Читать книгу I. Die Bio-Ökonomie - Die nachhaltige Nischenstrategie des Menschen - Hans-Günter Wagner - Страница 6

1. Ökonomie als Teil eines Ganzen

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Die ursprüngliche Wirklichkeit ist eins und ungeteilt. Wird von der ursprünglich ungeteilten Wirklichkeit ein Raum abgetrennt oder eine Sphäre abgesondert, so entsteht jeweils ein Kosmos mit einer nur ihm eigenen Logik und Struktur.[73] Wenn wir den Weg dieses Separierungsvorgangs verfolgen, können wir mit großer Genauigkeit die Grundformen rekonstruieren, die in unserem Falle der ökonomischen Wissenschaft zugrunde liegen. Wir können auf diese Weise erkennen, wie die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten unserer eigenen Erfahrungswirklichkeit sich mit unerbittlicher Notwendigkeit aus dem ursprünglichen Akt der Trennung und Loslösung ergeben. Die Absonderung der Sphäre des Ökonomischen stellt einen Versuch dar, Verschiedenheiten in einer Welt zu unterscheiden, in der Grenzen auch ganz anders gezogen werden können. Am Anfang der ökonomischen Unterscheidungen steht unser Begehren, das auf ein Selbst zentrierte Verlangen nach Stabilität, Dauer, Ausbreitung und Wachstum. Ohne dieses Motiv könnte es keinen ökonomischen Kosmos geben, so wie es ohne unterschiedliche subjektive Wertschätzung kein Unterscheidungsmotiv geben könnte. Was wir letztlich als ökonomische Wirklichkeit auffassen, besteht in seiner äußersten Präsenz nur aus Zeichen und Ausdrücken. Da jedoch Zeichen und Ausdrücke immer nur als Repräsentationen von etwas anderem aufgefasst werden, können wir die ökonomische Wirklichkeit nur als konstruierte Wirklichkeit auffassen. Im Prozess der ökonomischen Kategorienbildung schaffen wir folglich selbst neue Strukturen der Wirklichkeit und expandieren auf diese Weise die Ordnung der realen Welt. Ökonomische Kategorien spiegeln also keine vorhandene, objektive Wirklichkeit wider, sondern gliedern die Wirklichkeit in eine Ordnung und pyramidale Struktur, gesteuert durch die Triebkräfte menschlichen Begehrungsvermögens. Wir, die wir die Welt in ökonomischen Begriffen beschreiben und entsprechend dieser Begriffe handeln, bestehen letztlich aus dem, was wir beschreiben. Erst durch unser Denken und Handeln erschaffen wir die Realität der wirtschaftlichen Welt. Aber im ökonomischen Erkenntnisblick unterstellen wir die Welt als getrennt von uns, als menschlichen Zwecken dienstbarer Gegenstand und Objekt menschlicher Begierde.[74] Wollen wir die Trennung überwinden, müssen wir zurück zum ursprünglichen Gefühl des Einen und Ungeteilten finden, das jenseits aller sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten liegt. Mit den vielen anderen Separierungsleistungen menschlicher Weltbeherrschung hat uns auch die Schaffung der ökonomischen Partialrealität von der Einen und ungeteilten Wirklichkeit in jenes Leid des Dualismus geführt, wo das Andere des Ich nur noch als jederzeit verfügbares und ewig nutzbares Objekt erscheint.

Die traditionelle Wirtschaftstheorie begreift die Ökonomie als Sphäre mit eigener Gesetzmäßigkeit und definiert dementsprechend die Wirtschaftswissenschaft als eine Disziplin, die sich mit den Problemen der Herstellung und Verteilung von Wohlstand befasst. Wenn der ökonomische Handlungskosmos auf diese Weise abgegrenzt wird, dann entsteht eine Wirklichkeit, in der alle Dinge nur insoweit zählen und Wert besitzen, als sie ökonomischen Verwertungsinteressen zugänglich sind oder zugänglich gemacht werden können. Dieser ökonomische Reduktionismus unterwirft die ganze Welt der Herrschaft seines Kategorienapparates, bis am Ende nur noch das zählt, was in Geld ausdrückbar ist und Profit abwirft. Solche Abtrennung der ökonomischen Sphäre mündet folglich in die Schaffung einer Welt, in der nur Geld, Gewinn, ökonomische Interessen und Verfügungsmacht eine wirklich entscheidende Rolle spielen, während alles weitere in den Bereich des Sekundären bis Nicht-Existenten fällt. In Opposition dazu hat sich das bioökonomische Paradigma in der Kritik an der Eigengesetzlichkeit und der Loslösung wirtschaftlichen Handelns von den Naturbedingungen menschlicher Existenz entwickelt. Die Abgrenzung dessen, was unter Ökonomie zu subsumieren ist und was nicht, ist daher ein entscheidender Konfliktpunkt zwischen dem herrschenden und dem alternativen Paradigma. Dieser Konflikt bezieht sich sowohl auf die äußere Wirklichkeit als auch auf die Methoden, mit der die ökonomische Theorie diese Wirklichkeit begrifflich bearbeitet. Das neue Paradigma markiert in gewisser Hinsicht die kopernikanische Wende in der Ökonomie: Während die (neo)klassische Sicht die Ökonomie ins Zentrum stellt und dabei die Ökosysteme allenfalls als eine Teilmenge des ökonomischen Kosmos zulässt, steht für das nachhaltige Paradigma der ökologische Handlungsraum im Mittelpunkt, an deren Rändern sich erst die ökonomischen Systeme als periphere Zonen ansiedeln.[75] Solche naturbezogenen Ansätze können auf eine zum Teil schon längere Tradition zurückblicken. Neben der physiokratischen Lehre von der Natur als Quelle allen Werts aus dem 18. Jahrhundert finden sich Bausteine des bioökonomischen Paradigmas auch bei den Energieökonomen des 19. Jahrhunderts sowie im nationalökonomischen Denken von Rudolf Steiner. Auch Steiner vertrat die Ansicht, dass der volkswirtschaftliche Wert - von einer Seite gesehen - die Naturproduktivität umgewandelt durch menschliche Arbeit ist. Er insistiert dabei jedoch auf dem Geist, als der Kraft, welche die Naturpotentiale in gesellschaftliche Werte transformiert. Der volkswirtschaftliche Prozess, so Steiner in seinem ganzheitlichen, weil Geist und Natur umgreifenden Ansatz, zieht aus der Natur seine Nahrung und wird auf der anderen Seite durch den Geist reguliert.[76] Eine frühe Kritik am ökonomischen Reduktionismus mit ganzheitlicher Perspektive hat auch George Bataille geübt: Die Wirtschaftswissenschaft verfolge bloß partikulare Interessen und ziehe niemals die Energietransformationen auf dem Erdball, das Spiel der lebenden Materie in Betracht.[77] Auch Fritjof Capra entwickelt eine ganzheitliche Sicht der Wirtschaft, in der diese nur ein Aspekt eines umfassenden ökologischen und gesellschaftlichen Gewebes ist; ein lebendiges System aus Menschen in Interaktionen mit ihrer natürlichen Umgebung, die zumeist auch aus lebenden Organismen besteht.[78] Etwas näher am traditionellen Paradigma ist die Definition von Kenneth E. Boulding, der die Wirtschaft als Teilmenge der gesamten Welt auffasst. Die ökonomische Sphäre bilde einen Teil der gesamten Biosphäre: „Wir können uns die ökonomische Sphäre in jedem Augenblick als den gesamten Kapitalstock vorstellen, das heißt die Menge aller Objekte, Menschen, Organisationen usw., die vom Standpunkt des Austauschsystems her von Interesse sind.”[79]

Es kommt bei dieser Betrachtung sehr auf die Wahl der Beobachtungsparameter an. Die herkömmliche Wirtschaftslehre untersucht in erster Linie preisgesteuerte Allokationen, wie sie über Geld und Märkte vermittelt werden. Bioökonomische Wahrnehmungsraster rekurrieren dagegen vor allem auf die real ablaufenden Austauschprozesse: Vom stofflichen Gesichtspunkt aus gesehen, wandern ständig Objekte von der nichtökonomischen in die ökonomische Sphäre, wo sie in vielfältiger Weise konsumiert werden, um schließlich als Abfall in der einen oder anderen Form wieder in den nichtökonomischen Bereich zurückzukehren. Von der Ebene der Energietransformationen betrachtet, fließt verfügbare Energie in Form von fossilen Brennstoffen, Solarenergie, Wasser-, Windkraft usw. in die ökonomische Sphäre und ermöglicht so die Umwandlung von Naturstoffen in Dinge, die menschliche Bedürfnisse befriedigen, um am Ende dann als entropisch degradierte Energie, zumeist in Form von Wärme, wieder abgegeben zu werden. Boulding betrachtet innerhalb der ökonomischen Sphäre jedes Individuum und jede ökonomische Organisation als Knoten in einem Netzwerk von Inputs und Outputs von Gütern und behauptet, dass die Ökonomie als Wissenschaft in erster Linie zeige, wie die Gesellschaft durch Tausch und anderen Transfer von Austauschbaren (wie Zuwendungen) organisiert ist.[80]

Die Ansicht, dass die Ökonomie die Geld- und Gütersphäre umfasst und wirtschaftliches Handeln ein Handeln bezeichnet, das einen Erfolg mit äußeren, materiellen Mitteln erreichen will, ist auch heute noch weithin akzeptiert.[81] Eine solche Sichtweise macht die monetär definierte Wirklichkeit zur zentralen Grundlage all unserer Handlung und greift auch tiefgehend in die Sphäre der intimsten menschlichen Beziehungen ein. Die Verwendung des Wirtschaftsbegriffs im Bezug auf Produktion, Handel und Erwerb ist jedoch - historisch gesehen - neueren Datums. Unabhängig vom griechischen oikos, welches das haushälterische Umgehen mit den Dingen bezeichnet, und die Wurzel des Wortes Ökonomie bildet, geht das deutsche Wort Wirtschaft etymologisch auf das althochdeutsche wirton zurück, das ursprünglich im Sinne von Schmausen gebraucht wurde. Wie Bernhard Laum[82] ermittelt hat, wurde mit Wirtschaft ursprünglich ein gemeinsames, festliches Mahl bezeichnet. Wirtschaft wurde also eher mit Ausgeben und Verschwenden als mit Produktion und Erwerb in Verbindung gebracht.

Karl Polanyi[83] hat gezeigt, worauf später noch eingegangen wird, dass die Abtrennung der ökonomischen Sphäre vom Rest der Gesellschaft an die Herausbildung eines selbstregulierenden Systems von Märkten geknüpft ist, welches die Verteilungsmechanismen früherer Gesellschaften, die auf Verwandtschaftsbeziehungen und spezifischen, nichtökonomischen Distributionsregeln beruhten, durch radikal neue ersetzt. Während in früheren Gesellschaften wesentliche Elemente der Wirtschaft in nichtökonomische Institutionen eingebunden waren, etabliert sich mit der Herausbildung umfassender Marktordnungen die ökonomische Sphäre immer umfassender als eigenständiger Bereich mit spezifischen Gesetzmäßigkeiten. Diese Eigengesetzlichkeit der ökonomischen Sphäre hat ihren korrespondierenden Ausdruck in der wirtschaftswissenschaftlichen Theoriebildung gefunden. Ralph Borsodi[84] hatte schon in den dreißiger Jahren richtig erkannt, dass die meisten ökonomischen Analysen viel zu sehr auf die Erwirtschaftung und Produktion von Reichtum konzentriert sind und dadurch der eigentliche Zweck der Produktion, nämlich menschliche Bedürfnisse zu befriedigen, oft aus dem Blickfeld gerät. Weil ökonomische Analysen menschliche Aktivitäten in der Regel auf solche beschränken, die mit dem Austausch von Gütern zu tun haben, werden viele wirtschaftliche Transaktionen außer Acht gelassen, die Handel und Austausch nicht involvieren. Borsodi nennt u.a. die familiäre und häusliche Kleinproduktion oder Raub und parasitäre Aneignung. In der feministischen Analyse der reduktionistischen Ökonomie ist die Ausblendung der häuslichen Reproduktion aus der ökonomischen Wertlehre ebenfalls ein zentraler Kritikpunkt. Die herrschende Ideologie von der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, so die feministische Kritik, behandelt die Arbeit der Frauen für die Herstellung lebensnotwendiger Güter so, als käme ihr keinerlei ökonomischer Wert zu, wenngleich gerade diese Arbeit das Überleben und das Wohlergehen der Menschen gewährleistet.[85]

Das spezifisch Ökonomische der ökonomischen Analyse, das heißt insbesondere die Geld- und Marktbezogenheit der Wirtschaftsaktivitäten, zeigt grundlegende funktionale Defizite, wenn Tätigkeiten und Wirtschaftsbereiche betrachtet werden sollen, deren Allokationsprozesse nicht hauptsächlich auf Markttransaktionen basieren. Indem die Wirtschaftswissenschaft die ökonomische Wirklichkeit als Kosmos mit eigener Gesetzlichkeit analysiert, generiert sie Rationalitätsaxiome, die auf nichts anderes als das Handlungsfeld des Produzierens, Verteilens und Konsumierens verweisen. Die meisten ökonomischen Schulen erklären die auf diese Weise gewonnenen Axiome jedoch zu Gesetzmäßigkeiten des menschlichen Lebens überhaupt. Seit jeher gibt es in der Wirtschaftswissenschaft die Tendenz, traditionelle ökonomische Methoden auch auf Gebiete zu beziehen, die über ihr originäres Anwendungsfeld weit hinausgehen. Hans Albert[86] hat demonstriert, wie die klassische Ökonomie Marktprozesse als Teilabläufe eines Steuerungsmechanismus behandelt, der zu einer bestimmten Ordnung im sozialen Leben führt. Der klassische Ansatz der Nationalökonomie analysiert soziale Systeme auf der Basis von Gesetzmäßigkeiten - wie Selbstinteresse der Beteiligten, Annahme der Knappheit der verfügbaren Mittel, des Grenzertragsgesetzes und der Idee rationalen Handelns - die zu umfassenden soziologischen Erkenntnisprogrammen hypostasieren. Das Streben, ein einheitliches Prinzip im wirtschaftlichen Handeln zu finden, führt praktisch zu dem skurrilen Phänomen, dass in der herrschenden Ökonomie Marktbeziehungen zum einen als relativ autonomer Teil des gesellschaftlichen Lebens erscheinen, während zum anderen der auf eben dieser Sichtweise basierende Ansatz gleichzeitig zum umfassenden Steuerungsprinzip wird, dessen Gültigkeit nicht auf bestimmte Perioden oder kulturelle Umgebungen eingeschränkt wird.[87] Die spezifischen Bewegungsgesetze der industriell-kapitalistischen Marktwirtschaft erscheinen so als die umfassenden Regulatoren des sozialen Lebens überhaupt und als Prinzipien, die in der inneren Natur des Menschen wurzeln. Die Verfolgung der Eigeninteressen ist dabei die Schlüsselkategorie, die der traditionsökonomischen Sicht unserer Motive und Handlungen zu Grunde liegt. In dieser Weltsicht gibt es keinen Platz für Kooperation und symbiotische Beziehungen; und altruistisches Handeln gar, wie es für vorsorgendes und nachhaltiges Wirtschaften insbesondere im Bereich der häuslichen Reproduktion so typisch ist, gilt hier bloß als dysfunktional und Entgleisung aus der Schiene konkurrenzorientierten, geldvermittelten Wirtschaftens. Dieses Eigeninteresse ist aber überhaupt keine einfache und offensichtliche Sache, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag, sondern ein äußerst komplexes Phänomen. Talcott Parsons[88] hat schon in den vierziger Jahren das ökonomische Eigeninteresse kritisch hinterfragt und festgestellt, dass es keinesfalls einfach mit der menschlichen Natur korrespondiert, sondern vielmehr verschiedene Motive bündelt, die unterschiedliche Typen sozialer Situationen betreffen. Parsons hält es für gehaltvoller, diese Strukturen und die institutionellen Veränderungen wirtschaftlichen Handelns zu untersuchen, als das ökonomische Denken auf sehr fragwürdige Annahmen über die angeblich wahre Natur des Menschen zu gründen. Durch die Traditionsökonomie wird bis heute eine Ideologie verbreitet, die es der Gesellschaft nahelegt, das von ihr selbst erfundene Muster von Produktion, Austausch und Konsum nicht als Veränderbares, sondern als ewige Naturgesetzlichkeit anzusehen.

Eine bestimmte Form separierender Erkenntnisgewinnung geht so mit der Entwicklung einer nischenstrategischen Lebenspraxis einher, die fragwürdige Annahmen über die innere Natur des Menschen schließlich zur ökonomischen Realität werden lässt. Der Modus der Erkennens nimmt also Einfluss auf das gewonnene Ergebnis.[89] Der Reduktionismus der ökonomischen Theorie wäre nicht möglich ohne die jahrtausendealte Dominanz männlichen Denkens, dessen mechanistische Metaphern für Ordnung und Macht, für die Beherrschung der Natur-Maschine und die Unterdrückung des Weiblichen und Kreativen stehen. Das Spontane und Unberechenbare der Natur muss unter die Vormundschaft der Verstandesgesetzlichkeit gebracht werden. Im Deutschland der Aufklärung wird schließlich Kant zum Wegbereiter eines Denkens, das die Natur so betrachtet, als sei sie selbst ein reines Verstandesprodukt.[90] Die organischen Wesen könnten nur begriffen werden, so Kant, indem wie sie uns vorstellen, als ob sie die Produkte des Verstandes wären. Die Harmonie zwischen Natur und menschlichem Erkenntnisvermögen beruht nach Kant nicht darauf, dass der Mensch ein Produkt der Natur ist, sondern die Natur gilt als quasi-menschliches Erzeugnis. Indem Ordnung, Einheit und Regelmäßigkeit auf diese Weise zu Produkten menschlicher Aktivitäten werden, erscheint die Natur somit formal vollständig durch die Gesetzlichkeit des Verstandes bestimmt. Zwar findet sich in Kants Kritik der Urteilskraft noch ein Rest von Bedeutung der Natur, indem ihr Natur zum Beispiel Eigenschaften wie Reinheit und Unschuld zugeschrieben werden; aber hier geht es weniger um Reinheit und Schönheit als sinnliche Rezeptionen, sondern um die intellektuellen Reaktionen auf sie. Und so zeichnet sich die für Kants Werk grundlegende Auffassung von Natur als ein System von Regeln und Zwecken ab, als „Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen in Raum und Zeit”, die der Verstand der Natur vorschreibt. Das erkennende Selbst löst sich auf diese Weise aus dem Dialog mit dem Anderen der Natur und wird zum narzisstischen Ego, das die Natur nötigt, unterwirft und beherrscht. Weil die Vernunft nach Kant nur das einsieht, was sie selbst nach ihrem eigenen Entwurf hervorbringt, muss sie die Natur nötigen, auf ihre Fragen zu antworten, „ ... nicht aber sich von ihr allein gleichsam am Leitbande gängeln lassen (...) sonst hängen zufällige nach keinem vorher entworfenen Plane gemachte Beobachtungen gar nicht in einem notwendigen Gesetze zusammen, welches doch die Vernunft sucht und bedarf.”[91]

Vandana Shiva[92] hat sehr eindringlich gezeigt, wie die auf Francis Bacon zurückgehende Methode des westlichen Mannes die Welt in männlich und weiblich, rational und emotional, objektiv und subjektiv und schließlich in Fakten und Werte spaltet. In dieser Spaltung sieht Shiva die szientistische Grundlage für die männliche Herrschaft über die Natur, die Frauen und große Teile der modernen Lebenswelt: „Für Bacon war die Natur nicht mehr Mutter, keine weibliche Natur, sondern nur mehr die vom männlichen, aggressiven Verstand eroberte Natur (...) die durch das Baconsche Programm geschaffenen Bilder vom Überwältigen und Beherrschen vermochten gemeinsam mit der Wissenschaftlichen Revolution alle Gefühlsschranken zu beseitigen und die Entblößung der Natur kulturell zu sanktionieren.”[93] Wie die Isolierung des Ökonomischen aus der ganzheitlichen Wirklichkeit, so ermöglicht auch die Zerlegung der Natur in ihre Einzelteile die Schaffung von wissenschaftlichen Maßstäben und Kriterien, die sich von ihrem lebendigen Kontext frei machen und dann als objektive ausgegeben werden. Tatsächlich beruhen sie jedoch gerade auf der Entfremdung von der Natur und der Nicht-Teilnahme an ihren lebenssichernden Zusammenhängen.[94] Durch dieses Erkenntnisverfahren wird der Gegenstand der Erkenntnis aus von einem, in einen bestimmten Zusammenhang Gehörendes, sich Veränderndes, zu einem statisch-zeitlosen Objekt: „Die Isolierung des Objekts aus den lebendigen Zusammenhängen heraus, in denen es lebt, lässt diese für die Gewinnung von Erkenntnissen unwichtig werden (...) Das Ziel der Erkenntnisgewinnung besteht darin, durch exakte Bestimmung seiner Bestandteile das Objekt nach menschlichen Willen selbst herstellen zu können.”[95] Durch die industrielle Nischenstrategie kommt es zur umfassenden Etablierung dieser Erkenntnismethodologie. An die Stelle weiblicher Intuition und des Anschmiegens an die Natur tritt nun die männliche Strategie der Zerstückelung und trennscharfen Bestimmung unter künstlich erzeugten Bedingungen. Macht, Eroberung und Herrschaft treten an die Stelle des Dialogs mit der Natur. Die männlich geprägte Schaffung der ökonomischen Handlungssphäre führt dabei zur Entwicklung spezifischer Handlungskriterien. Was zählt, ist einzig das Berechenbare: „Jeglicher Beitrag, der diese Kriterien (fassbar und messbar zu sein – Anmerkung des Verf.) nicht erfüllt, verliert seine Bedeutung. Die Vorherrschaft dieser engen Kosten- und Nutzenrechnung bewirkt den Verlust unserer Rituale und Tabus, deren Wert sich vor allem in der Langzeitperspektive zeigt.”[96] Durch das Ziel der Naturbeherrschung, so Joan Davis und Gabriela Kocsis[97], kommt es in der männlichen Ökonomie zu einer Verbannung des Göttlichen aus der Natur, zu einer Ent-Zauberung und Ent-Spiritualisierung des Alltags. Einen Gegenpol hierzu bilden die Merkmale von Vorsorge und Pflege als Bestimmungsmomente einer weiblichen Ökonomie.

Eine ganz anders gestaltete Kritik des ökonomischen Reduktionismus hat Karl Marx geleistet. Anhand des Erscheinungsbildes der klassischen Ökonomie hat er zu zeigen versucht, dass diese Theorie selbst bloß als entsprechender Ausdruck einer bestimmten historischen Situation, nämlich der Herausbildung der kapitalistischen Produktionsweise begriffen werden muss. Sein eigener Ansatz, worauf wir an späterer Stelle noch ausführlicher zu sprechen kommen, hat dem Begriff des Ökonomischen selbst einen neuen Inhalt gegeben. Weil die Ökonomie das ganze Leben beherrscht, werden ökonomische Kategorien zu Universalbegriffen der geschichtlich-gesellschaftlichen Lebenswelt überhaupt - und an eben diese Universalisierung der Begriffswelt einer begrenzten historischen Epoche knüpft die marxsche Kritik an. Marx gebraucht den Ökonomiebegriff dabei durchaus in ganzheitlicher Perspektive. Was er aufzeigen will, ist das Spannungsverhältnis zwischen der Entfremdung des Menschen in der wirtschaftlichen Sphäre ihres Lebens auf dem einen Pol und dem gleichzeitig verfügbaren Potential zur Aufhebung der Entfremdung durch bewusstes und kollektives Handeln auf dem anderen.

Das bioökonomische Paradigma folgt in dieser Hinsicht durchaus den marxschen Überlegungen, insofern das Wechselverhältnis von Ökonomie und Gesellschaft sowie die Wirtschaft selbst in ihrer konkret-historischen Ausprägung analysiert werden. Wie Marx wendet es sich gegen die Verallgemeinerung der ökonomischen Verhaltensweisen einer spezifischen, historischen Wirtschaftsform zu den ubiquitären Regulatoren menschlicher Gesellschaften überhaupt. Es geht jedoch über Marx hinaus, indem der stoffliche und energetische Charakter des Wirtschaftsprozesses den Ausgangspunkt der Analyse bildet und die Natureigenschaften der Produktion zu den zentralen Parametern des kategorialen Zugriffs gemacht werden. Bioökonomen untersuchen die ökonomische Sphäre in ihrer Einbindung in die ökologischen Systeme der Biosphäre, deren Teil sie ist. Entsprechende Analysen operieren daher nicht ausschließlich mit monetären Kategorien, wie es für lediglich an marktförmigen Austauschprozessen orientierte Modelle typisch ist, sondern sehen die Wirtschaft als Teil eines umfassenden Ganzen, in welchem die Stoffwechselprozesse zwischen Mensch und Natur vermittelt werden. Die Ökonomie von Mensch und Natur wird nicht getrennt, sondern in ihrer wechselseitigen Verknüpfung betrachtet; denn letztlich bestehen wir alle aus den gleichen Stoffen. Dementsprechend wird den Naturbedingungen des ökonomischen Prozesses, das heißt der Analyse der Energieflüsse, der Stoffkreisläufe und der informationellen Struktur der ökologischen Systeme, welche die Bedingung und Basis aller Produktion bilden - ein zentraler Stellenwert zugemessen. Hierin liegt ein entscheidender Unterschied zur traditionellen Wirtschaftslehre, wie auch zur marxistischen Theorie. Weiterhin bestehen Verbindungslinien zur feministischen Ökonomiekritik; sie liegen vor allem in den folgenden vier, sich überschneidenden Perspektiven: zum ersten in einem Produktivitätsverständnis, das nicht auf eine verengte Geld- und Marktperspektive gründet, sondern auch die Arbeit der Frauen, die häusliche Reproduktion und das freiwillige soziale Engagement als äußerst produktive, weil lebensspendende Tätigkeiten auffasst; zum zweiten ist der gemeinsame Bezugspunkt auf therapeutischem Gebiet: in der Perspektive einer nachhaltigen Wirtschaft, in der weibliche Werte wie Schutz, Vorsorge und Lebenserhaltung den ökonomischen Kosmos bestimmen; drittens liegt eine weitere Schnittmenge im übereinstimmenden Interesse an einer Re-Moralisierung der Ökonomie und in der Kritik des scheinheiligen Wertfreiheits-Postulats der herkömmlichen Wirtschaftslehre mit seinen faktisch destruktiven Folgen für die natürlichen Lebenswelten und die in ihnen lebenden Menschen, sowie schließlich viertens in der Orientierung auf Dialog und Verstehen anstelle von Beherrschung und Unterwerfung der Natur. Die Ökonomie hat bisher nur Partialrationalitäten, also Maßstäbe vernunftgeleiteten Handelns hervorgebracht, die nur auf begrenzte Teilbereiche des Lebens anwendbar sind. Eine Perspektive ganzheitlicher Rationalität kann an die Ökonomie offensichtlich nur von außen herangetragen werden. Die innere Rationalität der Geldökonomie mit ihren normativen Implikationen hat in der Vergangenheit zum zweifelhaften Fortschritt in Richtung Irrationalität in Bezug auf die Natur, deren Teil wir sind, und im Hinblick auf die Gestaltungmuster der globalen menschlichen Beziehungen geführt. Rationalität muss, wie Arne Naess richtig festgestellt hat, im Hinblick auf Grundwerte beurteilt werden.[98] Wir brauchen heute ein globales Umdenken, ein neues Weltbild, das unsere Stellung im Kosmos und unsere Beziehung zu anderen Wesen auf ganz andere Weise als bisher beschreibt. Dieses Bild kann aus einer neuen Qualität innerer Erfahrung erwachsen, einer Abkehr von den Abstraktionen wie Geld, Macht oder Mobilität, die uns in die Sackgasse der industriellen Nischenstrategie manövriert haben. Aus dem Fühlen der inneren Einheit allen Lebens kann das Bild eines umgreifenden Selbst entstehen; indem wir uns als das sehen, was wir in Wirklichkeit sind: Teile und Fäden im großen Gewebe des Lebens, in dem alles mit allem verbunden ist. Und es ist das Gefühl dieser Verbundenheit, aus dem große Freude erwächst, die unseren menschlichen Handlungsmöglichkeiten eine neue Perspektive weist. Diese neue Lebensperspektive ist heute auf vielen Gebieten sichtbar. Auf ökonomischen Gebiet ist es die Vision einer Wirtschaft des räsonierenden Umgangs mit Menschen, Tieren, ökologischen Umwelten und Naturstoffen, in der die soziale Entwurfsphantasie das wichtigste Element kreativer Weltgestaltung bildet. Im Bild einer nachhaltigen und vorsorgenden Wirtschaft kann diese Handlungsperspektive eine realistische und für alle nachvollziehbare Gestalt annehmen. Wir wollen daher versuchen, dieses Bild ein wenig auszumalen.

I. Die Bio-Ökonomie - Die nachhaltige Nischenstrategie des Menschen

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