Читать книгу I. Die Bio-Ökonomie - Die nachhaltige Nischenstrategie des Menschen - Hans-Günter Wagner - Страница 3

Vorwort zur Erstausgabe von 1997

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Die herrschende Ökonomie trennt aus der vielgestaltigen Wirklichkeit mit chirurgischer Präzision einen Gewebeschnitt heraus, etikettiert diesen als Wirtschaft und analysiert ihn sodann als Handlungskosmos mit eigener mathematisch beschreibbarer Gesetzmäßigkeit. Dabei gerät jedoch zumeist außer Acht, dass ökonomische Probleme im Kern Probleme des Denkens und der menschlichen Interaktion sowie des Umgangs mit Mitwelten, Mitgeschöpfen und Naturstoffen sind. Im wirtschaftlichen Diskurs der Gesellschaft wird die ökonomische Sphäre nur in einseitiger und spezifischer Weise thematisiert. Da ist von Standortfaktoren und Wettbewerbsfähigkeit, von Globalisierung und Modernisierung die Rede, da werden Arbeitskräftemobilität, Abbau der Handelsschranken und die Erschließung neuer Märkte eingefordert. Als vernünftig gilt, was die Wettbewerbsfähigkeit steigert, die Standortattraktivität erhöht, Löhne verbilligt sowie Kosten und Sozialaufwendungen senkt, technologische Spitzenleistungen erbringt und neue Märkte erobert.

Dieser Sprachlogik der ökonomischen Ratio tönt jedoch – wenn auch nicht immer klar vernehmbar – die Stimme des Anderen, des Nicht-Thematisierten entgegen: die Stimme der Natur und der im Namen des Profits geschundenen Moral, der armen Länder des Südens und der sozialen Verlierer. Aber weltweite Verarmung und soziales Elend, zerstörte Natur und leidende Kreaturen sind an sich keine zugelassenen Akteure im ökonomischen Sprachspiel. So sehr sie auch umgreifende Rationalität verkörpern, in der Ökonomie zählen sie doch nur insoweit, als sie in die Sprache von Preisen und Kosten übersetzt werden können. Es ist gerade die Negation der umgreifenden Rationalität des Ganzen, auf die sich die Partialrationalität der Ökonomie gründet.

In der vorliegenden Arbeit wird versucht, an die Stelle des herrschenden Reduktionismus Elemente von Ganzheitlichkeit zu setzen und die ökonomischen Probleme in ihrer Einbindung in ökologische Umwelten und soziale Lebensstrukturen zu untersuchen. Anhand der Herausbildung historischer Wirtschaftsweisen wird gezeigt, wie eine neue Sicht des Menschen und der Natur, die an die Weisheit vergangener naturnaher Lebensweisen anknüpft, den Orientierungsrahmen einer auf Harmonie, Dauer und Stabilität gegründeten Wirtschaftsweise bildet. Am Beispiel der Ökosystemtheorie lässt sich demonstrieren, auf welche Weise ökonomisches Handeln wieder an die Kreislaufstrukturen der Naturprozesse rückgekoppelt werden kann. Das Bild der Nachhaltigkeit skizziert den Typus einer Wirtschaftsweise, die auf vielfältige symbiotische Beziehungen zwischen Mensch und Mitwelt gründet. Die Menschheit ist nur ein Spross am großen Baum des Lebens und kann ihre vollen Lebensmöglichkeiten letztlich nicht über die Herrschaft und Ausbeutung anderer Wesen, sondern nur im Einfügen in die große Kette des Seins verwirklichen. Die Bioökonomie setzt gegen die Reduktion aller Qualitäten auf Geld, Preise, Gewinne und Kosten das wirtschaftliche Denken wieder in Bezug zu seinem Ausgangspunkt: der Umformung von Naturgütern und der sozialen Interaktion von Menschen in der gesellschaftlichen Produktion. Während in der Mainstream-Ökonomie die Natur nur als Ressourcen- und Vorratslagerstätte, Abfalldeponie und Erholungsraum für gestresste Städter auftaucht, sieht das neue bioökonomische Paradigma in der Natur vor allem die ursprüngliche Wertpotentialität, die Schöpferin und Bewahrerin der gesellschaftlichen Reproduktion, deren lebensspendende Funktionen durch ökonomisches Handeln nicht zerstört werden dürfen.

Eine solche Form des Wirtschaftens muss kein frommer Wunschtraum sein. Von Ökosteuern über Dezentralisierungsstrategien, von der Umweltanalyse im Betrieb und der Öko-Bilanzierung, von ökologischen Markenzeichen und anerkannten Gütesiegeln bis hin zur Umkehrung der Beweislast im Umweltrecht spannt sich der Bogen konkreter und operationalisierbarer, ökologisch-ökonomischer Handlungsinstrumente, die betrieblich und gesellschaftlich umsetzbar sind. Aber letztlich können diese Instrumente nur greifen, wenn sie von einem neuen Denken und einem neuen Lebensgefühl getragen werden. An die Stelle des biblisch legitimierten und durch den Industralismus zum grausamen Gipfel getriebenen menschlichen Herrschaftsanspruchs über die Natur muss die Erkenntnis der biosphärischen Gleichheit aller Wesen treten. Wenn nicht mehr Gier, Prestigesucht und Eitelkeit die vornehmlichen Triebkräfte unseres Handelns sind, dann können Einfachheit, Genügsamkeit und Kooperation zu den Gestaltungsfermenten einer zukunftsfähigen, nachhaltigen Wirtschaftsweise werden.

Das vorliegende Buch will einen Beitrag zu diesem paradigmatischen Wandel leisten. Viele Menschen haben in der einen oder anderen Form zu seiner Entstehung beigetragen. Ihnen allen sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Besonderen Dank aussprechen möchte ich meiner Frau Dagmar Wagner für ihre Ermutigung.

I. Die Bio-Ökonomie - Die nachhaltige Nischenstrategie des Menschen

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