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Vorwort

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„Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“

Johannes 1,14

„ … zu erkennen das Geheimnis Gottes, das Christus ist. In ihm liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis.“

Kolosser 2,2f

Das Christentum ist keine Buchreligion im strengen Sinne. Es führt sich zurück auf die Offenbarung des einen Gottes in der Geschichte des Volkes Israel, die – so glauben es Christen – ihren Höhepunkt gefunden hat in der Geburt, dem Leben, Sterben und Auferstehen des Jesus aus Nazareth. Um darüber Kenntnis zu gewinnen, ist die Kirche gleichwohl angewiesen auf die kanonischen Schriften des Alten und des Neuen Testaments. Im Hören auf das, was dort zu vernehmen ist, vergegenwärtigt sich der Auferstandene durch die Kraft des Heiligen Geistes. Die Kirche ist demnach ihrem Grund und Wesen nach die Gemeinschaft der Menschen, die auf das Wort der Heiligen Schrift hören und sich gemeinsam darum bemühen, dieses in angemessener Weise zu verstehen und auszulegen.

Seit mehr als zwei Jahrzehnten arbeite bzw. taste ich mich voran auf dem Weg, die Bücher der Bibel zu interpretieren und sie im Gottesdienst der Kirche glaubenden Menschen nahezubringen. Dabei beschäftigt mich von Beginn meines Theologiestudiums an eine Frage, die der Schweizer Neutestamentler Ulrich Luz prägnant auf den Punkt bringt: „Wie kann man eine Kirche auf eine Bibel bauen, die scheinbar beliebig interpretierbar ist?“5 – Im Laufe von über 17 Jahren des Dienstes als Vikar und Gemeindepfarrer in der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern sind mir so manche der überkommenen Versuche und Ansätze, das beschriebene Problem zu lösen, fragwürdig geworden …

In diesem Sinne nahm ich mir vor, dem Geschehen der Schriftauslegung neu auf den Grund zu gehen; dabei ist mir vor allem klar geworden:

– Sich in gut evangelischem Sinne exklusiv auf die Bibel zu berufen, sorgt nicht in dem durch die Reformation beschworenen Maß für Eindeutigkeit; als Beleg dafür dienen kann – beispielsweise – die weit über 1.000 Seiten starke Sammlung allein der lutherischen Bekenntnisschriften, die die Art und Weise, die Bibel zu verstehen, normieren wollen ...

– Die römisch-katholische Kirche hat mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil eine fundamentale Rückbesinnung auf die Heilige Schrift eingeleitet, die in den seither vergangenen Jahrzehnten für ein noch nicht genügend ausgelotetes Maß an Gemeinsamkeit mit den Kirchen der Reformation gesorgt hat.

– Der Kanon des Alten und insbesondere des Neuen Testaments spannt einen weiten Rahmen, innerhalb dessen sich eine plurale Identität des christlichen Glaubens konstituieren kann und – um des Gesprächs in den Kirchen, unter den Konfessionen sowie mit anderen Religionen und Weltanschauungen willen – auch profilieren muss.

– Damit dies gelingen kann, muss ein neues Bewusstsein dafür entstehen, dass die Kirche zuerst und vor allem Auslegungsgemeinschaft der Heiligen Schrift ist: Um eines guten und geordneten Miteinanders willen bedarf es verbindender hermeneutischer Basis-Konsense. Diese können gefunden werden, wenn glaubende Menschen sich darüber Rechenschaft geben, wie sie die Positionen im Netzwerk des Kanons sinnvoll zueinander in Beziehung setzen.

Im besten Fall wird dabei deutlich, dass wir uns durch die Kraft des Heiligen Geistes von verschiedenen Seiten aus Jesus Christus, dem Geheimnis Gottes, annähern, damit seine Wahrheit in uns und unter uns Gestalt gewinnt.

Möge diese Untersuchung einen Beitrag dazu leisten, das Miteinander der Christen und der Kirchen auf der gemeinsamen Grundlage der kanonischen Schriften Alten und Neuen Testaments zu fördern.

Weißenstadt, im Mai 2019

Hans-Hermann Münch

Kanon und Auslegungsgemeinschaft

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