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b) Das Erleben ist an eine Perspektive gebunden

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Es gibt zwei verschiedene Zugangsweisen, durch die wir ein Wissen über Erleben und Bewusstsein erlangen: von innen und von außen. Von innen, aus der Erlebnisperspektive oder der Ersten-Person-Perspektive; von außen, aus der Beobachterperspektive oder der Dritten-Person-Perspektive. Die erste Zugangsweise ist die Introspektion, der so genannte phänomenologische Ansatz. Die zweite Zugangsweise ist der Versuch, sich dem Erleben und Bewusstsein von außen zu nähern, zum Beispiel mit Hilfe der Verhaltensbeobachtung und der Gehirnforschung. Aufgabe der Wissenschaft ist es herauszufinden, wie Dinge funktionieren. Es gibt jedoch einen Unterschied zwischen der Erklärung, wie etwas funktioniert, und der Erfahrung dessen. Erfahrung ist etwas sehr Spezielles und Individuelles. Ein Wissenschaftler kann nur von außen beobachten. Jeder von uns hat aber glücklicherweise die Möglichkeit zum Blick von innen. Die beiden Perspektiven lassen sich nicht aufeinander reduzieren.

Zu unserem bewussten Erleben haben wir einen unmittelbaren und direkten Zugang von innen. Wegen dieses privilegierten Zugangs ist unser Wissen um die eigenen mentalen Zustände ‘unkorrigierbar’. Bedeutet dies, dass wir uns in diesem Bereich nie irren können? Die Aussage, mentale Phänomene seien unkorrigierbar, hat zu vielen Diskussionen und Missverständnissen geführt. Wir erleben zum Beispiel aktuelle Gefühle mit zweifelsfreier Gewissheit und auf eine einmalige und unverwechselbare Weise. Die epistemische (auf Wissen bezogene) Autorität liegt bei dem, der von seinem Erleben in der ersten Person berichtet. Erlebe ich im Moment eine tiefe Zufriedenheit, so kann mich niemand davon überzeugen, dass ich in Wirklichkeit Unzufriedenheit erlebe. Meine Gewissheit über die erlebte Zufriedenheit ist in diesem Sinne unkorrigierbar, unbezweifelbar. Das pure Erleben selbst kann ich allem Anschein nach nicht anzweifeln. Zweifeln kann ich sehr wohl an der Interpretation dieses Zustandes, woher er kommt, ob er berechtigt ist oder nicht, jedoch nicht an der Tatsache, dass ich im Moment diesen Zustand erlebe. Die Aussage, mentale Zustände seien unkorrigierbar, meint nicht, dass uns die Introspektion immer ein vollständiges und korrektes Bild der in uns wirksamen psychologischen Einflussfaktoren liefert. Der introspektive Zugang zum eigenen Erleben vermittelt uns keinen umfassenden Einblick in die innere Psychodynamik. Wir kennen die Gefühle unserer Mitmenschen oft besser als unsere eigenen. Bei Neid und Eifersucht zum Beispiel sehen Außenstehende meist deutlicher, dass jemand diese Gefühle hat, als der Betreffende selbst. Nach Descartes kann der Mensch alles bezweifeln, sogar die Existenz seines Körpers, außer die Tatsache, dass er denkt bzw. zweifelt (vgl. Beckermann, 1999, 9–12; Brüntrup, 1996, 28 f.; Searle, 2001, 57).

Erlebnisqualitäten sind an die Erste-Person-Perspektive gebunden. Diese Perspektive kann von einem objektiven Standpunkt aus nicht eingenommen werden. Erlebnisse gibt es nicht an sich. Sie sind immer jemandes Erlebnisse. Niemand weiß, wie es für mich ist, das Rollen einer niedersausenden Schneelawine zu erleben. Unser Bewusstsein ist ein zentriertes Bewusstsein. Der Mittelpunkt des Bewusstseins sind wir selbst. Bewusstsein hat eine perspektivische Natur, und das müsste Gegenstand jeder überzeugenden wissenschaftlichen Theorie des Bewusstseins sein. Objektive Wissenschaft abstrahiert aber von allen subjektiven Perspektiven. Eine Theorie über Schmerzen zum Beispiel, in der das Erleben des Schmerzes nicht vorkommt, ist überhaupt keine Theorie über Schmerzen. Sie wäre uns unendlich fern, denn sie würde genau das nicht erfassen, was uns interessiert. Das ist der Grund, warum manche Philosophen den phänomenalen Gehalt von Erlebnisqualitäten für eine irreduzible Eigenschaft solcher Zustände halten (vgl. Metzinger, 1996, 15–53).

Wir können die Welt so beschreiben, dass wir selbst in ihr nur ein Gegenstand unter vielen anderen Gegenständen, ein Körper neben vielen anderen Körpern sind. Dabei versuchen wir, uns selbst und die Welt gleichsam ‘von außen’ zu beschreiben, ohne unsere Erlebnisperspektive zu berücksichtigen. Angesichts der unendlichen Weite von Raum und Zeit schrumpft mein Leben zur Bedeutungslosigkeit. Ich bin nur ein Mensch unter Milliarden von Menschen. Ich lebe auf dieser Erde, die nur ein Staubkorn ist, das sich in der Unendlichkeit des Weltraums dreht. Ob es mich gibt oder nicht gibt, ändert an der Menschheit als ganzer und am Universum als ganzem nichts. Auf der anderen Seite erlebe ich mich nicht nur als Gegenstand in der Welt. Ich betrachte die Welt aus der subjektiven Perspektive meines Bewusstseins. Diese Sicht ist einzigartig und unvertretbar. Mit meinem Ende, mit meinem Tod geht eine ganze Welt zu Grunde: die Welt meiner Empfindungen, Erlebnisse und geistigen Zustände, die einen unauflösbar subjektiven Charakter haben. Meine Welt, meine Erlebniswelt wird ausgelöscht.

Das Dilemma der zwei Perspektiven zeigt sich noch in einer anderen Form. Auf der einen Seite sind wir als materielle Körper ein Teil der physischen Welt und unterliegen daher den gesetzmäßigen Notwendigkeiten, welche die Naturwissenschaften beschreiben. Aus dieser Sicht sind wir nur ein Spielball der Kräfte, die den mechanischen Ablauf der Welt bestimmen. Wir sind in ein Netz kausaler Beziehungen eingebunden. Sind unsere Verhaltensweisen und Handlungen deshalb vollständig durch die Naturgesetze bestimmt? Sind die Bewegungen unseres Körpers genauso determiniert wie die Bewegungen fallender Gegenstände? Auf der anderen Seite erleben wir uns nämlich als kausalen Ursprung, als Urheber unseres Handelns. Handlungen unterscheiden sich von Geschehnissen, die uns zustoßen. Sie sind etwas, das wir tun, im Gegensatz zu dem, was uns widerfährt. Dinge, die uns widerfahren, sind zum Beispiel: Ich stolpere auf der Treppe, ich muss nießen, ich erkranke an Grippe, ich ärgere mich. Wir verhalten uns immer, aber wir handeln nicht immer. Im Handeln haben wir eine gewisse Kontrolle über unsere Bewegungsabläufe. Wir führen die sichtbaren Bewegungen mit Absicht aus. Eine bestimmte Handbewegung ist nur dann ein Gruß und nicht eine gymnastische Übung oder ein Tick, wenn wir auch grüßen wollten. Handlungen entstehen aus Motiven. Wir können begründen, warum wir etwas getan oder nicht getan haben. Handlungen implizieren eine Wahlmöglichkeit, eine Entscheidung zwischen Alternativen: Wir hätten auch anders handeln können. Es gibt einen deutlichen Unterschied in der Erlebnisqualität zwischen freiwilligen und erzwungenen Handlungen. Einer handelnden Person unterstellen wir, dass sie das, was sie tut oder unterlässt, absichtlich unternimmt, dass sie damit ein Ziel verfolgt und dass sie sich dessen, was sie tut, zumindest teilweise bewusst ist. Die Bedeutung des Begriffes ‘Handlung’ ist ohne die Idee der Erlebnisperspektive nicht adäquat zu verstehen. Damit ein Verhalten eine Handlung im vollen Sinn des Wortes ist, muss ich es als von mir selbst vollzogen erfahren. Roboter zeigen auch koordiniertes, von innen gesteuertes und der Situation angemessenes Verhalten. Sie erleben ihr Verhalten aber ebenso wenig wie Verantwortung oder Schuld.

Beide Perspektiven, die Erlebnisperspektive und die Beobachterperspektive, sind uns vertraut, und beide haben für uns ein hohes Maß an Plausibilität. Ein Problem ergibt sich dadurch, dass sie sich – zumindest auf den ersten Blick – zu widersprechen scheinen. Welches der beiden Selbstbilder auch wahr sein mag, das jeweils andere scheint auf einem Irrtum zu beruhen. Wie lässt sich der Widerspruch zwischen diesen beiden Perspektiven beseitigen? Wer sich diese Frage stellt, beginnt, über das Körper-Geist-Problem nachzudenken (vgl. Brüntrup, 1996, 11 f.).

Bewusstes Erleben taucht in der Entwicklung des Universums sehr spät auf. In einem mittelpunktlosen Universum entstehen plötzlich Ich-Zentren, Brennpunkte des Bewusstseins. Jedes dieser Bewusstseinszentren besitzt eine eigene Perspektive. An jede dieser Perspektiven ist eine persönliche Erlebniswelt gebunden. Diese individuellen Erlebniswelten besitzen ihre eigene Geschichte und ihre eigene Biographie. Mit Bewusstsein entsteht immer das, was wir im Alltag bewusstes Erleben nennen. Wie können in einem objektiven Universum ständig viele subjektive Universen entstehen und wieder vergehen? Wie kann jeder von uns ein subjektives Universum sein?

Das Rätsel von Körper und Geist

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