen angetrieben wird. Der Uroboros ist insbesondere die Struktur, die den Hintergrund der universalen Mythen vom Garten Eden bildet. In den frühen Jäger- und Sammlergesellschaften unternehmen die Menschen gerade erste Schritte, den Zustand der uroborischen Verschmelzung aufzubrechen und ihr zunehmend als abgetrennt erfahrenes Ich gegen Thanatos zu verteidigen, indem sie versuchen, es stabil, dauerhaft, unsterblich und kosmozentrisch erscheinen zu lassen. Das magische Weltbild der identischen Einheit des Lebens[139], der Identität von Erscheinung und Bedeutung macht nach und nach der animistischen Anschauung Platz, welche die Welt in die beiden Sphären des Sichtbaren und des Sakralen teilt. Damit erst entwickeln sich die Voraussetzungen differenzierter Kulturformen. Neben dem Bevölkerungswachstum, überproportional zu den verfügbaren Nahrungsreserven, entsteht so die zweite dynamische Triebkraft, um die ökologische Nische grundlegend zu transformieren.

In der Jägergesellschaft entwickelt sich gleichzeitig mit der männlichen Jagdideologie die Grundvoraussetzung für eine gewaltsame Beziehung des Menschen zur Natur. Nach Maria Mies hat der patriarchalische Mythos vom Mann-dem-Jäger folgende Gesichtspunkte:

 Hauptwerkzeuge des Jägers sind keine Instrumente zur Erzeugung, sondern zur Vernichtung von Leben, die zudem alle auch als Zwangsmittel gegen Mitmenschen eingesetzt werden können.

 Die Macht des Jägers über andere Lebewesen ist eine räuberische und ausbeuterische Beziehung, eine antagonistische, aber keine reziproke Beziehung. Jäger eignen sich Leben an, können selbst jedoch kein Leben produzieren.

 „Die durch Waffen vermittelte Objektbeziehung ermöglicht ein Herrschaftsverhältnis zwischen Jäger und Natur und steht im Gegensatz zum kooperativen Prinzip der Sammlerinnen. Dieses Herrschaftsverhältnis wurde schließlich zum integralen Bestandteil aller Produktionsverhältnisse, die von Männern errichtet wurden, und zum ausschlaggebenden Paradigma ihrer Produktivität. Ohne Herrschaft und Kontrolle über die Natur und Menschen können Männer sich selbst nicht als produktiv verstehen.”[140]

Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen[141], haben sich die Lebensbedingungen heute noch lebender Jägergesellschaften unter dem Einfluss der modernen Welt via Einführung der Geldwirtschaft stark verändert. Am Beispiel der Eskimos lässt sich dieses Ineinandergreifen unterschiedlicher Nischenstrategien anschaulich studieren. Die Eskimos sind heute nicht mehr ausschließlich auf die Jagd zur Nahrungsbeschaffung angewiesen. Importierte Energie in Form von Munition und Brennstoffen tritt an die Stelle der Nahrungsbeschaffung mit Speer oder Harpune sowie die Abhängigkeit von tierischem Talg und Fett. William Kemp beschreibt in seiner Untersuchung über die Energietransformationen der Eskimo-Gesellschaft, dass durch die Möglichkeiten importierte Nahrung und andere Lebensgüter zu erwerben, die früher periodisch wiederkehrenden Hungersnöte ausbleiben und die Wärmeversorgung sich in der rauen arktischen Umgebung verbessert. Allerdings hat sich durch die Einführung fremder Technologie, Energie und auch Weltanschauung das soziale Zusammenleben der Eskimos beträchtlich verändert. Vertrauen in moderne Technik ersetzt nun den Glauben an die überlieferten magischen Jagdrituale:

In ihren Ritualen erkannten die Eskimos die Labilität des arktischen Ökosystems an und trachteten danach, auf Gegenseitigkeit gegründete Beziehungen mit den Tieren zu unterhalten, die sie der Nahrung wegen jagten (...) Heute ist die rituelle Kontrolle der Naturkräfte und Nahrungsreserven fast vollständig verschwunden; moderne Technik gilt als Hauptquelle guten Lebens.”[142]

Durch das Eindringen von Elementen einer anderen Wirtschaftsform wird das ökologische Gleichgewicht, in dem die Eskimo-Jäger mit ihrer Umwelt lebten, gefährdet, wenn nicht völlig zerstört. Moderne Waffen und Schießtechniken führen zur Überjagung der Tierbestände; der traditionelle Glaube an die Seele der Tiere, die der Eskimo stets zu besänftigen trachtete, droht völlig verloren zu gehen. So bricht äußere Dynamik eine im Kern selbstgenügsame und stationäre Wirtschaftsweise auf.

I. Die Bio-Ökonomie - Die nachhaltige Nischenstrategie des Menschen

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