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1. Jäger- und Sammlergesellschaften: Gleichgewicht im Zustand der uroborischen Verschmelzung

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Während 99% der menschlichen Geschichte waren die Tätigkeiten des Jagens und Sammelns die grundlegenden energetischen Aufwendungen, um den Lebensunterhalt der Menschen zu bestreiten.[127] Nur wenige Jäger- und Sammlergesellschaften - wie die Eskimos oder die stark bedrohten Indianerstämme im Amazonasgebiet - haben bis heute überdauert. Solare Energie ist in der Frühzeit die Ressourcenbasis dieser Gesellschaften. Sie ermöglicht das Leben der Pflanzen und der Tiere, die von den Pflanzen leben, sowie der Raubtiere, die von den pflanzenfressenden Tieren leben. Ökologische Systeme tendieren stets zu einem Gleichgewichtszustand zwischen verfügbaren pflanzlichen Nahrungsreserven, pflanzenfressenden Organismen und Raubtieren, und es scheint, dass schon die frühen Menschen intuitiv um diese Zusammenhänge wussten. Die ersten Menschen sind Jäger und Sammler. Ihre materielle Lebensgrundlage bildet gespeicherte solare Energie in Form von pflanzlicher und tierischer Nahrung. Besonders die Jagd prägt die Lebensform und die Entwicklung von Sprache, Kultur und gesellschaftlicher Organisation. Das Herdenwesen entwickelt die „Gemeinschaftlichkeit in Blut, Sprache, Sitten”.[128] Oft ist behauptet worden[129], dass besonders die kalorienreiche tierische Nahrung die Entwicklung des Gehirns beschleunigt und damit die Überlebenschancen vergrößert habe. Allerdings waren in der Ernährung der frühen Menschen auch Nüsse wichtig; und diese enthalten wesentlich mehr Kalorien als die meisten Fleischsorten.[130] Es gibt auch Überlegungen, dass es gerade der Verzehr von Fleisch und das Töten anderer Wesen waren, die den aggressiven Überlebenswillen angestachelt und damit eine auf Dominanz gerichtete Nischenstrategie nachhaltig gefördert haben. In den Jäger- und Sammlergesellschaften ist mit primitiven Werkzeugen verrichtete menschliche Arbeit das Hauptinstrument, um Nahrungsquellen zu erschließen. Ursprünglich war die Arbeit geschlechtsspezifisch geteilt: Die Männer gingen der Jagd, dem Fischfang und der Fertigung von Werkzeugen nach, die Frauen dem Sammeln von Pflanzen, der Konservierung von Nahrung (sofern sie betrieben wurde) und der Herstellung von Transportbehältnissen.[131] Aus dieser ursprünglichen, geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung entwickelt sich nach und nach eine zunehmende Spezialisierung, bis hin zur Entwicklung besonderer Handwerke. Werkzeuge, Arbeitsteilung und Sprache werden so zu Instrumenten, um Umweltressourcen immer effizienter zu erschließen und zu nutzen. Dabei haben allerdings bewusste Effizienzüberlegungen im heutigen Sinne, also als Verhältnis zwischen Mittel und Zweck, bei den Jägern und Sammlern so gut wie überhaupt keine Rolle gespielt.

Marshall Sahlins[132] vertritt - im Gegensatz zur verbreiteten anthropologischen und ethnologischen Auffassung - die These, dass die Jäger und Sammler keinesfalls arm waren oder unentwegt harte Fronarbeit des nackten Überlebens willens leisten mussten. Er behauptet (auch unter Verweis auf Beobachtungen an heute noch lebenden Jäger- und Sammlergemeinschaften in Australien[133]), dass diese Menschen normalerweise nicht sehr hart arbeiteten. Nicht mehr als 4-5 Stunden täglich wurden für die Aneignung und Zubereitung von Nahrung verwendet. Die meisten dieser Tätigkeiten waren körperlich nicht sonderlich anstrengend und wurden mit Sicherheit nicht als unangenehme Arbeit oder notwendiges Übel betrachtet. Es war eine Ökonomie der begrenzten, spezifischen Ziele, das heißt die Menschen jagten und sammelten nur für den unmittelbaren Bedarf. Vorratshaltung war nur wenig verbreitet, da Nahrungsreserven in Hülle und Fülle vorhanden waren. Die Jäger und Sammler schöpften also ihre ökonomischen Möglichkeiten bei weitem nicht aus und ließen folglich Teile der vorhandenen Arbeitskraft und der erreichbaren Ressourcen durchaus bewusst ungenutzt. Diese Menschen lebten in der ersten Wohlstandgesellschaft der Welt, weil sie alle ihre materiellen Bedürfnisse leicht befriedigen konnten. Sahlins nennt die Lebensweise dieser Menschen den Zen-Weg zum Wohlstand, der das unbegrenzte Wachstum der Bedürfnisse nicht kennt. Die Jäger- und Sammlergesellschaften lebten im Wohlstand, weil sie die verwirrende Vielfalt von Erzeugnissen nicht kannten. Knappheit, als Verhältnis zwischen Mittel und Zweck, war ihnen unbekannt. Ihre Bedürfnisse waren knapp und im Verhältnis dazu, hatten sie der Mittel übergenug. In dieser Hinsicht waren sie der pointierte Gegensatz des homo oeconomicus, jener Witzfigur der Schulbuch-Ökonomie, dessen unbegrenzte Bedürfnisse stets mit knappen Mitteln kollidieren und der so schon den Stoff zur Fabrikation der skurrilsten Theoriegebilde der Ökonomie geliefert hat. Das Wirtschaftsziel dieser Ökonomie ist die Maximierung von Muse und Freizeit. Vielleicht hatten diese Menschen mehr Zeit für Muse zur Verfügung als jede andere Gruppe in der Geschichte der Menschheit. Weil Neid und Gier vor allem dort gedeihen, wo ein anderer permanent über Mittel verfügt, die einem selbst fehlen, kann man vermuten, dass gerade aufgrund der wenig ausgeprägten Besitzstrukturen eine freundlichere emotionale Befindlichkeit vorgeherrscht haben mag.

Allerdings ist das Lebensniveau dieser Gesellschaften von einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Nahrungsreserven in vorhersagbarer Dichte und einer entsprechenden Größe der Population abhängig. „In einer Kultur, in der Nahrung durch die Jagd und durch das Sammeln essbarer Vegetation verschafft wird, werden ungefähr zwei Quadratmeilen fruchtbaren Landes im Naturzustand benötigt, um ein einziges Individuum am Leben zu erhalten.”[134] Die ständige Gefahr des Versiegens der Nahrungsquellen erfordert von solchen Gesellschaften dauernde räumliche Mobilität, ein ständiges Umherziehen zur Sicherung der energetischen Überlebensbasis. Ein Heimreviersystem ist für die meisten dieser Gesellschaften eher untypisch. Das ständige Wanderleben beschränkt den Besitz von Kleidung, Werkzeugen, Hausrat und Schmuck, auf so viel, wie getragen werden kann. Kaum ein Gegenstand wird doppelt besessen. Lagerung und Hortung sind kaum ausgeprägt. Die Akkumulation von Besitzgegenständen ist nicht mit sozialem Status gekoppelt. Die Größe der Bevölkerung wird durch den Umfang der verfügbaren Nahrungsreserven bestimmt. Gute Nahrungsversorgung lässt die Bevölkerung anwachsen. Werden nun aufgrund zu hoher Bevölkerung die Nahrungsreserven knapp, müssen sich die Gruppen der Jäger und Sammler rascher und weiter ausbreiten. Auch Alten- und Kindermord hat es wohl gegeben, um diejenigen auszusondern, die die Fortbewegungsfähigkeit der Sippe und des Lagers behindern. Kommt es andererseits zur Überbevölkerung, so führt dies zur Überjagung des Bestandes an jagdbaren Tieren und damit zu katastrophalen Zusammenbrüchen. Diese Entwicklung begünstigt zudem die Ausbreitung von Epidemien, denen viele Menschen zum Opfer fallen. Die Notwendigkeit, die Ernährungsprobleme zu lösen, wird so zum Auslöser der Umstellung auf Garten- und Ackerbaukulturen und markiert den Übergang zur Strategie der Nischenspezialisierung.[135]

Betrachtet unter dem Aspekt der energetischen Transformation kann also folgendes Bild der Jäger- und Sammlergesellschaft gezeichnet werden: Photosynthese verwandelt einen Teil der diffusen Sonnenenergie in Bindungsenergie der organischen Stoffe. Die Sonnenenergie ermöglicht so durch ihre Speicherung die Existenz tierischen und menschlichen Lebens. Mit primitiven Werkzeugen und einfacher Arbeitsteilung und vermittelt durch das Medium der Sprache passen sich die Jäger und Sammler an die Lebensbedingungen der ökologischen Nische an. Aufgrund der erforderten hohen räumlichen Mobilität bleiben sowohl die Instrumente der Energietransformation, wie Waffen und Werkzeuge, als auch der Energiespeicherung, wie Konservierungstechniken und Verfahren zur Weiterverarbeitung von Nahrungsressourcen, auf einem relativ konstanten Niveau. Die Werkzeuge liegen alle noch in Richtung der unmittelbaren Aktion des Menschen: der Hammer als verlängerte Faust, der Speer als verlängerter Arm usw. Die folgende Abbildung gibt einen Überblick über die Energieströme und -transformationen dieser Wirtschaftsweise.

I. Die Bio-Ökonomie - Die nachhaltige Nischenstrategie des Menschen

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