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3. Ein Gegenbeispiel aus dem Bereich der Exegese: Die Ablehnung kanonischer Hermeneutik durch Oda Wischmeyer

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Während Jens Schröter und Gerd Theißen auf je eigene Weise für eine maßvolle Rückbesinnung der Exegese auf das normative Konzept des Kanons stehen, gibt es auch Beispiele dafür, dass die neutestamentliche Wissenschaft auf ihrer Eigenständigkeit beharrt und den Bezug auf den Kanon lediglich als Zugeständnis an die kirchliche Vernetzung der theologischen Disziplinen realisiert. Dies wird deutlich in Oda Wischmeyers Beitrag Kanon und Hermeneutik in Zeiten der Dekonstruktion. – Hier wird die Exegese in einem seltsam undefinierten Zwischenbereich verortet:

„In der deutschen protestantischen Theologie wurde im letzten Jahrhundert die Trennung der Bibelwissenschaft in die alttestamentliche und die neutestamentliche Wissenschaft vollzogen. Damit werden die historischen Unterschiede dem kanonischen Einheitsprinzip strukturell vorgeordnet, ohne dass allerdings das kanonische Paradigma […] ganz verlassen worden wäre.“127

Daraus resultiert die vermeintliche Autarkie wissenschaftlicher Exegese, die sich einerseits kirchlichen Entscheidungen entzieht, um andererseits davon zu leben, dass es Menschen aus dem Bereich der Kirche sind, für die die Bibel weiterhin Bedeutung hat:

„Für die neutestamentliche Wissenschaft hörte die Bibel auf, als kanonische ,Heilige Schrift‘ interpretiert zu werden […].“ Gleichwohl gelte: „Die Bibel hat […] trotz der Dekanonisierungstendenzen der letzten beiden Jahrhunderte […] bisher sowohl im religiösen wie im wissenschaftlichen Rahmen ihren kanonischen Status behalten.“128

Wischmeyer kommt zu einer Schlussfolgerung, die offen lässt, inwiefern die neutestamentliche Wissenschaft der Auslegungsgemeinschaft der Kirche verpflichtet ist: „Die Schriften des Neuen Testaments brauchen im hermeneutischen Diskurs der Gegenwart keine eigene Verstehenslehre bzw. Kanonhermeneutik, sondern eine hermeneutische Reflexion ihrer Rezeptionsgeschichte, also Kanonforschung. Es liegt bei dem Leser, ob und in welcher Weise er den kanonischen Texten einen besonderen Status zusprechen will. Eine vorgegebene Kanonhermeneutik kann diese Entscheidung nicht herbeiführen.“129

Dazu sei bemerkt: Insofern Bibellesende, Studierende der Theologie sowie Pfarrerinnen und Pfarrer Mitglied einer christlichen Kirche sind, ist diese Entscheidung in der Regel bereits gefallen. Die exegetische Wissenschaft hat deshalb zu bedenken, wem sie verpflichtet ist, in wessen Dienst sie primär zu stehen hat.

Kanon und Auslegungsgemeinschaft

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