Читать книгу Das Rätsel von Körper und Geist - Hans Goller - Страница 14
4. Offene Fragen
ОглавлениеWie ist der Zusammenhang zwischen Körper und Geist, zwischen dem Physischen und dem Mentalen, zu erklären? Wie hängen Gehirnzustände und Bewusstseinszustände zusammen? Was verursacht unser Verhalten und Handeln? Der Geist oder das Gehirn? Wie geschieht der rätselhafte Sprung vom Seelischen zum Körperlichen und vom Körperlichen zum Seelischen? Wie entsteht aus einem Willensentschluss eine Körperbewegung? Wie führt eine Netzhautreizung zu einem visuellen Erlebnis? Wie ereignete sich der Übergang von der leblosen Materie zu den lebenden Organismen, und wie der Übergang von den lebenden Organismen zum bewussten Erleben? Wie ist die Entstehung des Bewusstseins in einem physikalischen Universum möglich? Kann das Erleben aus seinen materiellen Bedingungen erklärt werden? Wie machen es die räumlich organisierten Gehirnzellen, dass aus ihrer Aktivität nichträumliche, bewusste Erlebnisse entstehen?
Die Probleme, die mit diesen Fragen und der in ihnen enthaltenen Unterscheidung zwischen Körper und Geist zusammenhängen, werden unter dem Titel ‘Leib-Seele-Problem’, ‘Körper-Geist-Problem’ oder ‘Gehirn-Geist-Problem’ diskutiert. Man kann dieses Problem das Rätsel des bewussten Erlebens, das Rätsel des Bewusstseins, nennen. Ist ihm durch bloßes Nachdenken beizukommen? In den vergangenen Jahrzehnten ist Bewusstsein zur Hauptfrage der modernen interdisziplinären Hirnforschung geworden. Neurowissenschaftler erörtern heute Themen, die früher nur Philosophen und Theologen behandelten. Zu diesen Themen zählt auch die Frage nach der Willensfreiheit. Bewusstsein erscheint vielen Forschern als die größte theoretische Herausforderung. Die Lösung dieses Rätsels käme einer wissenschaftlichen Revolution gleich. Es ist jedoch nicht klar, worin das Rätsel des Bewusstseins genau besteht und was wir als überzeugende Lösung dieses Rätsels akzeptieren würden.
Chalmers unterscheidet am Bewusstsein einen psychologischen und einen phänomenalen Aspekt und spricht vom ‘leichten’ (easy) und vom ‘schwierigen’ (hard) Problem des Bewusstseins (vgl. Chalmers, 1995, 1996 a, 1996 b). Die ‘leichten’ Probleme des Bewusstseins lassen sich seiner Meinung nach mit den Methoden der Psychologie und der Neurowissenschaften prinzipiell lösen. Das ‘schwierige’ Problem kann mit den Standardmethoden dieser Wissenschaften grundsätzlich nicht geklärt werden. ‘Leicht’ ist natürlich ein relativer Begriff. Bis die so genannten leichten Probleme des Bewusstseins geklärt sind, werden gut und gerne noch hundert bis zweihundert Jahre empirischer Forschung ins Land gehen. Zu den leichten Problemen des Bewusstseins zählt Chalmers folgende Fragen: Wie unterscheidet das Gehirn Umweltreize und wie reagiert es angemessen auf sie? Wie integriert es Informationen, die aus verschiedenen Quellen stammen, und wie nutzt es diese zur Steuerung des Verhaltens? Wie ist es möglich, dass wir Menschen über unsere internen Zustände berichten können? Wie erfolgt der Zugriff auf unsere eigenen inneren Zustände? Wie funktionieren Gedächtnis und Erinnern? Wie sind Aufmerksamkeit, Wachheit, Schlaf und willentliche Verhaltenskontrolle zu erklären? Bestünde das Problem des Bewusstseins nur in diesen Fragen, wäre es für die Wissenschaft kein unlösbares Rätsel. Wir besitzen zwar immer noch keine vollständigen wissenschaftlichen Erklärungen dieser Phänomene, aber wir haben zumindest eine klare Vorstellung davon, wie wir zu solchen Erklärungen kommen können. Gelingt es den Neurowissenschaften zu zeigen, wie das Gehirn die erwähnten Aufgaben bewältigt, dann sind die ‘einfachen’ Probleme des Bewusstseins geklärt. Der psychologische Aspekt des Körper-Geist-Problems konfrontiert die Wissenschaft zwar mit einer Reihe technischer Probleme, ist aber kein tiefes metaphysisches Rätsel.
Das schwierige Problem des Bewusstseins bilden die Subjektivität und der qualitative Aspekt des Erlebens. Alle wissenschaftlichen Erkenntnisse haben bisher kein Licht auf die Frage geworfen, wie und warum bestimmte Hirnprozesse und kognitive Funktionen von bewusstem Erleben begleitet werden. Wie bringen physikalisch-chemische Prozesse im Gehirn bewusstes Erleben hervor? Warum und wie werden psychologische Eigenschaften von phänomenalen Eigenschaften begleitet? Wenn wir denken, fühlen und wahrnehmen, dann gibt es nicht nur eine Menge an Informationsverarbeitung im Gehirn, es gibt auch das bewusste Erleben dieser Phänomene, ihre Erlebnisqualität. Warum sollten physische Reizverarbeitungen überhaupt den Reichtum des inneren Erlebens erzeugen? Unter Neurowissenschaftlern und Philosophen herrscht große Übereinstimmung darüber, dass unser bewusstes Erleben aus Gehirnprozessen hervorgeht, aber wir haben keine Erklärung dafür, warum und wie das geschieht. Wir können nicht erklären, warum es sich auf eine bestimmte Weise anfühlt, eine Empfindung zu haben oder seine Lieblingsmusik zu hören. Das schwierige Problem des Bewusstseins ist das bewusste Erleben. Dieses Problem geht über die Erklärung der Struktur und Funktion des Gehirns hinaus. Die Gehirnforschung versucht, die neuronalen Korrelate des bewussten Erlebens aufzudecken. Wir wissen zwar, dass unser subjektives Erleben eng mit Gehirnvorgängen verbunden ist, aber dieser Zusammenhang selbst erscheint rätselhaft. Wir haben nicht die geringste Ahnung, wie das bewusste Erleben, das uns nur in der Ersten-Person-Perspektive zugänglich ist, aus objektiv beschreibbaren Gehirnprozessen hervorgeht. Niemand weiß, warum bestimmte Hirnprozesse von bewusstem Erleben begleitet werden oder warum wir überhaupt Erlebnisse haben. Es bleibt stets eine Erklärungslücke zwischen dem bewussten Erleben und seinen vermuteten materiellen Korrelaten. Erst wenn wir wüssten, warum diese Prozesse überhaupt bewusstes Erleben hervorbringen, könnten wir nach Joseph Levine (1983) die Erklärungslücke zwischen Gehirnprozessen und Bewusstsein überwinden.
Was erwarten wir von einer befriedigenden Theorie des Bewusstseins? Sie müsste dem Reichtum und der Vielfalt des subjektiven Erlebens Rechnung tragen und die Perspektive des erlebenden Subjekts ernst nehmen. Sie sollte erklären können, wie die Erlebnisperspektive mit der Beobachterperspektive der von außen operierenden Wissenschaften zusammenhängt (vgl. Metzinger, 1996, 18).